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Detektiv Dagoberts Taten und Abenteuer 5

Balduin Groller
Detektiv Dagoberts Taten und Abenteuer
Erster Band
Der große Unterschleif

Das schönste Zimmer im Palast der A. B. B. – man sagte immer und überall nur A. B. B., und doch wusste jeder sofort, dass damit die Allgemeine Bauunternehmungs-Bank gemeint sei – war das Büro des Generaldirektors. Dieser, ein verhältnismäßig noch junger Mann von gewinnender Erscheinung, saß vor seinem mächtigen Schreibtisch und ordnete mit seinen wohlgepflegten und ringgeschmückten Händen die vor ihm aufgehäuften Briefe und sonstigen Schriftstücke.

Da öffnete sich, ohne dass vorher angeklopft worden wäre, die zum Vorzimmer führende Tür. Er hob den Kopf. Ein hübscher Kopf. Die ob der wohl nicht ungewohnten, in dieser Form aber ungebührlichen Störung erstaunt blickenden Augen waren blau, und selbst durch den augenblicklichen Unmut hindurch, der nun gerade aus ihnen sprach, hätte ein Menschenkenner und Beobachter einen Strahl von Güte und einer gewissen, beinahe künstlerischen Schwärmerei erkennen müssen. Das glänzende braune Haupthaar war gescheitelt, und zu diesem bildete der erheblich lichtere, ja entschieden blonde Vollbart einen ganz bemerkenswerten Kontrast.

Der Kopf, der nun zunächst bei der Tür hereingesteckt wurde, war auch wohl geeignet, Aufmerksamkeit zu erregen. Es war ein Charakterkopf, der so die Mitte hielt zwischen faunischer und biblischer Erscheinung. Das von einem schwarzen Bart umrahmte volle Gesicht sprühte ordentlich von Freude am Lebensgenuss, während das Petrusschöpfchen auf dem gelichteten Scheitel beinahe anlockte, genauer hinzusehen, ob nicht etwa der dazu gehörende Heiligenschein zu entdecken sei.

»Haben Sie ein halbes Stündchen für mich Zeit, Herr Ringhoff?«, fragte der Mann mit dem fehlenden Heiligenschein.

»Ah, Herr Dagobert Trostler!«, rief der Generaldirektor sich erhebend. Jede Spur des Unmuts war aus seinem offenen Gesicht geschwunden. »Ob ich Zeit habe? Für Sie immer, auch wenn Sie nicht mein gestrenger Verwaltungsrat wären. Welche Freude! Sie waren verreist, Herr Trostler?«

»Jawohl, mehrere Wochen, weit weg – sogar in Amerika!«

»Was Sie nicht sagen! Eine Vergnügungsreise, Herr Trostler?«

»Ja, es war recht vergnüglich, Herr Generaldirektor. Ich habe vieles gesehen.«

»Haben Sie sich auch den Yellowstone Park angesehen? Der soll ja hochinteressant sein.«

»Natürlich habe ich den auch besucht.«

»Da müssen Sie aber erzählen, Herr Trostler.«

»Dazu bin ich ja zu Ihnen gekommen, Herr Generaldirektor!«

Man richtete sich ein. Dagobert setzte sich an die Seite des Schreibtisches mit dem Rücken zum Fenster. Der Generaldirektor rückte ihm ein Zigarrenkistchen zurecht, aber Dagobert lehnte ab. Er habe als Raucher seine Eigenheiten. Er sei einmal auf eine Sorte eingeschossen und von dieser gehe er nicht ab. Darum rauche er immer nur seine eigenen Zigarren. Tatsächlich habe er auch noch keine bessere Havanna-Marke angetroffen. Der Generaldirektor möge nur versuchen und sich selbst überzeugen. Ringhoff bediente sich und forderte seinen Besuch neuerdings auf, zu erzählen.

