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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Dritter Teil – 13. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Dreizehnte Erzählung

Erscheinung des Mörders zweier schuldlosen und unwissend geschwängerten Schwerstern

Die Bewohner des Marktfleckens M… erbaten sich von ihrer Landesregierung vor einigen Jahren die Gnade, dass man doch ihrem Magistrat untersagen möchte, sie, oft schon geringer Verbrechen wegen, in das schreckliche Martinsloch zu sperren, weil sie fast jedes Mal darin erkrankten. Der Fürst, menschlich und gütig, beauftragte sogleich einen seiner Räte, als Kommissar dahin zu gehen, das Gefängnis zu untersuchen und wegen seines gefährlichen Einflusses auf die Gesundheit der Gefangenen genaue Erkundigung einzuziehen. Der Regierungsrat fand zu seiner nicht geringen Verwunderung das bürgerliche Gefängnis luftig, hell und reinlich. Mancher Arme würde es sich zur Wohnung gewünscht haben. Aufgebracht über die lügenhafte, grundlose Beschwerde der Bürgerschaft, ließ er sie am anderen Morgen zusammenkommen, um ihre Lüge streng zu rügen. Allein sie erklärten, dass sie wider das Zimmer an sich gar nichts einzuwenden hätten, wenn nur nicht der böse Martin in diesem Gemach sein Wesen triebe, der hier des Nachts einige schon so geängstigt habe, dass sie am hitzigen Fieber gestorben wären.

W…, so hieß der Kommissar erfuhr bei dieser Gelegenheit von der Obrigkeit des Ortes, dass vor vielen Jahren, wie noch vorhandene Akten bewiesen, in einem Loch neben diesem Zimmer ein Erzbösewicht, namens Martin, gesessen und in demselben sich selbst erdrosselt habe. Daher ginge nun die Volkssage, er lasse sich hier noch alle Nächte spukend sehen.

Die verschlossene Tür zum Martinsloch war innerhalb der bürgerlichen Gefängnisstube, und der Schlüssel zu jenem aber schon längst verloren gegangen. W… befahl, die Tür gewaltsam aufzubrechen. Er fand eine Grube, in der ein Mensch weder stehen noch sitzen oder liegen konnte. Ängstlich fragte der Menschenfreund, ob hier je einer von ihnen gefangen gesessen habe. Aber sie selbst verneinten es und baten nur, auch dieses Zimmer zu versperren, weil Furcht ärger als die Folter martere.

»Eure Bitte sei gewährt«, sagte der Kommissar, »ich bestärke Euch zwar in einem falschen Wahn, denn unmöglich kann ein Bösewicht nach seinem Tod Macht haben, hier auf Erden herumzuwandeln; aber ich will es bei unserem guten Fürsten verantworten, der auch mit Bösewichtern Mitleid hat, und noch weniger will, dass geringe Verbrechen mit Todesangst bestraft werden.«

Heil dem Fürsten, welcher so denkt und solche Räte hat!

W… ließ sich darauf die Akten reichen, um mit dem bösen Martin näher bekannt zu werden, und las folgende schreckliche Geschichte, die von jedem Richter beherzigt zu werden verdient.

Zu L… in der Gerichtsbarkeit von M… lebte im 15. Jahrhunderte ein Bauer, welchen die Nachbarn den Glücksmichel nannten, weil er ein ansehnliches Gut und zwei Töchter hatte, deren Schönheit man in der ganzen Gegend bewunderte. Siebenzehn Jahre war die älteste Tochter, als sie schwanger wurde. Das Gericht ließ sie, nach Sitte der damaligen Zeit, sogleich vor sich fordern, um von ihr den Täter zu erfahren, der dann mit ihr Kirchenbuße tun sollte.

Agatha schwor, dass sie keinen Mann erkannt habe, zwar seit fünf Monaten eine große Veränderung an ihrem Körper fühle, aber weiter nichts zu bekennen wisse. Sie wurde bis zum freiwilligen Geständnis im Verhaft behalten und oft verhört; aber sie blieb, ohne frech zu sein, mit einer unbegreiflichen Unbefangenheit standhaft bei ihrer ersten Aussage.

