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Gold Band 3 – Kapitel 7.1

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 3
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 7.1

Der Abend im Lager

Wie ein Lauffeuer hatte sich indessen das Gerücht in dem kleinen Ort verbreitet, dass man den Mörder jenes unglücklichen Johns entdeckt und eingefangen hatte. Alle Welt wusste dabei im Augenblick, dass er ein Engländer, und zwar ein von Australien entsprungener oder gar von der englischen Regierung herübergeschafften Deputierten sei. Dass er nun ohne Weiteres an den nächsten Baum aufgehängt werden müsse, verstand sich von selbst.

Außerdem hatten die Leute an dem heutigen unruhigen Tag gar nichts gearbeitet, sondern nur in den verschiedenen Zelten, wie sie gerade in der Nähe waren, ihren Durst in Spirituosen gelöscht, dadurch aber sich natürlich nur noch immer mehr aufgeregt.

Die Rückkehr des gegen die Indianer ausgezogenen Trupps vermehrte nur diese Stimmung. Die dabei beteiligt Gewesenen waren umso mehr gereizt da, sie keinen einzigen Indianer, wie sie sich ausdrückten, zum Schuss bekommen konnten. Bald hier, bald da, aber aus den schwer zugänglichen Felsschichten oder aus den Büschen heraus waren Pfeile auf sie geflogen, deren Spitzen sie hier und da leicht verwundeten, ohne dass sie imstande gewesen wären, die wie in den Boden hinein verschwundenen Schützen zu entdecken.

Siftly war besonders wütend, denn sie hatten ihm sein Pferd an drei oder vier Stellen getroffen. Doch mussten sie die Verfolgung zuletzt ohne das geringste Resultat aufgeben. Die Indianer zogen sich in die Berge zurück. Es wäre gefährlich für sie gewesen, ihnen in den steilen Schluchten noch länger zu folgen. Niederbröckelnde Steine und Felsblöcke bedrohten sie überdies von allen Seiten, zeigten ihnen, dass der wachsame Feind alle Höhen besetzt hatte und doch auf solchen Terrains ihnen unerreichbar blieb.

Siftly hatte sich in den letzten Tagen, in der Absicht, dort ein eigenes, nur mit Smith geteiltes Spiellokal zu gründen, am äußersten Ende des Paradieses ein besonderes Zelt errichtet, das von den letzten Wohnungen bloß durch ein paar ausgeworfen, aber nun nicht mehr bearbeitete Gruben getrennt war. Dadurch enthob er sich der Konkurrenz benachbarter Spieltische und kannte seine Leute gut genug, um zu wissen, dass ihm dort alles zuströmen würde, sobald Manuela nur in seinem Zelt spiele. Wenn die Burschen auch keinen Sinn dafür hatten, hörten sie doch gern Musik, und schon das Neue der Sache hätte sie unwiderstehlich angezogen.

Dort beschäftigte er sich nun mit seinem Pferd, von dessen nassem Rücken er den Sattel geworfen hatte, und wusch ihm, lästerliche Flüche dabei in den Bart murmelnd, die von den Pfeilen verwundeten Stellen mit Branntwein aus, als die Straße herauf Boyles auf ihn zukam und neben ihm stehen blieb.

Anfänglich nahm der Spieler wenig Notiz von ihm, denn er war ärgerlich, dass gerade Boyles sich ihren Zug nicht angeschlossen hatte, ärgerlich über den ganzen missglückten Zug selber, ärgerlich über die ganze Welt. Boyles aber ging trotzdem nicht von der Stelle, sah ihm eine Weile zu und sagte dann: »Siftly, ich bin hergekommen, Euch mit meinen besten Dank das neulich geborgte Gold zurückzuzahlen.«

»Den Dank könnt Ihr sparen«, brummte der Spieler, »gebt mir nur das Gold – Ihr scheint doch lieber draußen zu hacken und zu graben, als Euch auf leichtere Art das Glück zu zwingen. Nun, jeder nach seiner Neigung oder seinen Fähigkeiten.«