»Es ist ein ganzer Roman, den ich Ihnen zu erzählen habe, und ich muss ein bisschen weit ausholen, aber die Geschichte wird Sie interessieren.«

»Mich interessiert alles, was Sie betrifft, Herr Trostler.«

»Danke schön. Sagen Sie mal, lieber Generaldirektor, haben Sie sich niemals darüber gewundert, wie ich eigentlich in die A. B. B. hereingekommen bin!«

»Warum soll ich mich nun darüber gewundert haben, Herr Trostler?«

»Aber ich verstehe doch nichts vom Bankwesen, das heißt – ich verstand nichts davon, hatte nicht die blasseste Ahnung. Jetzt natürlich, nach mehr als einem Jahr, habe ich mich ordentlich eingearbeitet.«

»Sie kamen zu uns wie die übrigen Herren Verwaltungsräte. Sie sind ein sehr vermögender Mann, Herr Trostler, und was das Sachverständnis betrifft, so haben Sie sehr bald alle übrigen Herren überflügelt. Zur Verwunderung lag für mich durchaus kein Anlass vor. Aber Sie wollten ja von Ihrer Amerikareise erzählen …«

»Ich bin dabei, das gehört mit dazu. Sie sollen erst erfahren, wie und warum ich zur A. B. B. kam. Ich war immer der Meinung, dass jeder irgendeinen Sport betreiben solle, und nun gar ein Mensch wie ich, der vollkommen frei und unabhängig ist, und nicht Kind und nicht Kegel hat. Ich habe also gleich zwei große Passionen. Die eine ist die Musik. Ich weiß nicht, ob Sie von meinen Leistungen auf diesem Gebiet schon gehört haben …«

»Gewiss habe ich davon schon gehört«, log der Generaldirektor verbindlich, »und – die andere?«

»Ja die andere – das ist ein ganz absonderlicher Fall. Ich bin Amateurdetektiv. Sie machen große Augen? Ich versichere Ihnen, – wenn man Passion für die Sache hat und etwas Vokation – es gibt nichts Interessanteres.«

»Mit der ersten Liebhaberei war bei uns nicht viel zu machen.«

»Wohl aber mit der zweiten! Sie erinnern sich ja der Geschichte, – wie sollten Sie nicht! Man hatte die A. B. B. gegründet und sich dazu als Präsidenten meinen Freund Grumbach geholt, der zugleich Präsident des Klubs der Industriellen ist. Das ging nun ein Jahr lang ganz gut, und dann, Sie wissen ja, verschwand der Kassierer und mit ihm drei Millionen Kronen.«

»Es war ein furchtbarer Schlag!«

»Mein Freund Grumbach, er ist mein intimster Freund, hat in gewissen Dingen Pech. Er hatte, kaum warm geworden als Klubpräsident, auch so eine unangenehme Geschichte. Damals kam er zu mir und ich habe ihm herausgeholfen. Das könnte ich Ihnen eigentlich auch erzählen. Es war eine ganz feine Gaunerei. Aber das würde uns doch zu weit führen. Dieses Mal kam er also auch wieder. Wenn einer helfen könnte, so sei ich es. Ich ließ mir den Fall genau auseinandersetzen, aber es gab nicht viel zu erzählen. Die Bücher waren scheinbar in bester Ordnung, aber der Kassierer und das Geld verschwunden. Zudem hatte der Kassierer bereits einen Vorsprung von reichlich zwei Wochen.«

»Ich erinnere mich leider nur zu genau.«

»Er hatte unbehelligt seinen vertragsmäßigen Urlaub angetreten, und als dann der große Unterschleif aufkam, war jede Spur seines Erdenwallens verwischt. Nun sollte ich ihn suchen.«

»Das war allerdings viel verlangt!«

»Grumbach hat in solchen Dingen einen harten Schädel. Von einer Anzeige bei den Behörden wollte er durchaus nichts wissen, und ich konnte ihm in diesem Fall nicht einmal Unrecht geben. Drei Millionen – das ist allerdings ein kolossaler Betrag, aber der Diebstahl musste eine Bank mit sechzig Millionen eingezahltem Kapital nicht gleich zugrunde richten. Wohl aber hätte das schwindende Vertrauen sie zugrunde richten müssen, wenn es ruchbar geworden wäre, dass schon nach kurzem Bestand derlei möglich gewesen sei.«

»Das war auch meine Meinung, Herr Trostler.«

»Ich weiß. Auf Antrag des Präsidenten beschloss also der Verwaltungsrat, die fatale Geschichte vollkommen geheim zu halten, den Fehlbetrag auf die Verwaltungsräte zu repartieren und aus Eigenem zu ersetzen.«

