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Die Gespenster – Dritter Teil – 19. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Neunzehnte Erzählung

Der seinen ehemaligen Herrn verfolgende Geist eines verstorbenen Bedienten

Der verstorbene Oberst Marschall von Biberstein stand im Jahre 1764 als Major bei dem Königlich-Preußischen Dragoner-Regiment von Meyer zu Königsberg in Preußen. Er hatte den Siebenjährigen schlesischen Krieg ganz mitgemacht und war bekanntlich, den Degen in der Hand, ganz Soldat; so wie es im Frieden keinen freundschaftlicheren Mann, keinen besseren Gesellschafter gab, wie ihn. Nur ein nichtssagender militärischer Fluch, selbst unter guten Freunden, erinnerte je zuweilen an sein etwas barsches Benehmen vor der Front. Gern unterhielt er sich bei Tisch mit den Herren Offizieren seiner Schwadron über nützliche Gegenstände, und jede Mahlzeit war für diese lehrreich, ohne dass er je den Hofmeister gemacht hätte. Nur wenn zufällig die Rede auf Geistererscheinungen und Gespenster kam und jemand die geringste Anhänglichkeit für den Glauben daran äußerte, pflegte er nicht mehr zu belehren, sondern abzusprechen, als sei diese manchem noch dunkle Sache längst entschieden.

»Das ist ja zu handgreifliches, dummes Zeug«, hieß es dann, »nur feige Memmen glauben und fürchten so etwas. Ein Donnerwetter soll das Gespenst zermalmen, das einmal keck genug wäre, mir erscheinen zu wollen.«

Vielleicht hatte er durch diese und ähnliche Trümpfe und Drohungen die Wesen des Geisterreichs wider sich aufgebracht. Denn als ihm unglücklicherweise sein Escarmoucheur – so pflegte er Wilhelm, seinen alten getreuen Bedienten, zu nennen – gestorben war, schien es dem abgeschiedenen Geist desselben vorbehalten zu sein, den vorlauten, entschlossenen Gespensterleugner, seinen gewesenen Herrn, erscheinend ein wenig zu ängstigen.

Einst hatte der Major einige Freunde bei sich. Ein Geschäft – ich weiß nicht mehr, welches – machte auf einen Augenblick seine Gegenwart in der Küche nötig. Beim Zurückkehren zu seinen Gästen trat er verstört und leichenblass in die Stube, behielt die Tür, ohne sie gleich zuzumachen, eine Zeitlang wie versteinert in der Hand, sah mit unverwandten Blicken nach einer bestimmten Gegend des Flures, wo er hergekommen war, und warf endlich nach langem Staunen die Tür unwillig hinter sich zu.

Man beobachtete diese Pantomime des Majors umso verwunderungsvoller, je weniger man dergleichen Furchtäußerung an ihm, der unerschrocken selbst dem Tod hundertmal gleichsam ins Auge gesehen hatte, gewohnt war. Anfangs beantwortete er die deshalb an ihn gerichteten Fragen nur mit einem bedeutungsvollen Kopfschütteln.

Nach einigen Augenblicken stummen Nachdenkens aber erwiderte er halb zornig: »Das ist doch, um toll zu werden, dass ich mich fürchten – vor einem Popanz mich fürchten kann! Da höre ich auf dem Flur jemanden schlurfen, und indem ich mich danach umsehe, was denken Sie wohl, meine Herren, was ich dicht hinter mir erblicke? Meinen vorgestern Abend verstorbenen Escarmoucheur so, wie er einst leibte und lebte. Er war unverkennbar, keine sechs Schritte von mir entfernt und schwebte auf mich zu. Ich stehe ihm nicht – retiriere wie Sie sahen. Pfui! Das allein ärgert mich, denn unterdessen ich die Stubentür öffne, verschwindet er. Ich sah die Erscheinung nun nicht mehr, aber ich hörte sie noch schlurfen.«

Diese langsam schleppenden Fußtritte vernahmen zum Teil auch die übrigen Anwesenden noch. Überhaupt sprach der Major in einem zu ernsten Tone als dass man das Ganze für eine Scherzäußerung hätte nehmen können. Doch äußerte man noch eine Art Unglauben in Hinsicht auf die vorgebliche Erscheinung.

Der Geisterseher gab über diesen Zweifel Empfindlichkeit zu erkennen, wurde bitter und warf sich dann schweigend in einen Sessel. Die anwesenden Offiziere stürzten auf den Flur hinaus und fanden nichts. Sie warfen flüchtige Blicke in die aufstehende Bedientenstube, die der Stube des Majors gegenüberlag, und eilten forschend von da in die daran stoßende Kammer, die aber leer war. Indem sie durch die Stube auf den Flur zurückkehren wollten, siehe! Da saß der Geist des verstorbenen Wilhelms im Sterbehemd auf dem Bedientenbett hinter der Tür!

Man fuhr zusammen, warf prüfende Blicke auf die Erscheinung und schauderte heftiger, als der Geist den Mund öffnete, um zu reden.

»Ach Gott, was haben sie denn mit mir gemacht? Einen kranken Menschen im bloßen Hemd in die kalte Holzkammer zu tragen, das ist doch hart, sehr hart. Kaum habe ich mich hierher schleppen können, um mich wieder zu erwärmen.«

Man sah nun wohl, woran man war. Höchstes Erstaunen trat an die Stelle des Entsetzens und rege Mitleidsgefühle verdrängten die Gespensterfurcht. Man hob den armen, aus dem Zustand des zweitägigen Scheintodes wiedererwachten Dieners des Majors ins Bett und eilte, von dieser Rückkehr ins Leben seinen Brotherrn zu benachrichtigen und Anstalten zur Pflege des Ohnmächtigen zu treffen. Vergebens waren indessen die Bemühungen des herbeigerufenen Arztes. Der kranke Wilhelm, den man schon seit Stunden als einen wirklichen Toten behandelt und unter anderen ohne Bedeckung in eine kalte Holzkammer gelegt hatte, starb wirklich und stand nicht wieder auf. Alles, was das nochmalige Aufglimmen der letzten Lebensfunken für den Sterbenden bewirkt hatten, war, dass er nun nicht lebendig und einige Tage später beerdigt wurde, als ohne sein Wiedererwachen geschehen sein würde.