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Der Hexer GK 589

Robert Craven (Wolfgang Hohlbein)
Der Hexer
Der Baumdämon

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 02. Januar 1985, 64 Seiten, 1,60 DM, Titelbild: Terry Oakes
Erschienen als Gespenster-Krimi Nr. 589

»Still!« Howard legte warnend den Zeigefinger über die Lippen, presste sich dichter gegen die Wand und wartete mit angehaltenem Atem, bis die Stimme und Schritte näher gekommen und wieder verklungen waren. Erst dann wagte er es, sich vorsichtig aus dem Schatten zu erheben und geduckt zu uns zurückzuhuschen. Mit einer fahrigen, nervös wirkenden Bewegung, die seine Erschöpfung mehr als alles andere verriet, ließ er sich zwischen Rowlf und mir in die Hocke sinken, fuhr sich mit dem Handrücken über das Gesicht und deutete mit dem Daumen zurück. »Ich glaube wir können es riskieren«, murmelte er. »Es sind nur noch ein paar Blocks. Es wird dunkel.«

Leseprobe

Seine Art zu reden war noch abgehackter und schneller geworden als normal, und obwohl ich ihn im rasch schwächer werdenden Licht der Dämmerung nur als graufleckigen Schatten erkennen konnte, sah ich ihm seine Erschöpfung überdeutlich an. Wenn er sich bewegte, dann tat er es ruckhaft, starr; als wären an seinen Gliedern dünne Fäden befestigt, an denen ein unsichtbarer Puppenspieler zog.

Müde blickte ich in die Richtung, in die er gedeutet hatte. Der Torbogen erschien mir wie ein finsterer Höhleneingang, und die Straße und die Häuser dahinter waren nur als blinkende matte Schemen zu erkennen, auf denen sich ab und zu flackernder Feuerschein brach, je nachdem, wie der Wind stand und die Schleier aus strömendem Regen aufrissen, die ununterbrochen auf die Stadt niederstürzten. Der Hafen brannte noch immer.

Howard beugte sich vor, stützte sich mit der linken Hand am Rande einer der Tonnen ab, hinter denen wir Zuflucht gesucht hatten, und griff mit der anderen nach Rowlfs Schulter. Rowlf stöhnte. Seine Lider öffneten sich einen Spaltbreit, aber die Augen dahinter waren trüb, ihr Blick leer und glanzlos. Sein Gesicht glühte. In der trübgrauen Helligkeit sahen die Brandblasen darauf aus wie rote Pockennarben, und sein Schweiß roch schlecht und säuerlich. Howard hatte diesen verlassenen Hinterhof vor sechs oder sieben Stunden entdeckt, und seither verkrochen wir uns hier, wie Ratten, die vor der Katze flohen, unter Unrat und Müll verborgen, zitternd vor Kälte und Angst und erbarmungsloser gejagt als Tiere. Rowlf hatte ein paarmal das Bewusstsein verloren, in dieser Zeit. Er wachte immer wieder auf, aber der Unterschied zwischen den Perioden, in denen er halbwegs klar war oder fieberte und phantasierte, wobei er manchmal um sich schlug und im Fieber schrie, sodass wir ihn halten und mit Gewalt zum Schweigen bringen mussten, verschob sich langsam, aber unbarmherzig zu seinen Ungunsten.

Der Anblick versetzte mir einen scharfen, schmerzhaften Stich. Ich kannte diesen großen, ständig zu lauten und ständig gereizt scheinenden Burschen jetzt seit drei Monaten, aber eigentlich war mir erst in den letzten Stunden klar geworden, wie sehr ich ihn mochte; in den Stunden, in denen ich frierend und zitternd vor Angst dagesessen und darauf gewartet hatte, dass es endlich dunkel wurde, und in denen ich hilflos zusehen musste, wie er vor meinen Augen verfiel.

»Er braucht einen Arzt«, sagte ich. Howard blickte kurz auf, sah mich einen Moment schweigend an und machte dann eine Kopfbewegung, die wie eine misslungene Mischung aus einem Nicken und einer Verneinung aussah; wahrscheinlich sollte sie genau dies sein.

»Ich weiß«, sagte er. »Aber er muss durchhalten, bis wir Bettyhill erreichen. Wenn uns auch nur eine Menschenseele sieht, solange wir noch in dieser Stadt sind …«

Er sprach nicht weiter, aber das war auch nicht nötig. Wir versteckten uns nicht aus Spaß wie gemeine Verbrecher in Hinterhöfen und Müllhaufen. Ein eisiger, kalter Zorn stieg in mir auf, als ich an die Ereignisse der letzten Tage zurückdachte. Als wir Durness erreicht hatten, vor ein paar Tagen, die mir jetzt, im Nachhinein, wie Jahre vorkamen, waren wir ganz normale Touristen gewesen, Großstädter, auf die die Einwohner der kleinen nordschottischen Hafenstadt Durness mit einem gelinden Lächeln und der den Schotten eben üblichen Überheblichkeit herabblickten. Fremde, die sie verachteten und über die sie sich insgeheim vielleicht sogar amüsierten, wenn sie es nicht einmal merkten und ihr gutes Geld in ihren Läden und Pubs ausgaben. Jetzt schrie die ganze Stadt nach unserem Blut.

