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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Wildschütz – Kapitel 23

Th. Neumeister
Der Wildschütz
oder: Die Verbrechen im Böhmerwald
Raub- und Wilddiebgeschichten
Dresden, ca. 1875

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Die Gauner

Nachdem Curt eingetreten war, betrachtete er mit prüfendem Auge die ihm fremde Umgebung. Es waren außer zwei Männern keine Gäste anwesend, und ohne dieselben genauer zu beobachten, setzte sich der ehemalige Wildschütz an einen besonderen Tisch und verlangte einen Krug Bier, den man ihm bald verabreichte.

Unterdessen saßen die beiden Fremden in eifrigem Gespräch beieinander, Curt vermochte jedoch nur zuweilen ein Wort von der Unterhaltung zu verstehen, da dieselbe nur in halblautem Ton fortgeführt wurde. Es entging dem Lauschenden jedoch nicht, dass die Namen Martin und Julian zuweilen genannt wurden; auch von Georg wurde gesprochen, und Curt zweifelte nicht länger, dass damit der Sohn des alten Leonhard gemeint sei. Bisher hatte er nur zuweilen einen verstohlenen Blick nach den beiden Männern geworfen, das Gespräch erweckte jedoch seine Neugierde. Als er genauere Beobachtungen anstellte, da däuchte es ihm, als habe er den einen der beiden Fremden bereits früher gesehen. Er sann einige Minuten nach und erkannte nun in demselben den Kumpan Georgs, welchen der Leser unter dem Namen Berthold kennen lernte.

Diese Entdeckung erinnerte Curt zu gleicher Zeit an den schauervollen Auftritt in der Bärenschänke, welcher sich in der Nacht während seiner Flucht mit dem Pächter Andreas ereignete; hatte er es doch aus seinem Versteck in der Schlachtkammer deutlich beobachten können, wie der ihm gegenübersitzende Berthold den Pächter mit kaltem Blut den Kopf vom Rumpf getrennt und dann beides in einen Sack gesteckt und mithilfe seiner drei Kumpane die schwere Bürde fortgeschleppt hatte.

Und dieser gefährliche Verbrecher saß nun unweit von ihm und unterhielt sich mit irgendeinem Spießgesellen seines Gelichters. Er zeigte nicht die geringste Befangenheit in seinem Wesen und leerte gemächlich einen Krug nach dem anderen.

Warte, du Schurke, dachte Curt bei sich selbst, ich will dich aufs Korn nehmen, und mit Vergnügen wollte ich dir die hanfene Schlinge um den störrischen Nacken legen, damit du dem Galgen zur Zierde gereichtest, wohin du gehörst.

Unterdessen war der Wirt hereingetreten. Er näherte sich den beiden Zechern und unterhielt sich in einer Weise mit ihnen, die es nicht bezweifeln ließ, dass die Bekanntschaft bereits längere Zeit gegenseitig bestehen mochte.

Curt schloss sehr richtig, dass unter solchen Umständen auf Beistand vonseiten des Wirtes nicht zu rechnen sei. Er überlegte daher alles reiflich bei sich selbst, wie es wohl am klügsten anzufangen sei, um den Gauner festzuhalten.

Es verstand sich von selbst, dass jedes Aufsehen von seiner Seite vermieden werden musste, um bei den Landstreichern keinen Argwohn zu erregen. Ebenso durfte er es als Einzelner nicht unternehmen, auf die Schufte einzudringen. Wie leicht konnte es kommen, dass er gegen sie den Kürzeren zog. In diesem Fall wäre das ganze Unternehmen nutzlos gewesen.

Nach einiger Zeit erhob sich der Wildschütz von seinem Stuhl und verließ das Schankzimmer, um die Räumlichkeiten des Hauses sowie des angrenzenden Hofraumes in Augenschein zu nehmen. Es vergingen unterdessen nur wenige Minuten, worauf er zu dem Zimmer zurückkehrte.

Seine Überraschung wurde jedoch in hohem Grad erweckt, als er das Gemach leer fand. Die sauberen Gäste waren fort, und als er seinen Blick fragend auf den Wirt heftete, der geschäftig die leeren Krüge hinwegräumte, erwiderte derselbe mit unbefangener Miene: »Wünschen Sie vielleicht irgendetwas? Ich schmeichle mir, Ihnen mit allem aufwarten zu können, worauf man in einem guten Gasthof Ansprüche machen kann.«

»Etwas wünschte ich allerdings zu wissen, Herr Wirth«, entgegnete Curt. »Können Sie mir sagen, wohin die beiden Männer gegangen sind, welche sich noch vor wenig Minuten hier befanden?«

