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Das Harzmärchenbuch von August Ey Teil 60

Sagen und Märchen aus dem Oberharz
Gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862

Wildemann

Als die ersten Bergleute in den Harz kamen und von Zellerfeld aus in die Umgegend gingen und Erze suchten, kamen sie auch in das Innerstetal, da, wo die Bergstadt Wildemann ist. Die Innerste war gerade angeschwollen gewesen und hatte einige Gänge aufgewaschen. Diese fanden die Bergleute, dabei gerieten sie aber auch auf eine Menschenspur, die im Innersteschlamm zu sehen war. Die Bergleute wussten, dass keine Menschen weiter im Harz waren als sie. Deshalb suchten sie weiter und sahen bald darauf einen Menschen in der Nähe der Gänge, der lief nackend und sein Weib auch, beide hatten Mooskappen auf dem Kopf und einen Laubgürtel um den Leib. Wenn ihnen die Bergleute nahe kamen, so rannten sie fort, so scheu und wild waren sie, und verstanden auch nicht, wenn sie gerufen wurden. Oft hatten die Bergleute Jagd darauf gemacht, sie aber niemals erwischt. Deshalb gaben sie ihrem Herrn, dem Herzog von Braunschweig, Nachricht davon und der ließ sagen, sie möchten die wilden Menschen fangen, mit Schlingen oder mit Bogen und Pfeil, sie aber ja am Leben lassen und dann nach Braunschweig schicken. Die Bergleute gaben sich alle mögliche Mühe, die Menschen zu fassen, es misslang aber immer. Endlich verwundete man den Mann so, dass er nicht fort konnte, und fing ihn dadurch. Er war groß und stark, hatte einen langen dicken Bart und lebte mit seinem Weib, das ihm ähnlich war, in dieser Einsamkeit des Waldes. Sie ernährten sich von Beeren und Wildfleisch, und der Mann hatte einen ziemlich starken Tannenbaum in der Hand, den er auch als Waffe gebrauchte. Dabei konnten sie furchtbar schnell laufen, waren gelenkig wie die Eidechsen und stark wie Riesen. Es war daher keine Kleinigkeit, den Mann zu fangen. Was das für ein Kampf war, kann man gar nicht erzählen. Als die den wilden Mann gefangen hatten, sollte er arbeiten, er tat es aber nicht. Man fragte ihn, woher er wäre, und was er getan hätte, er antwortete aber nicht. Man reichte ihm Essen und Trinken, er berührte nichts. Dabei sah er immer zu der Gegend hin, wo die Gänge waren, als könne er sich nicht davon trennen. Bis dahin hatte man zwar Ganggestein gefunden, es war aber kein Erz darin. Da nun der Mann durchaus stumm war und blieb und auch kein Wort verstehen wollte oder konnte, so schickte man ihn nach Braunschweig zum Herzog. Der Herzog bekam ihn aber nicht zu sehen, denn auf dem Weg dahin war er gestorben. An dem Tag, an dem die Nachricht zurückkam, dass der wilde Mann unterwegs gestorben wäre, gruben die Bergleute an der Innerste das erste Erz auf, das war sehr reich an Silber, und die erste Grube daselbst wurde der alte Wildemann, später Ernst August genannt.

Zum Andenken an den wilden Mann, der wahrscheinlich die Gänge so lange taub gemacht hatte, solange er lebte, pflanzte man auf die Stelle, wo er gefangen worden war, eine Linde, baute sich da an, nannte den Ort Wildemann und nahm das Bild des Wildemanns in das Stadtsiegel auf, daher der Name und das Wappen der Bergstadt Wildemann. Die Linde steht jetzt noch vor dem Rathaus, ist aber ganz hohl, darin sind aber drei junge Linden emporgewachsen, die sie stützen und erneuern die alte Linde.