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Der Welt-Detektiv Band 6

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Das schwarze Buch vom Teufel, Hexen, Gespenstern … Teil 52

Das schwarze Buch vom Teufel, Hexen, Gespenstern, Zauberern und Gaunern
Dem Ende des philosophischen Jahrhunderts gewidmet
Adam Friedrich Böhme, Leipzig, 1796

Ein Wunderarzt fordert in der Apotheke für sechs Pfennige Allerlei und für sechs Pfennige Racketei.

Unter der Garnison in Calbe (im Saalkreis) befand sich ein gemeiner Soldat, Namens Graf, der sich für einen Exjesuiten ausgab, und alle sieben Jahre einmal drei Monate die Gabe zu besitzen vorgab, alle menschliche Gebrechen heilen zu können. Dieser Wundermann kam zwar eigentlich als Soldat dahin, aber ein Gestirn hatte ihn, wie er sagte, bei seiner Ankunft belehrt, dass Calbe der Ort sei, wo er sein Talent würde geltend machen können. Er war kaum einige Tage da, als sich der Geruch seiner Wunderkraft so sehr verbreitete, dass nicht bloß aus Calbe, sondern aus allen umliegenden Gegenden, aus dem Magdeburgischen, Anhaltischen usw. herbeieilte, was einen Fehl hatte, um sich durch sein Zaubergebet und sein Geschmier heilen zu lassen. Täglich sah man eine Menge zu Fuß und in Wagen hierher wallfahrten und vor seiner Wohnung konnte man den Inbegriff alles menschlichen Elends finden. Anfangs bestand die Kundschaft dieses Scharlatans nur aus armen und gemeinen Leuten. Aber er wusste seine Rolle so geschickt zu spielen, dass das Gerücht seiner Wunderkraft noch durch seine Uneigennützigkeit erhöht wurde. Er nahm teils gar nichts, teils sehr wenig für seine Kuren, etwa Pfennige, nur immer eine ungerade Zahl. Hierdurch und durch sein geheimnisvolles Murmeln zog er den Aberglauben in sein Interesse, sprach, wo er es dienlich fand, von Hexerei und Geistererscheinungen, befahl denen, die zu ihm kamen, die Bandagen, Bruchbänder und dergleichen abzulegen und öffentlich unterm Arm nach Hause zu tragen oder die Krücken, womit sie gekommen waren, wegzuwerfen und sich leiten zu lassen. Kurz, er gebrauchte alles, was den Pöbel blenden konnte, und erreichte seinen Zweck. Man schrie Wunder über Wunder. Der Pöbel betrachtete ihn als einen Gesandten des Himmels. Geheimnissüchtige witterten Arkana und Sympathie, und nur wenige Vernünftige, worunter mancher brave Tuchmacher und Schuster in Calbe war, sagten: »Es ist Betrug und Geldschneiderei!«

