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Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 56

Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845

56. Wie Rübezahl einem übel gearteten Warmbader einen Fingerzeig gibt.

Es war gerade, als sich das Folgende zutrug, im Warmbad nach der Zeit, von welcher das Verslein sagt:

Im Warmbad hatt’n s’ en Turm gebaut,
Von Buttermilch und Sauerkraut.
Der Turm bekam bald Ritze,
Das merkte Pastor Fritze;
Die Ritze wurden ärger,
Das sah der alte Nerger;
Die Ritze wurden gar zu arg
Da fiel der ganze Turm in Quark.

Der Turm war wieder gebaut worden, und gut. Die Leute freuten sich, dass sie wieder ihrem Gott im Gotteshause danken und ihn preisen konnten. Aber es gingen drum nicht alle Leute fleißig in die Kirche, sondern viele drum rum und ganz anders wohin.

Das taten unter anderem auch einmal einige Warmbader. Sie gingen des Sonntags früh unter der Kirche hinaus zum Heidewasser, um sich zu baden, denn es war zu dieser Zeit gar heiß.

War unter ihnen auch einer, der in allen schlechten Dingen erfahren war, die Badegäste prellte, allen Weibern und Mägdlein nachlief, sich mit den schlechtesten Dirnen herumtrieb, soff, spielte und doch eine große Figur machte, obwohl er nicht eben viel hatte.

Diesen hatte Rübezahl lange schon ein Andenken geben wollen, es aber immer noch verschoben. Nun aber, als er von Wiersdorf herüberkam und den Mann baden sah, da dachte er: Heute tue ich es. Während dessen erfrischten sich die Warmbader Männer am kühlen Gebirgswasser und trieben dabei allerlei Kurzweil. Unter anderem, da das Gespräch aufs Wünschen gekommen war, wünschten sie sich auch das und jenes, der eine ein hübsches Mägdlein, der andere ein Stückfass Wein, der Dritte einen vollen Geldsack und endlich der lockere Freund ein schönes Ross.

Indem sie noch darüber reden, bemerken sie auch ein Ross, welches nicht fern von den Badenden am Ufergesträuch weidet und langsam sich denselben näherte.

»Seht«, sagte der Lockere, indem er aufs Ross hindeutete, »mein Wunsch ist erfüllt. Schaut nur mein Rösslein an.«

Die anderen betrachteten das Ross mit rechter Kennermiene. Es war ein alter, dürrer Schimmel, der mit Pharaos sieben mageren Kühen erzogen sein mochte.

»Das ist ein ausländisches Ross«, meinte einer, indem er trotz seiner Blöße eine recht vornehme Kennermiene annahm und drehte den Kopf bald rechts, bald links, als wolle er es recht genau taxieren. »Es ist ein Normänder, man erkennt es gleich am schlanken Gebäude.«

»Es ist ein feines Rössel«, sagte ein andrer, »aber mit Gunst, Freund, ein Normänder ist es nicht, es ist ein Engländer, aber ein langschwänziger.«

»Ihr versteht«, fiel ein Dritter ein, »alle nichts von den Rossen, denn wer das nicht sieht, dass es ein Türke ist, der versteht von der ganzen Naturgeschichte nichts, und von der Türkei gleich gar nichts.«

Während dessen war das Rösslein ganz herangekommen, schaute die Badenden mit treuherzigen Augen an, und sah immer unverfänglicher aus, je länger die es anschauten.

Endlich sagte einer: »Nun, wenn das Rösslein dein ist, so kannst du es uns ja einmal vorreiten.«

Das hieß den Lockeren bei der Ehre angreifen. Er fasste sich ein Herz und sprang im Naturzustand, wie er nun eben war, aufs Ross, unter dem Jubelgeschrei seiner Kameraden.

Das Tierlein zeigte nicht eben große Lust zum Laufen, denn wenn es nur ein paar Schritte gehen sollte, so musste auch der Reiter von beiden Seiten mit den Fersen darauf lospauken, wie auf eine große Trommel, und lief drum nicht gern.

»Warte«, rief ihm einer zu, »ich werde dir einen Zweig abbrechen.« Er brach ein Zweiglein vom Ufergesträuch und reichte ihm dieses aufs Ross.

