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Varney, der Vampir – Kapitel 9

Thomas Preskett Prest
Varney, der Vampir
oder: Das Blutfest

Ursprünglich als penny dreadful von 1845 bis 1847 veröffentlicht, als es zum ersten Mal in Buchform erschien, ist Varney, der Vampir ein Vorläufer von Vampirgeschichten wie Dracula, die es stark beeinflusst hat.

Kapitel 9

Die Geschehnisse der Nacht in der Halle. Das zweite Auftauchen des Vampirs und Pistolenschüsse.

Trotz der uneingeschränkten und freien Zustimmung, die Flora ihren Brüdern gegeben hatte, um sie in der Halle allein der Obhut ihrer Mutter und ihrem eigenen Mut anzuvertrauen, fühlte sie, dass sie, nachdem die beiden gegangen waren, mehr Angst überkam, als sie zugeben wollte.

Eine Art Vorahnung schien sie zu befallen, dass etwas Böses geschehen würde, und mehr als einmal ertappte sie sich dabei, dass sie fast sagen wollte: »Ich wünschte, sie wären nicht gegangen.«

Auch Mrs. Bannerworth war nicht ganz frei von unbehaglichen Gefühlen, wenn sie bedachte, wie schwach sie über ihr schönes Kind wachte und wie sehr der Schrecken sie sogar der geringen Stärke berauben konnte, die sie besaß, sollte der furchtbare Besucher wieder auftauchen.

Aber es ist doch nur für zwei Stunden, dachte Flora, und zwei Stunden werden bald vergehen.

Es gab noch ein anderes Gefühl, das ihr ein gewisses Maß an Zuversicht gab, obwohl es aus einer unerfreulichen Ursache stammte, denn es zeigte deutlich, wie sehr sich ihr Geist mit den Einzelheiten des schrecklichen Glaubens an die Existenz übernatürlicher Wesen beschäftigte, von denen sie glaubte, dass eines sie heimgesucht hatte.

Diese Überlegung war die folgende: Die zwei Stunden Abwesenheit von der Halle mit ihren männlichen Bewohnern würden von neun bis elf Uhr dauern, und das waren nicht die zwei Stunden, in denen sie das Gefühl hatte, dass sie wegen des Vampirs am ängstlichsten sein würde.

Es war schon nach Mitternacht, dachte sie, als er kam, und vielleicht kann er auch nicht früher kommen. Vielleicht hat es bis dahin nicht die Kraft, seine abscheulichen Besuche zu machen, und deshalb werde ich mich in Sicherheit wähnen.

Sie hatte sich entschlossen, bis zur Rückkehr ihrer Brüder nicht zu Bett zu gehen, und saß mit ihrer Mutter in einem kleinen Zimmer, das als Frühstücksraum diente und ein vergittertes Fenster besaß, das auf den Garten hinausging.

Dieses Fenster hatte auf der Innenseite starke Eichenfensterläden, die einige Zeit vor der Abreise der Brüder und Mr. Marchdale zu jener melancholischen Expedition, deren Zweck, wenn sie ihn gekannt hätte, die arme Flora noch mehr erschreckt hätte, so sicher befestigt worden waren, wie es ihre Konstruktion zuließ.

Es wurde nicht einmal im Entferntesten erahnt, sodass sie nicht die zusätzliche Qual hatte, zu denken, dass sie, während sie dort saß und von allerlei fantasievollen Schrecken heimgesucht wurde, vielleicht neue Beweise für die schreckliche Realität der Erscheinung sammelte, die sie ohne die Begleitumstände ihres Kommens und Gehens gerne für eine Traumvision gehalten hätte.

Es war noch vor neun Uhr, als die Brüder aufbrachen, aber Flora glaubte, es sei elf Uhr, und als sie die Uhr im Flur zehn Uhr schlagen hörte, freute sie sich bei dem Gedanken, dass sie in einer weiteren Stunde sicher zu Hause sein würden.

