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Adventskalender 2021 – 9. Türchen

Der Geist des Ringes und der Geist des Lichtes
Aus: Kinder- und Volksmärchen von Heinrich Pröhle
Leipzig 1853

Eine arme Witwe hatte einen Sohn, der verlor sich an dem Tag, wo er fünfzehn Jahre alt war, im Wald. Nach einer Weile fror ihn sehr. Da kam ein Mann, der zündete ein Feuer an, damit sie sich daran wärmen konnten. Als sie sich eine Weile gewärmt hatten, war ein feuriges Loch in die Erde gebrannt. Da sprach der Mann zu dem Knaben, er solle in das feurige Loch steigen, dann käme er vor eine eiserne Tür, vor der läge ein feuriger Löwe, den solle er nicht fürchten, sondern durch die Tür hindurchgehen. Dann käme er an einen Ort, wo ein Tisch stände, auf dem wäre ein Licht und neben dem Lichte läge ein Ring. Auch stände ein Apfelbaum bei dem Tisch, davon solle er sich einen Sack voll Äpfel pflücken, dazu das Licht und den Ring nehmen und sobald wie möglich den Rückweg antreten.

Der Knabe tat alles, wie ihm geheißen war. Als er aber wieder an die Tür kam, war sie zugeschlagen. Darüber weinte der Knabe bitterlich und die Tränen fielen auf den Ring, den er an den Finger gesteckt hatte. Dazu rang er die Hände, und wie der Ring dabei sich ein wenig am Finger drehte, erschien der Geist des Ringes und fragte, was er wolle. Der Knabe fiel vor Schrecken zur Erde nieder. Als er aber wieder zu sich selbst gekommen war, sagte er, dass er hier heraus wolle.

Der Geist des Ringes erwiderte, in seiner Macht stände es nicht, ihn hier wieder herauszuführen. Er solle an dem Licht scheuern, dann käme der Geist des Lichtes. Der habe höhere Macht als er und würde ihn hinausgeleiten. Der Knabe tat, wie ihm geheißen war. Da erschien der Geist des Lichtes und führte ihn hinaus.

Der Knabe ging nun nach Hause und dort stellte er das Licht beiseite. Aus den Äpfeln in seinem Sack waren Steine geworden, die schüttete er in einen Winkel und achtete ihrer nicht. Nach einer Weile hatte er mit seiner Mutter nichts zu essen. Da fing sie an das Licht zu scheuern, denn sie gedachte es beim Zinngießer zu verkaufen. Darauf erwiderte er, das solle sie nicht tun, sie solle sich wünschen, was sie wolle, er werde es bringen. Da wünschte sie, sich einmal ordentlich satt zu essen. Sogleich setzt der Geist eine Reihe silberner Teller mit Speisen auf, die er nur immer so recht geschickt aus der Hand auf den Lisch fliegen ließ, und die Mutter rief auch ihren Sohn zum Essen herein. Als sie gegessen hatten, trugen sie das Geschirr zum Silberarbeiter, der ihnen für jeden Teller fünf Taler zahlte. Und so scheuerten sie täglich an dem Leuchter und das silberne Geschirr, das der Geist des Lichtes brachte, blitzte und blänkerte, und sie schleppten es täglich zu dem Silberarbeiter, der ihnen abnahm, so viel sie davon brachten.

Nun kam der Tag, wo auch die Prinzessin fünfzehn Jahre alt wurde. Sie wurde, eingehüllt in ein seidenes Gewand, an diesem Tag in der Stadt umhergetragen. Der König ließ bekannt machen, dass kein junger Bursche sich auf der Straße sehen lassen dürfe, während seine Tochter im Seidengewand umhergetragen würde. Allein der Sohn der Witwe wagte sich doch hinaus, und nachdem er die Königstochter gesehen hatte, ging er sogar zum König und begehrte sie zur Frau.

Da wunderte sich der König und sprach: »Du hast den Tod verdient, weil du es gewagt hast, gegen mein Gebot auf die Straße zu gehen und meiner Tochter ins Antlitz zu schauen. Nur wenn du imstande bist, drei schwere Aufgaben zu lösen, sollst du das Leben behalten und die Königstochter zur Gemahlin haben. Als Erstes musst du ihr die allerkostbarste Morgengabe herbeischaffen, die es nur gibt. Zweitens musst du mir vier Lasttiere voll Geld bringen und neben mein Schloss ein anderes Schloss bauen. Das muss aber viel schöner sein als meines, und was an meinem Schloss von Eisen ist, muss an deinem Schloss von Messing sein.« Und damit kehrte der Sohn zu seiner Mutter heim.

Da scheuerte der junge Mensch in der nächsten Nacht am Leuchter. Sogleich erschien der Geist des Lichtes; er offenbarte ihm, was der König verlangt hätte, und bat ihn um Rat, was er wohl der Königstochter zur Morgengabe geben sollte. Nun brachte der einen goldenen Becher herbei und riet ihm, den von den Steinen zu füllen, welche noch immer in der Ecke lagen, das werde die kostbarste Morgengabe von der ganzen Welt sein. Das tat er auch, und als er in der Frühe des Morgens mit dem Becher zum König kam und der König den Becher vor der Königstochter ausschüttete, waren es nichts als Edelsteine. Darüber war der König und die Königstochter hoch erfreut. Als nun beide ans Fenster traten, stand das neue Schloss seinem Schloss schon gegenüber und war viel schöner anzusehen als seines und glänzte prächtig in der Morgensonne. Da staunte der König und stellte sogleich die Hochzeit an.

Der Sohn der Witwe heiratete nun die Prinzessin, und sie wohnten miteinander mit der alten Frau in dem kostbaren Schloss.

Als nun der Schwiegersohn des Königs einmal auf die Jagd gegangen und auch seine Mutter eben nicht in dem prächtigen Schloss war, kam der frühere Mietsherr der Witwe mit vielen Lichtern, die er umgehängt hatte, vor das neue Schloss und rief aus: Wer ein altes Licht hätte, dem gebe er drei neue für das alte. Er hatte nämlich bemerkt, wie der junge Mensch und seine Mutter mitunter an dem Licht gerieben hatten und wie dann der Geist des Lichtes gekommen war.

Als die Königstochter nun seinen Ausruf vernahm, brachte sie schnell das alte Licht herbei, erhielt drei neue dafür. Der Mann warf sobald wie möglich die neuen Lichter von sich und ging mit dem alten in die weite Welt. Die Königstochter aber, weil sie an diesem Tag ihren Vater noch nicht gesehen hatte, ging mit den Lichtern in der Hand erst einmal in das alte Schloss, ehe sie in das neue zurückkehrte. Sobald aber das alte Licht fort war, verschwand auch das neue Schloss vor den Augen der Königstochter.

Als der junge Mensch zurückkehrte und erfuhr, was geschehen war, drehte er sogleich seinen Ring. Es erschien der Geist des Ringes. Den schickte er hinter dem Betrüger her, der sich sehr schnell davongemacht hatte, und hieß ihn diesem das Licht abzunehmen und es wiederzubringen. Da machte sich der Geist des Ringes auf und brachte alsbald das alte Licht wieder. Der junge Mensch aber rieb nun an dem Licht, da erschien der Geist des Lichtes und baute das Schloss schöner wieder auf, als es gewesen war.

Von der Zeit an hatte er das alte Licht sorgsamer verwahrt und mit der Königstochter bis an sein Ende glücklich in dem prächtigen Schloss gelebt. Nach des Königs Tod wurde er selbst ein mächtiger König.