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Die Geschichte vom Werwolf Teil 16

Die-Geschichte-vom-WerwolfDie Geschichte vom Werwolf
Eine Volkssage, erzählt von Alexandre Dumas
Nach dem französischen Manuskript von Dr. G. F. W. Rödiger

Kapitel 16
Der Baron von Vauparfonds

Im Gasthof Zum goldenen Dauphin bestellte Thibaut die beste Mahlzeit, die er ersinnen konnte.

Er hätte sich in einem eigenen Zimmer können bedienen lassen, aber dann würde er sich seines Triumphes nicht erfreut haben. Die gemeinen Gäste sollten sehen, wie er ein gebratenes Huhn und Aalpastete aß, die anderen Trinker sollten den Glücklichen beneiden, der drei verschiedene Sorten Wein aus drei verschieden geformten Gläsern trank. Man sollte seine gebieterische Stimme, den Silberklang seiner Taler hören.

Als er seinen ersten Befehl erteilte, sah sich einer der Gäste nach ihm um, als ob er eine bekannte Stimme hörte.

Dieser Mann war ein Kamerad Thibauts, nämlich ein Wirtshauskamerad. Als er Thibaut bemerkte, wandte er sich rasch wieder ab. Allein Thibaut erkannte in ihm doch den Kammerdiener des Herrn Baron von Vauparfonds.

»Ei, siehe da, François Levasseur!«, rief ihm Thibaut zu. »Was schmollst du denn in deiner Ecke wie ein Pfaff in der Fastenzeit, statt dir’s, wie ich, vor allen Leuten wohl schmecken zu lassen?«

François gab keine Antwort und winkte Thibaut Schweigen zu.

»Ich soll schweigen?«, sagte Thibaut, »und wenn mir’s nicht gefällig ist zu schweigen, wenn ich reden will, wenn ich nicht gern allein esse und trinke, wenn ich dir sage: Freund François, komm hierher, sei mein Gast … Du kommst nicht? Nun, dann hole ich dich.«

Thibaut stand auf und ging, von allen Gästen beobachtet, durch das Zimmer, und gab seinem Freund François einen derben Schlag auf die Schulter.

»Tue so, als ob du dich geirrt hättest, Thibaut, ich verliere sonst meinen Platz. Siehst du nicht, dass ich statt meiner Livree einen grauen Überrock trage? Ich bin hier im Auftrag meines Herrn auf Abenteuer und erwarte ein Liebesbriefchen, das ich ihm bringen soll.«

»Ja, das ist etwas anderes. Ich bitte um Entschuldigung, ich hätte gern mit dir getafelt.«

»Dein Wunsch ist sehr leicht zu erfüllen«, erwiderte François. »Lass in einem besonderen Zimmer auftragen, und ich sage dem Wirt, wenn ein anderer Graurock kommt, soll er ihn hinaufschicken. Unter uns Freunden gibt es kein Geheimnis.«

»Gut«, sagte Thibaut und ließ das Essen in einem Zimmer des ersten Stockwerkes auftragen.

François setzte sich so, dass er den Erwarteten schon von Weitem den Berg herabkommen sehen konnte.

Das von Thibaut bestellte Diner war für zwei genug, nur ein paar Flaschen Wein bestellte er noch. Er hatte in den beiden gastronomischen Lektionen bei Magloire viel gelernt. Dazu kam, dass er etwas zu vergessen hatte, und sich durch den Wein zu betäuben gedachte. Er freute sich daher, dass er einen Freund gefunden hatte, mit dem er plaudern konnte.

In der Gemütsstimmung, worin sich Thibaut befand, kann man sich ebenso gut durch Plaudern wie durch Trinken berauschen. Kaum hatte er Platz genommen und den Hut fest auf die Stirn gedrückt, um seinem Freunde François den Anblick der brandroten Haare zu entziehen, so begann er: »Jetzt, Freund François, erkläre mir deine Worte, die ich nicht recht verstanden habe.«

»Das wundert mich gar nicht«, sagte François, indem er sich mit geckenhaft wichtiger Miene auf seinem Sessel zurücklehnte. »Wir Lakaien der vornehmen Herren reden die Hofsprache, die nicht für jedermann verständlich ist.«

