Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Marone – Eine dringende Aufforderung

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 8

Eine dringende Aufforderung

Bei Cubina entspann sich jetzt ein lebhafter Streit zwischen der Klugheit und dem Wunsch, seinen ursprünglichen Plan auszuführen, nämlich ob er nicht allein fortschleichen, sondern sich noch bemühen solle, mit dem Schläfer in der Hängematte in Kontakt zu treten. Im ersteren Fall müsste er zur Lichtung zurückkehren und dort Herberts Ankunft, wie sie früher bestimmt war, abwarten. Allein hierdurch würden mindestens zwei Stunden verloren gehen und würde es auch ganz gewiss sein, dass der junge Engländer zur festgesetzten Zeit wirklich da wäre? Selbst gegen seinen Willen könnte sich leicht etwas Verzögerndes ereignen!

Aber nun gar Verzögerung von zwei vollen Stunden! In der Zeit konnte Loftus Vaughan schon zu atmen aufgehört haben!

Solche Gedanken durchströmten rasch den Geist des Maronen, der an unmittelbare Wahrnehmungen und Anschauungen gewohnt war. Sofort begriff er auch, dass er unverweilt entweder selbst nach Willkommenberg hineilen oder den Schläfer wecken dürfe. Vielleicht hätte er sich doch für das erstere Verhalten entschieden, allein er hatte für die Zusammenkunft mit Herbert Vaughan noch andere ebenso dringende Gründe, als die, welche für die Sicherheit des Custos sprachen. Auch hatte er bis jetzt gar keinen eigentlichen Grund zu dem Glauben, dass die den Pflanzer drohende Gefahr wirklich so nahe sei, als es der Fall war, denn es fiel ihm durchaus nicht ein, dass der Abmarsch der beiden Spanier etwas anderes zu bedeuten habe, als was mit ihrem Beruf, flüchtige Sklaven einzufangen, in Verbindung stände.

Hätte er die Absicht der beiden Schurken nur irgend geahnt, hätte er gar den Mord gewusst, zudem sie der Sklavenhändler aussandte, er würde schwerlich länger als durchaus notwendig war, gesäumt haben, um die Mittel vorzubereiten, ihre schändlichen Absichten zu vereiteln.

Allein über alles dies vollkommen im Unklaren glaubte er nicht, dass eine besondere Eile notwendig sei, obwohl er ganz gut einsah, dass gegen den Custos etwas zu Werk ginge, das zu verhüten man nicht zögern dürfe.

In diesem Augenblick drehte sich der Inhaber der Hängematte gähnend um.

Nun wird er aufwachen!, dachte Cubina, nun ist es Zeit für mich!

Indes, zu Cubinas größtem Leidwesen, wurden des Schläfers Glieder wieder schlaff und bald schien er wieder ebenso fest zu schlafen wie zuvor.

»Wie schade!«, murmelte der Marone für sich. »Wenn ich doch nur ein einziges Wort mit ihm reden könnte! Doch das geht nicht, der alte Halunke würde es eher als er hören. Ich will etwas hinunter in die Hängematte werfen. Vielleicht weckt ihn das auf!«

Cubina zog seine Tabakpfeife heraus, das Einzige, was er in diesem Augenblick finden konnte, und warf sie mit größter Sicherheit in die Hängematte hinein. Wohl fiel sie auch gerade auf die Brust des Schlafenden, allein sie war doch zu leicht, um ihn aufzuwecken.

»Er schläft wahrhaftig wie eine Eule zur Mittagszeit! Was kann ich denn nur tun, um mich ihm bemerkbar zu machen? Wenn ich meine Machete hinunterwerfe, so verliere ich meine Waffe. Das geht nicht, denn wer weiß, ob ich die nicht noch nötig habe, bevor ich aus der Klemme herauskomme. Ha, eine von diesen Kokosnüssen. Das wird gehen und die wird auch schwer genug sein, um ihn aufzuschrecken!«

Während er dies leise zu sich selbst sprach, beugte der Marone sich nieder, streckte seinen Arm durch die Zweige und pflückte eine der an dem Baum hängenden riesigen Nüsse.