Der Gefragte zeigte sich einigermaßen verlegen, jedoch war dies nur ein rascher Übergang, dessen leichte Spuren sofort wieder verschwanden. Er nahm sein früheres gleichgültiges Wesen wieder an und versetzte mit voller Ruhe: »Darüber fragen Sie mich zu viel, mein Herr. Bei mir kommen die Gäste, wenn sie wollen, und gehen, wenn es ihnen beliebt, und zwar ohne dass ich danach frage, wohin sie wandern. Ich enthalte mich solcher Neugierde, die einen Wirt in den Ruf der Grobheit bringen könnte.«

»Verzeihen Sie, lieber Freund,” entgegnete Curt, einigermaßen verlegen über die erhaltene Antwort. Wohl glaube ich, dass es nicht in der Regel stattfinden mag, fremde Gäste mit derlei Fragen zu belästigen, allein ich halte dafür, dass es unter Bekannten zuweilen der Fall ist, sich noch beim Abschied bei ihnen zu erkundigen, was sie den Tag über noch zu treiben gedenken.”

»Bei Bekannten? Und soll ich meinen, dass Sie in meinen vorigen Gästen Bekannte von mir vermutet haben?«, fragte der Wirth. »War es Ihre Meinung, so muss ich bemerken, dass sie falsch ist«, fügte er hinzu. «,»Ich kannte keinen von den beiden Männern genauer; zuweilen sind sie bei mir eingesprochen, ohne dass ich jedoch danach Erkundigung einzog, wer oder was sie sind. Ich halte sie für Pächter oder Handelsleute aus den oberländischen Distrikten. Sie kommen gewöhnlich nach wochenlanger Abwesenheit bei mir zusammen und entfernen sich wieder nach einem kurzen Aufenthalt. Wohin sie gehen, weiß ich ebenso wenig, wie ich Ihnen sagen kann, wann sie wiederkommen.«

Curt schüttelte ungläubig mit dem Kopf. »Wie mir es schien«, sagte er hierauf, »musste zwischen Ihnen und den Fremden eine nähere Verbindung stattfinden, als Sie zugeben wollen. Ich sage Ihnen dies nur deshalb, weil ich ein besonderes Interesse in Bezug auf den Fremden hege. Seine Erscheinung ruft die Erinnerung an eine Begebenheit in mein Inneres zurück, die mich mit Entsetzen erfüllt.«

»Sie machen mich neugierig«, sagte der Wirt nach einer Pause von einigen Minuten, »und ich bedauere wirklich, Ihr Verlangen nicht erfüllen zu können, jedoch gebe ich Ihnen die Versicherung, dass, wenn ich, was ich hoffe, noch im Laufe dieses Tages Erkundigungen über jenen Fremden einzuziehen vermag, so sollen Sie alles erfahren.«

Bald darauf entfernte sich Gurt mit dem Vorsatz, den entschwundenen Gauner in der Residenz aufzuspüren. Er wanderte von einem Gasthof zum anderen, allein seine Bemühungen, ihn zu finden, blieben ohne günstigen Erfolg. Mit Einbruch des Abends kehrte er nach seinem Gasthof zurück. Sein Herr war noch nicht zurückgekommen und eine Magd übergab ihm ein Billet. Er las und fand, dass es die Aufforderung enthielt, diese Nacht um die bestimmte Zeit an dem verabredeten Ort zu erscheinen, auch war am Rande bemerkt, dass Herr John für diesen Abend nicht nach Hause kommen werde.

»Sonderbar«, murmelte Curt bei sich selbst, »das Benehmen des Herrn John kommt mir zu rätselhaft vor, um einen sicheren Schluss finden zu können. Ich weiß nicht, was ich mir denken soll. Warum ist der Mann so verschwiegen gegen mich, obwohl er mir dennoch Beweise seines Vertrauens lieferte? Doch ich gehe, mein Wort will ich halten, mag daraus entstehen, was immer will. Die Mitternacht soll mich an dem Ort des Stelldicheins treffen, ich müsste denn durch Gewalt von dem abenteuerlichen Gang zurückgehalten werden.« Nachdem Curt sein Abendbrot genossen hatte, machte er sich fertig, um zuvor noch einen Gang durch die Stadt zu unternehmen. Sein Gemüt war jedoch von einer Unruhe erfüllt, die ihn von einem Ort zum anderen trieb. Da fiel es ihm ein, dass ihm Herr John bemerkt hatte, nicht unbewaffnet zu erscheinen. Diesen Wink wollte er nicht unbenutzt lassen. Er trat demnach in einen naheliegenden Waffenladen und kaufte einen Dolch nebst zwei Pistolen, die er zu Hause mit scharfer Ladung versah. Hierauf nahm er seinen Mantel, steckte die Waffen zu sich und stieg langsam die Treppe hinab, und zwar, ohne dass er von den Bewohnern des Hauses bemerkt wurde. Er schritt schnell durch die engen Straßen der Vorstadt, und während er so mit pochendem Herzen dahineilte, achtete er nicht auf das, was sich in seiner Umgebung befand.