Meine Gedanken kehrten zurück zu den Ereignissen der vergangenen Nacht und des Morgens, während Howard sich neben mir bemühte, Rowlf mit sanftem Schütteln an der Schulter aufzuwecken und ihm auf die Füße zu helfen, und wieder spürte ich diesen eisigen, mit einem Gefühl quälender Hilflosigkeit gepaarten Zorn. Sie hatten uns gejagt wie die Tiere. Der Zorn des aufgeputschten Mobs war so gewaltig gewesen, dass sie unser Boot angezündet und Petroleum ins Hafenbecken geschüttet hatten, um uns bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Nun, sie hatten die Quittung bekommen – prompt. Das brennende Petroleum hatte sich mit rasender Geschwindigkeit über das ganze Hafenbecken ausgebreitet und in wenigen Augenblicken nicht nur das Dutzend Schiffe, das dort vertäut lag, sondern auch die angrenzenden Gebäude und Lagerhäuser in Brand gesetzt. Und das Feuer tobte noch immer, obwohl die ganze Stadt zusammengekommen war, um es zu löschen. Dabei glich es schon fast einem Wunder, dass der Brand nicht noch weiter um sich gegriffen und die ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt hatte.

»Hilf mir«, sagte Howard leise. Ich schrak aus meinen Gedanken hoch, fuhr fast schuldbewusst herum und legte die Hände unter Rowlfs Rücken. Er war wach und versuchte uns zu helfen, aber seine Bewegungen waren ohne Kraft und ziellos; er stürzte fast, als er endlich auf seinen Füßen stand und sein Gewicht schwer auf Howards und meine Schultern stützte.

Der Regen peitschte uns eisig in die Gesichter, während wir uns zum Tor schleppten. In den schräg fallenden Schleiern glitzerte Eis, und ich roch Schnee. Es war absurd, aber mir fiel plötzlich ein, dass es fast Dezember und nicht mehr lange bis Weihnachten war. Rowlfs Gewicht drückte wie eine Tonnenlast auf meine Schultern, und auch Howard taumelte, nachdem wir den Torbogen erreicht und in seinem Schatten stehengeblieben waren.

Behutsam löste er Rowlfs Arm von seiner Schulter, lehnte ihn halbwegs gegen die Wand und wies mit einer Kopfbewegung zur Straße. »Halt ihn einen Moment«, sagte er. »Ich sehe nach, ob die Straße frei ist.«

»Das hat doch keinen Sinn«, widersprach ich. »Wir schaffen es nicht, Howard. Und Rowlf auch nicht.«

Er schwieg. Sein Blick huschte besorgt über Rowlfs Gesicht, und ich sah einen Ausdruck von Mutlosigkeit in seinen Augen, der neu an ihm war. Ich hatte immer gedacht, dass es nichts gäbe, was diesen Mann wirklich erschüttern könnte. Aber das stimmte nicht.

»Wir brauchen Hilfe«, sagte ich, als Howard auch nach einer Weile noch keine Anstalten machte, mir zu antworten. »Einen Arzt. Oder wenigstens einen Wagen.«

Howard antwortete auch diesmal nicht, aber das war auch gar nicht nötig. Die Bewohner von Durness hielten uns für tot; viele von ihnen glaubten, uns mit eigenen Augen in den brennenden Fluten des Hafenbeckens umkommen gesehen zu haben, und das war auch gut so. Denn wenn sie auch nur vermuteten, dass wir noch am Leben waren, würde die Hexenjagd von vorne beginnen. Und eine Hexenjagd war es im wahrsten Sinne des Wortes. Die Männer und Frauen von Durness hielten uns

– und wohl im Besonderen mich – für Hexer, Diener des Satans. Das Unheil, das die entfesselten Kräfte des Necronomicons über die kleine Hafenstadt gebracht hatte, fiel auf uns zurück, und sie reagierten, wie Menschen seit Urzeiten auf alles reagiert hatten, was sie nicht verstanden und was sie ängstigte: Mit Hass und Gewalt.

»Kein … Arzt«, murmelte Rowlf. Er hatte meine Worte verstanden, aber es hatte eine Weile gedauert, bis er die Kraft gefunden hatte, darauf zu antworten. »Niemand darf … uns sehen, Kleiner. Sie … dürfen nicht wissen, dass wir … noch leben.«

»Zumindest in deinem Fall kann sich das ganz schnell ändern, Rowlf«, antwortete ich ernst. »Der nächste Arzt dürfte in Bettyhill sein. Und das sind dreißig Meilen.«

»Robert hat recht«, stimmte Howard düster zu. »Es sind fast zwanzig Meilen, Rowlf. Das schaffst du nicht.«

»Dann lasst mich zurück«, antwortete Rowlf. Seine Stimme zitterte vor Schwäche, aber ich spürte, dass er seine Worte vollkommen ernst meinte.

