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Die Macht der Drei – Teil 24

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Teil III

»Auf die Postille gebückt zur Seite des wärmenden Ofens …«

Es war Geburtstag im Hause Termölen. Das Geburtstagskind Andreas Termölen trug seine acht Jahrzehnte, so gut ein Mensch sie zu tragen vermag. Schon am Vormittag hatte er den Festrock aus feinem schwarzem Tuch angelegt. Die Kriegskreuze aus dem großen Kampf von Anno 14 bis 18 schimmerten auf der linken Brustseite.

Das volle, weiße Haar, der starke Schnurrbart gaben dem Gesicht einen energischen Zug. Doch die Jahre machten sich fühlbar. An der Seite seiner Luise, der fünf Jahre jüngeren Gattin, hatte der Jubilar in den Vormittagsstunden die Schar der Gratulanten empfangen. Die Wirtz, die Schmitz, die Raths und wie sie alle hießen. Der Duft von Blumenspenden erfüllte das Wohnzimmer. Der Alte hatte sich aufrechtgehalten. Mit alten Freunden und Kriegskameraden geplaudert und ein Gläschen getrunken.

Danach das Mittagsmahl. Nur zu zweit mit seinem Luischen, die mit ihm jung gewesen und alt geworden war. Da spürte er die Anstrengungen des Tages. Die Hände zitterten mehr als gewöhnlich. Der Rücken schmerzte ein wenig.

Besorgt betrachtete ihn die Gattin.

»Es is also, als et Bismarck schon gesacht hat. Die ersten Siebenzig sind alleweil die besten. Da is nichts dran zu ändern, Luische.«

So versuchte er die Sorge der Gattin fortzuscherzen. Und war doch froh, als er sich nach geschehener Mahlzeit behaglich in dem alten Ledersessel ausstrecken konnte Da konnten sich die alten Glieder wohlig ruhen und lösen.

Die Termölensche Ehe war kinderlos. Die Liebe der alten Leute betätigte sich an Neffen und Nichten. Auch an der dritten Generation, die zum größten Teil schon erwerbstätig im Leben stand.

Der alte Mann wollte sein Schläfchen machen. Aber die Anregungen und Ungewohnheiten des Tages wirkten nach. Er war zu aufgeregt dazu.

»Wat meinst du, Luischen, ob de Jong, de Willem, hüt von Essen röwerkütt?«

»Ich mein, er wird schon komme, wenn er Zeit hat.«

Die Zwiesprache galt dem Oberingenieur Wilhelm Lüssenkamp von den Essener Stahlwerken. Der stand nun auch schon im fünfzigsten Lebensjahr. Aber für die beiden Alten blieb er nach wie vor »de Jong, de Willem«.

Der Alte sann einige Zeit über die Antwort nach.

»Wenn er Zeit hat. Et jibt jetzt mächtig zu don. Et jibt bald Krieg. Engländer und Amerikaner. Et soll mich freuen, wenn dat Volk sich ordentlich de Köpp zerschlägt.«

Dann sprangen seine Gedanken zu einem anderen Gegenstand über.

»Wer hätt dat jedacht, Luische, dat aus unserer Reisebekanntschaft auf dem Schiff … damals hinter Bonn … dat daraus wat Ernstlichet werden wird. Ich han mir nachher tedacht, die jungen Leut’ müssten mich für ‘nen alten Schwefelkopf halten. Und da kütt dann en Brief aus Amerika. Un dann noch einer aus Schweden. Dat muss ich nochmal lesen.«

Frau Luise Termölen brachte die Briefe. Der alte Mann versuchte zu lesen. Die Hand war zu zitterig, und die Schrift verschwamm ihm vor den Augen.

»Lis du es jet, Luische. Du hast jüngere Augen.«

Frau Luise setzte sich zurecht und las die fünfzigmal gelesenen Briefe zum einundfünfzigsten Mal.

Trenton, den 14. Dezember 1953

Geehrter Herr Termölen!

Ein wunderbarer Zufall hat es gefügt, dass die Hinweise, die Sie mir vor Jahresfrist gaben, mir wirklich ziemlich vollkommene Klarheit über meine Herkunft gebracht haben. Ich bin, wie Sie aus dem Poststempel ersehen können, in Trenton. In denselben Staatswerken, in denen auch Frederic Harte bis vor zwei Jahren seine Stellung bekleidete. Er verlor sein Leben bei einem Unfall. Aber seine Witwe weiß über die Schicksale der einzelnen Familienmitglieder gut Bescheid. Ich habe Frau Harte und ihre Tochter Jane kennen und schätzen gelernt. Nach den langen Unterhaltungen, die ich mit Frau Harte hatte, ist es für mich Gewissheit, dass ich der Sohn von Gerhard Bursfeld bin, der im Herbst 1922 in Mesopotamien verschollen ist. Zeit und Ort stimmen genau mit den Angaben, die mir von anderer Seite her über das Verschwinden meines Vaters bekannt wurden. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Deutsche an derselben Stelle zur selben Zeit in dieser Weife verschwinden sollten, ist praktisch gleich Null. Auch Frau Harte bestätigte die Ähnlichkeit mit Gerhard Bursfeld, von dem sie gute Bilder besitzt. Ich darf Sie danach auch als meinen Verwandten betrachten und begrüße Sie als

Ihr dankbarer

Silvester Bursfeld.

Der Brief war an den Kniffstellen mehrfach eingerissen und trug die Spuren häufiger Lektüre.

»Wer hätte dat jedacht, Luische, dat die Menschen sich auf Jottes weiter Welt so zusammenfinden. Lass mich och den zweiten Brief hören.«

Frau Luische rückte die Brille zurecht und las weiter. Der andere Brief war neuesten Datums.

Linnais, den 5. Juli 1955

Mein lieber Herr Termölen!

Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt und verdanke Ihnen, dass ich es bin. Hätten Sie mir damals nicht die Nachweise gegeben, wäre ich nie zu Mrs. Harte gekommen. Dann wäre Jane Harte auch nicht meine liebe Braut und in zwei Stunden meine angetraute Frau. Es treibt mich, Ihnen von meinem Glück Kenntnis zu geben. Heute Nachmittag gehen wir auf die Hochzeitsreise. Italien, Griechenland, Ägypten bis zu den Pyramiden. Jane kennt die Alte Welt noch nicht. Sie hat immer in Amerika gelebt. Auf der Rückreise wollen wir Sie besuchen. Ich lade mich und meine junge Frau auf die Mitte des Monats für ein paar Tage bei Ihnen zu Gast. Durch Jane, die es von Ihrer Mutter weiß, erfuhr ich, dass Sie am 8. Juli Ihren achtzigsten Geburtstag feiern. Wir gratulieren dazu von den Ufern des Torneaelf her und werden unsere Glückwünsche bald mündlich wiederholen.

Ich bleibe

Ihr ergebenster …

Frau Luise blickte von ihrer Lektüre auf. Nun war der alte Mann doch eingeschlafen. Die Natur verlangte ihr Recht. Sie ließ ihn ruhig schlummern und bereitete leise den Kaffeetisch für den Nachmittag. Der Junge, der Wilhelm, wurde ja erwartet. Vielleicht kamen auch noch andere Gäste.