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Der Welt-Detektiv Band 6

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Frederick Marryat – Die Sendung – Kapitel 8

Kapitän Frederick Marryat
Die Sendung
Umschlagzeichnung nach Originalentwürfen von Professor Honegger
Neue deutsche Ausgabe. Magdeburger Verlagsanstalt. 1915
Kapitel 8

Die Xhosa und Khoikhoi hatten die größte Mühe, das Vieh einzusammeln und kehrten erst abends mit demselben zurück. Zwei oder drei Ochsen wurden erst spät in der Nacht eingebracht, so sehr hatte die Nähe des Löwen die Tiere verschüchtert. Als es schon zu spät war, um an einen Anspruch zu denken, zogen unsere Reisenden mit ihren Gewehren aus, um sich ein wenig Unterhaltung zu machen. Omrah und Begum waren gleichfalls von der Partie, denn Letztere folgte stets ihrem Gebieter, wenn sie nicht angebunden war. Zuerst begaben sie sich zu der Anhöhe, von welcher aus sie den schönen Anblick auf das mit Elefanten bedeckte Tal gehabt hatten, und dann zu der Stelle, wo der männliche Elefant gefallen war. Dort fanden sie, dass die Xhosa, die Wölfe und Geier das Fleisch rein abgenagt hatten, sodass nur noch das bloße Skelett dalag, und zwar so schön, dass man es für jedes Museum hätte brauchen können.

Da sie übrigens für so gewichtige Artikel keinen Platz in ihren Wagen hatten, so zogen sie weiter, nachdem zuvor Swinton einige Bemerkungen über den Bau des Tieres gemacht hatte. Begum wollte sich dem Skelett nicht nähern, sondern schien sich davor zu fürchten. Sie begaben sich sodann zu dem Fels, der ihnen Schutz gegen die Elefantenherde geboten hatte. Während sie noch unten standen, wurden sie plötzlich von einem lauten Getöse und dem Geschrei »Quah, quah« über ihren Köpfen begrüßt.

Sobald Begum dies hörte, lief sie mit allen Zeichen von Angst auf den Major zu und hielt sich an dessen lederner Beinbekleidung fest.

»Was war dies?«, fragte Alexander. »Ich sehe nichts.«

»Es ist ein Rudel von Pavianen«, versetzte der Major. »Dort sind sie. Seht Ihr nicht ihre Köpfe über dem Felsen?«

»Sie sollen ein bisschen mehr zeigen, dass wir einen Schuss nach ihnen tun können«, erwiderte Alexander, indem er den Hahn seines Gewehres spannte.

»So lieb Euch Euer Leben ist, unterlasst dies«, rief Swinton. »Ihr müsst sie nicht aufbringen, denn wenn sie zahlreich sind, werdet Ihr geschunden und in Stücke gerissen. Ihr habt gar keinen Begriff, wie stark und wild diese Geschöpfe sind. Schaut nur dahin … Sie kommen allmählich herunter … Wir werden gut tun, wenn wir uns aus dem Staub machen.«

»Ich bin gleichfalls dieser Ansicht, denn sie gebärden sich sehr zornig«, sagte der Major. »Sie haben Begum gesehen und meinen, wir hätten ein Stück von ihrer Herde in unserem Besitz. Gebt ja nicht Feuer, Wilmot, es sei denn, dass Ihr Euch für Euer Leben wehren müsstet, denn wir sind zu wenige, um sie einzuschüchtern. Da kommen sie … wenigstens hundert an der Zahl. Wir wollen langsam weitergehen … mit Laufen wird nichts ausgerichtet, denn dann machen sie mit einem Mal Jagd auf uns.«

Die Paviane, von denen einige riesenhaft groß waren, kamen jetzt grunzend, grinsend und von Stein zu Stein springend von dem Felsen herunter. Sie streckten die Mäuler vor, schüttelten ihre Köpfe, zogen ihre Stirnhaut zurück und zeigten ihre furchtbaren Hauer, wobei sie immer näher kamen und jeden Augenblick anzugreifen drohten. Einige von den größten Männchen waren so weit vorgerückt, dass sie nach Omrah griffen. Was Begum betraf, so hielt sie sich hinter dem Major und verbarg sich so viel wie möglich. Endlich war ein Paar so nahe gekommen, dass sie der Major, als sie sich auf ihre Hinterbeine erhoben, mit seiner Büchse abwehren musste.

