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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – Kapitel XVII

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Erstes bis drittes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

XVII. Die Diplomatie von Athos

D’Artagnan legte sich zu Bett, weniger um zu schlafen, als um allein zu sein und an all das zu denken, was er an diesem Abend gesehen und gehört hatte. Da er gutmütiger Natur war und ganz von Anfang zu Athos eine instinktartige Zuneigung gefasst hatte, welche in eine aufrichtige Freundschaft übergegangen war, so fühlte er sich entzückt, einen Mann glänzend an Geist und Körperkraft statt des verdumpften Trunkenbolds zu finden, den er auf irgendeinem Düngerhaufen seinen Rausch ausschlafen zu sehen erwartet hatte. Er nahm sogar, ohne sich dagegen zu sträuben, die beständige Überlegenheit von Athos über ihn an, und statt Eifersucht und Ärger darüber zu fühlen, wie dies bei einer minder edelmütigen Natur der Fall gewesen sein dürfte, fühlte er in sich eine innige, redliche Freude, die ihn die günstigsten Hoffnungen für sein Unternehmen fassen ließ.

Indessen kam es ihm vor, als fände er Athos nicht offenherzig und klar über alle Punkte. Wer war der junge Mensch, welchen er adoptiert zu haben behauptete, und der eine so große Ähnlichkeit mit ihm hatte? Was bedeutete diese Rückkehr zum Leben der Gesellschaft und diese übertriebene Mäßigkeit, welche er bei Tisch wahrgenommen hatte? Eine scheinbar geringfügige Sache, diese Abwesenheit von Grimaud, von dem sich Athos einst nicht trennen konnte, und dessen Name trotz der Eröffnungen in dieser Hinsicht nicht einmal genannt werden war … All dies beunruhigte d’Artagnan. Er besaß also das Vertrauen seinen Freunden nicht mehr, oder Athos war an eine unsichtbare Kette gebunden oder gar im Voraus gegen den Besuch, den er ihm machte, eingenommen.

Unwillkürlich dachte er an Rochefort und an das, was ihm dieser in der Notre-Dame-Kirche gesagt hatte. Sollte Rochefort d’Artagnan bei Athos zuvorgekommen sein?

D’Artagnan hatte keine Zeit mit langen Studien zu verlieren. Er beschloss auch, schon am nächsten Tag eine Erklärung herbeizuführen. Das geringe, so geschickt verkleidete Vermögen von Athos deutete die Begierde zu scheinen an und verriet einen Rest leicht zu erregenden Ehrgeizes. Die Geisteskraft und die Schärfe der Gedanken von Athos machten aus ihm einen Mann, der sich rascher erregen ließ als ein anderer. Er müsste in die Pläne des Ministers mit umso größerem Eifer eingehen, als seine natürliche Tätigkeit durch eine Dosis Notwendigkeit verdoppelt würde.

Diese Gedanken hielten d’Artagnan trotz seiner Müdigkeit wach. Er entwarf seinen Angriffsplan, und obwohl er wusste, dass Athos ein hartnäckiger Gegner war, so stellte er doch die Aktion auf den nächsten Tag nach dem Frühstück fest.

Indessen sagte er sich auch andererseits, dass man aus einem neuen Terrain mit Klugheit vorrücken, mehrere Tage lang die Bekanntschaften von Athos studieren, seine neuen Gewohnheiten verfolgen und sich klar machen, aus dem naiven jungen Menschen, sei es bei Fechtübungen, sei es irgendeinem Wildbret nachjagend, vermittelnde Auskunft, die ihm fehlte, um Athos von einst mit dem jetzigen Athos zu verbinden, zu erhalten bemüht sein müsse. Dies könne nicht schwer werden, denn der Lehrer müsse Einfluss auf den Geist und das Herz seines Zöglings ausüben. Aber d’Artagnan, der ein Mann der großer Feinheit war, begriff auch sogleich, welche Chancen er gegen sich geben würde, falls ein übereiltes Wort oder eine Ungeschicklichkeit seine Manöver dem geübten Auge von Athos bloßstellen würde.