Endlich kam sie nieder, und nun beschlossen die Richter, nach der Strenge mit ihr zu verfahren.

Ein rauer und bigotter Mann von Ansehen in der Stadt meinte einst, als von Agathe die Rede war: »Ich fürchte, dass bei ihr eine Blutschande obwaltet, denn das Kind sieht seinem Großvater sehr ähnlich. Sicher ist dieser der Ehrenschänder seiner eigenen Tochter. Darum will und wird diese nichts bekennen.«

Die Richter fanden dies nicht unwahrscheinlich und leg­ten Agathe die Frage vor, ob nicht ihr eigener Vater auch Vater ihres Kindes sei. Diese erstaunte darüber, stotterte, als sie antworten sollte, und diese Erstaunen, dieses Stottern hielten die Richter für das halbe Eingeständnis.

Nur um den Rechtsgang zu beobachten – denn man glaubte seiner Sache schon gewiss zu sein – verhörte man Michels Nachbarn. Diese antworteten auf die vorgelegten, sehr verfänglichen Fragen, dass Michel stets eine besondere Liebe gegen seine Töchter gezeigt, sie oft in vieler Gegenwart geherzt und gekost habe und überdies noch mit ihnen in einer Kammer schlafe. Diese Aussage und Agathes Erstaunen und Stottern wurde von den Richtern aufs Neue erwogen, und so erkannten sie nun auf die Folter, um die Angeklagte dadurch zum Bekenntnis zu zwingen.

Agatha beteuerte zwar auch noch auf der Marterbank die Unschuld ihres Vaters; als man aber fortfuhr, sie auf das Unmenschlichste zu quälen und die Folter immer unerträglicher einzurichten, so bekannte sie schaudernd, dass ihr Vater auch Vater ihres Kindes sei. Die Richter frohlockten, die Hartnäckige doch zum Geständnis gezwungen zu haben, und setzten den armen Michel sogleich ins Gefängnis.

Das gute, gefolterte Mädchen wurde am anderen Morgen tot aufgefunden. Sie starb also unter den entsetzlichsten Schmerzen, ohne Beistand, ohne Hilfe! Niemand stand ihr in ihren Todesnöten bei, keine mitleidige Seele sprach ihr Trost zu! – Gott der Güte und der Barmherzigkeit! Ihre Belohnung muss jenseits groß und herrlich sein!

Agatha war nun nach dem juristischen Ausdruck auf ihr Bekenntnis gestorben, und Michel wurde, consessus sed convictus1 aus großer Gnade als ein Blutschänder drei Tage lang an den Pranger gestellt, bekam dann den Staupenschlag und wurde des Landes verwiesen. Seine jüngere Tochter bekam seine Güter und trauerte im Stillen um ihre Schwester und ihren im Elend herumirrenden Vater.

Ehe noch die ganze Geschichte vergessen war, kam Michels Vetter vor Gericht und zeigte an, dass seine Base Elisabeth (so hieß Agathas jüngere Schwester) seiner Frau allerhand bedenkliche Umstände vertraut habe, aus denen man deutlich schließen könne, dass sie mit ihrer Schwester im nämlichen Zustand sei. Auch habe er einst früh, als er auf den Acker gefahren war, den des Landes verwiesenen Michel aus seinem Haus kommen und zur Grenze hineilen gesehen.

Die Richter geboten, diese Anklage geheim zu halten, und sandten Kundschafter aus, um auf Michel zu lauern. Am Morgen des dritten Tages erwischte man ihn auch wirklich, wie er mit seiner Tochter aus dem Haus schlich. Die bei ihr gefundenen Sachen bewiesen deutlich, dass sie auf immer mit ihrem Vater entfliehen wollte. Als man nun noch obendrein fand, dass sie wirklich schwanger war, so blieb den Richtern kein Zweifel mehr übrig, Michel abermals für den Vater des Kindes zu halten.