»Wenn sie zu nahe kommen, so richtet Eure Gewehrläufe auf sie«, sagte Swinton, »aber ich bitte, schießt nicht. Wenn wir nur diesen seligen Grund im Rücken hätten und in der Ebene unten wären, so könnten wir sie wahrscheinlich los werden.«

Der Grund, auf welchem sie sich befanden, gehörte noch zu der felsigen Anhöhe, auf welchen sie sich tags zuvor gegen die Elefanten geschützt hatten. Etwa fünfundzwanzig Schritte von ihnen befand sich eine vier Fuß hohe Felswand, die sich an die Ebene anschloss. Sie wehrten, rückwärtsgehend, die Tiere so gut wie möglich ab und hatten etwa die Hälfte des vorgedachten Weges zurückgelegt, als einige Paviane von der anderen Seite des Felsens herkamen, um unseren Abenteurern den Rückzug abzuschneiden. Sie hatten es augenscheinlich darauf abgesehen, sich der Begum zu bemächtigen, welche sie für eine Gefangene hielten, die zu ihrer Herde gehörte.

Ihre Lage wurde nun bedenklicher, denn der ganze Haufen schloss sich den Vordersten an, und ihr zorniges Geschrei steigerte sich mit jedem Augenblick.

»Ich glaube wahrhaftig, dass wir Feuer geben müssen«, sagte der Major.

Aber in dem gleichen Augenblick ließ sich ein tiefes hohles Geheul und unmittelbar darauf das Brüllen eines Tieres vernehmen, das sich in nicht großer Entfernung zu befinden schien. Bei diesem Ton machten die Paviane halt und lauschten stumm. Das Geheul und das Brüllen wiederholten sich. Nun stieß ein Pavian auf dem Felsen einen Schrei aus, worauf alle sich umdrehten und die Flucht ergriffen – sehr zur Freude unserer Reisenden, welche die eigentümliche Schwierigkeit und Gefahr ihrer Lage wohl begriffen.

»Welchen Tier hat sie wohl so eingeschüchtert, dass sie Reißaus nahmen?«, fragte der Major.

»Es war das Brüllen eines Leoparden«, versetzte Swinton. »Wir müssen auf der Hut sein, da er wahrscheinlich ganz in der Nähe ist. Der Leopard ist der gefürchteste Feind der Paviane. Aber wo haben wir Omrah?«

Sie schauten umher, ohne des Knaben ansichtig werden zu können. Endlich aber zeigte sich der Kopf über der vorerwähnten Felswand. Er sprang sodann herauf und begann Posse zu treiben, indem er die Paviane, wie sie sich zum Angriff rüsteten, nachmachte.

Während sie noch über ihn lachten, machte er mit einem Mal halt, führte die Hände an seinem Mund und ließ dasselbe Geheul und Gebrüll vernehmen, wie sie es vorhin gehört hatten. Dann lief er nach Weise der Paviane davon.

»So war es also der Buschmann, der uns die Bestien vom Halse geschafft hat – er ist ein gescheiter kleiner Kerl.«

»Und ich weiß nicht, ob er uns nicht vielleicht das Leben rettete«, versetzte Swinton. »Doch er ist sozusagen unter ihnen aufgewachsen und kennt ihre Gewohnheiten. Hätte er sich, ehe er den Leopard nachahmte, nicht unter den Felsen verborgen, so wäre seine List fruchtlos gewesen, da sie sich nichts daraus gemacht haben würden, wenn sie hörten, das Geheul gehe von ihm aus. Ich bewundere die Geistesgegenwart des Knaben.«