Dann ist noch zu bemerken, dass d’Artagnan, obwohl ganz bereit, sich der List gegen die Feinheit von Aramis oder die Eitelkeit von Porthos zu bedienen, sich schämte, krumme Wege bei Athos, dem offenherzigen Mann, dem rechtschaffenen Gemüt, einzuschlagen. Es kam ihm vor, als ob Aramis und Porthos, in ihm ihren Meister der Diplomatie erkennend, ihn noch mehr schätzen würden, während Athos im Gegenteil ihn weniger schätzen müsste.

»Und warum ist Grimaud, der schweigsamer Grimaud, nicht hier?«, fragte d’Artagnan. »Es gibt viele Dinge in seinem Schweigen, die ich verstanden hätte. Grimaud besaß ein so beredtes Schweigen.

Mittlerweile hatte alles Geräusch in dem Haus aufgehört. D’Artagnan hatte Thüren und Läden schließen hören. Die Hunde antworteten einander noch eine Zeit lang im Felde und schwiegen dann. Eine in einer Baumgruppe verborgene Nachtigall sang noch mitten in der Nacht ihre harmonischen Tonleitern und entschlummerte sodann. Es war im Schloss nur noch das Geräusch eines gleichmäßigem monotonen Trittes unter seinem Zimmer zu vernehmen. Er dachte, es wäre dies das Gemach von Athos.

Er geht auf und ab und überlegt, dachte d’Artagnan. Aber was? Das kann man unmöglich wissen. Man konnte das Übrige erraten, dies aber nicht.«

Endlich legte sich Athos zu Bett und dieses letzte Geräusch erlosch.

Die Stille und die Müdigkeit besiegten im Verein d’Artagnan. Er schloss ebenfalls die Augen und beinahe in derselben Sekunde bemeisterte sich seiner der Schlummer.

D’Artagnan war kein Schläfer. Kaum hatte die Morgenröte seine Vorhänge vergoldet, als er aus dem Bett sprang und seine Fenster öffnete: Es kam ihm vor, als sähe er durch den Laden einen Menschen im Hof umhergehen, der es vermeide, Lärm zu machen. Gemäß seiner Gewohnheit, nichts, was in sein Bereich kam, vorübergehen zu lassen, ohne sich zu versichern, was es wäre, beobachtete d’Artagnan aufmerksam, aber geräuschlos, und erkannte das dunkelrote Wams und die braunen Haare von Raoul.

Der junge Mensch, denn er war es wirklich, öffnete die Stalltür, zog das braunrote Pferd heraus, das er am Tag vorher geritten hatte, sattelte und zäumte es mit ebenso viel Geschicklichkeit, wie Geschwindigkeit, ließ das Tier sodann durch den geraden Gang des Gemüsegartens gehen, stieß eine kleine Seitentür auf, welche zu einem Fußpfad führte, zog sein Pferd hinaus, verschloss die Tür wieder und d’Artagnan sah ihn nun wie einen Pfeil sich unter den herabhängenden und mit Blüten besetzten Zweigen der Akazien und Ahornbäume blickend hin galoppieren.

D’Artagnan hatte am Tag zuvor bemerkt, dass dieser Pfad nach Blois führen musste.

»Ei, ei«, sagte der Gascogner, »das ist ein Spitzbube, der bereits seine eigenen Wege geht und mir den Hass von Athos gegen das schöne Geschlecht nicht zu teilen scheint. Er zieht nicht auf die Jagd, denn er hat weder Gewehr noch Hunde. Er vollstreckt keinen Auftrag, denn er verbirgt sich. Vor wem verbirgt er sich? … Vor mir oder vor seinem Vater? Denn ich bin überzeugt, der Graf ist sein Vater. Bei Gott, was das betrifft, so werde ich es erfahren, denn ich spreche ohne alle Umstände mit Athos.«

Der Tag nahm zu. Alles Geräusch, das d’Artagnan in der Nacht nach und nach hatte erlöschen hören, erwachte wieder. Der Vogel in den Zweigen, der Hund im Stall, die Schafe in den Feldern, sogar die in der Loire angebundenen Nachen schienen wieder zu erwachen, sich vom Ufer zu lösen und dem Zug des Wassern zu folgen. D’Artagnan blieb am Fenster, um niemand zu wecken. Als er aber die Türen und die Läden des Schlosses sich öffnen gehört hatte, gab er seinen Haaren einen letzten Strich, seinem Schnurrbart eine letzte Biegung, bürstete aus Gewohnheit die Aufschläge seines Hutes mit dem Ärmel seines Wamses und ging hinab. Kaum war er die letzte Stufe der Freitreppe hinabgestiegen, als er Athos gegen den Boden gebückt und in der Stellung eines Mannes erblickte, der einen Taler im Sand sucht.