»Aber durch Erklärungen kann man sie verständlich machen.«

»Allerdings, frage nur, ich werde dir antworten.«

»So sage: Warum trägst du denn diesen grauen Rock statt deiner Livree.«

»Um in der Nacht mit Steinen und Mauern gleiche Farbe zu haben, um hinter einer Säule oder einer Ecke Schildwache zu stehen, ohne gesehen zu werden.«

»Du bist also jetzt auf Wache, François?«

»Allerdings.«

»Und wer wird dich ablösen?«

»Champagne.«

»Was für ein Champagne?«

»Du kennst Champagne nicht?«

»O ja, mindestens ein Dutzend, aber bei wem steht dieser Champagne im Dienst?«

»Bei der Gräfin Montgobert.«

»Aha! Ich verstehe: Dein Herr hat eine Liebschaft mit der Gräfin …«

»Wahrhaftig, du kannst gut raten …«

»Und Champagne soll dir einen Brief von der Dame bringen.«

»Bravo, getroffen!«

»Und diesen Brief sollst du deinem Herrn bringen.«

»Optime! Wie der Hofmeister unseres jungen Herrn sagt.«

»Dein Herr ist ein Glückskind. Die Gräfin ist eine reizende Dame.«

»Du kennst sie?«

»Ich habe sie mit dem Herzog von Orleans und Madame de Montesson auf der Jagd gesehen. Sie hat blendend weiße Schultern, blaue Augen und ein Füßchen zum Entzücken … Fürwahr, dein Herr ist ein Glückskind. Er soll hochleben!«

Die beiden Kameraden stießen an und leerten ihre Gläser.

Kaum hatte François sein Glas auf den Tisch gesetzt, so bemerkte er Champagne. Er eilte ans Fenster und rief ihn.

Champagne war, wie jeder Diener aus gutem Hause, sehr leicht von Begriff. Er kam.

Er trug wie der andere Lakai einen grauen Rock. Er brachte den Brief.

»Nun«, fragte François, »findet diesen Abend ein Stelldichein statt?«

»Ja«, antwortete Champagne vergnügt.

»Das freut mich«, sagte François, sich die Hände reibend.

Thibaut wunderte sich über die Harmonie der beiden Diener.

»Macht dich das Glück deines Herrn so vergnügt?«, fragte er François.

»Nein, aber wenn der Herr Baron beschäftigt ist, bin ich frei.«

»Und du benützest deine Freiheit?«

»Das will ich meinen«, erwiderte François. »Unsereiner hat auch seine Liebesabenteuer.«

»Und Ihr, Champagne?«

»Ich gedenke meinen Abend gut zu benützen«, antwortete Champagne, indem er sein Glas gegen das Licht hielt.

»Ich wünsche Euch viel Glück«, sagte Thibaut, sein Glas nehmend.

»Und euer Liebchen soll leben«, sagten die beiden Lakaien anstoßend.

»O, ich!«, antwortete Thibaut mit Bitterkeit. »ich bin der Einzige, der niemand liebt und von niemand geliebt wird.«

Die beiden anderen sahen ihn erstaunt an.

»Was«, sagte François, »sollte es wirklich wahr sein, was man von Euch munkelt?«

»Von mir?«

»Ja, von Euch!«, sagte Champagne.

»Man sagt also dasselbe in Montgobert und in Vauparfonds?«

Champagne musste bejahen.

»Was sagt man denn?«, fragte Thibaut.

»Dass Ihr der Werwolf seid«, sagte François.

Thibaut brach in ein lautes Gelächter aus.

»Seht mich doch an. Habe ich einen Wolfspelz? Habe ich Tatzen? Habe ich eine Schnauze?«

»Wir sagen ja nur, was die Leute sagen, ohne zu behaupten, dass es wahr sei.«

»Auf jeden Fall«, sagte Thibaut, »werdet Ihr gestehen, dass die Werwölfe lustig sind, wenn sie eins getrunken haben.«

»Ja, das ist wahr«, sagten die beiden Lakaien.

»Auf die Gesundheit des Teufels, der den Wein liefert!«

Die beiden Lakaien, welche die Gläser in der Hand hielten, setzten sich nieder.

»Nun, Ihr wollt mir nicht Bescheid tun?«, fragte Thibaut.

»Sucht Euch jemanden, der Euch auf diese Gesundheit Bescheid tue«, sagte François. »Ich tue es nicht.«

»Ich auch nicht«, sagte Champagne.