»Es kam mir einmal vor, dass die Paviane glaubten, Omrah sei einer der ihren. Habt Ihr nicht gesehen, wie sie nach ihm langten?«

»Es wäre nicht das erste Mal, dass diese Tiere einen Knaben entführt hätten«, sagte Swinton. »Ich sah einen zu Leteku, welcher von Pavianen geraubt wurde und zwei Jahre unter ihnen lebte.«

»Und wie behandelten sie ihn?«

»Sehr gut, nur hielten sie ihn in der Gefangenschaft. Als sie fanden, dass er ihre grobe Kost nicht essen konnte, brachten sie ihm andere Dinge. Auch erlaubten sie ihm stets, zuerst aus dem Teich zu trinken.«

»Dies ist eine Huldigung, die sie unserer Überlegenheit erweisen. Der Geier hole ihr Quah. Es wird mir eine Woche lang in den Ohren nachklingen. Und welche schrecklich große Hauer sie haben.«

»Ja, ihre Schneidezähne sind sehr groß. Wenn sie in großer Anzahl beisammen sind, werden sie oft über den Leoparden Herr. Verliert sich aber einer von der Herde, so hat er natürlich einem solchen Feind gegenüber keine Aussicht. Begum schien nicht geneigt zu sein, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu erneuern.«

»Kein Affe tut dies, wenn er einmal unter den Menschen gelebt hat. Überhaupt fragt sich es sehr, ob sie Begum, im Falle sie sich ihrer hätten bemächtigen können, nicht augenblicklich in Stücke gerissen oder in anderer Weise tot gequält haben würden.«

»Jedenfalls seid Ihr für Euer Wohlwollen gegen den armen kleinen Buschmanns belohnt worden, Swinton, und auch wir haben davon Nutzen gezogen«, bemerkte Alexander. »Doch da kommen einige der Ochsen. Ich hoffe, wir werden imstande sein, am Montag früh wieder aufzubrechen. Die eingeborenen Xhosa sagen, die Wagen können nicht viel weiter vordringen.«

»Nein, nicht viel weiter als bis an die Ufer des Umtataflusses. Von dort aus habt Ihr übrigens nicht mehr weit bis zu dem Ort Eurer Bestimmung. Ich glaube, Daka ist der Name des Häuptlings.«

»Ja, so heißt er, und wenn ich mit meiner Vermutung recht habe, so muss er Geschwisterkindskind zu mir sein. Wenn ich mich in diesem wilden Land sehe, klingt es doch sonderbar, dass ich in einer Entfernung von acht Stunden einen Blutsverwandten haben soll, der zu den Eingeborenen gehört.«

»Nun, wir werden bald der Wahrheit auf den Grund kommen«, versetzte der Major. »Indes muss ich sagen, dass Ihr Euch einen weiten Weg bemüht habt, wenn’s Euch bloß um einen Morgenbesuch zu tun ist.«

»Ich bin gekommen, um über eine Sache Überzeugung einzuholen, die, wenn sie sich bewahrheiten sollte, nicht weniger, als eine Quelle der Freude sein kann, sofern ich aus dem, was ich von dem Land und seinen Einwohnern gesehen habe, einen Schluss ziehen darf. Ich hoffe nur, der Tatbestand möge sich anders verhalten, als wir vermuten, obschon ich fürchte, dass hierzu wenig Aussicht vorhanden ist.«

»Komme, was da will«, bemerkte Swinton, »jedenfalls könnt Ihr Euch das Zeugnis geben, dass Ihr Eure Pflicht getan habt.«