»Ei, guten Morgen, lieber Wirt«, sagte d’Artagnan.

»Guten Morgen, lieber Freund; war die Nacht gut?«

Vortrefflich, Athos, wie Euer Bett, wie Euer Abendbrot gestern, das mich zum Schlaf führen musste, wie Euer Empfang bei meiner Ankunft. Aber was betrachtet Ihr so aufmerksam? Solltet Ihr etwa zufällig Liebhaber von Tulpen geworden sein.«

»Ihr müsst deshalb meiner nicht spotten. Auf dem Land verändert sich der Geschmack und man gelangt am Ende dazu, ohne dass man es gewahr wird, die schönen Dinge zu lieben, welche der Blick Gottes aus den Erdboden hervorkommen lässt und die man in den Städten verachtet. Ich betrachte einfach einige Iris, welche ich bei diesem Becken gepflanzt hatte und die mir diesen Morgen niedergetreten worden sind. Diese Gärtner sind doch die ungeschicktesten Leute der Welt. Nachdem sie das Pferd zum Trinken geführt hatten, ließen sie es ohne Zweifel in die Rabatten treten.«

D’Artagnan lächelte.

»Ah«, sagte er, »Ihr glaubt?«

Und er führte seinen Freund die Allee entlang, wo eine gute Anzahl von Tritten zu bemerken war, denen ähnlich, welche die Iris niedergetreten hatten.«

»Hier sieht man sie auch, wie es mir scheint, Athos«, sagte d’Artagnan mit gleichgültigem Ton.

»Ja, und zwar ganz frisch.«

»Ganz frisch«, wiederholte d’Artagnan.

»Wer ist denn hier diesen Morgen hinaus«, fragte sich Athos unruhig, »sollte ein Pferd aus dem Stall entsprungen sein?«

»Das ist nicht wahrscheinlich«, entgegnete d’Artagnan, »denn die Tritte sind ganz gleich und ganz ruhig.«

»Wo ist Raoul?«, rief Athos, »und wie kommt es, dass ich ihn noch nicht gesehen habe?«

»Still«, sagte d’Artagnan und legte lächelnd seinen Finger auf den Mund.

»Was gibt es denn?«, fragte Athos.

D’Artagnan erzählte, was er gesehen hatte, und schaute dabei forschend seinem Wirt in das Gesicht.

»Ah, ich errate nun alles«, sagte Athos mit einer leichten Bewegung der Schultern. »Der arme Junge ist nach Blois geritten.«

»Was dort tun?«

»Ei, mein Gott, um Nachricht über die kleine La Vallière einzuziehen. Ihr wisst, das Kind, dass sich den Fuß verstaucht hat.«

»Ihr meint?«, versetzte d’Artagnan ungläubig.

»Ich meine nicht nur, sondern ich weiß es gewiss. Habt Ihr nicht bemerkt, dass Raoul verliebt ist?«

»Gut! In wen? In dieses siebenjährige Kind?«

»Mein Lieber, im Alter von Raoul ist das Herz so voll, dass man es auf irgendetwas ausdehnen muss, sei es Traum oder Wirklichkeit. Nun, seine Liebe gehört zur Hälfte zu dem einen, zur Hälfte zu dem anderen.«

»Ihr scherzt! Diesen kleine Mädchen …«

»Habt Ihr es nicht angeschaut, es ist das niedlichste kleine Geschöpf der Welt. Silberblonde Haare und blaue Augen, zugleich eigensinnig und schmachtend.«

