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Die Macht der Drei – Teil 39

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Nur eine schwere seelische Erschütterung kann den Riegel zerbrechen. Dr. Glossin wusste es. Darum hatte er Jane das Zeitungsblatt mit der Nachricht über die Katastrophe von Linnais gegeben. Im letzten Moment, als der Riegel wankte, als er brechen wollte, hatte Atma eingegriffen. Seiner Kraft war es gelungen, die Verriegelung noch einmal zu halten und zu schließen. Aber sie hatte durch den schweren Angriff Glossins eine Beschädigung erlitten. Ein zweiter unvermuteter Stoß konnte sie leicht sprengen.

Einstweilen war Jane beruhigt. In jenem Moment, als sie unter dem niederschmetternden Eindruck der Nachricht von Linnais halb ohnmächtig in den Armen Glossins hing, war es plötzlich wie eine feste und unumstößliche Gewissheit durch ihre Seele gegangen: Silvester lebt. Er ist mit seinen Freunden geborgen. Ich werde bald von ihm hören. Es war die telepathische Beeinflussung des Inders, die ihr diese Zuversicht gab, die sie instand setzte, die Worte Glossins zu belächeln, ihm ihre andere bessere Überzeugung entgegenzuhalten.

Dr. Glossin hatte das Haus Termölen verlassen. Niedergeschlagen, innerlich zerrissen. Er fühlte alle seine Stützen wankend werden.

Seitdem sich Cyrus Stonard mit dem Gedanken des Krieges gegen das britische Weltreich trug, lag in Glossins Unterbewusstsein das Empfinden, dass der Präsident-Diktator um seine Herrschaft, vielleicht sogar um seinen Kopf spielte. Es blieb ihm selbst verborgen und unbewusst, bis der leidenschaftliche Ausbruch des Diktators es ans Licht rief. Jetzt empfand er es von Tag zu Tag und von Stunde zu Stunde deutlicher. Der Stern Cyrus Stonards war im Sinken. Es war Zeit, sich von ihm zu trennen. Für einen Charakter wie Glossin aber war die Trennung gleichbedeutend mit Verrat, mit dem Übergang zur anderen Partei.

Er dachte nicht mehr daran, den Auftrag Cyrus Stonards zu erfüllen. Mochte der Diktator die drei selber fangen, wenn er sie haben wollte. Aber Jane wollte und musste er unter allen Umständen in seine Gewalt, auf seine Seite bringen, koste es, was es wolle. Es war ihm nicht geglückt, den Riegel im ersten Ansturm zu sprengen. Kein Wunder, wenn eine hypnotische Kraft wie diejenige Atmas ihn gefügt hatte. Aber Dr. Glossin wusste auch, dass jeder Angriff die Verriegelung schwächte, dass sie doch eines Tages brechen musste, wenn sie nicht ständig erneuert wurde. Er beschloss, vorläufig in Düsseldorf zu bleiben, das Haus, in welchem Jane wohnte, zu beobachten, die nächste Gelegenheit abzupassen und auszunutzen.

Die vierte Nachmittagsstunde kam heran, die Zeit, zu welcher Silvester mit Jane zu sprechen pflegte. Wie gewöhnlich setzte sie sich an den Apparat und hielt den Hörer erwartungsvoll an das Ohr.

Nur noch Sekunden, dann musste die Stimme Silvesters zu ihr dringen. Dann würde sie aus seinem eigenen Mund hören, wie der Brand in Linnais verlaufen war und wo er sich jetzt mit seinen Freunden befand.

Jane saß und harrte auf die erlösenden Worte. Wartete, während die Sekunden sich zu Minuten häuften und aus den Minuten Viertelstunden wurden.

Der Apparat blieb stumm. Nur das leichte Rauschen der Elektronenverstärker war an der Telefonmembrane zu hören.

Jane saß und wartete. Sie konnte es ja nicht wissen, dass Silvester in diesem Augenblick den Strahler am Pol richtete, ihr Bild auf die Mattscheibe brachte. Sie harren sah und hundertmal den Umstand verwünschte, dass die Antennen für die telefonische Verbindung noch nicht gespannt waren. Sie wusste nur, dass sie hier vergeblich auf Silvesters Stimme harrte, und Zweifel begannen ihr zum Herzen zu steigen.

Die Worte Glossins kamen ihr in den Sinn. Sollte es doch wahr sein, dass …? Sollte die Zeitung nicht gelogen haben, die ihr Glossin damals gab?

Die zweite Erschütterung, die den Riegel sprengen konnte, vielleicht schon sprengen musste, kam ohne das Zutun Glossins. Kam, weil sechshundert Meilen entfernt in Schnee und Eis ein paar Drähte nicht rechtzeitig gespannt worden waren.

Die Minuten verrannen. Die Uhr hub zum Schlag an und verkündete die fünfte Stunde. Die Zeit, für welche Jane nach der Verabredung die Elektronenlampen brennen, ihren Apparat in der Empfangsstellung stehen lassen sollte, war vorüber.

Das war ihr klar, Silvester war nicht da … Es war ihm irgendetwas zugestoßen … Er war …

Sie dachte das Wort nicht zu Ende. Von einem plötzlichen Impuls getrieben, sprang sie auf und fasste einen Entschluss. Einen übereilten und unsinnigen. Aber sie hatte in diesen Minuten nur noch das eine Gefühl, dass sie fort müsse. Silvester zu suchen, bis sie ihn gefunden habe.

Vorsichtig öffnete sie die Tür zu dem Zimmer der alten Termölen. Die hatten ihr Nachmittagsschläfchen noch nicht beendet. Leise machte sie die Tür wieder zu. Hastig füllten ihre zitternden Hände eine kleine Ledertasche mit dem Notwendigsten. Ein paar Zeilen an die Alte. Dass sie ginge, ihren Gatten zu suchen.

An der Tür blieb sie stehen und umfasste mit einem langen Blick noch einmal den schlichten Raum, in dem sie die letzte glückliche Stunde mit Silvester verlebt hatte. Da stand ja noch der Elektronenempfänger, mit dem sie jederzeit und überall seine Stimme hören konnte, wenn er sie rief. Sie eilte darauf zu und hing den Apparat über ihre Schulter. Lautlos und ungesehen verließ sie die Wohnung. Aber nicht ungesehen das Haus.

Dr. Glossin sah sie auf die Straße treten. Er folgte ihr. Erst in die Uferbahn, dann in das Flugschiff. Sorgfältig darauf achtend, dass er selbst nicht von ihr gesehen werde. Eifrig darauf bedacht, sie nicht aus den Augen zu verlieren.