»Es war schließlich doch der beste Ausweg.«

»Jawohl. Also nun sollte ich helfen. Ich überlegte. Zunächst musste ich einen vollkommen klaren Einblick in das Getriebe der A. B. B. gewinnen. Ich dachte daran, mich zu diesem Zweck als Beamten anstellen zu lassen, verwarf aber die Idee sehr bald. Dazu konnte und wusste ich zu wenig, und das hätte mich sehr schnell auffällig oder verdächtig gemacht. Ich ließ mich also als Verwaltungsrat kooptieren. Der macht sich nicht auffällig, wenn er nichts weiß und nichts kann.«

Der Generaldirektor schmunzelte diskret zu dieser satirischen Bemerkung und äußerte leichthin: »Dann waren Sie ja eigentlich nicht sowohl als Verwaltungsrat, denn als Detektiv bei uns tätig?«

»Natürlich!«

»Sie werden es begreiflich finden, Herr Trostler, dass es mich einigermaßen verstimmen muss, dass man mir davon nicht ein Sterbenswörtchen gesagt hat!«

»Mein lieber Herr Generaldirektor, wenn die Katze darauf ausgeht, Mäuse zu fangen, da wird sie sich nicht erst eine Schelle um den Hals binden. Kein Mensch außer dem Präsidenten hat davon gewusst, und Sie sind nun der Erste, dem ich die offenherzigen Mitteilungen mache – wenn Sie’s überhaupt interessiert, was ich ja nicht wissen kann.«

»Es interessiert mich sehr!«

»Dann will ich also weiter erzählen von meiner – Amerikareise. Ich musste mich also erst ordentlich einarbeiten bei uns. Das hat sich gemacht, nicht schlecht gemacht, wie Sie zu bezeugen die Güte gehabt haben, Herr Generaldirektor.«

»Ich kann nur sagen, dass Sie die Seele unserer Verwaltung geworden sind, Herr Trostler.«

»Besten Dank, Herr Generaldirektor. Ein solches Urteil von so kompetenter Seite muss mich stolz machen. Meine erste Sorge musste also darauf gerichtet sein, die Wiederholung solcher Ereignisse unmöglich zu machen. Sie begreifen, dass solche Wiederholungen auf die Dauer doch ein wenig ermüdend wirken müssten.«

»Ich begreife vollkommen.«

»Das ist gelungen. Ich darf sagen, dass die Kontrolleinrichtungen der A. B. B. jetzt geradezu mustergültige und schulbildende geworden sind.«

»Sie sind es und werden überall anerkannt und nachgeahmt.«

»Meine weitere Sorge war dann die Nachforschung nach dem verschwundenen Kassierer, und was eigentlich noch wichtiger war, nach dem verschwundenen Geld. Keine leichte Sache. Der Mann war spurlos verschwunden und dann – der Vorsprung! Alle Bemühung schien von Haus aus aussichtslos.«

»Und haben Sie wirklich einen Erfolg gehabt?«

»Mein Gott, ich bin zufrieden. Man konnte mir auf meinen Wunsch eine Fotografie des Verschwundenen und mehrere Schriftproben zur Verfügung stellen. Das war nicht viel, nicht wahr? Aber was will man machen, wenn man nicht mehr hat?! Dann – Sie dürfen mich aber nicht auslachen, Herr Generaldirektor! – wandte ich mich an eine Auskunftei um eine Information über den abgängigen Herrn Josef Benk.«

»Da war allerdings für den vorliegenden Fall voraussichtlich wenig zu holen.«

»Ich gebe es zu und habe es auch im Voraus gewusst, aber ich erfuhr doch einige Einzelheiten, mit deren Erhebung ich mich sonst selbst hätte beschäftigen und aufhalten müssen und die doch notwendig waren zu meinen weiteren Erhebungen. Die Auskunft war eine glänzende: Josef Benk Ritter von Brenneberg – von seinem Adelstitel hatte er keinen Gebrauch gemacht und in der Bank hatte man nichts davon gewusst – gewesener Offizier, höchst ehrenhafter Charakter, unbedingt verlässlich …«

