Heftroman der Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Das Steppenross – Kapitel 17 – Teil 1

Das-SteppenrossEduard Wagner
Das Steppenross
Eine Erzählung aus dem Jahr 1865 zu den Zeiten des amerikanisch-mexikanischen Krieges, nach dem Englischen des Kapitän Mayne Reid

Kapitel 17 Teil 1
Stromaufwärts

Die Leute folgten mir abermals, ich bedurfte keiner Kundschafter. Die vielen Pferde hatten ihre Spur dem Boden eingeprägt.

Wir ritten in regelmäßigeren Schritt ziemlich langsam. Ich eilte nicht, die Indianer einzuholen, und wünschte sie nicht vor Einbruch der Nacht zu erblicken. Sie hätten uns sonst ebenfalls gesehen. Der Plan, den ich zur Befreiung meiner Verlobten entworfen hatte, ließ sich nicht bei Tage ausführen. Ich musste dazu auf die Dunkelheit, auf den Einbruch der Nacht warten.

Die Trapper konnten die Spur der armen Gefangenen noch immer auf der Fährte erkennen. Dies war ein Beweis, dass der ganze Trupp im Schritt geritten sein musste. Die Trapper behaupteten, es befänden sich viele Pferde ohne Reiter dabei, die geführt oder getrieben wurden, ebenso viele Maultiere. Das Vieh war jedenfalls erbeutet und geraubt worden. Warum ließ man die armen Gefangenen nicht auf diesen Tieren reiten? War dies eine Grausamkeit oder eine rohe Gleichgültigkeit der Hüter? Wurde ihnen jede Erleichterung verwehrt, damit ihre Wächter sich umso mehr am Ungemach der Unglücklichen ergötzen könnten?

Alle diese Fragen ließen sich wahrscheinlich bejahend beantworten, denn diese Wilden benehmen sich gegen die Frauen von ihrem eigenen Blut und Stamm ebenfalls nicht besser.

Man spricht oft vom Naturzustand des edlen Wilden und von seiner Einfachheit und seiner milden Gesinnung. Man nennt dies mit Unrecht einen Naturzustand, denn der Mensch ist nicht zum wilden Herumtreiben auf der Erde bestimmt, sondern für die Zivilisation, für die Gesellschaft geschaffen. Nur unter ihrem Einfluss erlangt er Anmut und Güte. Überlässt man ihn sich selbst, dem Spiel seiner Triebe, der Befriedigung seiner bösen Gelüste, so verwildert er, er wird noch schlimmer als das Raubtier. Denn der Wolf und der Tiger benehmen sich freundschaftlicher gegen ihresgleichen und sanfter gegen ihre Familie als der Indianer. Jene Raubtiere empfinden die Zärtlichkeit des Familienlebens, aber wo ist der Wilde auf der ganzen Erde, der nicht brutale Herrschaft sich anmaßt, der nicht den schändlichsten Druck gegen seine schwächere Gefährtin ausübt? Wo ist dieser Wilde zu finden? Nicht auf den blutgetränkten Gefilden von Afrika, nicht auf den waldigen Ebenen am Amazonasstrom, nicht am eisigen Ufer des Polarmeeres, nicht auf der amerikanischen Steppe. Man sage mir nichts von edlen Wilden! Es ist ein Fantasiegebilde der Dichter, denn der Mann kann nicht edel sein, der im Zorn sich an der schwächeren Frau vergreift.

