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Kannibalen

Frank Festa (Hrsg.)
Horror-Taschenbuch 32
Kannibalen

Taschenbuch, Horror, Anthologie, Festa Verlag, Leipzig, 2011, 320 Seiten, 13,95 Euro, ISBN: 9783865521262, verschiedene Übersetzer
Titelbild: fotolia
www.festa-verlag.de
de.fotolia.com

»In einer Kammer sah ich nichts außer Knochen, Hunderttausende Knochen, blassgrün und mit sauber abgenagten Biegungen und Verdickungen, hohl da, wo das Mark herausgesaugt war. Ein riesiger Haufen von Knochen, der die Kammer vom Boden bis zur Decke auffüllte und in den Gang hinausragte. Er schleifte mich durch diese Geschichte Tausender von Mahlzeiten.«

(Harlan Ellison: Auf der Suche nach dem verlorenen Atlantis)

Greg F. Gifune: Schnee-Engel
Jahre zuvor – als Steve noch bei Frau und Tochter in Whaler’s Bay lebte – entdeckte er beim Versteckspiel im Wald die Opfer Spuren bestialischer Morde. Die Ermittlungen der örtlichen Polizei haben nichts ergeben, doch Steves eigene Recherchen lassen ihn an dieser offiziellen Version zweifeln und er kehrt zurück nach Whaler’s Bay und zu seiner Tochter.

E. T. A. Hoffmann: Cyprians Erzählung
Der überraschende Besuch einer entfernt verwandten Baronesse und deren Tochter Amelie verändert da Leben des Grafen Hippolit auf nachträgliche Weise, denn Hippolit verliebt sich innig in Amelie, die er auch schließlich zur Frau nimmt. Der Tod der Baroness indes lässt Amelie schweigsam und bedrückt werden und auf Hippolit Drängen erzählt sie ihm von ihrer verderbten Mutter. Und auch in Amelie selbst regt sich ein unheiliges Verlangen.

Harlan Ellison: Auf der Suche nach dem verlorenen Atlantis
Als der ziellose Weltenbummler die hilfsbedürftige Camilla befreit, scheint sein Leben endlich einen Sinn zu erhalten. Und so machen sie sich gemeinsam auf die Suche nach Camillas Familie.

Tim Curran: Maden
In der Not des napoleonischen Krieges lernt Francoise Jarny widerwillig den Geschmack von Menschenfleisch kennen. Tödlich verletzt wird er zu einem Wirt für eine besondere Art Maden, die ihn nicht sterben lassen, solange er sie mit dem menschlichen Futter versorgt. Wo um ihn herum die Menschen zu Hunderten am Typhus sterben, bleibt Jarny durch diese unheilige Symbiose am Leben.

Anthony Boucher: Sie beißen
Auf dem Gelände, auf dem Tallant seine Hütte bauen will, sollen früher die Carkers gelebt haben, eine Familie Kannibalen, die Reisende töteten und aßen. Zweimal war angeblich die Armee dort um die Carkers zu töten. Doch Tallant muss erkennen, dass es mehr ist als eine lokale Legende und dass die Carkers nicht so leicht zu töten sind.

H. P. Lovecraft: Das Bild im Haus
Ein einsames Bauernhaus bietet den Wanderer, der plötzlich vom Regen überrascht wurde, Schutz. Das Haus scheint verlassen und so beschäftigt sich der Besucher mit dem Buch, das aufgeschlagen auf dem Tisch liegt. An einer abgegriffenen Stelle zeigen die Illustrationen eine Gruppe exotischer Männer und Frauen bei der Zubereitung von Menschenfleisch. Da vernimmt der Eindringling plötzlich Schritte im oberen Stockwerk des Hauses.

Edward Lee: Madenmädchen im Gefängnis der toten Frauen
Nach einem Zwischenfall mit einem atomar betriebenen Versuchsflugzeug wachen die Toten als sogenannte »Maden« wieder auf, die nur noch rohes Zeug essen können. Und da »Maden« nicht ansteckend sind, keine Krankheiten haben und billiger sind, sind die Madenmädchen plötzlich gefragter als normale Nutten.

David Case: Der Kannibalenschmaus
Noch weiß der Forschungsreisende nicht, was auf ihn zukommt, als er gefesselt in der Eingeborenenhütte liegt. Die Schreie seines Begleiters vor der Hütte jedoch verheißen nichts Gutes, auch wenn der Stammesherrscher ihm versichert, dass es nicht ihr vorrangiges Ziel ist, ihm Schmerzen zuzufügen.

Robert Barbour Johnson: Tief unten
Etwas lebt in den Tunneln der U-Bahnschächte unter Manhattan. Es war bereits da, als das Land noch den Indianern gehört hat. Um die Menschen zu schützen, wurde eine spezielle Wachtruppe eingerichtet, die das Grauen Nacht für Nacht und Jahr um Jahr in Schach hält.

