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Deutsche Märchen und Sagen 171

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

226. Geist und Kind

In dem Städtchen Wilmar, welches in der Trierer Diözese gelegen ist, hatte sich um das Jahr 1595 folgende merkwürdige Geschichte zugetragen. Es lebte dort ein ehrsamer Bürger, namens Johann Eisenkopf, mit seiner Frau Margaretha. Diese gebar ihm einen Sohn, den er Conrad nannte. Dieses Kind wurde von Christi Himmelfahrt bis zum Fest Apostelteilung häufig von einem Geist aus der Wiege geholt und an irgendeinen anderen Ort gebracht. Nun legte er es in das Bett der Mutter, dann barg er es auf der Treppe des Weinkellers, ein anderes Mal im oberen Stock des Hauses, wieder ein anderes Mal auf dem heimlichen Gemach. Dabei trug der Geist stets die größte Sorgfalt für das Kind. Er holte sich Windeln und Tücher aus den Kommoden und Schränken und legte sie dem Kind unter, damit sein zartes Körperchen nur ja nicht leide.

Einmal hatte er es gut in dem Wärmekorb versorgt; die Mutter wollte das aber nicht, nahm das Kind und warf die Bettchen untereinander und zur Stunde schwollen ihr die Hände und alles Fleisch, was nicht von den Kleidern bedeckt war und die Haut schälte sich an den Stellen ab.

Häufig schaukelte der Geist auch das Kind in der Wiege. Es hatte sich ganz an ihn gewöhnt und das ging so weit, dass es weinte, wenn die Mutter es in die Wiege legte, und still war, wenn der Geist es nahm und es an einen anderen Ort hintrug. Endlich wurden die Eltern dessen müde und fragten einen Geistlichen um Rat. Und der hat den Geist vertrieben.