»Aber was sagt Ihr zu dieser Liebe?«

»Ich sage nichts, ich lache und spotte über Raoul. Diese ersten Bedürfnisse des Herzens sind so gebieterisch, dieses Aufkeimen der verliebten Schwermut ist so süß und so bitter, dass es zuweilen alle Charaktere der Leidenschaft zu haben scheint. Ich erinnere mich, dass ich mich, im Alter von Raoul in eine griechische Statue verliebte, welche der gute König Heinrich IV. meinem Vater geschenkt hatte, und dass ich vor Schmerz verrückt zu werden glaubte, als man mir sagte, die Geschichte von Pygmalion wäre nur eine Fabel.«

»Dem ist die Folge des Müßigganges. Ihr beschäftigt Raoul nicht genug, und er sucht sich seinerseits zu beschäftigen.«

»Nichts anderes. Auch gedenke ich ihn von hier zu entfernen.«

»Und ihr tut wohl daran.«

»Allerdings, aber es wird ihm das Herz brechen und er wird so viel leiden, wie bei einer wahren Liebe. Seit drei bis vier Jahren und gleichsam selbst noch ein Kind, hat er sich daran gewöhnt, das kleine Idol, das er eines Tages anbeten würde, wenn er hier bliebe, zu schmücken und zu bewundern. Diese Kinder träumen jeden Tag miteinander und plaudern über tausend ernsthafte Dinge, als ob es ein zwanzigjähriges Liebespaar wäre. Lange Zeit hat diese Geschichte die Eltern der kleinen La Vallière lachen gemacht. Aber ich glaube, sie fangen an, die Stirn zu runzeln.«

»Kinderei, Raoul bedarf der Zerstreuung. Entfernt ihn rasch von hier oder Ihr macht nie einen Mann aus ihm.

»Ich glaube«, sprach Athos, »ich werde ihn nach Paris schicken.«

»Ah!«, rief d’Artagnan.«

Und er dachte, der Augenblick zur Eröffnung der Feindseligkeiten wäre gekommen.

»Wenn Ihr wollt«, sprach er, »so können wir diesem jungen Menschen ein Schicksal machen.«

Ah!«, rief Athos ebenfalls.

»Ich will Euch sogar über etwas um Rat fragen, was mir im Kopf umhergeht.«

»Tut es.«

»Glaubt Ihr, die Zeit sei gekommen, um Dienst zu nehmen?«

»Aber Ihr seid ja noch im Dienst, d’Artagnan.«

»Verstehen wir uns recht, tätigen Dienst. Hat das ehemalige Leben nichts mehr für Euch, was Euch reizen könnte, und wenn Euch wirklich Vorteile erwarteten, wäre es Euch nicht angenehm, in meiner Gesellschaft und in der unseres Freundes Porthos die Unternehmungen unserer Jugend wieder zu beginnen?«

»Macht Ihr mir einen Vorschlag«, sagte Athos.

»Frei und offenherzig.«

»Um wieder in das Feld zu ziehen?«

»Ja.«

»Von wem und gegen wen?«, fragte Athos plötzlich und heftete sein so klares und so wohlwollendes Auge auf den Gascogner.

»Ah, Teufel! Ihr seid dringend.«

»Und besonders genau. Hört mich wohl, d’Artagnan. Es gibt nur eine Person oder vielmehr eine Sache, der ein Mann wie ich nützlich sein kann, die Sache des Königs.«

»Das ist es gerade«, sprach der Musketier.

»Aber verständigen wir uns«, versetzte Athos ernst.

»Wenn Ihr unter der Sache den Königin die Sache von Monsieur von Mazarin versteht, so hören wir auf, uns zu begreifen.«

»Ich sage das nicht gerade«, antwortete der Gascogner verlegen.

