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Das Steppenross – Kapitel 8

Das-SteppenrossEduard Wagner
Das Steppenross
Eine Erzählung aus dem Jahr 1865 zu den Zeiten des amerikanisch-mexikanischen Krieges, nach dem Englischen des Kapitän Mayne Reid

Kapitel 8
Der Kampf am Felsen

Obgleich unsere Feinde in Sicht blieben, erwarteten wir doch keinen Angriff mehr. Sie standen nicht mehr in einer Linie und in keiner Ordnung, sondern gruppierten sich unregelmäßig. Einige standen auf der Prärie ruhig da, andere waren in Bewegung, und einer von ihnen trennte sich von dem Haupttrupp und spornte sein Pferd zum Galopp. Wir glaubten, er würde fortreiten, aber dies war nicht seine Absicht. Nachdem er eine Strecke auf der Ebene geritten war, lenkte er sein Pferd plötzlich in einem Bogen ab, wahrscheinlich, um uns zu umgehen. In einer Entfernung von zwanzig Schritten folgte ihm ein zweiter Reiter, der dasselbe Manöver wiederholte, dann ein dritter und vierter und endlich galoppierten fünf von dem Trupp im Kreis um uns herum, während die Übrigen sechs an ihrem Platz blieben. Wir bemerkten, dass die fünf die Lanzen zurückgelassen hatten und nur ihre Karabiner mit sich führten.

Dies wunderte uns nicht. Wir errieten ihre Absicht. Die fünf waren abgeschickt worden, damit sie uns im Kreis umreiten, sich zuweilen auf Schussweite nähern, ihre Karabiner abfeuern, einige von unseren Pferden töten und uns in fortwährender Beschäftigung erhalten sollten. Falls sie uns verleiteten, unsere Büchsen abzuschießen, so würden die anderen sechs, welche sich bereits näherten, auf uns losgestürzt sein, ihre Flinten abgefeuert und dann ihre Lassos mit Geschick gebraucht haben.

Wir wussten, dass wir durch die List unserer Feinde in eine gefährliche Lage geraten waren, doch gaben wir uns nicht der Verzweiflung hin, sondern änderten sogleich unsere Stellung. Wir machten nicht mehr nach einer Richtung Front, sondern stellten uns Rücken an Rücken, mit der Büchse in der Hand, sodass jeder ein Drittel des Kreises vor seinem Gesicht im Auge hatte.

Die fünf Reiter verloren keine Zeit bei ihrem Manövrieren. Sie galoppierten zweimal in einem Kreis um uns herum und näherten sich dann in einer Spirallinie mehr und mehr. Als sie auf Schussweite herangekommen waren, feuerte jeder sein Gewehr ab, zog sich wieder auf den Haupttrupp zurück, tauschte sein leeres Gewehr mit einem geladenen und galoppierte wieder zurück. Bei der ersten Salve waren die meisten ihrer Kugeln über unsere Köpfe geflogen, und wir hörten sie hoch über uns in der Luft pfeife. Eine jedoch, die besser gezielt war, traf Rubes Stute in die Hüfte, sodass das alte Steppenpferd mit heftigem Gewieher ausschlug. Die Kugel tat nur geringen Schaden, gab aber doch zu erkennen, was zu erwarten war. Wir hegten jetzt größere Befürchtung, als die Reiter in ihren Kreis zurückkamen.

Weswegen aber erwiderten wir ihr Feuer nicht? Die fünf Männer, welche rings um uns galoppierten, waren fünf der besten Reiter auf der Welt, ohne Zweifel die auserlesensten Leute des Trupps. Jeder, der sich dem gefährlichen Bereich unserer Büchsen näherte, verschwand hinter dem Körper seines Pferdes. Ein Stiefel und Sporn über die Vertiefung des hohen Sattels, eine Hand, welche die Mähne des Pferdes festhielt – das war alles, was man von den Reitern sehen konnte. Während des ganzen Manövers gab es keinen Augenblick, wo wir einen von den Reitern hätten treffen können, viel leichter hätte man einen fliegenden Vogel herunterholen können. Aber dies wäre nicht der Mühe wert gewesen, eine Büchse abzuschießen. Wir durften keine Kugel an die Pferde verschwenden, und aus diesem Grund hielten wir unser Feuer zurück.

Die fünf Reiter kamen wieder herangaloppiert und schossen ihre Gewehre ab. Diesmal mit besserem Erfolg. Eine Kugel traf Garey in die Schulter und riss ein Stück von seinem Jagdhemd fort, während eine zweite dicht an der Wange des alten Rube vorüberpfiff und das Katzenfell seiner Mütze streifte.

»Hurra!«, rief Rube und schlug mit der Hand nach der Stelle, wo ihn das Blei gestreift hatte. »Das war nahe genug! Sollte mich wundern, wenn es nicht eins von meinen Ohren mitgenommen hätte!«

Der alte Trapper begleitete diese Bemerkung mit seinem gewöhnlichen bitteren Lachen. Plötzlich veränderte sich aber sein Gesicht, als sein Blick auf Gareys blutende Schulter fiel.

