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Gold Band 3 – Kapitel 8.1

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 3
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 8.1

Die Jury

Am nächsten Morgen lag ein dichter Nebel auf der Flat, der das ganze Tal in seine undurchdringlichen Schleier hüllte, und eben nicht dazu beitrug, die vom vergangenen Tag aufgeregten Gemüter zu beruhigen. Dumpfe Gerüchte durchliefen das Lager, dass sich die Indianer und Mexikaner wieder in den Bergen gesammelt hätten, um einen gemeinsamen Angriff auf die Stadt zu machen, und dabei den Engländer, den man sonderbarer Weise mit diesen in Verbindung brachte, zu befreien. Keiner der Amerikaner ging auch an seine Arbeit. Mit ihren Büchsen auf der Schulter schritten die Männer im Lager umher oder standen in einzelnen finsteren Gruppen beisammen, die vielleicht nötigen Maßregeln zu besprechen.

Durch den Nebel dabei verhindert, da man kaum zehn Schritte weit vor sich sehen konnte, ließ sich nicht ermitteln, in wie weit die Berichte wahr oder übertrieben seien. Ein paar, in den Bergen abgefeuerte Schüsse dienten nur dazu, die Leute noch unruhiger zu stimmen. Man hielt diese nämlich für den Amerikanern feindliche, abgestimmte Signale.

Ein paar der Kecksten gingen allerdings auf Kundschaft aus, selbst Hetson hatte allein und nur mit Büchse und Revolver bewaffnet, eine Runde um die ganze Flat gemacht. Dass er aber dort nichts gefunden hatte, konnte die Übrigen nicht überzeugen. Sie verlangten nun von dem Alkalden das Zusammenberufen der Jury, über den Gefangenen abzuurteilen.

Die Stimmung gegen diesen war überhaupt eine feindliche unter fast allen Amerikanern, denn selbst die Ruhigsten unter diesen konnten oder wollten sich nicht von dem Gedanken trennen, dass ihnen England seine Verbrecher herüberschicke. Es war deshalb nötig, jenen zu zeigen, was sie hier zu erwarten hätten.

Hale versuchte ihnen dabei umsonst begreiflich zu machen, dass ihnen hier im Ort keineswegs ein Urteil über Leben und Tod irgendeines Menschen zustände, und wenn sie den Verbrecher auf frischer Tat ertappt hätten. Die Leute waren jedoch nicht in der Stimmung, das einzusehen oder wenn sie es einsahen, sich dem zu fügen. Der Sheriff teilte nun dem Alkalden seine Besorgnis mit, dass die Burschen, im Fall die Jury wirklich ihr schuldig über ihn spräche, wahrscheinlich einen dummen Streich machen würden.

Unter diesen Umständen hielt es Hetson für besser, ihn gleich ohne Weiteres unter sicherer Bedeckung nach golden bottom an die Distrikts-Court zu schicken. Aber schon die Andeutung dieser Absicht brachte die Leute, die sich dadurch ihr Opfer entzogen glaubten, außer sich. Sie erklärten dem Alkalden rund heraus: Der Engländer habe einen von ihnen hier ermordet, und hier solle er auch deshalb dafür büßen. Und wenn sich die Distrikts-Court in golden bottom darüber auf den Kopf stellte. Wolle er ihn hier keiner Jury zum Urteil überlassen, gut, so würden sie ihn fortführen, aber nur bis zum nächsten Baum und dort selber Gericht über ihn halten. Das sei auch eigentlich, die Sache bei Tag besehen, das Allerbeste und Kürzeste.

Hetson versuchte seiner Frau die gereizte Stimmung der Leute hinsichtlich des Gefangenen allerdings zu verbergen, aber die dünne Zeltleinwand konnte die außen geführten zornigen Reden nicht abhalten, zu ihr zu dringen. Doktor Rascher wich in dieser Zeit fast nicht von ihrer Seite, und Emil Lanzot, der vorher eine lange Besprechung mit dem Doktor gehabt hatte, sondierte indessen die Stimmung seiner Landsleute, ob sie im Fall eines Gewaltverfahrens der Amerikaner gesonnen wären, dem Richter beizustehen und den Gefangenen zu schützen – aber lieber Gott, wie sah er sich da getäuscht! Fischer allerdings erklärte sich augenblicklich bereit. Die Übrigen aber verweigerten jede auch nur selbst einer Demonstration ähnliche Bewegung, und nur der Justizrat sicherte seine Gegenwart zu – natürlich ohne Waffen.

Möglich vielleicht, dass er die Idee hatte, er könne die Amerikaner durch sein gewöhnliches, barsches Anfahren zur Vernunft bringen. Der junge Lanzot, so sehr ihm der alte wunderliche Kauz zu jeder anderen Zeit Spaß gemacht hätte, nahm aber sein Anerbieten nicht an und versuchte nun sein Glück bei den Franzosen – mit nicht besserem Erfolg.

Wäre es einer von ihren Landsleuten gewesen, dann allerdings. So aber mochten sie sich nicht in amerikanische und englische Streitigkeiten mischen, die die Leute lieber unter sich selber ausmachten. Sie waren entschlossen, ihre eigenen Rechte in den Minen zu wahren, und wollten deshalb den Amerikanern keinen vielleicht willkommenen Grund geben, mit ihnen anzubinden.