»Hört, d’Artagnan«, sprach Athos, »spielen wir nicht bis zu Ende. Euer Zögern, Eure Umwege sagen mir, von welcher Seite Ihr kommt. Diese Sache wagt man allerdings nicht laut zu gestehen, und wenn man für dieselbe wirbt, so tut man es mit gesenktem Ohr und mit verlegenem Ton.«

»Ah, mein lieber Athos!«, rief d’Artagnan.«

»Ei, Ihr wisst wohl«, versetzte Athos, dass ich nicht von Euch spreche, der Ihr die Perle der braven, kühnen Männer seid. Ich spreche von dem schmutzigen, intriganten Italiener, von dem Pedanten, der eine Krone auf sein Haupt zu setzen versucht, die er unter einem Kopfkissen gestohlen hat, von dem Schurken, der seine Partei die Partei des Königs nennt und die Prinzen von Geblüt in das Gefängnis zu stecken trachtet, da er es nicht wagt, sie zu töten, wie es unser Kardinal machte, der große Kardinal; ein Wucherer, der seine Goldtaler abwägt und die beschnittenen behält, aus Furcht, obwohl er betrügt, sie beim Spiel am nächsten Tage zu verlieren; ein Schuft, der die Königin misshandelt, wie man versichert — übrigens desto schlimmer für sie — und in drei Monaten einen Bürgerkrieg anfangen wird, um seine Pensionen zu behalten. Das ist der Monsieur, den Ihr mir vorschlagt, d’Artagnan? Großen Dank!

»Gott vergebe mir, Ihr seid lebhafter als früher«, sprach d’Artagnan, »und die Jahre haben Euer Blut erhitzt, statt es abzukühlen. Wer sagt Euch, dass dies Monsieur ist, und dass ich Euch denselben aufbringen will?«

»Teufel!«, hatte der Gascogner zu sich gesagt, »einem so schlecht gestimmten Mann wollen wir unsere Geheimnisse nicht anvertrauen.«

»Aber, mein lieber Freund«, versetzte Athos, »worin bestehen dann Eure Vorschläge?«

»Ei, mein Gott, nichts ist einfacher, Ihr lebt auf Euren Gütern und seid, wie es scheint, glücklich auf Eurer goldenen Mittelstraße. Porthos hat vielleicht 50.000 bis 60.000 Livre Renten; Aramis hat immer noch fünfzehn Herzoginnen, die sich um den Prälaten streiten, wie sie sich um den Musketier stritten; er ist immer noch ein verdorbenes Kind den Schicksals. Aber ich, was tue ich in der Welt? Ich trage meinen Kürass und mein Büffelleder seit zwanzig Jahren an den ungenügenden Grad angeklammert, ohne vorzurücken, ohne zurückzuweichen, ohne zu leben. Ich bin tot mit einem Wort. Wenn es sich für mich darum handelt, wieder ein wenig zu erwachen, so kommt Ihr alle und sagt mir: Er ist ein Schurke! Es ist ein Schuft! Es ist ein Wucherer! Es ist ein schlechter Monsieur! Ei, bei Gott! Ich bin auch Eurer Meinung, aber findet mir einen besseren oder macht mir Renten!«

Athos dachte drei Sekunden nach, und nach diesen drei Sekunden begriff er die List von d’Artagnan, der, weil er von Anfang zu weit gegangen war, nun abbrach, um sein Spiel zu verbergen. Er sah deutlich, dass die Vorschläge, die man ihm gemacht hatte, ernst gemeint waren und sich in ihrer ganzen Entwicklung erklärt haben würden, wenn er ihnen etwas länger sein Ohr geliehen hätte.

»Gut«, sagte er sich, »d’Artagnan ist Mazarin.«

Von diesem Augenblick an beobachtete er ihn mit außerordentlicher Klugheit.

D’Artagnan seinerseits spielte verschlossenen als je.

»Aber Ihr habt einen Gedanken?«, fuhr Athos fort.

»Allerdings, ich wollte von Euch allen Rat einholen, um darauf bedacht zu sein, etwas zu tun, denn die einen ohne die anderen sind wir immer unvollständig.«

»Allerdings. Ihr spracht mir von Porthos; habt Ihr ihn bestimmt, Vermögen zu suchen. Aber er besitzt Vermögen?«

»Ganz gewiss, er besitzt. Doch der Mensch ist einmal so, er wünscht immer etwas anderes.«

»Und was wünscht Porthos?«

»Baron zu sein.«

»Ah, das ist wahr; ich hatte es vergessen«, sprach Athos lachend.

Es ist wahr?, dachte d’Artagnan, und woher hat er es erfahren? Sollte er mit Aramis im Briefwechsel stehen? Ah! Wenn ich das wüsste, so wüsste ich alles.

