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Blutrosen – 5 – Affenliebe

Blutrosen
Schauererzählungen
frei nach dem Französischen des Eugène Sue, Alexandre Dumas d. Ä, Honoré Balzac, Victor Hugo und andere
Verlags-Comptoir. Breslau. 1837
Druck von M. Friedländer in Breslau
Erster Teil

Affenliebe

(Frei bearbeitet aus Pougens Letires inédites sur l’instinct des animuax).

Folgende Begebenheit aus meinem Leben, deren Andenken mir schmerzlich teuer ist, teile ich mit, weil sie trotz ihrer Einfachheit dennoch ungewöhnlich ist.

Seit mehreren Jahren bewohnte ich die Insel …, verschweige aber, da ich unerkannt zu bleiben wünsche, ihren und meinen Namen, und überhaupt jeden Umstand, der mich kenntlich machen könnte.

Es war an einem der heißesten Sommernachmittage, als ich ermüdet von den Geschäften meines Berufs, und überhaupt zur Schwermut geneigt, meine Wohnung verließ, um einen einsamen Spaziergang im nahen Wald zu machen. Kaum mochte ich einige hundert Schritte zwischen dichten Baumreihen in erquickender Kühle gewandelt sein, als ich ein leichtes Geräusch zu meiner Linken vernahm. Ein lebendiges Wesen schien entfliehend durch das Gebüsch zu schlüpfen.

Aufhorchend wandte ich den Blick auf diese Seite, doch hörte und sah ich nichts weiter, und setzte nun meinen Spaziergang fort. Seit ich meine laut jubelnden Gefährten, meine sogenannten Freunde zurückgelassen hatte, war ich nicht mehr allein; meine Gedanken und meine Erinnerungen leisteten mir Gesellschaft.

Doch bald ließ sich ein eben solches Geräusch vernehmen, wie vorhin. Ich hielt an, blickte aufmerksam umher und sah zwischen mehreren dichtverflochtenen Zweigen ein niedliches Köpfchen.

Zwei lebhafte Augen warfen die freundlichsten Blicke auf mich. Ein kurzes, aber nicht plattes Näschen, frische Lippen und schneeweiße Zähne gaben dem kleinen Gesicht ein interessantes Ansehen. Die Gestalt machte eine rasche Bewegung und zeigte sich fast bis zum halben Körper. Ich trat näher, da schwang sie sich zum Gipfel eines Kokosbaumes hinauf. Ihre Glieder waren zart und biegsam; sie mochte etwa vier Fuß hoch sein.

Anmutig unter mehreren dichtbelaubten Zweigen gebückt, betrachtete sie mich aufmerksam. Ich winkte ihr zu mir zu kommen; sie erwiderte mein Zeichen.

Die Eigentümlichkeiten der Tiere hatten mich immer interessiert, und da ich auf meinen vielen Reisen oft Gelegenheit fand die verschiedenen Affenarten besonders die Orang-Utans und Pongo zu beobachten, erkannte ich leicht, das kleine Geschöpf, das ich vor mir sah, sei ein Weibchen der letzten Gattung. Ich gab ihm später den Namen Fides.

Ich hatte die Gewohnheit, immer etwas Weißbrot bei mir zu tragen; es machte mir Freude, auf meinen langen Spaziergängen die kleinen Vögel, die mir vorkamen, zu bewirten. Da nun die niedliche Äffin mich mit erwartender Aufmerksamkeit ansah, warf ich ihr ein Stückchen Brot hin. Sie stieg vom Gipfel des Kokosbaumes herab, ergriff das Brot, beroch es mehrere Male, sah mich an, betrachtete dann wieder das Brot mit misstrauischem Blick und aß es nicht (Die Affen, sagte Linnée, sind im Allgemeinen misstrauisch, und die Erinnerung jeder guten oder schlechten Behandlung bleibt ihnen lange im Gedächtnis). Ich kannte diese Art Bedenklichkeit, die einigen Affenarten eigen ist; um sie zu heben, zog ich ein zweites Stück Brot hervor, aß selbst die Hälfte davon und warf ihr das Übrige hin. Sie fing es mit Geschicklichkeit auf und aß es sogleich. Da ich einige Augenblicke ohne weitere Freigebigkeit stehen blieb, streckte sie ihre kleine Hand gegen mich aus, und bewegte sie mit einer Art von Ungeduld, als wolle sie mich auffordern, meine Gaben zu wiederholen. Wirklich warf ich ihr noch mehrere Brotstückchen nacheinander zu, die sie mit immer gleicher Gewandtheit auffing; aber sobald ich mich ihr näherte, floh sie zurück. Nun ging ich rückwärts und warf ihr immer noch von Zeit zu Zeit meine Gaben zu. Das kurze Pfötchen blieb beständig gegen mich ausgestreckt, und zuweilen ließ sie einen kurzen wohlklingenden Schrei hören, (Mehrere Affenarten drücken ihre Freude und Zuneigung durch einen solchen Schrei aus. Bei dem Sapajou ist er dem Ton einer Flöte ähnlich. Nur wenn der Affe zornig wird, lässt er seine scharfen und schneidenden Töne hören.) der in mehreren Tönen wechselte und gewss eine Bedeutung hatte. Endlich war mein Vorrat erschöpft; auch begann sich der Tag zu neigen, und ich nahm meinen Weg zur Stadt zurück. Fides folgte mir und wiederholte noch von Zeit zu Zeit ihre hübschen silberhellen Töne. Als ich aber auf diesen Ruf nicht achtete, wandte sie sich mit trauriger Miene um und ging langsam zurück.

Am nächsten Abend kam ich ungefähr um dieselbe Stunde wieder. Das niedliche Tierchen erwartete mich schon nahe am Eingang des Holzes. Es lag zwischen jungem Gesträuch halb versteckt, hatte die Zweige zurückgebogen und schaute durch die Blätter hervor.

Sobald es mich erblickte, eilte es mir mit großen Freudenbezeugungen entgegen und näherte sich so schnell, dass es fast meine Kleider berührte.