Einen Augenblick wog er sie in der Hand, um ihr die rechte Richtung geben zu können. Dann warf er sie gerade auf Herberts Brust. Glücklicherweise verhinderten die Seiten der Hängematte, dass sie auf den Boden fiel, sonst mochte das dadurch verursachte Geräusch auch den im Lehnstuhl Schlafenden geweckt haben.

Der junge Engländer war, als ihn die Nuss traf, erschreckt aus dem Schlaf aufgefahren und hatte sich auf den Ellenbogen gestützt. Herbert war nicht so ganz leicht aus der Fassung zu bringen. So erhob er auch kein lautes Schreien, wie es wohl die meisten getan haben würden. Allein der Anblick der großen braunen Frucht, die auf der Bettdecke lag, setzte ihn doch in nicht geringe Verwunderung.

»Wo, im Namen der Ceres und Pomona, bist du nur hergekommen?«, sprach er für sich und schlug die Augen auf, um eine Antwort auf seine klassische Frage zu erhalten.

Im Dämmerlicht gewahrte er die Palme und ihre stolz über ihm sich erhebende Blätterkrone ganz gut. Umso mehr fiel ihm sogleich der dunkle Fleck in ihr auf, der ganz die Gestalt eines sitzenden Menschen hatte. Lange dauerte es jedoch nicht, so hatte er in ihr seinen früheren liebenswürdigen Wirt unter der großen Ceiba erkannt, den Maronenhäuptling Cubina.

Bevor der Engländer noch ein Wort hervorbringen konnte, um seine Bewunderung erkennen zu geben, ermahnte ihn eine bedeutungsvolle Handbewegung des Maronen, Stillschweigen zu beobachten.

»Stil, still! Nicht ein lautes Wort, Herr Vaughan!«, sprach der Marone so leise wie möglich und winkte dabei zu dem Korridor. »Kommen Sie geschwind aus der Hängematte heraus, nehmen Sie Ihren Hut und folgen Sie mir in den Wald. Ich habe wichtige Neuigkeiten für Sie, höchst wichtige! Leben und Tod! Kommen Sie heraus, aber, um Himmels willen, lassen Sie sich von ihm nicht sehen!«

»Von wem?«, flüsterte Herbert.

»Sehen Sie dahin!«, antwortete der Marone, auf den im Lehnstuhl Schlafenden deutend.

»Ich verstehe. Nun, und dann?«

»Treffen Sie mich in der Lichtung. Kommen Sie sofort! Kein Augenblick ist zu verlieren! Ihre Verwandten sind in Gefahr!«

»Ich werde gleich kommen«, sagte Herbert und machte sofort Anstalt, aus der Hängematte herauszuspringen.

»Nun genug! Ich muss fort. Unter der großen Ceiba werden Sie mich finden!« Dies sagend, verließ der Marone seinen so lange und gefährlich behaupteten Sitz, glitt den schlanken Schaft des Kokosnussbaumes hinab, setzte sich dann in einen raschen, leichten Trab und verschwand alsbald in dem Unterholz der alten Zuckerpflanzung.

Herbert Vaughan zögerte keinen Augenblick, der Aufforderung des Maronen Folge zu leisten. Einige gerade erst am Tag vorher gemachte Entdeckungen hatten ihn bereits auf ein sonderbares Ende des bisher geführten schönen Lebens vorbereitet und er wünschte sehnlich, von dem Maronen hier über Aufklärungen zu erhalten. Noch mehr aber trieb ihn zur äußersten Eile jene sonderbare und geheimnisvolle Rede Cubinas: »Ihre Verwandten sind in Gefahr!«

Herbert dachte nicht lange nach, sein Hut und sein Stock hingen in der nahen Kammer und waren in wenigen Augenblicken gefasst. Dann ergriff er sofort seine Flinte. Klugerweise wollte er die von dem Schläfer halb versperrte und überwachte Treppe nicht hinuntergehen. Deshalb stieg er über das Geländer der Veranda, sprang von da auf den Boden hinab, folgte dem von dem Maronen eingeschlagenen Weg und war ebenfalls bald in dem neu aufgeschossenen Unterholz des früheren Gartens verschwunden.