»Ihr habt recht«, sagte Boyles ruhig, » ich passe nicht zum Spieler, das hat mich Smith neulich gelehrt, und überlasse das Geschäft deshalb lieber geschickteren Leuten. Hier sind die 4 Unzen in dem Beutel. Ihr mögt es nachwiegen, es wird gerade treffen.«

»Schon gut«, sagte Siftly, das dargereichte Gold gleichgültig in seine Tasche schiebend. »Geht aber dahinten vom Pferd weg. Der Branntwein brennt ihm die Wunden und es schlägt.«

»Ihr scheint also doch mit den Indianern zusammengetroffen zu sein.«

»Gott verdamme die Hunde, aber was schert das Euch! Eure Haut hattet ihr wenigstens in Sicherheit.«

Boyles antwortete nichts darauf und sah eine Weile schweigend dem Mann zu. Endlich nahm er das Gespräch wieder auf.

»Hier im Camp«, sagte er, »ist indessen allerlei vorgefallen.«

»Ich weiß«, brummte jener. »Sie haben Jones Mörder erwischt. Bin nur neugierig, wer die feine Nase gehabt hat.«

»Jener Cook«, sagte Boyles. »Er hatte mit Johns eine Weile gearbeitet und kannte einen Teil des Goldes, dass der Ermordete bei sich geführt hatte. Besonders ein kenntliches Stück war darunter, dass er im Besitz des Fremden fand, und daraufhin ist der Mann verhaftet worden.«

Siftly hatte mit seiner Arbeit aufgehört. Seinen rechten Ellenbogen auf das Pferd stützend, blickte er den Erzähler überrascht und aufmerksam an.

»Ein besonderes Stück?«, gab er endlich lachend von sich, »das müsste wirklich besonders sein, wenn er da eins vom anderen unterscheiden wollte.«

»Er will darauf schwören.«

»Dann werden sie ihn hängen«, erwiderte der Spieler gleichgültig. »Was kümmert es mich! Verdamm die Fremden – so ist einer weniger da.«

»Wisst Ihr, Siftly«, sagte aber Boyles, während er sich umsah, ob niemand in der Nähe wäre, »wisst Ihr, was das … ist jemand in Eurem Zelt drin?«

»Nein, was soll das?«

»Wisst Ihr, was das für ein Stück Gold war, auf das sie ihn verhaftet haben?«

»Ob ich das weiß? Seid Ihr verrückt oder betrunken? Wie soll ich das wissen?«, höhnte der Spieler.

»Eins von denen«, fuhr Boyles, ohne sich jedoch aus der Fassung bringen zu lassen, fort, »dass Ihr mir neulich morgens geborgt habt.«

»Ich?«, rief aber Siftly in wildem Grimm emporfahrend, »habt Ihr etwa Lust, mich in die Geschichte mit hineinzubringen, irgendeiner tollen Idee zu Liebe, die Ihr Euch in den Kopf gesetzt habt? Verdamm es, Boyles, Euch wäre in dem Fall wohler, Ihr hättet Kalifornien in Eurem Leben nicht betreten.«

Der Blick, den er dabei dem jungen Mann zuschleuderte, war so drohend und wilder Leidenschaft voll, dass dieser fast unwillkürlich davor zurückschrak. Das aber, was ihm seit einer Stunde etwa mit schwerer Sorge auf dem Herzen lag, musste er davon abschütteln. Er musste für sich selber wenigstens Gewissheit in der Sache haben und fuhr mit ruhiger, aber doch zitternder Stimme fort: »Missversteht mich nicht, Siftly. Ihr habt Euch stets freundlich gegen mich gezeigt, und ich wäre der Letzte, der Euch in irgendeine unangenehme Geschichte verwickeln möchte. Aber, eine Frage müsst Ihr mir beantworten, mir allein, keinem weiteren Menschen. Alles Übrige überlasst dann mir.«

»Erst sagt mir«, fragte ihn da Siftly zurück, »wer Euch eine solche tolle Idee in den Kopf gesetzt hat.«

»Welche?«

»Dass Ihr das Gold von mir bekommen habt. Und wie kam es später in des Fremden Hand?«

»Ich kaufte ihm sein lahm gewordenes Pferd ab.«

»Lahm geworden?«, fragte Siftly aufmerksam werdend, »der vermeintliche Mörder ist ein Engländer, wie?«

