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Die Sternkammer – Band 3 – Kapitel 14

William Harrison Ainsworth
Die Sternkammer – Band 3
Ein historischer Roman
Christian Ernst Kollmann Verlag, Leipzig, 1854

Vierzehntes Kapitel

Sir Giles Mompessons Privatkabinett

Es war ein kleines Zimmer, dessen Raum durch zahlreiche Koffer und eiserne Kisten noch mehr versperrt wurde. Einige dieser Kisten waren aufeinandergestellt, bis sie die Decke berührten. Alle erschienen stark genug, doch viele waren außerdem noch mit eisernen Reifen umgeben, mit großen Nägeln beschlagen und mit mächtigen Vorlegeschlössern versehen. Die Tür war von innen und außen mit Eisen beschlagen und hatte ein schweres Schloss, wozu der Herr des Zimmers immer den Schlüssel bei sich trug und ihn niemals aus den Händen gab.

Dieses kleine Zimmer war das Privatkabinett des Sir Giles Mompesson.

Niemand durfte ohne ihn in dasselbe eintreten. Obwohl seine Leute sehr wohl um das Vorhandensein desselben wussten und eine schlaue Mutmaßung über den Inhalt anstellen konnten, so hatten doch nur zwei je ihren Fuß in dasselbe gesetzt.  Die beiden Bevorzugten waren Clemens Lanyere und Lupo Vulp. Weder der Ankläger noch der Notar pflegten viel von den Angelegenheiten ihres Herrn zu reden und waren fast ebenso zurückhaltend, wie er selbst. Dennoch hatten die anderen Leute aus den wenigen Worten, die er von Zeit zu Zeit hatte fallen lassen, eine ziemlich genaue Kenntnis von dem Privatkabinett erlangt, von den verborgenen Wandschränken, von den Schubladen mit geheimen Springfedern, vom Tafelwerk, welches sich zurückschieben ließ, von den mit Schätzen angefüllten Kisten oder mit dem, was ebenso gut war, wie Schätze, mit Dokumenten, Pfandascheinen und anderen Sicherheiten und den sorgfältig verborgenen Vorräten von Silberzeug, Juwelen und anderen Kostbarkeiten. Einige von den am wenigsten Bedenklichen unter ihnen wie der starrende Hugo, der schneidende Dick und der alte Tom Wootton hatten oft die Möglichkeit besprochen, den Ort insgeheim zu besuchen und die Vorräte zu durchstöbern . Aber sie waren bisher durch ihre Furcht vor ihrem schrecklichen und rachsüchtigen Herrn zurückgehalten worden.

Wenn wir in das Kabinett blicken, finden wir Sir Giles an einem Tisch sitzend, eine große offene Kiste neben sich, aus welcher er mehrere gelbe Dokumente mit großen Siegeln genommen hatte, um sie zu prüfen. Er war nun mit einem Dokument beschäftigt, worauf der Plan einer großen Besitzung gezeichnet war, und worauf er seine Aufmerkjamfeit richtete. Sein Gesicht war leichenhaft und die geisterhafte Farbe erhöhte noch seinen grimmigen Ausdruck. Er trug eine Binde um den Kopf und es war ein Ausdruck des Schmerzes in seinem Gesicht sowie eine ungewohnte Schwäche und Hinfälligkeit in seiner ganzen Haltung. Es schien einleuchtend, dass er von dem zermalmenden Schlag, den er im Turnier erhalten hatte, noch nicht hergestellt war.

Ihm gegenüber saß sein Genosse Sir Francis Mitchell, und das Schweigen, welches einige Minuten lang zwischen ihnen geherrscht hatte, wurde zuerst von dem alten Wucherer gebrochen.

»Nun, Sir Giles«, fragte er, »seid Ihr zufrieden mit Eurer Prüfung der Dokumente über die Besitzung Mounchensey? Das Gut ist, wie Ihr seht, über zwei Jahrhunderte in der Familie gewesen – kurz, seit der Regierung Heinrich IV. – und Ihr habt ein unbestrittenes Recht an die ganze Besitzung, die auf diesem Plane abgebildet ist – an eine alte Halle, von einem großen Park umgeben, acht Meilen in Umfang, und fast ebenso gut mit Wild versehen, wie die königliche Jagd zu Theobalds. Außerdem habt Ihr ein Recht an andere Besitzungen, die sich von Mounchensey Place und Park bis zur Küste, zwölf Meilen weit, wie eine Krähe fliegt, erstrecken – an drei Herrenhäuser und ein Dutzend kleine Dörfer. Wird dies Euch nicht zufriedenstellen? Mich dünkt, es sollte doch sein. In Wahrheit, mein würdiger Kollege, wenn ich all Eure Besitzungen, Eure Häuser und Ländereien und Eure verschiedenen Erwerbsquellen – die Summen, die Ihr auf Pfänder ausgeborgt habt – Eure Monopole und Patente – wenn ich dies alles aufzähle und den in diesem Kabinett aufgespeicherten Reichtum, den Ihr nicht auf Zinsen ausgeborgt habt, hinzurechne, so muss ich Euch unbedenklich für einen der Reichsten meiner Bekanntschaft halten. Es gibt wenige, deren Einnahmen so groß sind wie die Euren, Sir Giles. Es ist seltsam, dass ich nicht den hundertsten Teil Eures Reichtums besitze, obwohl ich dieselbe Gelegenheit habe, Geld zu machen wie Ihr.«