Kaum aber machte ich die kleinste Handbewegung, als es zusammenfuhr und auf einen mehr als hundert Schritte entfernten Baum flüchtete. Um es nicht noch weiter zu verscheuchen, tat ich gleichgültig und warf zwei bis drei kleine Brotstückchen auf den Weg. Es stieg leise vom Baum herunter, beroch sie, vermutlich, um zu untersuchen, ob sie von eben der Art waren wie die gestrigen. Dann verzehrte es sie mit großer Esslust. Ich hatte mich reichlich mit mürbem Zwieback versehen und warf ihm von einem die Hälfte zu. Er fing ihn im Flug auf wie am vorigen Tag, beroch ihn, schien unschlüssig, aß ihn aber nicht. Ich steckte einen Teil der anderen Hälfte in den Mund; und nun hatte Fides ihren Anteil im Augenblick verschlungen. Dann drehte sie sich fröhlich im Kreis oder gab durch leichte Sprünge, denen man weder Anmut noch Gewandtheit absprechen konnte, ihre Freude zu erkennen. Endlich näherte sie sich sogar um ein paar Schritte und streckte mir beide Pfötchen zu, damit ich von Neuem Zwieback spendete.

Seitdem hatte ich jeden Nachmittag dasselbe Spiel mit ihr; ich kam mit vollen Taschen und ging mit leeren wieder zurück. Aber so oft ich ihr eine neue Kuchenart gab, hatte sie immer die nämlichen Bedenklichkeiten und aß nie davon, ehe ich es zuerst getan hatte.

Fast immer wartete sie schon auf mich, wenn ich in den Wald kam. Eines Tages lief sie mir entgegen, legte aber immer noch in ziemlich großer Entfernung, zwei schöne Kokosnüsse vor mich hin, und einen scharfen Kiesel daneben. Ich bewunderte ihren Instinkt, öffnete beide Nüsse, nahm eine davon und entfernte mich, damit sie sich nähern und die andere nehmen könnte.

Nun trank ich die Milch, aß etwas von dem Fleisch, sie ahmte mir genau nach; sah mich dann essend mit behaglicher Miene an und drückte ihre Freude durch eben den wohlklingenden Laut aus, den ich schon seither von ihr gehört hatte.

Nun kam ich auf den Einfall, am folgenden Tag ein Fläschchen des besten Caleavalloweins mitzunehmen, den ich von Lissabon mitgebracht hatte. Ich füllte ein kleines Glas, trank zum Schein selbst, setzte dann das Glas zu meinen Füßen nieder und zog mich um einige Schritte zurück. Fides näherte sich leise, nahm das Glas mit großer Gewandtheit, trank den Wein in mehreren Absätzen und sah mich in den Pausen fröhlich und verwundert an, wobei sie zugleich mit der Zunge über ihre kleinen Lippen strich. Als das Glas leer war, stellte sie es genau an demselben Platz, wo sie es weggenommen. Ich spülte es mit Regenwasser, das sich in einem hohlen Baum gesammelt hatte, füllte es noch einmal zur Hälfte mit dem nämlichen Wein, kostete ihn aber nicht. Fides war diesmal nicht lange zweifelhaft; der Geruch verriet ihr, es sei wieder das nämliche Getränk, und sie leerte das Glas noch langsamer und behaglicher als vorher. Dann ging sie, treulich nachahmend an den hohlen Baum, spülte das Glas und setzte es wieder an seinen Ort, vermutlich in der Hoffnung, ich werde es noch einmal füllen, was ich aber nicht tat.

Der Wein hatte sie dreister gemacht; sie kam mir nun so nahe, dass ich sie ohne Mühe hatte ergreifen können; aber ich wollte ihr Misstrauen nicht von Neuem wecken.

Doch gab ich ihr nach einigen Tagen ein kleines Glas Likör, den bekanntlich alle Affen lieben. Dieser verbannte allen Argwohn; sie aß, was ich ihr gab, ohne alle Untersuchung, und ging neben oder dicht hinter mir, indem sie wie ein Kind spielend mit den Füßen stampfte.

Endlich nahm ich im Scherz ihren Arm, und sie ließ sich ohne Bedenken eine weite Strecke von mir führen, genau gleichen Schritt mit mir haltend.

Als es Zeit war, die diesmal interessante kleine Dame zu verlassen, nahm ich meinen Hut ab und machte ihr eine tiefe Verbeugung. Anfangs schien sie etwas verlegen, hatte aber bald einen Ausweg gefunden. Sie pflückte mehrere Bananenblätter und fügte sie sehr geschickt zu einer Art von Kopfputz zusammen. Dies war in einem Augenblick geschehen. Dann setzte sie das Geflecht auf und erwiderte meine Verbeugung mit höchst komischem Ernst. Hierauf ging sie in den Wald und ich in die Stadt zurück, doch bemerkte ich, dass sie sich noch mehrmals nach mir umsah.

Von nun an war alles Misstrauen zwischen uns verbannt. Am nächsten Tag empfing sie mich mit einem viel kunstreicher gearbeiteten Blätterkopfputz geschmückt und trug in der Hand einen mit leichten Blättern verzierten Stab. Sie hatte mir einige sehr schöne Kokosnüsse gebracht, und ich gab ihr als Gegengeschenk ein wenig Zwieback und Wein; kurz wir waren die besten Freunde.

Am nächsten Tage kam ich zur gewohnten Stunde wieder. Ich fand Fides nicht auf dem gewöhnlichen Platz, auf dem sie mich immer empfing. Ich rief ihren Namen mehrere Male und setzte mich. sie zu erwarten.

Eine Stunde danach flog sie mit ihrer eigentümlichen Leichtigkeit auf mich zu, doch war sie diesmal erschöpft und außer Atem. Ich bot ihr ein wenig Wein und Zwieback; den Zwieback gab sie zurück, trank aber den Wein in einem Zug aus, dann ergriff sie meine Hand und wollte mich mit sich in die Tiefe des Waldes ziehen. Ich zögerte einen Augenblick, denn sie konnte mich leicht zu mehreren Geschöpfen ihrer Gattung bringen, und die Affenmännchen zeigen sich oft boshaft, feindselig und sogar eifersüchtig gegen Männer. Doch unterdrückte ich nach einigem Besinnen diese Regung unwillkürlicher Furcht und folgte lächelnd den Aufforderungen. In ihrem Benehmen war etwas ungewöhnlich Lebhaftes und Ungeduldiges, das ich nicht begriff. Wir gingen über eine Viertelmeile durchs Gebüsch. Oft hatte ich Mühe, mir den Weg zu bahnen.