»Dafür hatte er auch bei uns immer gegolten bis …«

»Ich weiß. Damit war also nicht viel anzufangen, immerhin gab es doch einige Details, an welche ich weitere Nachforschungen anknüpfen konnte. Nun dachte ich an Isouards kriminalistische Grundregel: Cherchez la femme. Sie dürfen mich wieder nicht auslachen, Herr Generaldirektor. Das ist ja wirklich ein Gemeinplatz, und jeder Laie würde sich seiner erinnern, aber das spricht doch nicht gegen seine Stichhältigkeit. Tatsächlich ist es für kriminalistische Untersuchungen sehr häufig von Belang, nach den Beziehungen zum Ewigweiblichen zu forschen. Glauben Sie mir, Herr Generaldirektor. Ich bin zwar nur Amateurdetektiv, nehme aber für mich die Erfahrungen eines Professionals in Anspruch. Ich meine nicht, dass immer das Weib die Anstifterin des Verbrechens sein müsste oder dass gerade um des Weibes willen die meisten Verbrechen begangen werden, ich vertrete nur die Ansicht, dass das weibliche Element für viele Verbrecher das Siegfriedsche Lindenblatt bedeutet. Sie verstehen mich doch, Herr Generaldirektor. So etwas wie die Achillesferse oder den Kürassfehler, es weist auf die Stelle hin, wo sie sterblich sind. Es ist Ihnen doch klar?«

»Vollkommen.«

»Ich glaube da entschieden im Recht zu sein. Simson wäre nie zu bändigen gewesen, wenn er sein Haupt nicht in Delilas Schoß gebettet hätte.«

»Und haben Sie, Herr Trostler, jene so wichtigen weiblichen Beziehungen auch in diesem Fall aufgespürt?«

»Aber natürlich! Der Flüchtige hatte eine Braut zurückgelassen – alle Achtung! Eine Bürgerschullehrerin – das reizendste Persönchen, das Sie sich vorstellen können; die verkörperte Anmut, Klugheit und Ehrenhaftigkeit. Kein Mensch auf der Welt hätte besser wählen können.«

»Und die hat er schnöde im Stich gelassen?«

»Nicht doch! Es war abgemacht, dass sie nachkommen solle, sobald er sich drüben eine geregelte Existenz eingerichtet haben werde.«

»Und hat man von ihm wieder etwas gehört?«

»Er hat sich eine vollständig geordnete Existenz aufgebaut. Diese Angelegenheit ist vollkommen glatt erledigt. Mir war es vergönnt, ihm die reizende Braut zuzuführen – es ging doch nicht an, sie die weite Reise über das Meer allein machen zu lassen –, und ich hatte die Ehre bei ihrer Vermählung als Beistand zu fungieren.«

Der Generaldirektor erhob sich.

»Verzeihen Sie, Herr Trostler«, sagte er lächelnd, »wenn ich Ihre Erzählung einen Augenblick unterbreche. Ich will nur rasch in der Buchhaltung einen Auftrag geben, um dann ganz ungestört Ihrem interessanten Bericht folgen zu können.«

»Sie bemühen sich umsonst, Herr Generaldirektor«, erwiderte Dagobert ruhig sitzen bleibend. »Dort kommen Sie nicht durch. Im Nebenzimmer sitzen nämlich auch zwei Detektive, und zwar wirkliche Detektive der Polizei und nicht armselige Amateure wie ich. Unnötig zu sagen, dass auch auf der anderen Seite – im Vorzimmer – ebenfalls zwei sitzen. Die sorgen schon dafür, dass wir völlig ungestört bleiben. Sie haben strikten Auftrag, niemanden hereinzulassen. Es kann aber auch – außer mir – niemand dieses Zimmer verlassen, ohne sofort festgenommen zu werden. Wollen Sie es darauf ankommen lassen, Herr Generaldirektor?«

»Nein. Was wollen Sie von mir?«

»Ich will vor allen Dingen Ihnen gegenüber volle Aufrichtigkeit walten lassen. Nicht, um mir dadurch auch Ihre Aufrichtigkeit zu erschleichen. Meine Position wäre eine sehr schlechte, wenn ich auf sie angewiesen wäre. Ich brauche sie nicht. Was ich will, ist nur, Ihnen die Überzeugung beizubringen, dass ich Sie mit eisernen Klammern festhalte, so fest, als steckten Sie in einem Schraubstock. Erst wenn Sie davon völlig überzeugt sind, kann ich auf jene Entschließung Ihrerseits rechnen, die meines Erachtens noch einzig möglich und vernünftig ist, und die ich noch brauche.«