Aber es war, als ob damit der Teufel ins Rösslein gefahren war. Mit blitzenden Augen, sträubender Mähne und gestreckten Schweif erhob sich dasselbe, setzte rechts und links, feuerte hinten hoch aus und rannte hierauf in gestrecktem Galopp dem Dörflein zu. Der unglückliche Reiter schrie unaufhörlich Brr, Brr und Oe, Oe. Es half nichts, das Rösslein sauste fort, und er konnte nicht einmal ohne Gefahr herunterspringen. Wie ein wilder Mann im alten preußischen Wappen, das Zweiglein vor den Leib haltend, saß er oben. Das Ross pfiff ins Dorf hinein. Wem es begegnete, der sprang vor dem rasenden Tier auf die Seite.

Viele Badegäste kamen ihm spazierend entgegen.

Einer von ihnen sagte zu dem Trupp: »Da kommt einer geritten, völlig in Nanking gekleidet.«

»Ja«, erwiderte ein anderer, »es wird wohl ein Ostindienfahrer sein, denn er ist wirklich eitel Nanking.«

Der Nanking war ihm aber angewachsen, und bemerkten die guten Leute allerdings diesen Übelstand erst ganz in der Nähe, wiewohl zu spät.

Wie er beim Schlössel hinunterritt und immer mit dem Feigenblatt von wegen der Fliegen wedelte, so war gerade die Kirche aus und die Kirchleute gingen eben mit den ernsten Kirchengesichtern nach Hause.

Da zwickte es ihm im Leib vor Schrecken.

»Oe, oe, Pommerle«, rief er, »brr, brr, Pommerle, brr!«

Aber das Pommerle kehrte sich daran nicht und setzte immer beim Gerichtskretscham hinunter. Die Kirchleute aber verloren ihre ernsten Gesichter, als sie ihm nachsahen. Und wenn die Weiblein kicherten, so lachten die Männer schon ganz laut und manche gar aus vollem Hals.

Wer weiß, wie lange und wie weit das Rösslein noch gelaufen wäre, wenn nicht ein beherzter Kirchengänger sich für die Kirchfahrt aufgeopfert. Aber der zog alsbald sein Röcklein aus – leicht war es – und warfs dem Ross über den Kopf, dass es stand wie eine Mauer. Wie Adam am sechsten Schöpfungstag vor unserem Herrgott stand und sich verwundert besah, so stand unser Reiter da, nachdem er vom Ross heruntergesprungen war.

In der Bestürzung rannte er unter den dicksten Haufen der Kirchleute hinein, wie einer, der gerade da viel zu suchen hat. Aber da kam er natürlich noch viel schlechter an. Denn die Weiber erhoben ein großes Geschrei, die Mägdlein, so ihn für eine fremde, ausländische Kreatur, wenn auch gerade nicht für einen Ostindienfahrer, denn von hinten am Kreuz sah er eher aus wie ein Kreuzfahrer, halten mochten. Die Männer schimpften und paukten abwechselnd mit Stöcken und Fäusten auf ihn los, bis er in ein Haus schlüpfte und sich wie Adam, sein Vorfahr, hinter Strauch und Feigenblatt allda seufzend verkroch. Der Graf aber, so vom Fenster aus den Schnellläufer bewunderte, schickte alsbald einen Hatschier, ihn zu suchen.

Er steckte indessen im Holzstall und lauerte, dass jemand käme, dem er sich anvertrauen könnte; aber es kam niemand. Im Sommer ist so ein Holzstall nicht eben ein gesuchter Artikel. Das erfuhr auch unser Schnellläufer. Es wurde Mittag, es kam niemand. Es wurde Abend und er saß immer noch in Sack und Asche.

Es war im ganzen Warmbad, die Spieler im Gerichts-Kretscham und die Springkäfer auf den Tanzböden ausgenommen, niemand mehr wach, da öffnete sich der Holzstall, und der Gefangene atmete wieder auf. Denn herein trat Rübezahl mit ernstem Gesicht, befahl ihm zu folgen und führte, gerade wie der Cherub mit dem flammenden Schwert den ersten Menschen aus dem Paradies, den Schnellläufer aus dem Holzstall zu seiner eigenen Wohnung.

Was Rübezahl hier ihm gesagt oder mit ihm gemacht hatte, das hat kein sterbliches Auge gesehen und kein menschliches Ohr gehört; aber Kraft und Saft muss darin gewesen sein, denn der Mann wurde fortan ein ganz anderer Mensch. Und wäre er ein Pfefferkuchen gewesen, so hätte man ihn dem Dutzend oben aufbinden können. Es ist schade, dass seitdem die Art fast ganz ausgegangen ist.