»Meine Liebe«, sagte ihre Mutter, »du siehst jetzt mehr wie du selbst aus.«

»Tue ich das, Mutter?«

»Ja, du siehst wieder gut aus.«

»Ach, wenn ich nur vergessen könnte …«

»Die Zeit, liebe Flora, wird dich dazu befähigen, und alles andere, was dich so unwohl gemacht hat, wird vergehen. Du wirst es bald vergessen.«

»Ich hoffe, dass ich das tun werde.«

»Sei gewiss, dass eines Tages etwas geschehen wird, wie Henry sagt, das alles erklären wird, was vorgefallen ist, auf eine Weise, die mit der Vernunft und der gewöhnlichen Natur der Dinge übereinstimmt, meine liebe Flora.«

»Oh, ich werde an einem solchen Glauben festhalten; ich werde Henry, auf dessen Urteil ich mich verlassen kann, dazu bringen, mir das zu bestätigen, und jedes Mal, wenn ich solche Worte von seinen Lippen höre, werde ich es schaffen, einen Teil des Schreckens zu vertreiben, der jetzt, wie ich zugeben muss, an meinem Herzen haftet.«

Flora legte ihre Hand auf den Arm ihrer Mutter und sagte mit leiser, besorgter Stimme: »Höre, Mutter.«

Mrs. Bannerworth wurde blass, als sie sagte: »Was hörst du, Liebes?«

»In den letzten zehn Minuten«, sagte Flora, »dachte ich drei- oder viermal, dass ich draußen ein leises Geräusch gehört hätte. Nein, Mutter, ängstige dich nicht – vielleicht ist es nur Einbildung.«

Flora selbst zitterte und war totenblass. Ein- oder zweimal strich sie sich mit der Hand über die Stirn, und alles in allem bot sie ein Bild großen seelischen Leids.

Sie unterhielten sich nun in ängstlichem Flüsterton, und fast alles, was sie sagten, bestand aus besorgten Wünschen für die Rückkehr der Brüder und Mr. Marchdale.

»Du wirst glücklicher und sicherer sein, meine Liebe, wenn du Gesellschaft hast«, sagte Mrs. Bannerworth. »Soll ich nach den Dienern läuten und sie bei uns im Zimmer bleiben lassen, bis sie, die neben dem Himmel unsere besten Beschützer sind, zurückkehren?«

»Pst … pst … pst, Mutter!«

»Was hörst du?«

»Ich dachte … ich hörte ein schwaches Geräusch.«

»Ich habe nichts gehört, Liebes.«

»Hör noch einmal hin, Mutter. Ich kann mich doch nicht so oft täuschen. Ich habe jetzt mindestens sechsmal ein Geräusch gehört, als ob jemand draußen vor dem Fenster wäre.«

»Nein, nein, mein Schatz, denke nicht, deine Fantasie spielt dir einen Streich und versetzt dich in einen Zustand der Erregung.«

»Das tut sie, und doch …«

»Glaube mir, sie täuscht dich.«

»Ich hoffe beim Himmel, dass sie das tut!«

Es entstand eine Pause von einigen Minuten, dann drängte Mrs. Bannerworth erneut darauf, einige der Bediensteten zu rufen, denn sie dachte, dass deren Anwesenheit den Gedanken ihres Kindes eine andere Richtung geben könnte. Aber Flora sah, wie sie ihre Hand auf die Glocke legte, und sagte: »Nein, Mutter, nein … noch nicht, noch nicht. Vielleicht bin ich getäuscht worden.«

Frau Bannerworth setzte sich daraufhin hin, aber kaum hatte sie dies getan, bedauerte sie von Herzen, dass sie nicht geläutet hatte, denn bevor noch ein weiteres Wort gesprochen werden konnte, ertönte ein seltsames Kratzgeräusch am Fenster, welches so deutlich zu hören war, dass man sich nicht irren konnte.

Ein schwacher Schrei kam von Floras Lippen, als sie mit einer Stimme von großer Qual ausrief: »Oh, Gott! … oh Gott! Es ist wieder da!«

Mrs. Bannerworth konnte sich weder bewegen noch sprechen. Sie konnte nur wie gelähmt dasitzen und nicht mehr tun, als zu hören und zu sehen, was vor sich ging.

Das Kratzgeräusch dauerte einige Sekunden an und hörte dann ganz auf. Unter gewöhnlichen Umständen hätte ein solches Geräusch außerhalb des Fensters vielleicht kaum Anlass zu einer Bemerkung gegeben, oder man hätte es für einen natürlichen Effekt oder für die Versuche eines Vogels oder Tieres gehalten, sich Zutritt zum Haus zu verschaffen.

Aber in dieser Familie war nun genug vorgefallen, um jedem kleinen Geräusch eine außergewöhnliche Bedeutung beizumessen, und diese Dinge, die früher völlig unbeachtet geblieben wären, jedenfalls ohne große Beunruhigung hervorzurufen, wurden nun mit einem beängstigenden Interesse versehen.