Hale hatte übrigens dem Alkalden mitgeteilt, dass ein Deutscher noch in der Nacht nach Macalomes hinübergeritten sei, den alten Nolten als Zeugen für den Gefangenen herüberzuschaffen. Hetson war hiernach fest entschlossen, die Jury keinesfalls vor spätem Nachmittag zusammenzuberufen. Außerdem hatte er aber auch noch einen Boten nach Golden gate hinübergeschickt, und zwar den kleinen Schiffsjungen, der sich bei dem Angriff auf die Mexikaner so wacker benommen hatte. Der kleine Bursche schwor, er wolle sich die Indianer und Señores schon vom Leibe halten. Da ihm Fischer sein Pferd dazu borgte, ritt er keck in den Nebel hinein, den Brief dort an den Judge der Distrikts-Court abzugeben und diesen von dem gegenwärtigen Fall in Kenntnis zu setzen.

Mehr war Hetson nicht imstande zu tun, damit aber auch eine Last von seiner Seele genommen. Was nun auch geschah, er brauchte sich selber wenigstens keine Vorwürfe mehr zu machen.

So verging der Vormittag im Camp. Schwül und bleiern, wie die Luft auf dem Tal lag, war die ganze Stimmung der Gemüter. Das kochte und gärte in den unruhigen Köpfen. Die noch vom Vortag fast übermäßig Aufgereizten verlangten irgendeinen Gegenstand, an dem sie sich Luft verschaffen konnten. Wehe dem Unglücklichen, der zu solcher Zeit einem Pöbelhaufen preisgegeben wird!

Mit wahrhaft peinlicher Ungeduld hatte indessen Doktor Rascher die Stunden schwinden sehen, und immer noch kam der junge Deutsche mit dem versprochenen Zeugen nicht zurück. Es war zwölf, ein, zwei Uhr geworden, und noch ließ er sich nicht blicken. Hatte er sich vielleicht – ein keineswegs unmögliches Ding – in dem Nebel verirrt? Lagen doch diese düsteren Schwaden heute wie fast noch nie mit fester Zähigkeit über Berg und Tal, und wankten und wichen nicht.

Aber auch die Amerikaner fingen an zu murren, als der Tag sich mehr und mehr seinem Ende neigte, ohne dass Anstalt gemacht wurde, das Verhör zu beginnen. Mit Cook an der Spitze erklärten sie endlich dem Alkalden, dass sie die Jury unter keiner Bedingung länger als vier Uhr hinausgeschoben haben wollten. Die Jury selbst war indessen schon gewählt. Es lag dann später nur noch an dem Gefangenen, einen Teil derselben, für den dann andere eintreten mussten, zu verweigern. Aber wie konnte der Fremde unter ihnen wählen, kannte er doch keinen von ihnen!

Vier Uhr kam und die Jury wollte sich, wie das sonst gewöhnlich der Fall gewesen war, in des Alkalden Zelt sammeln. Hetson hatte aber den Sheriff gebeten, ihnen sein eigenes Zelt dieses Mal einzuräumen. Hale ging gern darauf ein, die Frauen von dem Toben der rauen Menge fernzuhalten.

Siftly hatte sich indessen nicht wieder bei ihm blicken lassen, aber tätig für seine Zwecke war er die Zeit über genug gewesen, und demzufolge die Stimmung gegen den Alkalden, trotz seines gestrigen wackeren Benehmens, bei einem Teil der Amerikaner eine keineswegs günstige. Die Besseren übrigens hielten sich doch von dem Spieler fern. Nur dass der Alkalde ihnen den Engländer nicht preisgeben wollte, erbitterte sie und ließ sie wenigstens schweigend dulden, dass jene wilden Burschen, mit dem ewig rauflustigen Briars an der Spitze, damit drohten, Gewalt zu brauchen, wenn ihnen nicht im Guten gewillfahrt würde.

Wie Hetson nun dazu kam, die Befreiung seines Todfeindes zu wünschen, in der Angst vor dem er sich bisher verzehrt hatte, begriff Siftly freilich nicht.

Er sah, dass dem in der Tat so war. Ihm genügte es, seine Pläne zu durchkreuzen. Hatte der sonst so schwankende charakterlose Mann nicht gewagt, ihm zu trotzen? Ihm, der ihm nur zu diesem Amt verholfen hat, damit er ein willenloses Werkzeug in der Hand habe, Recht und Gesetz dahin zu drehen, wohin er es eben brauchte? Fort mit ihm denn, der sich nicht mehr gebrauchen ließ, und dazu konnte kein günstigerer Zeitpunkt gefunden werden als der jetzige. Dass er die ihm verspielte Spanierin dann nicht mit fortführen durfte, ehe sie ihren Kontrakt erfüllt, dafür wollte er schon sorgen. Diese erst einmal von Hetson getrennt und in seiner Gewalt – und sie wie ihr Vater waren ihm ganz verfallen.

Der Bube knirschte, als er sich so die Zukunft in lockenden Bildern ausmalte, voll grimmiger Freude wild die Zähne zusammen. Erst der Ruf der Jury, mit der sich die Amerikaner nun des Sheriffs Zelt zu drängten, weckte ihn aus seinen Träumen.