Allein die Stimme der Vernünftigen wurde wie gewöhnlich durch den großen Haufen überschrien. Die Zahl der Hilfsbedürftigen vermehrte sich. Obwohl kein Einziger auftreten konnte, der da hätte sagen können, dass er von ihm sei geheilt worden, so fingen doch allmählich solche Leute an, seine Anhänger zu werden, die es übel nehmen würden, wenn man sie zum Pöbel rechnen wollte. Ein Professor empfahl sogar den Wundermann in Gesellschaften, rühmte seine Einsichten, obwohl alle Offiziere und auch andere, die ihn kannten, versicherten, dass er ein äußerst unwissender Mensch sei, und erlaubte dem Scharlatan, Personen, die sich schämten, in seine schmutzige Herberge zu gehen, in seinem Haus zu kurieren. Als sich nun der Wunderdoktor, so hieß er allgemein, erhoben sah, änderte er auch seine Uneigennützigkeit und ließ sich räsonabel bezahlen. Seine Vorgesetzten betrachteten den Wunderkram vermutlich als eine Art von Industrie, durch die sich Soldaten oft einen Nebenverdienst machen. Um Schaden zu verhüten, wurde ihm ein Feldscher zugeordnet, der bei seinen Operationen gegenwärtig sein sollte. Dieser sagte aus begreiflichen Gründen, der Mensch gebrauche nur einfache Mittel, die aber in seinen Händen eine außerordentliche Kraft äußerten. Das vorzüglichste Mittel, dessen er sich bediente, war Kampferspiritus, obwohl Graf dieses nicht gestehen wollte. Ob er gleich mehrere in der Tasche führte, so war doch in den meisten einerlei. Damit wollte er Blinde sehend, Verwachsene gerade, steife Finger und Knie gelenkig machen, das Podagra und Leberflecken vertreiben, Kröpfe, Brüche, Krebsschäden, kurz, alle menschlichen Gebrechen von Grund auf heilen. Er berief sich besonders in der Wahl der Arzneien, darin er aber ein großer Ignorant war, auf einen ihm helfenden Geist und forderte einst auf dessen Eingebung in der Apotheke für sechs Pfennige Allerlei und für sechs Pfennige Racketei. Als der Apotheker versicherte, dass er solchen Quark nicht führe, so zeigte er auf Antrieb seines Hilfsgeistes auf ein paar Gefäße hin, ohne jedoch zu wissen, ob Pulver oder Tropfen darin wären. Man gab ihm diese so unschädlichen Sachen, schlug ihm aber eine starke Quantität Gummigutta ab. Seine übrigen Talente, als wahr zu sagen, fest zu machen und Schätze zu graben, hatte er bis dahin noch nicht zeigen können, aber in Minden soll er mit Letzterem manchen betrogen haben. Übrigens war die Sprache dieses Tausendkünstlers abgebrochen und sein Betragen bäurisch grob. Als man anfing, sein Verfahren zu untersuchen, behaupteten einige, es gereiche der Stadt und dem König zum Nachteil, wenn man dem Wundertäter seine Kundschaft verderbe, weil doch seit Grafs Dasein einiges Gebräu an Bier mehr verzehrt und ein ansehnliches Plus eingekommen wäre. Ein Glück, dass Leute, welche Menschenleben mit einem Bierbrauen in Vergleich setzen können, keine Stimme hatten. Graf war wegen eines wahrscheinlich durch ihn beförderten Abortus in Inquisition. Ob er gleich des beschuldigten Verbrechens nicht überwiesen werden konnte, so legte er doch solche Beweise der gröbsten Unwissenheit, Einfalt und Unverschämtheit ab, dass sie genannt zu werden verdienen.

Graf erzählte, er sei der Sohn eines Kriegsgeheimrats aus Bamberg, der bei seinem Tod ein Vermögen von 500.000 Gulden hinterlassen habe. Er sei nicht allein von seinem zwölften Jahr an in einem Jesuitenkloster in Würzburg erzogen, sondern auch selbst in diesen Orden getreten. Er habe hier alle Grade der Priesterweihe und die Tonsur erhalten. Man könne den Fleck noch sehen, wo ihm dieselbe eingebrannt wor­den. Hierbei zeigte er seinen kahlen Scheitel, den aber die Natur tonsiert hatte. Nach aufgehobenem Orden habe er sich zu Hause aufgehalten, wo er einen seiner Brüder, der ihn wegen seines geistlichen Standes geneckt hatte, auf göttliche Eingebung erstach, weswegen er geflohen sei und sich in Regensburg habe anwerben lassen. Diese Lüge, wodurch er sich beim Pöbel, der so wenig nachdenkt, dass er einem Betrüger wider alle gesunde Begriffe glaubt, Gott könne Brudermord eingeben, in Ansehen gesetzt hatte, brachte ihn nun in nicht geringe Verlegenheit. Denn als man drohte, dass er als Mörder behandelt und ausgeliefert werden müsste, stimmte er den Ton um und sagte, er wisse nicht, ob sein Bruder wirklich gestorben sei, aber er glaube es doch, weil man ihm sein Vermögen nicht herausgeben wolle. Dass aber diese ganze Erzählung eine Lüge war, erklärte das Bekenntnis eines anderen auch in der Sache verwickelten Soldaten, der sich Graf nannte und ein Verwandter jenes Wundermannes zu sein behauptete. Dieser sagte, der Scharlatan wäre der Sohn eines Gerichtsfrohns aus Weimar und lutherischer Religion. Er setzte noch hinzu, dass er ihn auf seinen Wanderungen getroffen habe, und auch hier in Calbe seine Verwandt- und Bekanntschaft erneuert habe; dass ihre Großväter Brüder gewesen wären und sich in Langensalza ehemals auch mit Teufelsbannen abgegeben hätten.