Endlich erreichten wir eine Gruppe schön gewachsener Kokosbäume, und wirklich erstaunte ich im ersten Augenblick, als mir hier ein hübsches, mit Blätterwerk gedecktes, und fast ganz vollendetes Häuschen sichtbar wurde. Bald aber fiel mir ein, dass mehrere berühmte Reisende und Naturforscher von ähnlicher Geschicklichkeit der Affen erzählen. Meine kleine Fides war voller Freude; sie hüpfte umher, klatschte in die Hände und ließ mich wieder den hübschen Silberton hören, der offenbar ein höchst fröhliches Gefühl ausdrücken sollte. Doch bald wurde ihr Jubel gestört, denn ich konnte nicht in das Häuschen eintreten, ohne mich tief zu bücken. Sie hatte nach ihrer kleinen Gestalt, nicht aber nach der meinen das Maß der Tür genommen; nur bis dahin reichte, wie es schien, ihre Überlegung. Nun, da sie den Fehler einsah, ergriff sie der heftigste Zorn. Sie stürzte sich auf den Querbalken, der die Höhe des Eingangs bestimme, riss alles nieder, zog mich dann einige Schritte weit mit sich fort, belud mich mit mehreren Zweigen, die sie noch in Vorrat gesammelt hatte, nahm selbst so viele, wie sie tragen konnte, und gab mir ein Zeichen, ihr zu folgen. Ich gehorchte; und so wurde denn für diesmal der König der Schöpfung zum Handlanger eines Pangoweibchens.

Sie begann sogleich, den Eingang des Häuschens neu aufzubauen; ein einziger Blick lehrte sie, ihm das richtige Verhältnis meiner Größe zu geben. Ich half ihr so treulich, wie man nur helfen konnte. Bald war die Arbeit zustande gebracht. Im Inneren, nahe an der Tür, fand ich zwei lange Sitze von Moos, in Form unserer Betten, und in dem einen Winkel einen reichlichen Vorrat von Kokosnüssen. Das arme kleine Tier warf sich ganz erschöpft auf das eine Bett und lud mich ein, ihrem Beispiel zu folgen, indem sie mit der Hand auf das gegenüberstehende deutete.

Als ich mich einen Augenblick niederlegte, blickte sie mit höchst zufriedener Miene zu mir hinüber. Sie schien stolz darauf, dass ihre Arbeit mir gut tat. Bald stand ich auf, verließ das Häuschen, um Bananenblätter zu holen,  und breitete diese über die Betten, um mich selbst und meine kleine Begleiterin vor den Anhängen des Mooses zu schützen. Ihr Jubel stieg aufs Äußerste, als ich so ihre Arbeit verbesserte. Mehr als zwanzigmal sprang sie bald auf die eine, bald auf die andere Moosbank.

Nachdem sie sich auf diese Art belustigt hatte, kam ihr auch der Appetit wieder. Sie setzte sich auf ihr Bett, streckte beide Pfötchen gegen mich aus und schüttelte sie nach ihrer niedlichen Weise. Ich gab ihr Brot, harte Eier, die sie bisher noch nie bekommen hatte, und Zwieback. Sie aß mit Heißhunger; ohne Zweifel hatte sie die Nacht zu Hilfe nehmen müssen, um ihre Arbeit zu vollenden. Ich schenkte etwas Madera in zwei kleine Gläser und lehrte sie zum Zeitvertreib mit mir anstoßen, was ihr große Freude machte. Sie tat es nach wenigen Versuchen mit aller Gewandtheit, verschüttete nicht das Geringste und ergötzte sich sichtlich am Klang der Gläser.

Endlich erinnerte mich der Abend an die Heimkehr, aber nichts kann das Erstaunen und die Betrübnis der armen Fides schildern, als ich nun wirklich aufbrach.

Zuerst war sie wie vom Blitz getroffen, sie stand unbeweglich da und beugte sich dann einen Augenblick zu mir herüber, doch ohne den geringsten Versuch, mich zurückzuhalten. Aber als ich die Hütte verließ, stieß sie einen so kläglichen Schrei aus, dass ich nicht umhin konnte, zurückzukehren. Ich tat alles, ihr deutlich zu

machen, sie werde mich am nächsten Tag wiedersehen. Ob sie mich verstand, weiß ich nicht, doch sah ich wohl, sie hatte sich eingebildet, wir würden uns nun nicht mehr trennen. Deshalb hatte sie die Hütte gebaut, deshalb die Kokosnüsse eingesammelt, kurz, eine vollständig häusliche Einrichtung nach ihrer Weise gemacht.

Dies alles interessierte mich, ohne mich zu überraschen. Ich wusste, dass die Jockos und Pongos sich Hütten bauen, dass sie familienweise oder auch in größeren Vereinen zusammenleben, dass sie sogar den Gebrauch des Feuers kennen und es sehr gut anzünden lernen; aber, seltsam genug, in der Wildheit nicht zu unterhalten wissen.

Am anderen Tage kam ich früher als gewöhnlich. Ich hatte Mühe, das Hüttchen wiederzufinden. Meine kleine Fides lag auf ihrer Moosbank, fuhr bei meinem Anblick freudig zusammen und ließ sogleich ihren gewöhnlichen Silberlaut hören. Ich hatte eine Säge, einen Hammer, Nägel, ein mit Haken geschlossenes Kästchen voll kleinerer Geräte, zwei Tassen, zwei Gläser, eine Kaffeekanne und Feuerzeug mitgebracht. Alle diese Schätze legte ich in Fides Hände, und die höchste Freude strahlte aus ihren Augen. Mein eigentlicher Zweck indessen war, den Instinkt und die Perfektibilität des kleinen Tieres auf die Probe zu stellen und zugleich die Bestätigung der vielen seltsamen Tatsache zu suchen, die ich so häufig in Reisebeschreibungen und naturhistorischen Schriften angeführt gefunden hatte.

Jeden Tag brachte ich irgendein neues Gerät für Fides niedliches Hüttchen mit: einen Krug zum Wasserschöpfen, einen kleinen Tisch, eine kleine Kommode. Dies Letzte trug ich stückweise herbei, um niemanden in mein Geheimnis zu ziehen, und setzte dann die einzelnen Teile so gut zusammen, wie ich konnte.

Eines Nachmittags, als ich Feuer anlegen wollte, unternahm ich es, Fides mit Stahl und Stein Funken anschlagen zu lehren, musste aber viel bei ihrer Ungeschicklichkeit lachen. Sie schlug sich auf die Finger und erschrak vor den Funken, die sie endlich hervorbrachte. Ich nahm ihr das Feuerzeug aus der Hand und brachte mit einem Schlag den Schwamm in Brand. Dann nahm ich ein Schwefelholz und zündete einen Wachsstock an. Fides war wie betäubt. Sie sah diese neuen Erscheinungen halb mit Bewunderung, halb mit Furcht an. Der ohnehin schon so lebhafte Ausdruck ihres kleinen Gesichts wurde dadurch noch erhöht.