Als man ihn verhörte, sagte er: »Es ist wahr, ich wollte meine Tochter, mein einziges Kind, nach S… führen, um sie nicht auf der Folterbank quälen zu lassen. Sie ist schwanger, aber wie sie es geworden ist, weiß sie ebenso wenig, wie ich. Gewiss geht hier etwas Unnatürliches vor. Ich allein bin strafbar, denn ich habe sie zu dieser Flucht überredet, bin öfters, Eurem Verbot zuwider, im Land gewesen, um mein geliebtes Kind zu sehen. Nehmt mir mein Leben, ich will es gerne aufopfern, aber um Gotteswillen, schont diese Unschuldige, denn sie hat mir vor dem Kruzifix geschworen, dass sie nicht einmal eine fremde Mannsperson geküsst habe, und nicht wisse, wie sie zu diesem Unglück gekommen sei!«

»Die Folter«, sagte ein Richter, »soll Euch schon den Mund öffnen.«

Nach einigen Tagen wurde Michel wirklich gefoltert. Der standhafte Vater litt die heftigsten Schmerzen, das bewies sein Jammern, sein Flehen; aber er erduldete sie, um seines Kindes willen, und überstand, ohne sich selbst für schuldig zu erkennen, all die Foltergrade, welche grausame Tyrannen zur Schande der Menschheit ersonnen haben. Unbekannt mit der Allgewalt reiner Vaterliebe, glaubten die Richter, Michel müsste zauberische Künste verstehen und mit dem Teufel einen Bund haben. Sie wandten sich daher an Elisabeth und versprachen ihr vollkommene Verzeihung, wenn sie gutwillig bekennen wolle.

»Ich bin noch jung«, sagte das gute Kind, »und möchte noch gerne leben. Wenn ich aber durch Lügen mein Leben retten und einen so guten Vater unglücklich machen soll, so will ich lieber sterben. Macht mit mir, was ihr wollt! Gott wird mir beistehen.«

Aber man achtete nicht auf diese Äußerung en der Unbefangenheit, Unschuld und Gottergebenheit. Man schleppte auch die gute Elisabeth gleich ihrem Vater zur Marterbank.

Jede ihrer Nerven wurde gespannt, jedes ihrer Glieder verrenkt, tausendfältiger Schmerz wütete in ihr, und sie schwieg! Als aber Todesangst ihre Sinne schwächte, Leben und Tod in ihr kämpften, da presste die donnernde Frage des Richters ihr ein Ja ab, und ihr Mund schloss sich auf ewig! Tot wurde sie von der Folter genommen und gleich ihrer Schwester auf dem Schindanger begraben.

Nun waren zwei Personen mit dem Bekenntnis gegen Michel gestorben; nichts konnte ihn mehr retten, und er wurde bald darauf als Blutschänder zum Feuer verdammt. Standhaft ging er in den Tod und dankte Gott, dass man ihn zu seinen Kindern fördern wolle. Viele aus der Gemeinde schenkten dem guten Michel eine Träne. Viele glaubten sogar, dass er unschuldig gestorben sei.

Der Jäger im Dorf war einer der eifrigsten Verteidiger des toten Michels, denn er hatte vorher immer gute Freundschaft mit ihn gepflogen und oft im vertraulichen Gespräch die langen Winterabende durchplaudert. Er trauerte daher noch stets um ihn und dachte oft über das Schicksal des Armen nach. Einst ging er in diesem Gedanken nach Hause und überlegte, ob es wohl möglich sein könne, dass die beiden Mädchen unwissend schwanger geworden waren.

»Wie, wenn mein Martin«, fiel ihm auf einmal ein, »der Urheber oder wenigstens der Mitschuldige des Bubenstücks wäre? Er war sonst recht oft in Michels Haus, er läuft noch jetzt allen hübschen Mädchen nach und hat schon manchen liederlichen Streich angestellt! Ich will, ich muss ihn darüber zur Rede stellen. Währenddessen er dies noch dachte, war er seinem Haus sehr nahe und sein Jägerbursche Martin der Erste, der ihm begegnete.