»Nicht im Geringsten seltsam«, versetzte Sir Giles, das Dokument niederlegend und seinen Genossen fast verächtlich ansehend. »Ich verschwende nicht, was ich erwerbe. Ich habe Leidenschaften, so gut wie Ihr, Sir Francis, aber ich weiß sie zu beherrschen. Ich trinke nicht – ich schwelge nicht – ich vermeide alle müßige Gesellschaft. Mir liegt nichts an dem äußeren Schein noch an der prunkenden Kleidung. Ich habe nur eine Leidenschaft zu befriedigen – nämlich die Rache. Ihr seid ein Sklave der Sinnlichkeit und sucht Befriedigung, es mag kosten, was es will. Wenn ein schönes Weib Euren Augen gefällt, müsst Ihr sie besitzen, um welchen Preis es auch sei. Kein Höfling war je ausschweifender oder verschwenderischer als Ihr.«

»Sir Giles! Sir Giles! Ich bitte Euch, schont meiner. Meine Feinde könnten nicht schlimmer von mir reden.«

»Nein, Eure Feinde würden sagen, dass Eure Verschwendung Euer einziges Verdienst sei, und dass Ihr darin besser seid als ich«, versetzte Sir Giles mit sardonischem Lachen. »Aber es freut mich, dass ich von all solchen Schwächen frei bin. Die größte Zauberin könnte mich nicht verlocken. Ich bin fest gegen alle weiblichen Reize. Glaubt Ihr, dass es ein Mädchen auf der Welt gibt, welches mich bewegen könnte, die schönen Ländereien in Norfolk für sie hinzugeben – die alte Halle und die große Besitzung? Ich denke nicht.«

»Vielleicht habe ich zu viel gegeben«, rief der alte Wucherer lebhaft, »wenn das ist, ist es nicht zu spät, unseren Kontrakt zu verbessern. Wir sollten wenigstens redlich miteinander verfahren, Sir Giles.«

»Ich verfahre stets nur redlich gegen Euch«, versetzte der Erpresser streng, »und die Bedingungen unseres Vertrages können nicht zurückgenommen werden. Was ich eben gesagt habe, gilt für Eure allgemeine Lebensweise; aber Ihr habt jetzt besseren Grund zu Eurer Handlungsweise, als es sonst gewöhnlich der Fall ist, da Ihr die Befriedigung der Rache mit Euren anderen Leidenschaften vereint. Ihr erhaltet eine schöne junge Braut und beraubt zu gleicher Zeit den Mann, den Ihr am meisten von allen hasst, seiner Geliebten. Dies ist, wie es sein sollte. Die Rache kann nicht teuer genug erkauft werden, und je verfeinerter die Rache ist, desto höher muss natürlich der dafür gezahlte Preis sein. Auf keine Weise könnt Ihr diesen verhassten Mounchensey schwerer kränken, als wenn Ihr ihn seiner Geliebten beraubt. Und auf den Schlag, den Ihr ihm versetzt, sollen andere von meiner Seite folgen, die nicht weniger heftig sind.«

»Ja, ja, Sir Giles, Ihr müsst die Beleidigung wiedergutmachen, die er Euch auf dem Turnierplatz angetan hat. So wahr ich ein echter Gentleman bin, das war ärger als die Schmach, die mir von ihm auf dem Schlossplatz widerfuhr. Man muss gestehen, dass der Junge nicht nur eine scharfe Zunge, sondern auch eine kräftige Hand hat, und dass er kühne Taten auf bittere Worte folgen lassen kann. Der Schlag, den er Euch mit seinem Schwert versetzte, glich dem Streich eines Schmiedehammers, Sir Giles. Er stürzte Euch von Eurem Pferd, wie ein Metzger einen Ochsen zu Boden schlägt; und in Wahrheit, ich dachte anfangs, Euch wäre das Schicksal des Ochsen zuteil geworden und Ihr würdet nie wieder aufstehen. Euer Helm war eingedrückt wie von einer Kanonenkugel, und zwölf Stunden und länger lagt Ihr bewusstlos und sprachlos da; aber durch meine Sorgfalt und Lucas Hattons Geschicklichkeit, der Euch behandelte, wurdet Ihr wieder zum Bewusstsein gebracht. Nach einer solchen Behandlung kann ich mich nicht wundern, dass Ihr Euch an Sir Jocelyn zu rächen sucht. Wie wollt Ihr mit ihm verfahren?«