Als das kratzende Geräusch aufhörte, sprach Flora in einem leisen, ängstlichen Flüsterton: »Mutter, du hast es doch auch gehört?«

Mrs. Bannerworth versuchte zu sprechen, aber es gelang ihr nicht; und dann fiel plötzlich mit einem lauten Klirren die Stange, die auf der Innenseite die Fensterläden fest zu verriegeln schien, wie durch eine unsichtbare Kraft. Die Fensterläden konnten nun leicht von außen aufgedrückt werden.

Mrs. Bannerworth bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, und nachdem sie einen Moment lang hin und her geschwankt hatte, fiel sie ohnmächtig von ihrem Stuhl.

Ungefähr so lange, wie ein schneller Redner bis zwölf zählen kann, dachte Flora, dass ihr Verstand sie verlassen würde, aber das tat er nicht. Sie erholte sich wieder, richte ihren Blick auf das Fenster gerichtet und sah dabei mehr wie eine kunstvoll gemeißelte Statue der Verzweiflung aus als ein Wesen aus Fleisch und Blut, welches jeden Augenblick damit rechnete, von einer schrecklichen Erscheinung überrascht zu werden, die sie in den Wahnsinn treiben könnte.

Und nun kam wieder das seltsame Klopfen oder Kratzen gegen die Glasscheibe des Fensters.

Dies dauerte einige Minuten, in denen es Flora ebenfalls so vorkam, als ob in einem anderen Teil des Hauses ein Durcheinander herrschte, denn sie glaubte, Stimmen und das Schlagen von Türen zu hören.

Es schien ihr, als hätte sie lange auf die Fensterläden dieses Fensters gestarrt, bevor sie bemerkte, wie sie zitterten und sich dann ein breiter Flügel langsam öffnete.

Noch einmal schien der Schrecken ihr Gehirn in den Wahnsinn zu treiben, doch dann stellte sich wie zuvor schnell ein Gefühl der Ruhe ein.

Sie konnte deutlich erkennen, dass etwas am Fenster stand, aber was es war, konnte sie aufgrund der Beleuchtung im Zimmer nicht genau erkennen. Es dauerte jedoch nur wenige Augenblicke, bis das Geheimnis gelüftet war, denn das Fenster wurde geöffnet und eine Gestalt stand vor ihr.

Ein einziger Blick, ein einziger erschrockener Blick, auf den sich ihre ganze Seele konzentrierte, genügte, um ihr zu zeigen, wer und was die Gestalt war. Da war eine große, hagere Gestalt … da war die verblasste alte Kleidung … die metallisch glänzenden Augen … der halbgeöffnete Mund, der hauerartige Zähne zeigte! Es war … ja, es war … der Vampir!

Er stand einen Moment lang da und starrte sie an, und dann versuchte er auf die grässliche Art und Weise, die er zuvor versucht hatte, zu sprechen, einige Worte hervorzubringen, die er für menschliche Ohren nicht zu artikulieren vermochte. Die Pistolen lagen vor Flora. Mechanisch ergriff sie eine und richtete sie auf die Gestalt. Sie machte einen Schritt vorwärts und drückte ab.

Es folgte ein ohrenbetäubender Knall. Ein lauter Schmerzensschrei ertönte, und der Vampir floh. Durch den Rauch und die Verwirrung, die an diesem Ort herrschte, konnte sie nicht erkennen, ob die Gestalt ging oder davonlief. Sie glaubte, ein krachendes Geräusch zwischen den Pflanzen vor dem Fenster zu hören, als sei die Gestalt gestürzt, aber sie war sich nicht ganz sicher.

Es war keine Anstrengung des Nachdenkens, sondern eine rein mechanische Bewegung, die sie dazu brachte, die andere Pistole zu heben und sie ebenfalls in die Richtung zu entladen, die der Vampir eingeschlagen hatte. Dann warf sie die Waffe weg, erhob sich und stürmte aus dem Zimmer. Sie öffnete die Tür und wollte gerade hinauseilen, als sie sich in den kreisenden Armen von jemandem wiederfand, der entweder dort gewartet hatte oder gerade in diesem Moment eingetroffen war.

Der Gedanke, dass es sich um den Vampir handelte, der auf geheimnisvolle Weise dorthin gelangt war und sie zu seiner Beute machen wollte, überkam sie nun völlig. Das Mädchen versank in diesem Augenblick in einen Zustand völliger Bewusstlosigkeit.