Hier endete die Unterredung, denn gerade in diesem Augenblick erschien Raoul. Athos wollte ihn ohne Bitterkeit zanken, aber der junge Mensch sah so betrübt aus, dass er nicht den Mut hatte und sich unterbrach, um ihn zu fragen, was ihm wäre.

»Sollte es bei unserer jungen Nachbarin schlimmer gehen?«, sprach d’Artagnan.

»Ach! Monsieur«, versetzte Raoul, beinahe unter dem Schmerz erstickend, »ihr Fall ist sehr ernst und der Arzt befürchtet, sie werde, wenn auch ohne scheinbare Missstaltung, ihr ganzen Leben hinken.«

»Ah, das wäre furchtbar!«, sprach Athos.

D’Artagnan hatte einen Scherz aus den Lippen, als er aber sah, welchen Anteil Athos an dem Unglück nahm, hielt er ihn zurück.

»O, Monsieur, was mich am meisten hierbei in Verzweiflung bringt«, versetzte Raoul, »ist der Umstand, dass ich die Ursache dieses Unglücks bin.«

»Wie das, Raoul?«, fragte Athos.

»Allerdings ist sie nicht, um zu mir zu laufen, von dem Holzstoß herabgesprungen?«

»Es bleibt Euch kein anderes Mittel, mein lieber Raoul, als sie zur Sühnung zu heiraten«, sagte d’Artagnan.

»Monsieur«, entgegnete Raoul, »Ihr scherzt mit einem wahren Kummer. Das ist schlimm!«

Raoul, der der Einsamkeit bedurfte, um nach Belieben weinen zu können, ging in sein Zimmer, das er erst zur Frühstücksstunde wieder verließ.

Das gute Einverständnis der zwei Freunde hatte sich nicht im Geringsten durch das Scharmützel um Morgen verändert: Sie frühstückten mit dem besten Appetit und schauten von Zeit zu Zeit den armen Raoul an, der, die Augen feucht, das Herz schwer, kaum die Speisen anrührte.

Am Ende des Frühstücks kamen zwei Briefe, welche Athos mit der größten Aufmerksamkeit las, ohne sich wiederholt eines Bebens enthalten zu können. D’Artagnan, der ihn diese Briefe von der Seite des Tisches an der anderen lesen sah und dessen Gesicht äußerst scharf war, schwor, er erkenne auf eine untrügliche Weise die kleine Handschrift von Aramis. Bei dem anderen Brief nahm er eine lange, schwankende Frauenhandschrift wahr.

»Kommt«, sagte d’Artagnan zu Raoul, als er sah, dass Athos allein zu bleiben wünschte, entweder, um die Briefe zu beantworten oder um darüber nachzudenken, »kommt, wir wollen einen Gang in dem Fechtsaal machen, das wird Euch zerstreuen.«

Der junge Mensch schaute Athos an, welcher seinen Blick mit einem Zeichen der Beistimmung beantwortete.

D’Artagnan und Raoul gingen in einen Saal, in welchem Rappiere, Handschuhe, Bruststücke und ähnliche zum Fechten gehörige Gegenstände aufgehängt waren.

»Nun?«, fragte Athos, als er nach einer Viertelstunde im Saal erschien.

»Er ist bereit, Eure Hand, mein lieber Athos«, antwortete d’Artagnan, »und wenn es auch Euer kaltes Blut wird, so habe ich Euch nur mein Kompliment zu machen.«

Der junge Mensch war etwas beschämt. Für die paar Male, die er d’Artagnan am Arm oder am Schenkel berührt hatte, hatte ihn dieser zwanzigmal auf den vollen Leib getroffen.

In diesem Augenblick trat Charlot ein und überbrachte, einen sehr eiligen Brief für d’Artagnan, den ein Bote soeben abgegeben hatte.

Nun war die Reihe an Athos, aus einem Winkel des Auges zu beobachten.