»Ich will ihn von der stolzen Stellung, die er einnimmt, herunterstürzen«, versetzte der andere, »und ihn in das Fleetgefängnis werfen.«

»Während ich in dem Glück schwelge, wonach er sich sehnte«, rief der alte Wucherer leise lachend. »Es ist der angenehmste Plan, den wir je ausgedacht haben, Sir Giles, und der am meisten verspricht! Aber wann kann ich Avelines Hand fordern? Und wann wird sie die meine werden?«

»Ihr sollt sie morgen fordern und könnt sie heiraten, sobald Ihr wollt.«

»Von meiner Seite soll keine Zögerung erfolgen, Sir Giles. Ich bin sehr ungeduldig. Wenn mir solche Leckerbissen vorgesetzt werden, bleibe ich nicht lange zurück. Aber nun zu dem wichtigen Punkt, wovon die ganze Sache abhängt! Wie soll ich meinen Anspruch an ihre Hand geltend machen? Erklärt mir das gefälligst, Sir Giles.«

»Sehr gern«, versetzte der Erpresser, »aber ehe ich es tue, muss ich Euch eine Mitteilung machen, die Euch überraschen und Euch zeigen wird, dass mein Anspruch an die große Besitzung in Norfolk nicht ganz so sicher ist, wie Ihr glaubt. Ihr wisst, dass Sir Ferdinando Mounchensey einen jüngeren Bruder namens Osmond hatte …«

»Der sehr jung verschwand, und vermutlich starb, denn man hörte nie wieder von ihm«, fiel Sir Francis ein. »Und es war ein Glück für uns, dass er starb, denn sonst hätte er uns verhindern können, uns dieser Besitzungen zu bemächtigen. Ich weiß noch, dass einer von den Richtern gesagt hatte, wenn er am Leben geblieben wäre, hätte er das Urteil der Sternkammer umstoßen können.«

»Jenes Richters Ansicht war richtig«, sagte Sir Giles. »Nun hört mich an, Sir Francis. Es ist völlig wahr, dass Osmond Mounchensey sehr jung wegen eines Familienstreites seine Heimat verließ, aber es ist nicht wahr, dass er starb. Im Gegenteil habe ich erst kürzlich mit Gewissheit erfahren, dass er noch am Leben ist. Bisher ist es mir nicht gelungen, ihn aufzufinden, obwohl ich seine Spur entdeckt habe; aber er hat sich in solches Geheimnis gehüllt, dass er schwer zu entdecken ist. Doch hoffe ich, wird es mir bald gelingen; und meine Aufgabe wird es sein, zu verhindern, dass er wieder erscheint, was uns beiden große Gefahr bringen würde. Ich habe einen Plan mit ihm, der mehr als einen Zweck erfüllen wird. Ihr sollt ihn sogleich erfahren. Und nun will ich Euch die geforderte Auskunft wegen Aveline geben.«

Er stampfte auf den Boden.

»Ihr wollt doch keinen Geist der Finsternis in unseren Rat rufen?«, sagte Sir Francis, ihn mit Erstaunen und Unruhe anstarrend.

»Ihr werdet sehen«, versetzte der Erpresser mit grimmigem Lächeln.

Nach einer Pause wurde die Tür fast geräuschlos geöffnet und Clemens Lanyere trat ins Zimmer.

»Was hat Lanyere mit der Sache zu tun?«, rief Sir Francis, indem er den Ankläger, der keine Maske trug, argwöhnisch ansah.

»Ihr werdet sogleich hören«, versetzte Sir Giles. »Benachrichtigt gefälligst Sir Francis, guter Lanyere, wie Ihr in die Lage kamt, um die Hand der schönen Aveline Calveley anzuhalten.«

»Er hielt um ihre Hand an? Ich verstehe Euch nicht, Sir Giles!«, rief der alte Wucherer.

»Lasst ihn reden, ich bitte Euch , Sir Francis«, entgegnete der andere. » Ihr werdet umso eher erfahren, was Ihr zu wissen wünscht.«

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