»Welche Entschließung?«

»Darauf kommen wir gleich, erst muss ich Sie noch besser überzeugen. Sie gestatten mir ja, mich kurzzufassen. Ich habe mich bei Frau von Benk als Zimmerherr einquartiert. Das ist die Mutter unseres gewesenen Kassierers, die Witwe eines Oberstleutnants. Sie lebt in engen Verhältnissen, aber es ist ein durchaus ehrenhaftes, moralisch reinliches Milieu. Wie kein Meister, so fällt auch kein Verbrecher vom Himmel. Ich war ordentlich aus der Kontenance gebracht, und meine Hoffnung, da den Schlüssel zu einer verbrecherischen Tat zu finden, ward stark heruntergedrückt. Ich hatte mich für einen Klavierlehrer ausgegeben und führte ein sehr solides und häusliches Leben, um mir das Vertrauen der Damen zu erwerben. Der Damen, denn Benks Braut, Fräulein Ehlbeck, kam täglich zu Besuch und gehörte sozusagen zum Haus. Das gelang mir denn auch ohne besondere Schwierigkeit. Ich hatte die Vorsicht gebraucht, gleich bei meinem Einzug die Bemerkung fallen zu lassen, dass ich nur einige Monate zu bleiben gedenke, bis ich mir genug zusammengespart hätte, um meinen Plan der Übersiedlung nach Amerika ausführen zu können. Diese harmlose Andeutung traf ihr Ziel. Sowohl Fräulein Ehlbeck, mit der ich sehr viel vierhändig spielte, als auch die Mutter kamen immer wieder auf das Thema Amerika zurück. Ich ging systematisch vor. Ich sandte von Zeit zu Zeit durch Postanweisung verschiedene bescheidene Beträge an meine Adresse, angeblich Honorar für meine Lektionen, und bat Frau von Benk sie für mich aufzuheben. Das Geld sei bei ihr besser aufgehoben als bei mir, und ich wolle es zusammenhalten für die Reise. Von dem flüchtigen Sohn war nie die Rede, aber es war auch nie ein Symptom von Angst oder Heimlichkeit wahrzunehmen. Etwaige Gewissensqualen waren da entschieden nicht vorhanden, und es war klar, von einer Mitwisserschaft oder gar Mitschuld konnte da nicht die Rede sein. Aber es scheint, Herr Generaldirektor, dass meine Rede Sie angreift. Soll ich Ihnen vielleicht ein Glas Wasser einschenken?«

»Ich danke Ihnen, Herr Trostler, vollenden Sie, und bitte machen Sie es kurz!«

»Ich werde es kurz machen. Endlich traf ein, worauf ich lange gewartet hatte, – ein Brief aus Amerika. Sie können es sich denken, dass ich ein scharfes Auge auf die Briefträger hatte. Ich sah den Umschlag und erkannte die Schrift. Den Brief hätte ich leicht stehlen oder heimlich lesen können. Derlei tue ich nicht. Man hat seine Grundsätze. Fremde Briefe waren mir immer ein Heiligtum. Ich erbat nur die Briefmarke für meine Sammlung. Natürlich war es mir nur um den Poststempel zu tun, und da fand ich bestätigt, was ich ohnedies schon wusste. Ich hatte ja längst schon die Adresse, die auch Sie sehr genau kennen, Herr Generaldirektor: Mr. Brenneberg, 1400 Second Avenue South, Minneapolis, Minnesota, USA.«

Der Generaldirektor wurde bei diesen Worten noch blasser. Mit einer plötzlichen verzweifelten Aufraffung steckte er den Schlüssel in seine Schreibtischlade, um sie aufzureißen.

»Nur keine Unbesonnenheit, Herr Generaldirektor!«, rief ihm Dagobert zu. »Lassen Sie die Lade ruhig geschlossen. Sie kann Ihnen nichts helfen. Sie haben dort einen Revolver, und ich habe die Hand in der Tasche und in der Hand auch einen Revolver. Ich würde entschieden geschwinder sein, und außerdem – Ihr Revolver war geladen, meiner ist es. Ich hatte mir nämlich erlaubt, bei meiner Inspektion die Kammern für alle Fälle zu entleeren und die Patronen zu mir zu stecken.«

»Sie haben mit Nachschlüsseln gearbeitet!«

»Natürlich! Sogar zu Ihrer großen Kasse habe ich mir die Duplikate der Schlüssel verschafft.«

»Wissen Sie, dass das infam ist! Und das hat Grundsätze und rührt keine fremden Briefe an!«