In einiger Entfernung von der Hütte richtete ich einen geschützten Platz als Feuerherd ein. Dies schien Fides nicht zu überraschen; sie hatte vermutlich ähnliche Feuerstellen gesehen. Nun versah ich auch den Herd mit einer Zange und Schaufel und lehrte Fides beide gebrauchen. Mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit begriff sie, was ich ihr zeigte, und ahmte, was ich tat, aufs Genauste nach; doch ist es wahr, dass ich mich gern dazu verstand, meinen Unterricht mehrmals zu wiederholen.

Bald konnte ich sie auch hinschicken, Wasser zu schöpfen. Sie füllte den Krug, hob ihn auf ihr Köpfchen und trug ihn so nach Hause zurück. Ich lehrte sie Kaffee kochen und Tee bereiten. Es gelang ihr, mich in beiden Punkten zufrieden zu stellen. Doch sorgte sie zugleich für sich selbst, denn sowohl der Tee als auch der Kaffee schmeckte ihr trefflich, besonders, wenn er recht süß war. Sie rührte ihn mit einem kleinen hölzernen Löffel, den ich ihr mitgebracht hatte, auf so drollige Weise um, dass ich lachen musste. Sie brachte es auch dahin, frische Eier weich oder hart kochen zu lernen und mit einem kleinen Messer Brotschnitte zu schneiden, nur beim Kaffee oder Tee hatte ich Mühe, sie das gehörige Maß treffen zu lehren; sie machte ihn immer noch mitunter zu stark oder zu schwach.

Unter anderen Künsten hatte sie auch noch gelernt, einen Tisch vor ihr Häuschen zu stellen, ihn mit großen Bananenblättern zu decken, zwei leichte Stühle einander gegenüber an den Tisch zu rücken, ihre kleine Vase mit frischen Blättern und Blumen zu verzieren, ihren Teller dem meinen gerade gegenüberzustellen, sogar Früchte und Kuchen, die ich ihr aus der Stadt brachte, nicht ohne Sinn für Symmetrie auf kleinen Schüsseln von gefirnisstem Holz zu ordnen. Sie schnitt Brotscheiben und bereitete Butterbrot mit einer Zierlichkeit und Gewandtheit, in der kaum eine Dame von Lissabon oder London sie hätte übertreffen können. Fast täglich aßen wir gemeinschaftlich unser Vesperbrot, an dem kleinen Tisch vor dem Häuschen einander gegenüber sitzend.

Sie bediente mich mit einer Sorgfalt, einer Aufmerksamkeit und einem Eifer, die nie nachließen. Immer legte sie auf meinen Teller, was ihr das Beste schien, nämlich die größte Frucht und das breiteste Stück Kuchen. Für sich behielt sie an Obst fast immer nur das kleine, das in ihren Augen geringeren Wert hatte.

Durch wiederholten Unterricht lernte sie auch mit dem Korkzieher sehr geschickt eine Flasche öffnen, die Gläser sorgfältig spülen und Wasser zu ihrem Wein mischen.

Sie wusste sehr gut, dass Likör in geringerem Maß oder in kleineren Gläsern gegeben werden muss, als Wein; kurz, sie nahm sich als Wirtin bei ihren kleinen Mahlen mit einer Eleganz, die jeden Beobachter hätte in Erstaunen setzen müssen.

Oft unterhielt ich mich damit, sie in wohlfeile Shawls von lebhaften Farben zu kleiden, die sie nachher in ihrer kleinen Kommode aufbewahrte. Ich las gewöhnlich, während das Obst oder die Eier, die sie mir auftrug, verzehrt wurden; und da sie es nötig fand, mir in allem nachzuahmen, nahm sie ebenfalls ein Buch, hielt es aber nicht selten verkehrt, was ihr indessen sehr gleichgültig war. Schlug ich ein Blatt um, so tat sie es auch, legte das Zeichen ein, wenn ich meins einlegte, räumte dann beim ersten Wink alles vom Tisch, wusch die Tassen und Teller mit großer Sorgfalt und ordnete jedes Gerät besonders auf einem kleinen Gestell, ohne je etwas zu zerbrechen oder an den unrechten Ort zu bringen.

Diese so unbedeutenden und doch zugleich unterhaltenden Tändeleien wiederholten sich täglich, ohne mich je zu ermüden. Sobald meine Geschäfte in der Stadt beendet waren, suchte ich Fides Hütte auf. Ich las oder schrieb dort, als wäre ich allein gewesen, und fast immer fand ich den Tisch zu meiner Bewirtung schon geordnet.

Fides berührte von allen Vorräten, die ich in der Hütte zurückließ, nicht das Geringste, ehe ich es vor ihr hingelegt und ihr auf diese Weise geschenkt hatte. Sie wusste sehr wohl zu unterscheiden, was ihr allein gehörte, und was wir gemeinschaftlich hatten. Manche Kleinigkeiten besaß sie als Eigentum, z. B. Ringe von Glassteinen, kleine Kästchen, die Shawls, mit denen ich sie schmückte, wenn ich bei ihr war, farbige Tücher, die ich ihr auf kreolische Weise um den Kopf wand und Ohrgehänge in zierlicher Form. Diese trug sie gern, doch machte sie viele Umstände und schrie kläglich, als die Ohrlöcher eingestochen wurden.

Sobald ich sie verließ, kleidete sie sich aus und legte, wie es schien, ihren Schmuck erst um die Zeit wieder an, wo sie meine Ankunft erwartete oder vielmehr vorempfand; wenigstens fand ich sie immer ohne denselben, wenn ich unerwartet zu einer anderen Stunde kam. Ich hatte ihr eine der hölzernen Wanduhren mitgebracht, die unter dem Namen Kuckucksuhren aus dem Schwarzwald kommen, in der Hoffnung, sie die Stunden zählen und unterscheiden zu lernen, allein dies gelang mir nie.

Nach dem Tee oder Vesperbrot wandelte mich zuweilen eine poetische Stimmung an. Ich schrieb sogleich die Verse nieder, die mir eben einfielen. Fides ahmte mir in allem treulich nach, nahm die Federn in Besitz, die ich weggelegt hatte, und bekritzelte mit ernst nachdenkender Miene die kleinen Papierstückchen, die ich ihr überließ. Dergleichen hätte mich stören können, aber das Originelle, völlig von Menschen Abgesonderte meines Aufenthalts in dieser Hütte regte meine Fantasie so sehr an, dass meine besten Verse im Wald vor Fides Wohnung entstanden sind.