»Beim Himmel!«, rief er. »Bist du getroffen? Bill! Sprich, Junge!«

»Es ist nichts«, antwortete Garey schnell. »Nur ein Streifschuss. Ich fühle es nicht.«

»Weißt du das gewiss?«

»Ganz gewiss!«

»Bei der lebendigen Bergkatze, das können wir hier nicht länger ansehen!«, rief Rube in ernstem Ton. Denke nach, Junge, was geschehen soll!«

Mir war plötzlich ein Gedanke gekommen.

»Warum wollen wir nicht zu den Felsen galoppieren«, fragte ich mit einem Blick gen Hügel. »Dort können sie uns nicht umkreisen. Wir können den Ort bald durch einen scharfen Ritt erreichen, und wenn wir den Rücken gegen den Felsen kehren und die Pferde vor uns haben, sind wir imstande, den Halunken Trotz zu bieten.«

»Ja, ja«, wiederholte Garey. »Das ist wahr. Wir haben keinen Augenblick zu verlieren, denn seht nur, sie werden gleich wieder hier sein.«

Ehe sie zurückkehrten und zum dritten Mal schießen konnten, hatten wir unseren Entschluss gefasst, unsere Pferde losgebunden und machten uns zum Aufsteigen bereit. Dies geschah so ruhig, dass der Feind unsere Absicht nicht argwöhnte und uns den Weg zu dem Felsen noch ganz frei ließ. Unsere Lage wäre aber nach einer Minute verändert worden, wenn die fünf Reiter wieder um uns kreisten. Ohne die Zeit weiter zu verlieren, sprangen wir alle drei gleichzeitig in den Sattel, gaben den Pferden die Sporen und ritten in gerader Linie auf den Fels los.

Ich selbst hätte leicht vorwärtskommen können, auch Garey, der den Schimmel mit einem Kappzaum von ungegerbtem Leder lenkte. Aber Gareys Pferd, ein kleines, langsames Tier, hielt uns auf. Wir ritten gerade aus auf die Mitte des Hügels, dessen Felsenfläche sich wie eine Mauer aus der Ebene erhob. Dabei richteten wir uns gerade auf den Mittelpunkt, als erwarteten wir, es werde sich ein Felsentor öffnen und uns Einlass gestatten.

Als die Mexikaner unsere Bewegung sahen, erhoben sie ein triumphierendes Geschrei. Nach ihrer Meinung begaben wir uns freiwillig in eine Lage, aus welcher ein Rückzug unmöglich war. Wir galoppierten bis dicht an die Felsenmauer. Dann hielten wir an, sprangen aus dem Sattel, stellten uns mit dem Rücken gegen den Hügel, die Pferde vor uns, nahmen den Zügel in die Zähne und richteten die glänzenden Rohre unserer Büchsen wieder gegen den Feind, allen, welche sich in unseren Bereich wagen würden, den sicheren Tod drohend.

Diese verteidigende Stellung wirkte schnell auf unsere Verfolger. Sie machten auf der Steppe Halt, und diejenigen, welche voraus waren, wendeten und galoppierten zurück.

»Seht!«, rief Rube. »Sie sorgen dafür, ein gutes Stück Steppe zwischen unsere Flinten und ihre feigen Körper zu bringen.«

Wir sahen sogleich den Vorteil unserer neuen Stellung. Wir konnten alle drei gegen den Feind Front machen. Er mochte uns auf irgendeiner Seite bedrohen. Wir standen nicht mehr in Gefahr, von ihnen umkreist zu werden. Der Halbkreis hinter uns wurde durch den Hügel gedeckt, der sich nicht erklettern ließ. Wir brauchten nur den Raum vor uns zu schützen, welcher oben eng, vertieft und durch zwei schiefe Felsenwände gebildet wurde. Die Mauern, welche ihn umschlossen, zogen sich auf beiden Seiten dreihundert Schritte weit, sodass sich unsere Stellung von keinem gedeckten Ort bestreichen ließ. Es ließ sich kein besserer Ort zur Verteidigung wählen. Die Guerilleros mochten nach Belieben um uns galoppieren, so boten wir ihnen immer die Stirn. Dieser Vorteil war auf den ersten Blick einzusehen.

Auch unsere Feinde erkannten ihn bald, und ihr Triumphgeschrei verwandelte sich in Ausrufungen des Unwillens.

Plötzlich aber erscholl aufs Neue ein Siegesgeschrei aus ihren Reihen. Als wir die Augen auf sie lenkten, sahen wir zu unserem Schrecken, dass eine Verstärkung zu ihnen stieß. Fünf neue Reiter, die ohne Zweifel zu dem Trupp gehörten, kamen herbei. Sie mussten hinter dem Felsen von der Ansiedlung hergekommen sein, doch hatten wir sie nicht bemerkt, weil wir vorwärts galoppierten.

Nachdem die neuen Verbündeten angekommen waren, ritt der Trupp sogleich zu zweien ab und umkreiste die kleine Vertiefung, in welcher wir Zuflucht gefunden hatten. Diese Bewegung war bald geschehen und vor uns standen sechs Paare in gleicher Entfernung. Die übrigen drei, darunter Ijurras, behielten ihre Stellung.