Als sie bei den Wagen anlangten, fanden sie, dass alles Vieh beisammen war. Die Nacht über vermehrten sie die Anzahl ihrer Feuer und banden die Ochsen an den Wagen fest, damit sie sich nicht wieder zerstreuten, wenn der Löwe zurückkehrte. Letzteres geschah übrigens nicht, und die Nacht entschwand ohne Störung. Da der folgende Tag ein Sonntag war, so wurden die Khoikhoi versammelt und erhielten die Weisung, sich nicht aus dem Lager zu entfernen, zumal von ihnen erwartet werde, dass sie beim Gebet und Gottesdienst sich einfänden. Da ferner von keinem Jagdzug die Rede war, so blieben auch die Xhosakrieger bei der Karawane, während die eingeborenen Xhosa sich mit ihren Milchkörben und anderen Artikeln einfanden, um sie zu verkaufen oder auszutauschen. Vor dem Mittagessen läutete Bremen die Glocke, welche sie vom Kap mitgebracht hatten, damit sie einem allenfalls Verirrten als Führer zum Lager diene, und die Khoikhoi versammelten sich. Es wurden nun die Gebete und ein Abschnitt aus der Bibel vorgesehen.

Die Xhosakrieger, welchen man bedeutet hatte, dass die weißen Männer zu ihrem Gott beteten, benahmen sich stumm und aufmerksam, obgleich sie nicht verstehen konnten, was gesprochen wurde. Auch die eingeborenen Xhosa, Männer, Frauen und Kinder, setzten sich in der Nähe nieder und hörten zu. Sobald der Gottesdienst vorüber war, bat der Führer der Xhosakrieger den Dolmetscher, er möchte unsere Reisenden fragen, warum sie die Glocke geläutet hätten – ob es in der Absicht geschehen sei, nur ihren Gott wissen zu lassen, dass sie beten wollten, und ob er auch höre, was sie sagten.

Swinton versetzte, ihr Gott vernähme alles, was sie sprächen, und höre auf die Gebete derjenigen, die ihm vertrauten.

Die Xhosa stellten noch viele andere Fragen, die Mr. Swinton mit großer Vorsicht behandelte, da er fürchtete, er möchte sonst nicht verstanden werden. Sie begriffen ihn übrigens wohl, wie sich aus den Fragen herausstellte, die sie an seine Erklärungen knüpften. Ein großer Teil des Nachmittags wurde in dieser belehrenden Weise verbracht, und unsere Reisenden fühlten sich überzeugt, dass sie durch die Feier des Sabbats in diesem wilden Land ein gutes Beispiel gegeben hatten.

Swinton bemerkte ganz richtig: »Die Missionare kommen ins Land, um das Evangelium von Jeffs Christus zu verbreiten. Sie sagen den Eingeborenen, dies sei die Religion und der Glaube der weißen Männer und so lauteten ihre Lehrsätze. Nun kommen die Weißen bald als Händler, bald als Reisende ins Land, und wenn die Eingeborenen, wie es so häufig der Fall ist, finden müssen, dass die weißen Männer, welche den Behauptungen der Missionare zufolge denselben Glauben haben, nicht nur keine Spur davon zeigen, sondern sich sogar derjenigen Sünden schuldig machen, die durch die gepredigte Religion ausdrücklich verboten werden. Muss dadurch nicht die Wirksamkeit der Missionare beinahe gänzlich zerstört werden?«

»Ich habe mir oft Gedanken gemacht, das Benehmen der holländischen Boern gegen die Eingeborenen müsse eine derartige Wirkung geübt haben, denn man darf wohl sagen, dass die Kolonie ganz auf das Gegenteil von dem Grundsatz gebaut wurde, welcher lehrt: ›Tue anderen, wie du wünschest, dass dir geschehe.‹ Ich glaube, noch nie fand in irgendwelchen Teil der Welt ein Verkehr zwischen Namenchristen und Wilden statt, ohne dass Letztere den Ersteren mit Recht den Vorwurf machen konnten, sie predigten das eine und täten das andere. Leider ist dies nur zu wahr. Sogar diejenigen, welche ihre Heimat um religiöser Verfügungen willen verlassen hatten, sind in denselben Irrtum verfallen. Die Puritaner, welche zu Salem landeten, waren gegen die Indianer so barbarisch wie Pizarro und sein Anhang gegen die Peruaner. In beiden Fällen wurden die armen Eingeborenen zu Tode gehetzt.«