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Stephen King – Die Arena

Stephen King
Die Arena
Originaltitel: Under the Dome

Roman, Taschenbuch, Heyne Verlag, München, November 2009, 1296 Seiten, 13,99 Euro, ISBN: 9783453435230, ebenfalls als E-Book (11,99 Euro) sowie als ungekürztes Hörbuch auf 5 CDs (mp3, 19,95 Euro) erhältlich. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Wulf Bergner.

Der beschauliche Ort Chester’s Mill im ländlichen Teil des US-Bundesstaates Maine wird plötzlich zum Zentrum der weltweiten Aufmerksamkeit, als sich eines Tages ohne Vorwarnung eine unsichtbare Glocke über das Stadtgebiet legt. Die Kuppel, wie sie genannt wird, schneidet den Ort und alle, die darin wohnen, von der Außenwelt ab. Ein wenig Luft kommt noch hindurch, ein wenig Wasser ebenfalls – und es besteht die Möglichkeit, mit den Menschen auf der anderen Seite zu kommunizieren, da Schall die Barriere ebenfalls durchdringt.

Nur schwer gewöhnen sich die zahlreichen Einwohner der Stadt an die Situation, von der niemand weiß, was sie verursacht hat und wie lange sie noch andauern wird. James Rennie, zweiter Stadtverordneter sowie Gebrauchtwagenhändler und von allen wegen seines enormen Körperumfangs nur Big Jim genannt, wittert seine Chance, sich als Anführer der verängstigten Gemeinschaft zu positionieren. Schließlich hat er einiges zu verbergen, denn zusammen mit dem Polizeichef und einem der Pfarrer des Ortes hat er die Propangasvorräte der Stadt angezapft, um auf einer entlegenen Farm eines der größten Chrystal Meth-Drogenlabore an der Ostküste zu betreiben. Gas, das den Menschen nun zum Kochen und Stromerzeugen über Generatoren fehlt.

Seine Gegenspieler, wenn man so will, sind der Ex-Soldat Dale Barbie Barbara, der sich als Diner-Koch verdingt und als Fremder im Ort grundsätzlich als Urheber der Misere verdächtigt wird, sowie die Journalistin Julia Shumway, die der Wahrheit über das verschwundene Propangas immer näher zu kommen droht. Als dann auch noch einige Morde geschehen, versucht Big Jim die Situation an sich zu reißen und durch Falschinformationen die Menschen aus dem Weg zu räumen, die seiner Macht entgegenstehen. Und während draußen die Armee mit Bomben und anderen Mitteln versucht, die Kuppel zu sprengen, machen sich drinnen ein paar Schüler auf, etwas zu finden, das die Barriere mit Energie versorgt und auf diese Weise aufrechterhält. Was sie finden, ist äußerst verstörend …

Gesellschaft unter dem Brennglas

Zum Zeitpunkt dieser Rezension hat DIE ARENA bereits knapp 15 Jahre auf dem Buckel: 2009 erschien der Roman in deutscher Erstausgabe als Hardcover im Heyne Verlag, 2011 folgte die Auswertung als Taschenbuch. Mit fast 1300 Seiten belegt das Buch Platz drei der längsten Bücher von Stephen King, nur ES (Platz 2) und THE STAND (Platz 1) sind länger. Und so verwundert es wenig, dass der Autor seinem barocken Kleinstadtgemälde, das nach und nach dem gesellschaftlichen Kollaps und lebensbedrohlichen Umweltkatastrophen anheimfällt, erst einmal eine Übersichtskarte und mehrere Seiten mit einem Figurenregister voranstellt. Beides muss der aufmerksame Leser jedoch kaum nutzen, versteht King es doch, sein Ensemble so deutlich zu charakterisieren und jeder Figur eine bestimmte Rolle zuzuweisen, dass schnell klar ist, wer die jeweils Handelnden sind.