»Das kommt überhaupt nicht in Frage«, widersprach ich. »Ich werde irgendwo Hilfe auftreiben. Wenn schon keinen Arzt, dann wenigstens einen Wagen.« Ich deutete mit einer zornigen Kopfbewegung auf die Straße hinaus. Der Widerschein des Großbrandes unten am Hafen ließ das feuchte Kopfsteinpflaster aufleuchten, als wäre es in Blut getaucht. »Irgendjemanden muss es doch in dieser verdammten Stadt geben, der seine fünf Sinne noch beisammen hat.«

»Und wen?« fragte Howard düster.

Diesmal blieb ich die Antwort schuldig. Die Wut, mit der uns diese Menschen verfolgten, war mit rationalen Gründen nicht mehr zu erklären. Sie waren verhext, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir kämpften gegen Kräfte, die jenseits aller Logik standen.

Mein Blick richtete sich instinktiv auf das großformatige, in schwarzes Leder gebundene Buch, das Howard unter dem linken Arm trug. Es sah so harmlos aus, so verdammt banal. Und doch war es schuld am Tod zahlloser Menschen – und unserer Lage.

Howard erschrak, als er meinen Blick bemerkte. Er sagte nichts, aber die Art, in der er die Hand auf den Buchrücken legte, drückte genug aus. Für einen kurzen Moment hatte ich wirklich mit dem Gedanken gespielt, die Kräfte des Necronomicons auszunutzen, um hier herauszukommen. Natürlich war das unmöglich. Dieses Buch war das Nonplusultra des Bösen. Wer an seine Macht rührte, der musste dafür bezahlen. Und wie schrecklich der Preis war, den es verlangte, hatte ich mit eigenen Augen gesehen …

»Geht zurück«, sagte ich. »Ich werde versuchen, irgendwo einen Wagen zu stehlen.«

Howard schien widersprechen zu wollen, atmete aber dann bloß hörbar ein und nickte widerstrebend. Die wenigen Schritte, die wir Rowlf gestützt hatten, hatten ihm deutlicher als alle Erklärungen gezeigt, wie sinnlos unser Unterfangen war. Vielleicht – aber auch nur vielleicht – hätten wir es sogar geschafft, die wenigen Blocks bis zum Ortsausgang hinter uns zu bringen, ohne entdeckt zu werden. Aber die zwanzig Meilen bis Bettyhill waren schon für einen gesunden, ausgeruhten Mann ein gewaltiger Spaziergang. Für uns – und vor allem für Rowlf – waren sie unüberbrückbar. Genauso gut hätten wir versuchen können, nach London zu schwimmen.

»Versuch es«, sagte er schließlich. »Wir haben wohl keine Wahl.«

»Die habt ihr doch«, widersprach Rowlf. »Ihr beide könnt es schaffen, wenn ihr mich hier lasst. Ich komme schon irgendwie durch.«

»Unsinn«, widersprach Howard. »Sobald sie das Feuer gelöscht haben, wird es hier wieder von Menschen wimmeln. Robert hat recht – entweder schaffen wir es alle oder gar keiner.«

Rowlf fuhr auf. »Aber das ist …«

»Das einzig Logische«, unterbrach ihn Howard. »Glaubst du, wir hätten eine Chance, wenn sie dich finden? Sie würden dich umbringen und dann anfangen, uns zu suchen. Nein, Rowlf – wir haben gar keine andere Wahl, als dich mitzunehmen.« Er sah mich an. »Geh. Wir warten hier. Aber gib acht, dass dich niemand sieht.«

Ich nickte, drehte mich ohne ein weiteres Wort um und trat mit gesenktem Kopf auf die Straße hinaus. Vom Hafen drang flackernder rotgelber Lichtschein und das Raunen einer gewaltigen Menschenmenge herauf; Schreie, Lärmen, das Schrillen einer Glocke. Aber die Straße rechts und links von mir schien ausgestorben zu sein.

Während ich mit weit ausgreifenden Schritten stadteinwärts ging, arbeiteten meine Gedanken auf Hochtouren. Mein Vorhaben war nicht halb so leicht, wie ich Howard Glauben hatte machen wollen. Durness war eine Stadt, kein kleines Bauerndorf, auf dem hinter jedem Haus ein Pferd bereitstand; ich konnte kaum darauf hoffen, einfach so einen Wagen zu finden, der nur darauf wartete, von mir mitgenommen zu werden.

Aber vielleicht gab es doch jemanden, der uns half …

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