»Gut«, sagte Thibaut, »dann trinke ich die drei Gläser allein.«

Er nahm ein Glas nach dem anderen und trank sie aus.

»Freund Thibaut«, sagte der Lakai des Barons, »wir müssen uns trennen, mein Herr erwartet mich. Hast du den Brief, Champagne?«

»Ja, hier ist er.«

»Wir wollen also Abschied nehmen von unserem Freund Thibaut und unseren Geschäften oder Vergnügen nachgehen.«

Bei diesen Worten winkte er seinem Kameraden zu, und dieser antwortete ihm durch einen ähnlichen Wink.

»Aber noch ein Glas«, sagte Thibaut.

»Aber nicht aus diesen Gläsern«, erwiderte François, indem er auf die Gläser deutete, aus denen Thibaut auf die Gesundheit des bösen Feindes getrunken hatte.

»Nun dann«, sagte Thibaut, der bereits etwas berauscht war, »dann sind diese nicht mehr wert, als zum Fenster hinausgeworfen zu werden.«

Thibaut öffnete das Fenster, nahm ein Glas und warf es hinaus.

»Geh zum Teufel!«, sagte er.

Das hinausgeschleuderte Glas beschrieb in der Luft einen feurigen Bogen, der wie ein Blitz erlosch.

Thibaut nahm nun das zweite und das dritte Glas. Der dritte Wurf war von einem Donnerschlag begleitet.

Thibaut schloss das Fenster und nahm seinen Platz wieder ein. Während er sich besann, wie er dies seinen beiden Zechbrüdern erklären sollte, bemerkte er, dass sie verschwunden waren.

Auf dem Tisch war kein Trinkglas mehr. Thibaut trank daher aus der Flasche, wodurch seine schon wankende Vernunft keineswegs ins Gleichgewicht gebracht wurde.

Um neun Uhr rief Thibaut den Wirt, bezahlte seine Rechnung und ging fort.

Der Unglückliche war gegen die ganze Menschheit erbittert. Der Gedanke, dem er hatte entrinnen wollen, verfolgte ihn unablässig. Agnelette schwebte seiner Fantasie beständig vor, sie war auf immer für ihn verloren. Jedermann hatte ein geliebtes Wesen, nur er war einsam und verlassen. Während rings um ihn alles der Freude lebte, hatte er nur Wut und Verzweiflung im Herzen.

Während er sich seinen düsteren Gedanken überließ und von Zeit zu Zeit laut fluchte und die drohende Faust zum Himmel erhob, ging er durch den Wald gerade auf seine Hütte zu. Als er nur noch wenige Hundert Schritte von derselben entfernt war, hörte er hinter sich den Galopp eines Pferdes.

»Das ist der Baron von Vauparfonds«, sagte Thibaut. »Er begibt sich zu seinem Stelldichein. Ich würde recht lachen, Junker Raoul, wenn der Graf von Montgobert Euch überraschte. Es würde nicht so gehen, wie bei dem kleinen Magloire, es würde Blut dabei fließen.«

Thibaut, der mitten auf dem Weg ging, trat wahrscheinlich nicht schnell genug auf die Seite, denn der Reiter gab ihm einem Hieb mit der Peitsche und rief ihm zu: »Geh auf die Seite, ich reite dich sonst nieder.«

Thibaut fühlte in seinem Rausch den Peitschenhieb, den Stoß des Pferdes und das kalte, schlammige Wasser, in welchem er lag.

Der Reiter trabte fort.

Thibaut richtete sich wütend auf und drohte dem forteilenden Schatten mit der Faust.

»Aber in des Teufels Namen«, sagte er, »soll ich denn nicht wenigstens einmal in meinem Leben, wenn auch nur vierundzwanzig Stunden, ein vornehmer Herr sein wie Raoul von Vauparfonds, um auf einem guten Pferd zu reiten, die Bauern, die mir in den Weg kommen, mit der Peitsche zu traktieren und den schönen Damen, die ihre Männer betrügen, wie die Gräfin von Montgobert, den Hof zu machen?«

Kaum hatte Thibaut seinen Wunsch ausgesprochen, so bäumte sich das Pferd des Baron Raoul und warf seinen Reiter ab.