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Jack Lloyd Folge 30

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Dick ten Buren

Sein Schädel dröhnte und auch sonst hatte er das Gefühl, dass es keinen Knochen in seinem Körper gab, der ihm nicht wehgetan hätte. Stöhnend versuchte Dick sich aufzusetzen. Der Versuch scheiterte kläglich. Er lag auf dem Rücken, die Hände hinter sich gefesselt und auch die Füße zusammengebunden. Als er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, durchzuckte ihn ein stechender Schmerz. Die Unterlippe war aufgerissen und geschwollen. Wut kochte in ihm hoch. Er wusste, dass die Männer, die ihn am Abend vor der Taverne so zugerichtet hatten, ihn hassten. Er hatte auch ein Stück weit Verständnis für ihren Hass. Aber das hier ging dann doch zu weit. Noch einmal versuchte er sich aufzusetzen und wieder fiel das Ergebnis kläglich aus. Er sackte nach hinten. Seine Kopfschmerzen wurden mit jeder noch so leichten Anstrengung stärker. Dick stieß einen leisen Fluch aus. Wo hatten seine einstigen Freunde ihn hingebracht? Er hatte einen Verdacht, aber das wäre zu ungeheuerlich gewesen. Das würden nicht einmal Martin und seine Halunken wagen. Das Scharren eines Stuhles auf dem harten Steinboden riss Dick aus seinen Gedanken. Es war dunkel im Raum, deshalb war er nicht auf den Gedanken gekommen, dass er möglicherweise nicht allein war.

»Wer ist da?«, ächzte der Seemann. Seine Stimme war nicht viel mehr als ein klägliches Krächzen. Offenbar hatten ihm die Geschehnisse kräftig zugesetzt. Ich werde alt, dachte Dick bei sich, während er in die Dunkelheit horchte.

»Was glaubst denn du, Dick?«

»Martin.« Dick stieß dieses eine Wort hervor. In ihm steckte so viel, was nie ausgesprochen worden war. Reue und Wut. Hass und die Bitte um Verzeihung. Wie konnte eine einzige Person nur so widersprüchliche Gefühle in einem Menschen hervorrufen?

»Du hättest nicht herkommen sollen, Dick.«

»Scheint fast so.« Dick ächzte in dem verzweifelten Versuch, sich endlich aufzusetzen. Und dieses Mal gelang es ihm, auch wenn er das Gefühl hatte, dass sein Kopf explodieren würde.

»Wie kann man so dumm sein. Ich meine, hast du wirklich geglaubt, man hätte dich hier vergessen?«

Dick lachte gequält auf.

»Wie sollte man? Glaubst du, ich habe irgendetwas vergessen, Martin? Glaubst du, es gibt auch nur einen Tag, an dem ich nicht an das denke, was geschehen ist und daran, ob ich es vielleicht hätte verhindern können?«

»Du hast es nicht verhindert und das ist es, was zählt. Dass Marvin und seine Brüder dich hassen, ist kaum verwunderlich.«

»Und wie ist es mit dir?«

Stille. Dieser Augenblick des Schweigens machte Dick stutzig. Als er damals Curacao verlassen hatte, war Martin derjenige gewesen, der ihm eine Waffe auf die Brust gesetzt und in gezwungen hatte, zu gehen. Jetzt schien es, als wäre das nicht unbedingt seine eigene Entscheidung gewesen.

»Dick, du bist mein Bruder«, murmelte Martin leise. »Und was auch immer geschehen sein mag, ich habe es dir längst verziehen.«

Dick lachte gequält auf. Dann seufzte er theatralisch. Schließlich flüsterte er: »Ich hätte an Bord bleiben sollen.«

»Mit welchem Schiff bist du gekommen? Die beiden englischen Handelsschiffe? Oder bist du noch immer unter den Seeräubern und ihr segelt nur unter englischer Flagge, um euch unbemerkt bewegen zu können?«

»Du kennst mich, hm? Es ist eine lange Geschichte und ich habe wenig Lust, sie zu erzählen. Wir werden nicht lange hier vor Anker bleiben. Dann seid ihr mich los, diesmal für immer.«

»Ich fürchte, dass die anderen sich damit nicht zufriedengeben werden.«

Wieder herrschte für einen Moment Stille. Dick schluckte trocken. Schließlich murmelte er leise: »Was soll das bedeuten?«

»Sie werden dich aufknüpfen, Dick.«

»Und du willst das zulassen?«

Diesmal war es Martin, der ein kurzes gequältes Lachen von sich gab.

»Es ist ja nicht so, dass ich eine Möglichkeit hätte, sie aufzuhalten.«

»Du könntest melden, dass ein niederländischer Bürger in dem Haus, das einmal sein eigenes war, festgehalten wird und ermordet werden soll.«

»Woher weißt du, wo wir hier sind?«

»Wo sollen wir sonst sein, Martin? Hier hat alles begonnen und hier wird Marvin es enden lassen wollen.«

»Ich kann ihn verstehen.« Martins Stimme war leise, aber doch laut genug, dass Dick ihn hören konnte. Dick ächzte auf.

»Wirklich, kannst du das? Es war ein Unfall, Martin. Ein Unfall, nicht mehr und nicht weniger.«

»Das hast du damals schon beteuert. Und der Richter hat dir geglaubt. Aber ich fürchte, er war der Einzige.«

»Du weißt so gut wie ich …«

»Dass du damals an jedem Abend stockbetrunken warst? Ja, das weiß ich, Dick. Und ich weiß noch viel mehr. Dass du Maike geschlagen hast. Mehr als nur einmal. Sie hat dich geliebt, du Bastard. Und sie hat alles ertragen, was du ihr in der kurzen Zeit eurer Ehe angetan hast. Dein Herumgehure. Deine Alkoholexzesse, ja selbst die gelegentlichen Schläge. Du hattest eine Frau, wie du sie niemals verdient gehabt hättest.« Martin hatte sich in Rage geredet und die letzten Worte seinem älteren Bruder regelrecht entgegengeschrieen.

Dick atmete tief durch. Dann antwortete er leise: »Glaubst du ernsthaft, dass ich das nicht wüsste? Und glaubst du, dass ich nicht wüsste, dass du sie genauso geliebt hast wie ich?«

»Du hast sie nicht geliebt. Du hast sie begehrt und du hast sie besessen. Und an diesem Abend hast du sie getötet!«

Am anderen Ende des Raumes wurde quietschend eine Tür geöffnet. Dick hörte, dass Martin aufstand.

»Nun spielt es ohnehin keine Rolle mehr. Sprich dein letztes Gebet, Bruder.«

Fortsetzung folgt …

Copyright © 2011 by Johann Peters