»Regen wir uns nicht auf, Herr Generaldirektor. Die Aufregung kann nur schaden, und ich bin kein Freund von dramatischen Szenen außerhalb der Bühne. Sie müssen doch selbst sehen, wie Sie sich damit schaden. Diese Aufwallung, mit der Sie da nach dem Revolver greifen wollten, war doch eine Anwandlung von Schwäche, die Ihrer entschieden nicht würdig war. Verlieren Sie doch nur die Ruhe nicht. Sie gehören ja zu den großen Dieben, die man laufen lässt, laufen lassen muss, – leider! Sie glauben mir doch, dass ich das ehrlich bedaure?«

»Weiter, kommen wir zum Schluss!«

»Ich bin schon dabei. Erst wollte ich Ihnen nur noch zweierlei sagen: Erstlich, dass Sie infolge meiner freundlichen Bemühungen schon längst hinter Schloss und Riegel säßen, wenn es nicht das Interesse der A. B. B. erforderte, dass Ihre Gaunerei – Sie haben doch nichts dagegen, dass ich mir in diesem Stadium kein Blatt mehr vor den Mund nehme – nicht an die große Glocke gehängt werde. Aber ausgeschlossen ist natürlich auch das nicht, wenn unsere Unterhandlungen hier nicht zu dem gewünschten Ziel führen sollten. Und zweitens: Man hat allerdings seine Grundsätze, und ich werde tatsächlich nie etwas Ungesetzliches oder auch nur Ungehöriges tun. Es ist aber weder ungesetzlich noch ungehörig, dass der Herr die Sachen eines untreuen Dieners durchsucht, mein Herr Generaldirektor! Der Präsident war bei der Durchsuchung zugegen.«

»Vollenden Sie!«

»Viel habe ich nicht gefunden. Dass Sie die Zeugnisse Ihrer unreinlichen galanten Abenteuer lieber in Ihrem Büro aufheben als im Bereich Ihrer Frau, das begreift sich, das geht uns nicht an. Also nicht viel, aber doch zwei wertvolle Fingerzeige. Erstens die bereits erwähnte Adresse und zweitens der Nachweis Ihrer Verbindung mit der Nationalbank unter dem Decknamen Ihrer Frau Schwiegermama.«

»Das ist kein Deckname. Das Geld gehört tatsächlich ihr!«

»Es wäre schlimm für uns, wenn es so wäre, aber es ist nicht so. Sehen Sie, Herr Generaldirektor, ohne es zu wollen, haben Sie mir zu einer von mir selbst nicht gewollten Karriere verholfen. Erst musste ich Verwaltungsrat werden, und dann wurde es unbedingt nötig, dass ich Zensor der Nationalbank wurde. Mit der mächtigen Hilfe unseres Präsidenten ging auch das. Ich musste es werden, um ganz genauen Einblick zu gewinnen. Mir können Sie also jetzt keine Romane über Ihre Frau Schwiegermama erzählen. Schließlich werde ich, und zwar heute noch, sogar Generaldirektor werden, aber nur für so lange, bis wir einen geeigneten Ersatz für Sie gefunden haben werden.«

»Sie tun immer, als wenn ich defraudiert hätte. Das werden Sie mir doch erst beweisen müssen!«

»Aber, lieber Generaldirektor – es ist wahrscheinlich das letzte Mal, dass ich Sie so nennen darf –, begreifen Sie denn Ihre Situation noch immer nicht? Ich kann Ihnen mit wenigen Worten verraten, wie Sie es angestellt haben. Sie kannten Benk von früher her und wussten, dass es die Sehnsucht seines Lebens war, sich in Amerika, in der Atmosphäre der Freiheit, einen Wirkungskreis zu schaffen. Als er seine Bücher abgeschlossen hatte und seinen Urlaub antreten wollte, boten sie ihm sechzigtausend Kronen dafür, dass er spurlos verschwinde. Ein Makel könne auf seinen Namen nicht fallen, da er doch die Kasse in voller Ordnung übergeben und sein Absolutorium in der Tasche habe. Sein Verschwinden werde zwar Bestürzung aber sonst keinerlei Nachteil hervorrufen. Für Sie würde die Bestürzung von unermesslichem Vorteil zur Befestigung Ihrer Stellung sein. Denn Sie seien dann der Einzige, der für den weiteren ungestörten Gang der Maschine sorgen könne, und damit sei Ihre Unentbehrlichkeit eklatant dokumentiert. Das sei Ihnen das Opfer wert. Benk ließ sich überreden, umso eher, als Sie ihn schon von der Schule her kannten. Sie duzten sich ja auch, nur freilich auf Ihren Wunsch in der Bank nicht.«