Die Spur der Pferde ohne Reiter, die Schritte der Frauen, von zarten Mädchen und Kindern, die zu Fuß gingen, hatten für mich eine schreckliche Bedeutung. Unter allen diesen zarten Spuren niedlicher Füße gab es eine, die meine Aufmerksamkeit mehr fesselte als die übrigen. Es gab eine, welche ich gern als die Fußstapfen einer vornehmen Dame zu erkennen glaubte. Diese Spur war vollkommen ebenmäßig, tief eingebogen. Man sah die Wölbung des Absatzes, die Reihe der kleinen Kreise, welche durch den Druck der Zehen zurückgelassen, die glatte Oberfläche, welche durch die Berührung mit der Haut hervorgebracht war. Aber ich wollte nicht daran glauben, dass es die ihren seien. Ich hielt es für zweifelhaft, dass man sie nach den Qualen, die sie bereits überstanden hatte, dass man sie noch auf dem mühseligen Weg hingeschleppt hatte. Wenngleich ihre Hüter ein grausames Herz und einen rohen Charakter besaßen, so konnten sie ihr unmöglich einen Schmerz zufügen. Sie mussten zu einer freundlichen Behandlung geneigt sein.

Wie gern hätte ich dies gehofft!

Wir ließen den Feinden Zeit, sich von ihrem Mittagsruheplatz zu entfernen. Wir mussten Späher ausschicken, um jede Biegung des Weges, jedes Gebüsch zu untersuchen, sich jedem Hügel mit der größten Vorsicht zu nähern. Dies forderte Zeit, und wir konnten uns nur langsam bewegen. Der Nachmittag war schon vorüber, als wir das Lager der Wilden erreichten. Sie hatten Feuer angezündet und Fleisch gekocht. Als wir, durch den Rauch gewarnt, uns verstohlen näherten, hatten sie den Ort schon verlassen.

Ich durchsuchte wieder die Umgegend, aber die Augen des Trappers waren auch jetzt besser als die meinen.

»Da ist noch ein Brief, junger Bursche«, sagte er, indem er mir noch ein Blatt aus dem Messbuch gab. Ich ergriff es eifrig und las begierig den Inhalt, der kurz lautete:

Die Beratung findet heute Abend statt. In wenigen Stunden wird entschieden sein, wessen Eigentum ich bin. Ich werde die Flucht versuchen. Sie lassen meine Hände frei, aber meine Füße sind mit Riemen festgebunden. Ich habe vergebens versucht, meine Fesseln zu lösen. Wenn ich nur ein Messer hätte! Ich weiß, wo eine scharfe Klinge aufbewahrt wird. Vielleicht gelingt es mir, mich im letzten Augenblick derselben zu bemächtigen. Ich bin fest entschlossen, Heinrich! O, überlasse mich nicht der Verzweiflung. Ich muss …

Das Schreiben hörte hier auf, sie war durch ihre Hüter gestört worden. Ohne Zweifel war das Papier hastig verborgen, schnell zusammengefaltet und ins Gras geworfen worden.

Wir hielten uns an dem Ort nur solange auf, um unsere Pferde ruhen und weiden zu lassen. Auch fand sich Wasser hier am Ort, was wir vielleicht nicht bald wiedersehen würden.

Schon stand die Sonne tief, als wir unseren Marsch, unseren letzten Marsch auf der Kriegsfährte wieder antraten.

Wir legten ungefähr eine Meile zurück. Unsere Späher waren wie gewöhnlich vorausgegangen. Nachdem sie einen Hügel in der Prärie erstiegen hatten, sahen wir sie plötzlich sich hinter einige Büsche verstecken, welche auf der Höhe wuchsen. Wir machten Halt, um das Ergebnis ihrer Forschungen zu erwarten. Dadurch, dass sie mit großer Aufmerksamkeit auf das Gebüsch schauten, wurden wir zu dem Glauben veranlasst, sie erblickten einen Gegenstand von ungewöhnlicher Wichtigkeit.

Und dies war auch der Fall. Wir hatten kaum angehalten, als wir bemerkten, dass sie sich plötzlich von dem Gebüsch zurückzogen, sich emporrichteten und mit der größten Eile den Hügel hinabliefen, indem sie uns winkten, uns und unsere Pferde zu verstecken.

Es fand sich glücklicherweise genug Gehölz in der Umgegend, und nach wenigen Augenblicken hatten wir uns mit den Pferden der Trapper sämtlich dorthin versteckt.