Eines Nachmittags fand ich Fides nicht am Eingang des Waldes. Ich näherte mich der Hütte, hörte Winseln, Ächzen, und dann plötzlich völliges Schweigen. Besorgt trat ich ein und sah nun die arme Fides auf ihrem Lager ausgestreckt. Ihr kleiner Körper war an mehreren Stellen zerfleischt und mit Dornen übersäet, ja es schienen sogar Steinstückchen in die Wunden eingedrungen zu sein.

»Fides«, rief ich laut und richtete sie zugleich vom Lager empor. Einen Augenblick glaubte ich sie tot, aber sie war nur ohnmächtig. Ich ließ sie Naphta einatmen und nachher einige Tropfen davon verschlucken. Als sie sich erholt hatte, glaubte ich aus ihren Gebärden zu verstehen, sie sei entweder vom Gipfel eines sehr hohen Baumes herabgefallen oder habe sich so nahe an den Rand eines Abgrunds gewagt, und dann, in die Tiefe stürzend, verletzt. Zum Lohn ihrer eignen Fürsorge war noch etwas Feuer an den Herd. Ich wärmte schnell einige Gläser Wein und wusch die Wunden der armen Kleinen. Sie schlug ihre schönen Gazellenaugen auf und sah mich liebkosend an. Ich stampfte Kräuter zwischen zwei Kiesel, machte eine Art kleiner Polster daraus und wollte sie auf die Wunden legen, doch zu meinem Erstaunen waren diese schon wenigstens zum Teil mit heilenden Kräutern angefüllt, die Fides selbst durch Kauen zerstampft hatte. Die Dornen aber und Steinstückchen hatte sie nicht herausgezogen, wahrscheinlich wegen der Schmerzen, die sie bei dem Versuch empfand. Ich tat dieß nun so sorgfältig und schonend, wie es geschehen konnte, und drückte die Polster mit Binden, wozu Fides Tücher den Stoff liefern mussten, fest auf die Wunden. Dann legte ich frische Bananenblätter auf ihr kleines Bett, weil die alten mit Blut bedeckt waren, und hielt mich dann ruhig neben meiner kleinen Kranken, die in so sanften und doch so klagenden Tönen ihren Schmerz ausdrückte, dass mir unwillkürlich die Augen feucht wurden.

Ich hätte viel darum gegeben, sie die Nacht über nicht verlassen zu dürfen, doch fürchtete ich meine Leute zu ängstigen. Auch hätte meine Gegenwart in der Stadt nötig sein können. Die arme Kleine hatte heftiges Fieber. Ich fühlte mehrmals ihren Puls, und sie reichte mir ihren Arm mit kindlicher Anmut. Endlich, als wir uns trennen mussten, rückte ich einen unserer Feldstühle an ihr Lager, stellte mehrere Gläser Wasser mit etwas Wein gefärbt daneben, bereitete ihr leicht versüßtes Brotwasser und deutete durch Zeichen an, sie möge von beiden abwechselnd trinken. Auch versorgte ich sie noch mit Kopfkissen von Moos, mit Bananenblättern bedeckt.

Sie hielt meine Hand und zog sie zu sich, als wolle sie mir sagen, ich möge sie nicht verlassen; dann leckte sie mir die Spitze der Finger mit ihrer kleinen rosenroten, aber nun brennend heißen Zunge. Als ich die Hütte verließ, seufzte sie tief. Dennoch ging ich, war aber am anderen Morgen mit Tagesanbruch wieder bei ihr.

Ich fand sie ohne Fieber, aber so schwach, dass sie nicht von ihrem Ruhebett aufstehen konnte. Sie hatte sehr wohl begriffen, was ich beim Abschied andeutete. In den Gefäßen vor ihrem Bett war kein Tropfen Getränk mehr, und vielleicht mochte es noch kaum ausgereicht haben, ihren brennenden Fieberdurst zu stillen.

Nun schien sie durch mancherlei Zeichen mit mir sprechen zu wollen, doch ich verstand sie nicht. Erst nach einigen Tagen wurde mir deutlich, was sie gemeint hatte. Sie zeigte mir ihre Wunden, stieß einen schmerzlichen Schrei aus und wandte dann den Blick auf die kleine Kommode, die ich ihr gleich beim Einrichten der Hütte schenkte.

Ich wagte noch nicht den Verband abzunehmen, denn der Schmerz, den dies ihr verursachen musste, konnte sie leicht mehr erschöpfen. So erhielt sie denn für nun nur ein wenig Zwieback, in Wein und Wasser getaucht, zur Erquickung. Sie küsste meine Finger, wodurch sie gewöhnlich ihren Dank oder ihre Zufriedenheit ausdrückte. Nun füllte ich ihre Trinkgläser mit Zuckerwasser, zu dem ich einige Tropfen gereinigten Weingeist mischte. Dann verließ ich sie, kam aber am Nachmittag wieder. Sie schlief und ich störte ihre Ruhe nicht, doch war sie sichtlich bewegt, als sie mich beim Erwachen erblickte.

Da seit dem ersten Verband vierundzwanzig Stunden verflossen waren, glaubte ich, nun ihre Wunden untersuchen zu dürfen. Ich wärmte Wasser und feuchtete die Kräuterumschläge an. Zum Glück hatte sie am Kopf nur leichte Beulen; der übrige Körper aber war furchtbar zerfleischt; indessen schien kein Glied gebrochen zu sein.

Ich hatte Charpie mitgebracht und verband die Wunden von Neuem. Das Fieber hatte völlig nachgelassen, und ich konnte nun allmählich mit den Nahrungsmitteln steigen. Fleisch hatte sie nie bekommen; ich wollte sie nicht daran gewöhnen. Nun gab ich ihr gekochtes Obst statt des rohen, Kuchen und dergleichen, aber, um die Heilung der Wunden zu befördern, von allem sehr wenig. Sie verging fast vor Hunger; aber sobald ich ihr durch Zeichen gebot, nicht mehr zu essen, rührte sie keine Speisen weiter an. Auch hatte ich schon in früherer Zeit, als sie gesund war, oft mancherlei Nahrungsmittel in der Hütte zurückgelassen und sie am nächsten Tag unberührt wiedergefunden. Fides nahm nichts ohne meine Erlaubnis oder gar gegen meinen Willen.