D’Artagnan las den Brief ohne eine scheinbare Bewegung und sagte, nachdem er ihn gelesen hatte, mit einem leichten Schütteln des Kopfes: »Seht, mein lieber Freund, was der Dienst ist, und Ihr habt meiner Treue recht, nicht wieder eintreten zu wollen: Monsieur de Tréville ist krank geworden, die Kompanie kann meiner nicht entbehren und mein Urlaub geht somit verloren.«

»Ihr kehrt nach Paris zurück?«, sprach Athos lebhaft.

»Ei, mein Gott! Ja«, erwiderte d’Artagnan, »aber kommt Ihr nicht auch selbst dahin?«

Athos errötete ein wenig und antwortete: »Wenn ich dahin käme, würde ich mich sehr glücklich schätzen, Euch zu sehen.«

»Holla! Planchet!«, rief d’Artagnan aus der Tür, »wir reisen in zehn Minuten. Gib den Pferden Hafer.« Dann sich gegen Athos umwendend:« »Es ist mir, als fesselte mich etwas hier und es tut mir in der Tat unendlich leid, Euch verlassen zu müssen, ohne den guten Grimaud gesehen zu haben.«

»Grimaud?«, versetzte Athos. »Ach! Es ist wahr, ich wunderte mich, dass Ihr Euch nicht nach ihm erkundigtet. Ich habe ihn einem von meinen Freunden geliehen.«

»Der sein Zeichen versteht?«, sagte d’Artagnan.

»Ich hoffe es.«

Die zwei Freunde umarmten sich herzlich. D’Artagnan drückte Raoul die Hand, nahm Athos das Versprechen ab, ihn zu besuchen, wenn er nach Paris käme, und ihm zu schreiben, wenn er nicht käme. Planchet, pünktlich wie immer, saß bereits im Sattel.

»Komm Ihr nicht mit mir?«, sprach d’Artagnan lachend zu Raoul; »ich reite durch Blois.«

Raoul wandte sich gegen Athos um, der ihn durch ein unmerkliches Zeichen zurückhielt.

»Monsieur«, antwortete der Jüngling, »ich bleibe bei dem Monsieur Grafen.«

»In diesem Fale lebt wohl, alle beide«, sprach d’Artagnan und drückte ihnen zum letzten Male die Hand, »und Gott beschütze Euch, wie wir sagten, so oft wir uns zur Zeit des seligen Kardinals trennten.«

Athos machte ihm ein Zeichen mit der Hand, Raoul eine Verbeugung und d’Artagnan entfernte sich mit Planchet.

Der Graf folgte ihnen mit den Blicken, die Hand auf die Schulter des jungen Menschen gestützt, dessen Höhe beinahe der seinen gleichkam. Aber sobald sie hinter der Mauer verschwunden waren, sagte Athos: »Raoul, wir reisen diesen Abend nach Paris.«

»Wie!«, rief der Jüngling erbleichend.

»Du kannst dein Lebewohl und das meine Frau von Saint-Remy vermelden. Ich erwarte dich hier um sieben Uhr.«

Der Jüngling verbeugte sich mit einem von Schmerz und Dankbarkeit gemischten Ausdruck und ging weg, um sein Pferd zu satteln.

D’Artagnan war kaum aus dem Blickfeld, als er den Brief aus der Tasche zog, um ihn noch einmal zu lesen:

Kommt auf der Stelle nach Paris zurück.

  1. M.

»Der Brief ist trocken«, murmelte d’Artagnan, »und wenn nicht eine Nachschrift dabei wäre, hätte ich ihn vielleicht nicht verstanden, aber zum Glück findet sich eine Nachschrift.«

Und er las die herrliche Nachschrift, die ihn die Trockenheit des Briefes vergessen ließ.

N.S. Geht zu dem Schatzmeister des Königs in Blois, nennt ihm Euren Namen und zeigt ihm diesen Brief; Ihr werdet zweihundert Pistolen erhalten.«

»Diese Prosa liebe ich«, sprach d’Artagnan, »und der Kardinal schreibt besser, also ich glaubte. Vorwärts, Planchet, wir wollen dem Herrn Schatzmeister des Königs einen Besuch machen und dann die Sporen eingesetzt!«

»Nach Paris, gnädiger Monsieur?«

»Nach Paris.«

Und beide ritten in starkem Trab die Straße entlang.

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