Allein der Wundermann war unverschämt genug, all dieses trotz alter Beweise abzuleugnen. Man fragte ihn darauf nach den Gelübden der Jesuiten, aber er konnte kein einziges angeben, sondern fing an, um seine Unwissenheit zu decken, allerhand barbarische selbstgemachte Wörter zusammenzusetzen, welches er für Latein und für die geforderten Gelübde ausgab. Als man ihm sagte, das wäre Unsinn und kein Latein, gab er zur Antwort, es wäre dies das rechte Hebräische und griechische Latein, welches man im Himmel spräche, das gemeine Latein könne er nicht. Auf die Frage, welcher Papst den Jesuitenorden aufgehoben habe, antwortete er: Papst Carolus; und auf die, wie ihr Ordensgeneral hieß: Sie hätten keinen General, sondern einen Regimentsklerikus.

Seine medizinische Kenntnis wollte er durch göttliche Eingebung erhalten haben. »Ohne diese«, sagte er, »bin ich nur ein gemeiner Mensch und kann weder lesen noch schreiben. Aber Gott hat mir auf dem Marsch hierher im Traum zugerufen: Graf, wenn du nach Calbe kommst, wirst du Blinde sehend, Lahme gehend, Taube hörend machen können.« Daher wären ihm auch alle Mittel einerlei; Saalewasser wirke ebenso gut wie Arznei. Gott habe ihm gesagt, er solle Kampferspiritus und Gummigutta gebrauchen, damit die Kranken Zutrauen zu ihm fassten und häufiger zu ihm kämen. Bisher habe er Kranke gehabt, die er auch alle kurieren würde, außer diejenigen, die wegen ihrer Sünden eine solche Züchtigung verdient hätten.

Sein treuer Gehilfe, der vom Bataillon verabschiedete Feldscher, bewies, dass er nicht bloß des Gewinnes wegen, (Graf sagte, er habe ihm für Zubereitung der Arzneien und dergleichen täglich einen Taler gegeben) sondern aus wirklicher Überzeugung sein Anhänger gewesen wäre, denn er bekräftigte Grafs Wunderkraft und behauptete, er besäße ein Arkanum, welches er ihm auch den Tag vor seiner Abreise mitzuteilen versprochen habe. Er bat, dass man doch erlauben möchte, dass Graf nun sein Versprechen erfüllen könne, da er in ein paar Tagen abreisen müsste. Man erlaubte es und Graf diktierte ihm ein Gemisch von unverständlichen, nicht zusammenhängenden Gebetsformeln und eignen Einfällen, das von einem Tollhäusler eher als von einem Inspirierten herzurühren schien. Reicker aber freute sich darüber außerordentlich und behauptete, aller vernünftigen Vorstellung, aller Darstellung des handgreiflichen Unsinns ungeachtet, er besitze das unschätzbarste Kleinod, und man würde Wunder von ihm hören, wenn Grafs Wunderkraft erst zu Ende ginge. Man legte dem Wundertäter endlich sein Heilen, und von Reickers Taten hat man nichts gehört.