Allmählich schien sie sich zu erholen und konnte nach einigen Tagen wieder aufrecht sitzen, doch war ihre Schwäche noch so groß, dass sie bei dem Versuch aufzustehen, auf ihr Kissen zurückfiel. Ich setzte mich neben sie und sie lehnte von Zeit zu Zeit ihr Köpfchen auf meine Schulter, während ich las. Auch schüttelte sie oft ihr Pfötchen, weil sie nun fast immer Hunger hatte, was aber nur zuweilen beachtet wurde. Am anderen Tag kam ich auf den Einfall, meine Gitarre mitzubringen, und war sehr neugierig, die Wirkung der Musik auf Fides zu beobachten. (Im Allgemeinen zeigen die Affen viele Empfänglichkeit für melodische Klänge. Dem berühmten Gassendi nach, sind die großen Affen von Guinia, Bartes genannt, sogar fähig, Musik zu lernen, und behandeln die Flöte, Gitarre und andere Instrumente nicht ohne Geschicklichkeit. Auch erzählt ein ins Journal de Paris im September 1808 eingerückter Brief aus Gent, dass ein nach Iberica verbannter russischer Graf, dessen einzige Gefährten ein Hund und ein Affe waren, sich damit beschäftigt, diese beiden Tiere zu unterrichten. Der Affe lernte die Flöte blasen.) Anfangs fürchtete sie sich, besonders als von ihrer eignen Berührung die Saiten erklangen. Sie zog schnell die Hand zurück, blickte neugierig erst hinter, dann in die Gitarre und heftete zuletzt wie gewöhnlich, ihre hellen, fragenden Augen auf mich.

Ich nahm ihr das Instrument aus den Händen und begleitete mich, indem ich ein venezianisches Volkslied sang.

Es ist unmöglich, Fides Freude und Überraschung zu schildern; alle ihre Sinne schienen in den einen Sinn des Gehörs aufgelöst; sie atmete kaum. Endlich kniete sie nieder, schlug ihr Pfötchen kreuzweise übereinander und erhob sie zu mir, als bitte sie flehentlich, ich möge fortfahren. Ich tat es, und als nachher zum zweiten Mal die Klänge schwiegen, horchte sie immer noch hin.

Plötzlich schien sie wie aus einem Traum zu erwachen. Sie stand schnell auf, schlug sich vor die Stirn, eilte an ihre kleine Kommode und öffnete die Schublade, auf die sie schon vor einigen Tagen mit mir unerklärlichen Zeichen gedeutet. Nun erinnerte ihre Dankbarkeit sie von Neuem an das, was sie damals zu verstehen geben wollte. Zu meinem unaussprechlichen Erstaunen brachte sie mir mehrere Muschelarten von verschiedenen Farben und neunundzwanzig oder dreißig der größten Diamanten, die ich je gesehen hatte; von der Art, wie man sie am Fuß oder in den Klüften des Orixagebirges findet. (Um dies zu erklären, muss erinnert werden, dass die Diamanten sich nicht bloß in den Bergwerken von Roalkonda, Coulour, usw.. finden, sondern auch hier und da auf der Oberfläche der Erde. Gewöhnlich, sagt Fourroi, sind die Diamanten unter Granitfelsen zwischen Lagen von Ockererde verborgen und fast immer mit einer Erdkruste umhüllt, doch lösen sich zuweilen einzelne von der größeren Masse ab. Diese findet man dann, besonders im Wasser, auch wohl glänzend am Ufer eines Flusses oder zwischen Felsspalten. Dort hatte wahrscheinlich auch Fides die ihren erbeutet.)

Hier trug der begehrliche Europäer über den einfach wohlwollenden Menschen den Sieg davon und zeigte sich in seiner ganzen niedrigen Habsucht. Ich schloss Fides in meine Arme, drückte sie mit Entzücken an meine Brust und näherte nacheinander die Diamanten meinen Lippen, um ihr deutlich zu machen, wie sehr ihr Geschenk mich freue. Auch streckte ich, ihre eigenen Gebärden nachahmend, die Hände gegen sie aus und schüttelte sie; dann machte ich eine Bewegung gegen die Tür, wobei ich ihren Arm fasste. Sie sah mich erstaunt und betroffen an; ich wiederholte dieselbe bittende, halb herrische Gebärde. Nun schlug sie die Augen nieder, ließ ihr Köpfchen auf die Brust herabsinken, zeigte mir ihre Wunden, setze sich auf die Erde, und stützte schluchzend ihre Stirn auf den Rand ihres Kopfkissens.

Ich hob sie auf, gab ihr einige ihrer liebsten Leckerbissen und ein wenig stärkenden Wein, bedeutete ihr, sich auf ihr Bett zu setzen, und begann, wiewohl sehr zerstreut, von Neuem zur Gitarre zu singen. Dies wirkte ganz wie das erste Mal auf das kleine Geschöpf; es vergaß alles Leid, und war nur Freude und Erstaunen.

Mir aber war es, als büße ich, indem ich Fides erheiterte, wenigstens zum Teil die Regungen jener elenden Begierde nach Reichtum ab, die ich nicht hatte unterdrücken können.

In weniger als vierzehn Tagen war die kleine Kranke völlig geheilt. Wir begannen von Neuem unsere Abendschmäuse, unesre Spaziergänge, und bald hätte ich gesagt, unsere Lesestunden; denn so wie ich ein Buch nahm, lief sie geschwind, auch das ihre zu holen, und ahmte jede Bewegung, die ich machte, mit höchster Treue nach. War unsere Mahlzeit verzehrt und hörte ich auf zu lesen, so blickte sie mit schüchterner Miene zu mir empor, holte dann auf das kleinste Zeichen meine Gitarre und reichte sie mir ebenso zierlich wie behutsam. Ich spielte und sang ein paar Lieder, und ihr Entzücken blieb immer dasselbe. Sobald ich aufhörte, kam sie zu mir, kniete nieder und leckte die Spitzen meiner Finger, räumte hierauf den Tisch ab und ordnete alles Gerät mit ihrer gewöhnlichen Reinlichkeit und Gewandtheit.

Leider erging es mir wie gar manchen Büßenden; das erkannte und bereute Unrecht wurde dennoch nicht für die Zukunft mit Nachdruck bekämpft oder gemieden.