»Es ging einfach nicht – der anderen Beamten wegen.«

»Ich begreife. Nun konnte also der große Coup von Ihnen gewagt werden. Sie fühlten sich sicher. Der Verdacht würde doch auf den verschwundenen Kassierer fallen. Sie konnten wissen oder doch mit gutem Grund annehmen, dass man aus Scheu vor dem öffentlichen Skandal von der gerichtlichen Anzeige absehen werde. Übrigens hatten Sie auch für diesen Fall Ihre Maßnahmen getroffen. Soll ich Sie Ihnen rekapitulieren?«

»Ich danke, ich verzichte.«

»Gut, so will ich nur andeuten, dass ich unter anderen auch bei der H. A. P. A. G. – das ist die Hamburg-Amerikanische Paketboot-Aktiengesellschaft – einiges erhoben habe. Ich habe mir die Nummer der Kajüte notiert, die Sie auf der Kolumbia gemietet hatten. Die Urlaubsverhältnisse hätten Ihnen hinlänglich Zeit zu dem wünschenswerten Vorsprung gewährt.«

»Was wollen Sie nun von mir?«

»Eine Kleinigkeit, Ihre Unterschrift. Sie haben das durch Vollmacht ausgewiesene Verfügungsrecht über das Depot Ihrer Schwiegermama bei der Nationalbank. Das Depot reicht gerade aus, um den Schaden der A. B. B. zu decken. Diese Vollmacht werden Sie auf mich übertragen. Hier ist das vollständig adjustierte Schriftstück, Sie brauchen nur Ihren werten Namen darunter zu setzen.«

»Das werde ich nicht tun!«

»Wie Sie glauben, – genötigt wird nicht. Ich wollte Ihr Bestes, und nur wenn Sie sich selbst davon überzeugt haben, sollen Sie unterschreiben, sonst nicht. Die Verhältnisse haben sich nämlich zu Ihren Ungunsten verschoben, geehrter Herr. Alle Vorkehrungen zur Sicherung jenes Depots sind getroffen, falls Sie sich wirklich weigern sollten. Sie müssten sich nämlich klar machen, dass die A. B. B. jetzt keine Ursache mehr hat, die gerichtliche Anzeige zu scheuen. Der etwaige üble Eindruck der Nachricht von dem großen Unterschleif würde durch die Tatsache paralysiert werden, dass man nicht nur deren Urheber prompt erwischt, sondern auch für die sofortige Wiedergutmachung prompt gesorgt hat. Nun – was meinen Sie?«

Der Generaldirektor unterschrieb. Dagobert fertigte einen im Vorzimmer des Auftrages harrenden Vertrauensmann mit dem Schriftstück ab.

»Nur noch zwei Minuten«, nahm er dann wieder das Wort. »Die Nationalbank ist ja gleich daneben. Inzwischen kann ich Ihnen ja sagen, dass es eine sinnige Überraschung für unseren Herrn Präsidenten sein wird, eine unschuldige Freude, die er nicht erwartet hat. Denn ich habe weder ihm noch sonst jemandem von dem Fortgang meiner Bemühungen berichtet. Ich liebe es, mit fertigen Tatsachen zu kommen. Man hat so seine Eigenheiten!«

Nach wenigen Minuten ertönte wirklich ein Signal vom Telefonapparat am Schreibtisch her. Der Generaldirektor legte die Hörmuschel ans Ohr.

»Die Nationalbank«, meldete er, »ich verstehe aber nicht –, der Mohr kann gehen – Schluss!«

»Ganz richtig!«, rief Dagobert. »Das ist das Schlagwort, das ich mir bestellt habe zur Bestätigung, dass alles in Ordnung sei. Und jetzt, Herr Ringhoff, sind Sie Generaldirektor – gewesen! Erlauben Sie nur, dass ich die Türen öffne. Damit ist die Überwachung aufgehoben.«

Ringhoff nahm seinen Hut, verneigte sich und verließ die A. B. B., um sie nie wieder zu betreten.