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Deutsche Märchen und Sagen 128

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

167. Wie Albertus Magnus gelehrt und wieder dumm geworden war

Albertus Magnus war schon früh in den Orden des heiligen Dominicus getreten, aber es dauerte nicht lange, da gefiel ihm das geistliche Leben nicht mehr, denn er meinte, dass es ihm an Kopf mangele, um die Tiefen der Gottesgelehrtheit zu ergründen. Darum beschloss er, aus dem Kloster zu fliehen. Er setzte also eines Abends eine Leiter an die Gartenmauer, um da hinüberzusteigen und fortzulaufen. Da aber sah er urplötzlich vier Frauen von ehrwürdigem Wesen vor sich stehen, davon stießen zwei ihn zu wiederholten Malen von der Leiter. Er hatte aber das Klosterleben so satt, dass er trotzdem zum dritten Mal versuchte, die Leiter hinaufzusteigen. Da fragte ihn die Dritte der Frauen, warum er denn so schändlich weglaufen wolle. Albert sagte ihr, dass er zu dumm wäre, um zu studieren, und des Klosters darum überdrüssig wäre. Da sagte die Dritte, dann tue er doch besser, statt zu fliehen, den Schutz und Beistand der Mutter Maria sich zu erstehen, welches die vierte Frau wäre, und sie anderen drei wollten ihm helfen zu bitten. Als Albert das hörte, war er wie ausgewechselt. Er warf sich alsbald vor Maria nieder und klagte ihr sein Leid und bat sie, dass sie doch seine Dummheit von ihm nehmen möchte. Da fragte ihn Maria, welche Wissenschaften er denn am liebsten studieren wolle und ob er lieber die Weltweisheit oder die Gottesgelehrtheit hätte? Albert bedachte sich nicht lange und bat die Mutter Gottes, ihn zu einem tüchtigen Weltweisen zu machen.

Darauf sprach Maria: »Das soll dir geschehen, aber weil du die Weltweisheit der Gottesgelehrtheit, die dich meinen Sohn hätte besser erkennen lassen, vorgezogen hast, so sollst du am Ende deines Lebens all deine Wissenschaft verlieren und wieder so dumm werden, wie du warst, und das soll sein drei Jahre vor deinem Tod.«

Nachdem die Muttergottes das gesprochen hatte, verschwand sie mit den anderen Frauen und Albert kehrte zum Kloster zurück, studierte und wurde bald der gelehrteste Mann von der Welt, sodass man ihn den Großen hieß und der Papst ihn endlich gar zum Bischof machte. Er war so kunsterfahren, dass er eine Bildsäule machte, die sprechen konnte und sich bewegte wie ein lebendiger Mensch. Thomas von Aquin, sein Schüler, hat dieselbe zerstört.

Als Albert endlich fühlte, dass die Jahre seiner Dummheit heranrückten, da erzählte er all seinen Schülern von dem Gesicht, welches er gehabt hatte. Er wurde auch dümmer und einfältiger als ein Kind, trug das aber mit Geduld und Ergebenheit und verharrte getreulich in seinen religiösen Übungen bis zu seinem Tod.

Zu Köln in der Andreaskirche liegt er begraben.