»Ja, ein noch junger Mann.«

»Das Pferd war ein Brauner, mit weißem Stern, und wenn ich nicht irre, einem weißen Hinterbein.«

»Allerdings. Habt Ihr es früher schon gesehen?«

Ein boshaft höhnisches Lächeln zuckte um Mund und Augen des Mannes, als er, ohne die letzte Frage zu beantworten, vor sich hin brummte: »Also der Bursche ist es, dem hätte ich ein ähnliches Ende etwa prophezeit. Aber es geschieht ihm recht, warum kommt er hierher!«

»Also, Ihr kennt ihn?«

»Vom Aussehen, und der hat geschworen, dass er das Gold von Euch bekommen habe?«

»Nein, das hat er nicht. Er hat sogar gesagt, er könne es nicht beschwören, da er in der letzten Zeit mehrere Sachen verkauft und die einzelnen Stücke nicht so genau betrachtet habe. Aber er glaubte, dass es unter dem Gold gewesen war, das er von mir erhalten hätte, und der Sheriff stellte mich deshalb zur Rede.«

»Hale? So? Und Ihr?«

»Siftly«, sagte der junge Mann und drehte sich halb ab von dem Spieler, denn er schämte sich seines Rotwerdens, »ich gab ausweichende Antworten. Ich sagte dem Sheriff, dass ich das Stück Gold nicht kenne.«

»Nun? Dann ist ja alles in Ordnung«, gab Siftly mit einem Lächeln von sich, »was wollt Ihr mehr?«

»Was ich mehr will?«, fragte Boyles erstaunt. »Ihr vergesst, dass sie auf dem Beweis des gefundenen Stückes in den Unglücklichen hängen können.«

»Das ist ihre und seine Sache«, brummte der Spieler, indem er seinem Tier den Zaum abnahm und beiseitetrat, es frei laufen zu lassen.«

»Aber der Mann ist unschuldig«, flüsterte Boyles.

»Und woher wisst Ihr das?«, fragte Siftly kalt.

»Siftly, beim ewigen Gott, das Stück Gold habe ich von Euch bekommen«, versicherte aber Boyles fest, wenn auch mit unterdrückter Stimme. »Ich kenne es zu genau, denn es gefiel mir so, dass ich es behalten und später für eine Tuchnadel bestimmen wollte. Hätte ich es getan! Heute Morgen aber vergaß ich drauf, ich dachte nur an das Pferd, mit dem ich einen vortrefflichen Handel gemacht habe.«

»Was wollt Ihr jetzt von mir?«, unterbrach ihn Siftly. Und wieder haftete auf jenem der dunkel drohende Blick des Mannes.

»Euch fragen, woher Ihr das Stück Gold bekommen habt.«

»Um mich nachher ebenfalls mit vor Eurer langweiligen Jury zu bringen, he?«

»Habe ich Euch nicht gesagt, dass ich selber den früheren Besitz des Goldes schon geleugnet habe?«

»Ah, ich vergaß«, erwiderte der Spieler und lachte auf. »Also nur zu Eurer eigenen Beruhigung verlangt Ihr die Frage beantwortet?«

»Ja.«

»Nun, den Gefallen will ich Euch tun, wenn Euch das beruhigen kann, denn ich glaube doch nicht, dass Ihr wahnsinnig genug gewesen seid, mich etwa für den Mörder zu halten. Das Gold, was sich Euch an dem Morgen geborgt hatte, habe ich den Abend vorher einem Mexikaner trüben im Cedar Valley abgewonnen.«

»Und kennt ihr den Burschen?«

»Kennen? Woher soll ich ihn kennen? Ich habe auf sein Gold, seine Karten und Finger gesehen, nicht auf sein Gesicht. Und überdies weiß es der Henker, diese Señores sehen sich einander alle gleich.«

»Aber dann«, rief Boyles, dem sich mit der Antwort eine Zentnerlast von der Seele wälzte, »kann man ja auch dem armen Teufel helfen, dem der Strick schon verdammt nahe am Halse sitzt. Wenn ich Hale …«