Ehrgeiz und Habsucht regten sich von Neuem in meiner Brust. Ich zeigte der armen Fides wiederholt die Diamanten, die sie mir mitgebracht hatte, küsste sie in ihrer Gegenwart, hing sie an meine Kleider und verbarg sie endlich mit stark aufgetragener Sorgfalt in meiner Tasche, um durch diese Andeutungen zu erlangen, was ich so sehnlich wünschte. Auch schien Fides mich sehr gut zu verstehen, denn sie ließ sogleich ihr Köpfchen hängen und nahm eine bestürzte Miene an.

Endlich fand ich sie eines Nachmittags nicht in der Hütte, obwohl ich etwas später als gewöhnlich kam; auch draußen war nichts geordnet. Fast immer fand ich sonst den Tisch gedeckt, das Feuer brannte hell auf dem Herd und unsere zwei Feldstühle standen am gewohnten Platz. Dass diesmal alles vernachlässigt war, fiel mir auf. Ich wartete an der Grenze des Waldes und blickte mit nicht ganz ruhigem Gewissen bald nach der rechten, bald nach der linken Seite umher. Nach einer halben Stunde sah ich Fides herbeieilen. Sie war fast atemlos und stürzte vor Mattigkeit erschöpft zu meinen Füßen nieder. Im rechten Arm trug sie ein schweres, mit Bananenblättern bedecktes Päckchen. Ich ergriff es, aber sie hielt es so fest, dass ich Mühe hatte, es wegzuziehen. Die Erschütterung brachte sie zum Bewusstsein zurück. Sie warf sich auf das Päckchen und löste die Blätter ab. Fast wäre nun die Reihe, das Bewusstsein zu verlieren, an mich gekommen; wenigstens empfing ich mit einem Erstaunen, das an Betäubung grenzte, aus Fides zitternder Hand dreimal so viele Diamanten als das erste Mal, mit mehreren glänzenden Muscheln, die das arme, kleine Geschöpf allem anderen vorzuziehen schien. Es hatte sich sichtlich zu sehr angestrengt; ob durch das schnelle Laufen oder auf andere Weise, wurde mir nicht klar. Mit Mühe beherrschte ich meine innere Bewegung. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft drangen vereint auf mein Herz ein. O könnte jeder, der dies liest, ins innerste Leben meines Gemüts blicken! Er würde erkennen, dass wenigstens in diesem Augenblick keine andere Stimme mächtiger in mir war als der begehrende Ruf europäischer Habsucht.  Doch ich schweige; es würde mich weit über die Grenzen der einfachen Schilderung dieser für meine Zukunft wichtigen Ereignisse hinausführen, wenn ich alle Gefühle entwickeln sollte, die damals meine Brust durchbebten.

Matt, doch forschend blickte die arme Fides mich an. Als sie in meinen Augen die lebhafteste Freude, ja den Jubelrausch der frohsten Überraschung las, dachte sie nun endlich auch an sich, schüttelte ihre kleinen Pfötchen und forderte zu essen. Ich gab ihr Kuchen, eingemachtes Obst und Wein mit Zucker. Sie aß und trank mit Begierde. Verwundet war sie diesmal nicht, aber als ich ihren Körper genauer untersuchte, fand ich mehrere Quetschungen und Beulen. Ich wusch sie wieder mit Wein, und nun versank sie, auf ihrem niedrigem Stuhl neben mir sitzend und sich an meine Schulter lehnend, in einen festen, aber nicht ruhigen Schlaf. Im Gegenteil, ihr Atem war kurz und ängstlich, zuweilen wimmerte sie leise.

In Nachdenken vertieft, saß ich still und traurig da; eine Träne stahl sich sogar aus meinen Augen und benetzte Fides Stirn. Gerade an dem Tag hatte ich Briefe aus Lissabon erhalten, die meine baldige Rückberufung wahrscheinlich machten. Schmerzliche Erinnerungen erwarteten mich in meinem Vaterland. Und ich gestehe es, auch die Frage beunruhigte mich, was dann mit dem armen kleinen Geschöpf zu beginnen sei, das mir so rührende Beweise seiner Anhänglichkeit gab. Ich hatte beinahe vergessen, dass Fides der menschlichen Gattung nur verwandt war. Sie dünkte mich fast wie eine junge Wilde, der ich mich zwar durch Gebärde und Zeichen, aber nicht durch Worte verständlich machen konnte.

Wie oft hatte ich bedauert, dass meiner kleinen Waldgefährtin das Geschenk der Sprache versagt war!  (Es ist dem Affen physisch unmöglich, artikulierte Töne hervorzubringen, sagt G. B. Cüvier. Ein Beutel innerhalb des Mundes, der mit der Kehle zusammenhängt und sein Organ der Beugungen völlig unfähig macht, hindert ihn daran. Dies die Meinung des Naturforschers; aber auch die Neger erklären die Stummheit der Affen auf ihre Weise. »Der Affe, sagen sie, will nicht sprechen, aus Furcht, man möge ihn für einen von uns ansehen, und ihn auch zwingen, zu arbeiten.«)

Der vielsagende Ausdruck ihrer Blicke und ein in mancherlei Tönen wechselnder Schrei war alles, wodurch sie sich verständlich machen konnte. Mehrmals hatte ich den häutigen Beutel untersucht und mit der Hand gedrückt, der im Inneren ihrer Backen zu beiden Seiten eine Art Tasche bildete. Dann versuchte ich, sie ihren Namen aussprechen zu lehren. Sie begriff meine Absicht sehr bald und gab sich unglaubliche Mühe. Umsonst! Sie konnte nur das zweimal wiederholte O hervorbringen, und so auch die beiden Vokale in meinem Namen. Doch ich kehre zur Erzählung zurück.

Als Fides erwachte, blieb sie noch einige Augenblicke wie erstarrt und schien heftige Schmerzen in allen Gliedern zu haben. Endlich richtete sie sich auf, ging langsam, meine Gitarre zu holen, und sah dabei so rührend wehmütig zu mir hin, als errate sie meine Gedanken, und wisse, wie vielen Anteil sie an meiner Schwermut habe. Noch ernster als vorher fragte ich mich, was zu tun sei. Fides zu verlassen, war eine Grausamkeit, deren ich mich unfähig fühlte; sie mitzunehmen, schien unstreitig der bessere Weg; aber auch hier fand ich manche Schwierigkeit. Kam ich in Europa an, so konnte ich in langer Zeit nicht daran denken, mich mit ihr zu beschäftigen, und mochte ich sie nun in meiner städtischen Wohnung behalten oder sie aufs Land schicken – in beiden Fällen wurde sie unvermeidlich vernachlässigt, vielleicht sogar den Bedienten zum Spiel und Spott. Kurz, ich sah für sie nur Unglück und schlimme Tage voraus; und doch, wer als sie hatte mir die Quelle des Überflusses geöffnet, dessen ich nun zu genießen dachte.

