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J.C. Vogt – Anarchie Déco

J.C. Vogt
Anarchie Déco

Fantasy, History, Roman, Paperback, Klappenbroschur, Fischer TOR, Frankfurt am Main, August 2021, 480 Seiten, 16,99 EUR, ISBN: 9783596002214
Auch als E-Book erhältlich; 14,99 EUR, ISBN: 9783104915142

Alchemie und Phantastik: Beiden ist mehr gemein, als ihnen lieb und bewusst ist. Beiden wohnt ein unbändiger Drang inne, vollkommen Neues aus Altbekanntem zu erschaffen. Darin liegt gewiss auch der Reiz ebendieser literarischen Gattung. Im Grunde genommen ist die Physikerin Nike Wehner, die Protagonistin von Anarchie Déco, dem aktuellen Roman des schreibenden Ehepaars Judith und Christian Vogt (die unter dem Zusammenschluss J.C. Vogt veröffentlichen) ebenfalls eine neuzeitliche Alchemistin; gelingt ihr im Berlin der 1920er eine bis dato gleichermaßen sowohl unvorstellbar als auch undenkbare Kombination: die Verschmelzung von Naturwissenschaft und Kunst. Widersprüchlich, ja für einige sogar gotteslästerlich, bis ihr Experiment unter den Augen der Prominenz – darunter Marie Curie und Werner Heisenberg – ein eigentlich unmögliches Geschöpf erzeugt; eine im wahrsten Sinne des Wortes Verkörperung der durchgeführten Fusion. Doch welches Tor stieß man damit auf? Oder war es mehr eine Büchse der Pandora? Ähnlich der Epoche, kann ein derartiges Phänomen zum Inbegriff einer neuen, sowohl aufregenden als auch aufstrebenden Ära von Aufgeklärtheit und Aufbruch stehen oder in   falschen Händen Chaos generieren. Wie etwa beim unschönen Ende eines unbeschwerten Varietéabends oder dem vermeintlichen Mord eines teils in Marmor steckenden Menschen. Wie beim Pendel schwingt auch diese Strömung nach zwei Seiten aus. Damit man beiden entgegenwirken kann, sieht die mit magischen Rätseln konfrontierte und gewiss überforderte Berliner Polizei keinen anderen Ausweg als die Gründung einer, wenngleich reichlich dünn besäten Spezialeinheit, die den Mysterien auf den Grund gehen soll – unter anderem mit Nike in beratender Form. Als man ihr Sandor Černý, einen jungen Künstler aus Prag, zur Seite stellt, ist sie eingangs nicht allzu sehr davon angetan, doch es braucht nicht lange, bis beide begreifen, dass man einander braucht, um Berlin nicht vollends in die Katastrophe schlittern zu lassen …

Magie und Wissenschaft: Eigentlich nicht das Allerneueste und bereits oft genug kombiniert – nur eben nicht in einer so spannenden, aufregenden und eben originellen Kombination. Das Christian Vogt hauptberuflich Physiker ist, schlägt dem Buch gewiss zugute, wenngleich der eigentliche Vorgang, der Händeschluss zwischen Naturwissenschaft und Kunst, bestenfalls vage erläutert wird. Doch trägt dies zum Flair des Romans bei und, Hand aufs Herz, wer von Haus aus kein Erbsenzähler ist, der will, beziehungsweise braucht es auch nicht zu wissen, wenn eine Geschichte so spannend, mitreißend und eben frisch ist. Dass die Zeitlinie – die 1920er Jahre – nicht willkürlich gewählt wurde, ist ein weiteres positives Gewicht. Man sollte Anarchie Déco nicht als pures Sittengemälde in einer alternativen Zeitlinie erachten. Der Roman hält unserer Gesellschaft einen Spiegel unter die Nase, indem er aufzeigt, dass wir gegenwärtig vor  ähnlichen Scheidewege stehen wie jene in Anarchie Déco; das Portale und Möglichkeiten für eine offene, humanere, aufgeschlossenere Gesellschaft bereits dazumal weit offenstanden und alles zugunsten falscher Propheten und menschlicher Monster, die Deutschland und den Rest der Welt in den Abgrund stürzten, aufgegeben wurde. Nun sollten, müssen wir alle beweisen, dass der Mensch es besser kann. Wohl die stärkste Message, die Anarchie Déco außerhalb der Funktion als grandiose Melange aus Science-Fantasy, Krimi und Sittengemälde für den Leser bereithält. Besaßen viele der vorausgegangenen Werke des Ehepaars Vogt stets die einen oder anderen Stolperer, etwa in Form von ausschweifenden Nebensächlichkeiten und -strängen, die den Plot in unschöner Regelmäßigkeit ausbremsten oder über die eigenen Füße fallen ließ, so ist Anarchie Déco herrlich stringent und konsequent, ohne dabei das Seelenleben der Pro- und Antagonisten wie das Leben der damaligen Zeit mit allen Höhen und Tiefen auszulassen. Das man neben Spannung ferner den filmreifen Klimax beherrscht, unterstreicht das Finale des Buches, welches in Sachen Grandeur nicht nur einen Hauch von Bond respektive megalomanischem Widersacher ausströmt.

Fazit:
Eine Wilde Mischung aus Magie, Kunst, Krimi und Naturwissenschaften; hochgradig originell und mitreißend – für mich ist Anarchie Déco das bislang überzeugendste Werk der Vogts, das gerne mit einer baldigen Fortsetzung aufwarten darf. Gewiss einer der besten, nicht nur deutschsprachigen, phantastischen Romane des Jahres 2021.

(ts)