Durch die Neigung des Hügels war es den Spähern gestattet, schnell zu laufen, und sie hatten die Bäume fast ebenso schnell wie wir erreicht.

»Was gibt es denn?«, fragten mehrere gleichzeitig.

»Indianer auf dem Rückweg!«, antworteten die Trapper atemlos.

»Indianer, wie viele?«, fragte einer von den Jägern.

»Ich sprach nur von einem Indianer!«, antwortete Rube. »Hole der Kuckuck dein Geschwätz! Es ist jetzt keine Zeit zum Schwatzen. Lege die Seile zurecht, Bill. Die Flinten in Ruhe, ihr verwünschten Gelbschnäbel! Das Schießen ist hier nicht am rechten Ort! Ehe ein Biber mit dem Schwanz wedeln könnte, würdet ihr die ganze Bande zurückgerufen haben. Bill mag die Rothaut mit dem Seil binden und der junge Bursche ihm helfen, der versteht es! Sollten beide fehlen, so fehle ich gewiss nicht! Hört ihr das, ihr Burschen? Dass keiner von euch schießt! Wenn eine Flinte nötig sein sollte, so wird die meine genügen. Aber wenn euch euer Leben lieb ist, so schießt keine von euren Knallbüchsen eher ab, bis ich verfehle – man würde sie zehn Meilen weit hören! Hast du dein Seil in Ordnung, Bill, und Sie, junger Bursche? Gut, so haltet beide die Augen offen und knebelt die verwünschte Rothaut wie ein Kaninchen. Da kommt er schon!«

Diese eifrige Ermahnung wurde natürlicherweise in aller Eile gegeben. Als der Sprechende schwieg, sah ich den Kopf und die Schultern eines Wilden über die Erhöhung hervorragen. Nach wenigen Augenblicken wurde der Leib sichtbar und dann die Schenkel und die Beine, welche einen großen, scheckigen Mustang umspannten.

Wie sich versteht, ging das Pferd im Galopp, denn es ist etwas Seltenes, dass ein berittener Indianer von einer anderen Gangart Gebrauch macht.

Die Späher wussten, dass der Indianer allein war. Da sich hinter dem Hügel eine offene Steppe ausdehnte, so würden sie es gesehen haben, wenn der Indianer Begleiter oder ein Gefolge gehabt hätte. Er war allein.

Wodurch war er zurückgeführt worden? Wollte er kundschaften? Nein, denn er ritt unvorsichtig und ohne alle Sicherheitsmaßregeln. Ein Späher würde anders verfahren sein. Er konnte ein Bote sein, aber zu welchem Zweck? Die Indianer hatten keine Abteilung, die hinter uns zurückgeblieben war.

Diese Fragen wurden schnell unter uns ausgetauscht und die verschiedensten Vermutungen als Antwort gegeben. Der Kanadier gab die Lösung, welche am wahrscheinlichsten war.

»Er will den Schild holen!«

»Den Schild? Was für einen Schild?«

»Aha! Ihr habt ihn nicht gesehen! Ich sah ihn mit meinen eigenen Augen. Er war in dem Gras verborgen, ein großer, sehr großer Schild aus Büffelfell und mit frischen Skalps, mit mexikanischen Kopfhäuten verziert!«

Diese Erklärung war verständig. Leblaue hatte in dem Gebüsch, wo wir abgestiegen waren, einen Schild bemerkt, welchen wahrscheinlich einer der Tapfersten zurückgelassen hatte. Er war mit frischen mexikanischen Skalps besetzt, und es war möglich, dass der Indianer diese Siegeszeichen vergessen hatte und sich auf dem Weg befand, sie wieder zu holen.

Es blieb uns weder zu einer Unterhaltung noch zu Mutmaßungen Zeit. Der Reiter war am Fuß des Hügels angekommen, und es trat die Notwendigkeit ein, ihn binnen zehn Minuten mit dem Lasso einzufangen oder ihn zu erschießen.