Meine Unruhe über das künftige Schicksal der armen Fides stieg mit jedem Tag. Ich sah sie mit wirklicher Wehmut an und sang jetzt immer nur traurige Lieder.

Überhaupt – mochte es nun Scheu sein vor dem, was mich im Vaterland erwartete, oder Erinnerung an den Schmerz, der mich einst bewog, es zu verlassen und auf einer anderen Halbkugel Trost zu suchen – genug, meine Stimmung war in dieser Zeit so unveränderlich düster, dass sie allen meinen Bekannten auffiel.

Doch zu meiner Schande muss ich es gestehen, wandte ich jedes Mittel an, um Fides begreiflich zu machen und sie, da sie mich gar wohl verstand, zu nötigen, mir den Ort zu zeigen, wo sie jene Schätze für mich gesammelt hatte.

Es wollte mir lange nicht gelingen und ich war hart genug, endlich Unmut, sogar Drohungen an die Stelle der frühem Freundlichkeit treten zu lassen. O Europa!

Dein kalter giftiger Hauch erstickt die edelsten Gefühle des Herzens. Der Schaum deiner Unreinheit ist es, der auf den Wogen des Lebens überall oben schwimmt.

Am 18. Dezember 18… hatte ich wieder sehr in Fides gedrungen, mir den Weg zu jener Gegend zu zeigen, wo sie die kostbaren Steine gesammelt hatte. Als ich bei ihrer wiederholten Weigerung sie böse von mir stieß und so verlassen wollte, da seufzte sie tief auf, hing ihren Beutel um und bedeutete mir, ihr zu folgen. Traurig und ohne wie sonst meine Liebkosungen zu erwidern, mit denen ich ihre Folgsamkeit vergelten wollte, schritt sie vor mir her. Sie führte mich etwa eine halbe Stunde weit an das felsige Ufer,und deutete mir an einem schroffen Felsenabhang an, dass ich sie hier erwarten solle. Mit der ihr eigenen Gewandtheit begann sie nun, die für Menschen ganz unerklimmbare steile Felsenwand hinaufzuklettern, übersprang ein paar fürchterliche Abgründe und zwängte sich endlich mir größter Anstrengung in eine enge Felsenspalte hinein. Mit Furcht und Schaudern sah ich ihr zu und hätte meine Fides nun gern zurückgerufen, wenn es nicht schon zu spät gewesen. Nachdem ich eine Zeit lang mit steigender Angst gewartet hatte, sah ich, wie sie sich wieder mühsam herauswand, ihre Kräfte hatten so abgenommen, dass sie sich kaum aufrecht erhalten konnte. Mit der aufrichtigsten Reue, mit ängstlichem Zittern bemerke ich, wie sie beim Herabsteigen immer mehr und mehr unsicher wurde. Ich stürzte der Felswand näher und versuchte hinaufzuklimmen, mich der armen Fides, helfend zu nähern. Nun hatte sie alle Kraft verlassen, vergebens versuchte sie sich mit Armen und Füßen anzuklammern, ich hörte einen leisen Schrei, der mir durch die Seele schnitt. Zerschmettert von den Felskanten zuckend und blutig lag Fides zu meinen Füßen, über die Schulter gehängt der Beutel, angefüllt mit Schätzen, die ich nun tausendmal verfluchte.

Ich trug meine mit dem Tode ringende Fides in unsere Hütte und legte sie auf ihr Bett. Ich wusch ihre Wunden; mich schauderte bei deren näherem Anblick.

Dann stampfte ich Kräuter wie das erste Mahl und bereitete daraus eine Art Charpie, mit der ich die Wunden fest verband. Es gelang mir, das Blut zu stillen; auch erhielt Fides durch Benetzen des Gesichts mit geistigen Wassern den Gebrauch ihrer Sinne wieder, war aber so schwach, dass ihre sonst graue Farbe jetzt ins Weißliche fiel, was sie noch menschenähnlicher machte. Sie hatte fast das Ansehen eines vierzehnjährigen Mädchens. Matt schlug sie die Augen auf, schloss sie aber sogleich wieder und wimmerte leise. Meine Tränen flossen auf ihr Lager herab. Ich fühlte ihren Puls und erkannte an den bald beschleunigten, bald intermittierenden Schlägen, dass ihr ein heftiges Fieber bevorstehe. Ohne eines Wortes mächtig zu sein, fast ohne einen mir verständlichen Laut äußern zu können, sprach die arme Leidende durch ihre Blicke so herzzerreißend, dass ich davon wie zu Boden geschmettert war. Sie litt unerhörte Schmerzen, aber ihre vom Fieber leuchtenden Augen folgten mir in jeder Bewegung und drückten die höchste Angst aus, wenn ich mich nur einen Augenblick von ihrem Lager entfernte.

Wie hatte ich sie verlassen können? Gar wohl indessen und nicht ohne Unruhe gedachte ich des Schreckens, der Bekümmernis meiner Leute und aller meiner näheren Bekannten, wenn ich, statt zur gewohnten Stunde heimzukehren, die Nacht im Walde zubrachte. Doch dachte ich nicht einen Augenblick daran, meine arme sterbende Fides zu verlassen.

Ich hatte mich nur ein paar Schritte vom Lager entfernt. Fides leiser, schmerzlicher Schrei rief mich zu ihr zurück. Ich gab ihr einige beruhigende Tropfen, in der Hoffnung, die Qualen, mit denen sie rang, zu lindern.

Einen Augenblick glaubte ich sie gerettet. Die Zuckungen hörten auf, sie schien mit geringerer Anstrengung zu atmen, das Fieber sank wie durch die Kraft eines wohltätigen Zaubertranks.

»Fides! Fides!«, rief ich.

Sie wandte ihr fein geformtes Köpfchen zu mir, sah mich sanft und liebkosend an, machte eine Bewegung, als wolle sie sich aufrichten, streckte die Arme nach mir aus, sank auf ihr Lager zurück und hauchte den letzten Seufzer aus.

Drei Tage später kehrte ich nach Europa zurück. Nie bin ich von einem menschlichen Wesen so geliebt worden, und nie mehr habe ich ein menschliches Wesen so geliebt, wie meine Fides, die für mich starb.

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