»Ihr seid wohl toll?«, rief aber Siftly finster, »mich wollt Ihr in all die Unannehmlichkeiten verwickeln, einem der verwünschten Fremden herauszuhelfen? Das wäre nicht übel. Glaubt Ihr wohl, dass ich imstande wäre, die Mexikaner wieder aufzufinden, von dem ich das Gold erhalten habe, he? Und soll ich mich so lange Zeit in Untersuchung herumschleppen lassen? Verdammt, wenn ich es tue.«

»Aber Ihr könnt doch nicht wollen, dass der Fremde unschuldig gehängt wird, Siftly?«

»Unschuldig? Wisst Ihr, ob es unschuldig geschieht? Er ist jedenfalls einer jener englischen Verbrecher, Räuber und Mörder, mit denen die Staaten überschwemmt werden. Ob er hier gehängt wird oder in San Franzisko, bleibt sich gleich. Ich aber, das kann ich Euch versichern, bin nicht gesonnen, für ihn einzutreten. Und wagt Ihr dem Sheriff meinen Namen zu nennen, so mögt Ihr auch die Folgen selber tragen.«

»Ich?«

»Wie wollt Ihr mir beweisen, dass Ihr das Gold von mir bekommen habt, he? Oder habt Ihr etwa den Mississippi-Sumpf schon ganz vergessen?«

»Siftly, an dem Tod jenes Mannes war ich unschuldig«, rief aber Boyles. Sein Gesicht wurde aschfahl. »Ihr wisst das auch, Ihr müsst es wissen, und hätte ich eine Minute früher von jenes Burschen eine Ahnung gehabt, es wäre nicht geschehen – wenigstens nicht in meiner Gegenwart.«

»Ihr habt also den Tag doch noch nicht ganz vergessen«, erwiderte Siftly.

»Und wenn ich tausend Jahre alt würde«, stöhnte zusammenschaudernd der junge Mann, »ich könnte ihn nicht vergessen.«

»Desto besser für Euch dann«, sagte Siftly trocken, »jener Bursche war ein Verräter, und wenn Ihr wisst, was Euch gut ist, haltet Ihr den Mund und lasst die Welt ihren Gang gehen, den Ihr nun doch einmal nicht ändern könnt. So viel aber seid versichert; redet Ihr gegen mich mit dieser wahnsinnigen Klage auf, ja gebt Ihr einem anderen nur den Wink dazu, dann fühle ich mich ebenfalls nicht länger verbunden, zu schweigen. Und mit solchen Beweis gegen Euch wollen wir dann einmal sehen, für was die Jury sich entscheiden würde.«

»Aber Siftly, um Gottes willen.«

»Geht zum Teufel«, rief aber der Spieler, »das sind Freunde, ha, ha, ha. Das Sprichwort hat bei Gott recht, mit seinen Feinden kann einer weit eher fertig werden. Macht übrigens jetzt, was Ihr wollt. Dem Sheriff habt Ihr schon gesagt, dass Ihr das Gold nicht kennt, und dass ist der Fremde nicht von Euch erhalten hat. Jetzt geht wieder zu ihm und erzählt ihm, es wäre Euch gerade eingefallen, dass ich der frühere Besitzer sein könne, da ich vor ein paar Tagen dumm genug gewesen wäre, Euch Geld zu borgen. Lasst mich nachher gegen Euch auftreten, und wir wollen dann doch einmal sehen, für wen sich die Jury am meisten interessieren wird. Unsere eigene Rechnung machen wir dann später miteinander.« Ohne auf eine Antwort des Mannes zu warten, griff er Sattel und Zaum auf und trug das Reitzeug in sein Zelt hinein. Boyle wartete eine Weile, aber der Spieler kam nicht zurück. So mochte er jedoch von dem Mann, den er weit mehr fürchtete, als liebte, nicht scheiden und zögernd wie unschlüssig, ein Bild seines ganzen Charakters, der ihn zum Spielball in den Händen eines solchen Menschen wie Siftly machte, betrat er endlich nach ihm das Zelt.

Eine Viertelstunde blieb er etwa da drinnen, dann kamen die beiden, Siftly seinen linken Arm vertraut auf Boyles’ Schulter lehnend, wieder heraus und schritten langsam die Straße hinab in die Stadt.