Zu einem anderen erkannte ich einen Bösewicht, den ich häufig in dem Flecken gesehen hatte. Er war ein Mann von großer Gestalt und, was unter den Mexikanern selten ist, rothaarig. Er wurde im vertrauten Verkehr El Zorro oder der Fuchs genannt. Ich hatte aus guter Quelle gehört, dass der Bursche nichts anderes sei als ein Räuber und auch kein Geheimnis daraus machte. Der mexikanische Räuber ist seinen Landsleuten gewöhnlich genau bekannt, zeigt sich während seiner Mußestunden in volkreichen Städten und mischt sich ungehindert unter die Gesellschaft. Der Fuchs war überdies einer von den zuverlässigsten Leuten Ijurras.

Die Absicht unserer Feinde wurde bald offenbar. Da sie sahen, dass uns ein Rückzug unmöglich war, so wollten sie uns nicht sogleich angreifen, sondern uns einer Belagerung unterwerfen, bis uns vielleicht Hunger oder Durst zur Übergabe zwingen würde. Diese Berechnung war auf Wahrscheinlichkeit gegründet. So gering ihr Mut, so groß war ihre Schlauheit.

Rube war außerordentlich ärgerlich. Als die Mexikaner sich in dieser Weise ordneten, bedauerte er, dass wir hier einen Zufluchtsort gesucht hatten.

»Wie werden wir hier wieder herauskommen?«, fragte er mürrisch. »Ich will mich skalpieren lassen, Bill, wenn es nicht besser gewesen wäre, wir hätten sie auf der Steppe bekämpft und ehe wir vom Hunger geschwächt waren. Reiche mir ein wenig Tabak, Bill, vielleicht lässt sich mein Magen dadurch beruhigen. Ich bin so hohl im Leibe wie meine alte Stute. Ei, seht doch einmal die Stute.«

Dieser Ruf veranlasste uns, nach der Gegend zu blicken, wohin der Sprechende zeigte. Die Szene, welche wir schauten, zwang uns, trotz unserer unglücklichen Lage, zu einem lauten Gelächter.

Die alte Stute, welche Rube viele Jahre lang im Gebirge und auf der Steppe geritten hatte, war ein fast ebenso sonderbares Geschöpf wie er selber. Es war ein hageres, dürres, starkknochiges Tier mit langen Ohren, eine echte Rosinante. Die langen Ohren gaben ihm das Ansehen eines Maultiers, und man hätte es von Weitem für ein Tier von gemischter Herkunft halten können. Dem war aber nicht so. Es war ein echter Mustang und ungeachtet seines kläglichen Aussehens ein reiner Andalusier.

Auf diese alte Stute war unsere Aufmerksamkeit jetzt plötzlich gelenkt. Nachdem wir uns durch unseren wilden Ritt auf der Steppe von ihr getrennt hatten, kümmerten wir uns, Garey und ich, wenig um das alte Geschöpf. Es gelangte allmählich in die Nachhut der Mexikaner. Dadurch ließ es sich aber nicht von der Absicht abbringen, sich wieder an seinen Herrn anzuschließen.

Bei einem Ruf Rubes brach es durch die Linie der uns umschließenden Reiter und eilte auf uns zu. Dabei hielt es die Nase in die Höhe, als folgte es seinem Gebieter durch den Geruch. Als die Mexikaner es vorüberlaufen sahen, eilte einer ihm nach, um es zu fangen. Dabei bediente er sich keines Lassos, vielleicht weil er glaubte, dass die Stute und der alte Sattel mit den Habseligkeiten Rubes, welche es trug, kaum wert wären, ein Lasso danach auszuwerfen. Die Stute beim Zügel zu ergreifen, war jedoch nicht so leicht auszuführen. Als sich der Bursche in dieser Absicht bückte, ließ die alte Stute ihr wildes Gewieher hören und warf die Hinterbeine hoch in die Luft, sodass sie gerade auf die Rippen des Mexikaners niederfielen. Wir hörten den lauten Schlag, der Mann wankte im Sattel und stürzte zu Boden – wie es schien, schwer verwundet und mit einigen gebrochenen Rippen. Rubes gellendes Lachen antwortete dem Gewieher der Stute, und erst als sie herangekommen war, stellte er seine wilde Lustigkeit ein.

»Holla! Da bist du ja, altes Tier!«, rief er, als das Pferd vor ihm stehen blieb. »Du hast ihn gut ausgezahlt. Ja, juchhe! Altes Blaufell, willkommen! Und meinen Sattel hast du auch mitgebracht! Hurra! Ist dies nicht schön, Bill? Sie ist eine gute Last Biberfelle wert! Ja, das bist du, altes Tier! Komme hierher!«

Nach diesen Worten zog der Trapper das Vieh an den Felsen und stellte es als Barrikade vor seinem eigenen Körper auf.

Unsere unwillkürliche Heiterkeit dauerte nicht lange, unser Herz wurde abermals mit neuen Befürchtungen erfüllt.