Edgar Allan Poe: Arthur Gordon Pym, der Kannibale
Halb wahnsinnig vor Hunger und Durst beschließen die Schiffbrüchigen, dass einer der ihren sterben muss, damit die anderen leben können.

Robert Bloch: Das Festmahl in der Abtei
Vor den Unbillen des Wetters rettet sich der Erzähler in eine sonderbare Abtei, wo man ihn nicht nur mit frischer Kleidung ausstattet, sondern ihn überdies zu einem gewaltigen Festschmaus einlädt.

Brian McNaughton: Lord Glyhtards Geschichte
Lord Glyphtard Fand lebt mit seiner Mutter in unmittelbarer Nähe zu einem Friedhof, von wo er knöcherne Andenken einsammelt und in seinem Zimmer ausstellt. So wird die nekrophile Umbra auf ihn aufmerksam, die er schließlich heiratet. Doch Glyphtard kann Umbra nicht befriedigen und es zieht sie Nacht für Nacht auf den Friedhof, wo sie sich mit den Ghoulen vergnügt. Doch es geht die Behauptung, dass auch Glyphtards Großvater ein Ghoul war.

Graham Masterton: Eric, die Pastete
»Man ist, was man isst« war stets das Motto von Erics Mutter. Doch Eric wollte nicht zu einem Pastetenmann werden. Und so probiert er etwas Lebendiges, in der Überzeugung, sich auf diese Weise neue Lebendigkeit verleihen zu können.

»Es sind Menschenfresser, wissen Sie. Sie sind keine Ammenmärchen. Sondern Wirklichkeit, und wie. Der Gasthof, den nur neun Gäste von zehn Angekommenen verließen – die Berghütte, die Reisende vor dem Schnee schützte, sie den ganzen Winter beherbergte, bis die Frühjahrsschmelze ihre Knochen freilegte – die einsame Straßenstrecke, die so viele Reisende nur halb durchfahren – man findet sie überall.«

(Anthony Boucher: Sie beißen)

Mit Horror Taschenbuch 32 gibt es einmal mehr eine Originalanthologie »Marke Festa«, nur diesmal keine gemischte Sammlung, wie die bisher drei Necrophobia-Bände, sondern eine Geschichtensammlung zum Thema Kannibalismus. Ganz der kurz zuvor eingeschlagenen Verlagslinie folgend, lotet Herausgebern Frank Festa hier die Grenzen des guten Geschmacks aus und beschert dem geneigten Horrorfan einige appetitliche Lesestunden. »Sittlich und moralisch tabu« verspricht der Untertitel. Die Bandbreite der enthaltenen Autoren (tatsächlich sind nur männliche Verfasser enthalten) reicht dabei von E.T.A. Hoffmann (»… mitten im Kreis lag der Leichnam eines Menschen, an dem sie mit wölfischer Gier zehrten …«) bis Edward Lee (»Eines Nachts zerdepperte ich eine Kloschüssel auf seinem Kopf, schlitze ihm den Bauch auf und aß seine Gedärme.«). Ebenso abwechslungsreich sind die Sujets, obwohl die Pointe ja zwangsläufig bekannt ist. Diese reicht vom verhaltenen, vampirisch gefärbten Kannibalismus über die modernen und oft strapazierten »Strahlenzombies« bis zum Klassiker des Kannibalenwitzes, bei dem ein weißer Forscher im Kochtopf eines Eingeborenenstammes landet. Greg F. Gifune und Harlan Ellison gelang sogar das Kunststück, je eine nahezu schwermütige Kannibalengeschichte beizusteuern. Ob man jedoch, wie im Fall Arthur Gordon Pym, einen Romanauszug in eine Kurzgeschichtensammlung aufnehmen sollte, muss sich jeder Leser selbst beantworten. Im Großen und Ganzen hat es Frank Festa trotz des vorgegebenen Themas wieder einmal geschafft, eine stilistisch abwechslungsreiche Sammlung zusammenzustellen, die keinen einzigen Aussetzer aufweist.
Selbstredend bedeutet eine Festa-Anthologie auch immer Werbung für die Hausautoren, wie die Aufnahme von Edward Lee, Tim Curran, Greg F. Gifune, Graham Masterton und H. P. Lovecraft zeigen.

Dass der Kannibalismus sich nicht nur möglicherweise unter den weißen Flecken der Landkarten oder im Kopf von Buchautoren abspielt, beweisen die Pressemeldungen über tatsächliche Fälle von Kannibalismus, mit denen die Sammlung ergänzt ist. Und das ist tatsächlich das Erschreckendste an dieser Sammlung.

Das Cover ist recht einfach im Stil eines Filmplakats gestaltet, auf dem als Motiv lediglich Messer und Gabel zu sehen sind. Das Taschenbuch ist in exklusiver Festa-Lederoptik gefertigt und gewohnt hochwertig gearbeitet.

Fazit:
Die »weltweit erste Anthologie zum Thema Kannibalismus« vereint Klassiker und »Junge Wilde« zu einer typischen stilistisch-abwechslungsreichen Festa-Anthologie ohne Lückenfüller.

(eh)