Es ist das Potpourri dieser Figuren, das den überaus üppigen Roman trägt. Bis jeder in der Stadt beschrieben und positioniert ist, vergehen gut und gerne mehrere hundert Seiten, dann legt die Kuppel richtig los und bringt die Menschen im positiven und im negativen Sinn an ihre Grenzen. King, hier noch in den Nachwirkungen des Amerikas unter George W. Bush, nimmt viele Fake News-Diskussionen unter Donald Trump vorweg, zeigt, wie sich Gesellschaften in Angst durch faktenlose und opportunistische Auslegungen von Tatsachen manipulieren lassen. So lässt Big Jim die Morde seines Sohnes Junior als die von Dale Barbara erscheinen und inszeniert eine Plünderung des örtlichen Supermarktes, um diesen von ihm bestimmte Deputies niederzuknüppeln zu lassen. So macht er deutlich, wie sehr das harte Durchgreifen der Polizei unter seiner Führung notwendig ist. Auffällig: King, der sonst – recht religionskritisch – fanatische Gläubige als Bösewichte positioniert, lässt diese Facette diesmal nahezu aus.

Die Krise beeinflusst jeden: Mal gibt sie einem latenten Mörder die Möglichkeit, zu töten und andere dafür verantwortlich zu machen. Hastig eingesetzte Hilfssheriffs nutzen die Kuppel als Freifahrtschein, ohne Konsequenzen Leute zu misshandeln, während andere entdecken, dass ihre Fähigkeiten der Gemeinschaft nützen können und der drohenden Tyrannei entgegentreten. Und die lösungsorientiert arbeiten: Wie lässt sich eigentlich die Ursache der Kuppel bekämpfen?

Apokalypse in der Schneekugel

Zugegeben: Die Auflösung, was die Barriere hervorruft, und welcher Grund dahintersteckt, wirkt zwangsläufig etwas unbefriedigend. King wählt hier einen Weg, der in seiner fatalen Banalität dazu passt, wie die Bewohner von Chester’s Mill ihr Schicksal wahrnehmen. Irgendwann ist der Grund, warum die Kuppel da ist, egal – es geht nur noch ums Überleben. Die Käseglocke als Symbol eines abgeschlossenen Systems, in dem sich Umwelteinflüsse wie Abgase, Wasser- und Medikamentenmangel, Hitze, Feuer und Trockenheit sowie schwindende Atemluft bemerkbar machen, ist nur schwer zu übersehen: Die Stadt ist der Planet Erde, die Kuppel die fragile Hülle, die sie umgibt.

Für so eine Parabel kann man sich gerne 1300 Seiten Platz nehmen, wenngleich sie natürlich nicht durchgängig spannend erzählt werden kann. Ab und an, besonders im Mittelteil seines Romans, verliert sich King wiederholt in Kleinigkeiten und Nebenhandlungen, die zwar für kräftige und emotionale Farbtupfer sorgen, aber ebenso hätten weggelassen werden können. Durchhaltevermögen wird – wie fast immer bei King – mit einem furiosen Finale belohnt. Dennoch: DIE ARENA liest man wegen der Figuren, nicht wegen der Handlung. Kleinstadtporträts hat King in seinem Werk bis zum Abwinken ausgelotet und bewegt sich auf sicherem Terrain – inklusive ihrer Demontage anhand allem, auf das man im Heimatland des Autors vordergründig gemeinschaftlich stolz ist – und es doch hinterrücks eigennützig auslegt.

Was bleibt als Fazit? DIE ARENA ist ein ambitionierter Roman, in dem der Leser komplett versinkt, ist er erst einmal in Chester’s Mill angekommen. Durch das riesige Ensemble fällt die Konzentration auf die recht dünne, dafür aber breit gefächerte Handlung ein wenig schwer – sie steht aber, wie erwähnt, auch nicht im Vordergrund. In der Gesamtwirkung entfaltet der Roman jedoch viel weniger Nachhall, als es ES oder THE STAND vermögen, deswegen bewegt sich DIE ARENA im Gesamtüberblick im guten Mittelfeld von Kings Schaffen. Abgesehen vom deutschen Titel: DIE ARENA trifft es nicht halb so gut wie der Originaltitel UNDER THE DOME. Vielleicht wurde er auch deswegen bei der späteren Taschenbuchauswertung als Untertitel reintegriert.

(sv)