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Das Casting

Ryu Murakami
Das Casting
Originaltitel: Odishon

Thriller, gebunden mit Lesebändchen, Septime Verlag, Wien, 2013, 192 Seiten, 19,40 Euro, ISBN: 9783902711151, aus dem Japanischen von Leopold Federmair und Motoko Yajin

Liebhaber des modernen japanischen Horrorfilms haben sicherlich noch immer das »Stich, Stich, Stich« von Asami Yamasaki im Gedächtnis, die im weißen Kleid und schwarzer Lederschürze den TV-Produzenten Aoyama foltert. Audition, so der Titel des Films, ist – neben Ring – der wichtigste Vertreter des J-Horror-Genres und erregte international aufgrund seiner Mischung aus Ästhetik und Grauen großes Aufsehen. Der Film, gedreht von Takashi Miike, ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von Ryu Murakami, der nun auf Deutsch unter dem Titel Das Casting im Septime Verlag erschienen ist.

Ryu Murakami ist kein unbeschriebenes Blatt. Er ist sowohl als Autor als auch als Regisseur tätig und wurde Anfang der 90er Jahre durch sein Erotikdrama Tokyo Decadence international bekannt. In dem Roman Das Casting erzählt Murakami die Geschichte des Dokumentarfilmers Aoyama, der seit dem Tod seiner Frau vor sieben Jahren keine Beziehung zu anderen Frauen mehr hatte. Sein Sohn und sein Freund, der Filmemacher Yoshikawa, drängen ihn dazu, endlich eine neue Frau zu suchen. Dabei kommt Yoshikawa auf die Idee, ein Casting für einen Liebesfilm zu organisieren, bei dem sich Aoyama zehn Frauen, die er näher kennenlernen möchte, heraussuchen soll. Aoyamas Wahl ist recht schnell getroffen. Eine Frau namens Asami Yamasaki wirkt auf ihn ungeheuer faszinierend. Von Anfang an kommt sie seinem Freund jedoch seltsam vor. Auch andere Personen teilen das Gefühl, dass mit Asami etwas nicht stimmt. Aoyama aber lässt die Bedenken seiner Freunde links liegen und trifft sich immer häufiger mit der geheimnisvollen Frau. Die geradezu zärtliche Liebesbeziehung geht jedoch über in blankes Entsetzen.

Obwohl die Geschichte an sich recht einfach ist, hält sie einem von der ersten Seite an gebannt. Dies liegt einerseits an dem wunderbaren Schreibstil Murakamis, der die ganze Handlung zwar nüchtern, aber mit einer knisternden Dichte erzählt, was den eingeworfenen Zwischenfällen zugutekommt, die dadurch eine größere Intensität erhalten. Zum anderen liegt es an dem grandios-rätselhaften Charakter Asamis. In der Verfilmung wird sie im visuellen Sinn als Hannya definiert, als ein weiblicher Rachegeist aus der japanischen Folklore. Ryu Murakami jedoch lässt es offen, wer oder was Asami ist. Und genau das macht den Charakter äußerst rätselhaft und unheimlich. Dem Autor gelingt es, seine weibliche Hauptfigur sehr bedrohlich wirken zu lassen, was die Spannung der Geschichte um ein Vielfaches erhöht.

Ryu Murakami belässt es allerdings nicht allein bei den Aspekten eines Psychothrillers. Er nutzt seinen Roman dazu, um die japanische Gesellschaft zu kritisieren und ihren übertriebenen Hang zum Materialismus anzuprangern. Gleichzeitig liefert er einen teils satirischen Blick auf die japanische Filmindustrie, die sich vor allem in dem Casting selbst offenbart.

All das macht Das Casting zu einem sehr unterhaltsamen und überaus spannenden Lesevergnügen. Und zugleich hat man es mit einer der wohl unheimlichsten Frauenfiguren der modernen Literatur zu tun, die einem auch noch nach Beenden des Romans gedanklich weiter verfolgt.

(mp)