Durch eine besondere, innerliche Empfindung angetrieben, sprang er schnell auf ihn zu: »Es ist alles entdeckt«, sagte er, »alles verraten! Bösewicht! Du bist der Ehrenschänder von Michels Töchtern!«

Martin erschrak heftig und zitterte, dass ihm die Knie schlotterten. »Helft mir fort«, sagte er endlich, »ich gestehe Euch alles.«

Aber zu sehr erbittert über den Bösewicht, schleppte ihn der Jäger vor Gericht, und auch hier bekannte Martin alles.

»Ich war – so lassen ihn die Akten reden – schon lange in die beiden Mädchen verliebt, kannte aber ihre Tugend zu gut, als dass ich die Erfüllung meines Wunsches von ihnen hätte erwarten können. Ich nahm daher meine Zuflucht zur List. Ein alter Jäger hatte mir erzählt, dass der Saft des … (der Name des hier ausgelassenen Gewächses steht auch in den Akten nicht, unstreitig, um den Missbrauch dieser Teufelskunst zu verhindern) schlaftrunken mache. Ich holte mir dergleichen Saft, goss ihn einst, als Agatha allein zu Hause war, in die Milch, die sie eben trank, und ging fort. Bald darauf bemerkte ich durchs Fenster, dass sie fest schlief, ging zu ihr und küsste sie, ohne sie dadurch zu erwecken.«

Auf eben die Art hatte es der niederträchtige Schandbube nach seinem eigenen Geständnis endlich auch mit Elisabeth gemacht.

Die Richter erstaunten nicht wenig über diese Aussage und waren in Gefahr, von dem erbitterten Volk gesteinigt zu werden. Wenigstens erwähnen die Akten selbst eines Richters, welcher sich heftig beschwerte, dass man ihn eines Abends mit Steinen beworfen und Mörder genannt habe.

Unterdessen wurde Martin streng bewacht. Weil man kein besonderes festes Gefängnis hatte, so grub man das oben erwähnte Loch, mauerte es mit großen Quadersteinen aus, an welche man ihn, mit schweren Fesseln beladen, anschloss. Und doch entging dieser Bösewicht der verdienten Strafe, die man ihm zubereitete. Er stahl den hölzernen Löffel, mit welchem er wöchentlich einmal Suppe aß, steckte diesen in sein Halstuch und drehte ihn so lange herum, bis er sich selbst erdrosselte. So fand man ihn des Morgens. Zu verwundern ist es wirklich, dass seine Hand in der Todesangst nicht nachgab, sondern erstarrt den Löffel noch fest hielt.

Die Richter taten nun alles, um das Volk zu beruhigen. Sie räderten den toten Martin, sammelten die Asche des unschuldigen Michels und gruben die Gebeine seiner Töchter aus. Man beerdigte sie in der Kirche, und solange die Bewohner von M… noch katholisch waren, verehrten sie die unschuldig Ermordeten als Heilige.

Wenn man übrigens erwägt, wie diese Schandtaten des abscheulichen Martins, samt der lieblosen Unvernunft der Richter seiner Zeit Jahrhunderte hindurch auf die erwachsenen Söhne und Töchter im Städtchen fortgepflanzt wurden – und wenn man, glaube ich, richtig voraussetzt, dass jederzeit die grellsten Farben genommen worden sein werden, um das Gemälde jenes Schandbuben grundhässlich darzustellen, so ist es wahrlich kein Wunder, dass die Einwohner des Städtchens, deren Köpfe mit Spukgeschichten aller Art angefüllt sein mochten, in dem Bürgergefängnis neben dem Martinsloch die schrecklichsten, von ihrer regen Einbildungskraft geborenen Gesicht hatten. Wo war je ein Selbstmörder, den die niedrige Volksklasse nicht spuken sah?

Show 1 footnote

  1. Zustimmung, aber nicht verurteilt