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Deutsche Märchen und Sagen 3

Johann Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

3. Das Wildschwein

Es war einmal ein König, der hatte mit seiner Gemahlin nur einen Sohn gewonnen, doch nicht viel Freude von demselben, denn eine böse Hexe hatte ihn in ein Wildschwein verwünscht. Der König und die Königin waren sehr betrübt darüber, aber da geschehene Dinge nicht zu ändern sind, trösteten sie sich endlich doch in etwas. Das Wildschwein ließen sie denn im Hof und im Schlossgarten herumlaufen, wo es auch ganz friedlich verkehrte und keinem Menschen etwas zuleide tat.

Nicht weit vom Schloss des Königs stand ein anderes Schloss, worin ein reicher Herr wohnte. Der hatte drei Töchter, eine schöner als die andere. Eines Tages war das Wildschwein weiter als gewöhnlich gelaufen und hatte die älteste Tochter gesehen, wie sie auf dem Feld Blümchen pflückte. Sie hatte ihm so gut gefallen, dass es sterbensverliebt in sie wurde und sie mit aller Gewalt heiraten wollte. Der König hatte gut sprechen, das ginge nicht. Da waren Hopfen und Malz verloren; das Wildschwein wollte von nichts hören, sprach auch, wenn das seine Frau nicht würde, dann stürbe es vor lauter Betrübnis. Da schickte der König zu dem Herrn des Schlosses und ließ ihm alles sagen. Dem gefiel der Vorschlag anfangs auch wenig, doch als er dachte, dass der Königssohn anders sterben werde, willigte er ein. Aber nun war die Tochter nicht damit zufrieden und sagte im Gegenteil, sie wolle lieber Gott weiß was tun, als ein so abscheuliches Schwein zum Mann haben. Das alles half ihr aber wenig. Als sie nicht wollte, zwang sie der König dazu und die Hochzeit wurde mit der größten Pracht von der Welt gefeiert. Als es nun spät war und ein jeder zu Bett ging, da legte sich auch die Braut schlafen. Das Wildschwein wollte sich neben sie legen, aber in dem es in das Bett sprang, trat es ihr unglücklicherweise mit einer seiner schweren Pfoten auf den Hals und – sie war tot. Wie betrübt das Wildschwein, der König und die Eltern der Braut waren, das lässt sich mit keiner Feder beschreiben.

Ein Jahr danach hatte das Wildschwein sich wieder verlaufen und fand auf dem Feld die zweite Tochter des reichen Herrn und die gefiel ihm so gut, dass es sie heiraten wollte, was es auch kosten möge. Der König machte viele Einwendungen, aber das war nur Öl ins Feuer gegossen und am Ende blieb nichts übrig, als dem Herrn einmal davon zu sprechen. Der wollte aber nichts davon wissen und widersetzte sich aus allen Kräften dieser Heirat, sprach, er habe seine Töchter nicht für Schweine erzogen und dergleichen mehr. Der König meldete das seinem Sohn, aber der bestand nur noch mehr darauf als zuvor. Somit war der König genötigt, die Eltern der Tochter zu zwingen, dass sie das Mädchen folgen ließen. Mit Tränen und Jammern wurde die Braut aus dem Schloss geholt und zur Hochzeit geschleppt. Da ging es nun gar traurig zu. Es war, als hätte es jedem der Gäste vorgestanden, dass es der zweiten Braut nicht besser ergehen werde als der ersten. So ging es denn auch wirklich, denn als der Bräutigam in das Bett springen wollte, trat er wieder mit seinen plumpen Pfoten der Braut auf den Hals und sie war tot.

Der Jammer, der darüber sowohl im Schloss des Königs als auch in dem anderen Schloss war, ist nicht zu beschreiben. Das Wildschwein war wie verzweifelt darüber und schlug den Kopf gegen die Mauern, als ob es seines Lebens müde gewesen wäre. Die Eltern der Braut konnten sich nicht trösten. Von drei Töchtern hatten sie nur noch eine, die noch ein zartes, junges Mädchen war. Weil sie fürchteten, dieser auf dieselbe Weise zu verlieren wie die beiden anderen, wollten sie ihr Hab und Gut zusammenpacken und in ein fremdes Land ziehen. Als der König das hörte, war er noch betrübter als vorher und noch mehr erzürnt auf seinen Sohn. Er bat den reichen Herrn, doch nur im Schloss wohnen zu bleiben, und versprach ihm sogleich das Wildschwein alsbald wegzujagen. Dieses Versprechen hielt er auch und der arme Königssohn wurde ohne Gnade und Barmherzigkeit aus dem Schloss des Königs weggejagt und lief in den nahen Wald.

Das dritte Töchterchen des reichen Herrn war ein wunderschönes und engelgutes Kind; und bald vergaßen die Eltern bei ihm, auf welche schreckliche Weise sie ihre beiden anderen Töchter verloren hatten. Eines Tages waren alle Leute aus dem Schloss in den Wald spazieren gegangen. Die schönen Waldblümchen gefielen dem Mädchen so gut, dass es nicht genug pflücken konnte, und die lustigen Vöglein sangen so süß, dass es nicht genug hören konnte und immer pflückte und immerzu horchte. Dadurch blieb es immer mehr zurück und fand sich endlich ganz allein. Indem es nun noch so da saß und Blümchen brach, kam plötzlich ein Wildschwein gelaufen, nahm es auf den Rücken und rannte mit ihm weg. Da hatten Vater und Mutter gut rufen und die anderen Leute gut suchen, kein Mensch konnte das Mädchen wiederfinden und abends musste man ohne das arme Kind ins Schloss gehen.

Das Wildschwein hat es aber nicht aufgefressen, sondern in eine fern abgelegene, tiefe Höhle getragen, wo noch kein Mensch sich hineingewagt hatte. Da setzte es das Mädchen still und sänftiglich nieder und machte ihm ein Bettchen aus weichem Moos, lief als dann in den Wald zurück und holte noch Blumen und Erdbeeren, kurz, es tat alles, was es dem Mädchen nur an den Augen absehen konnte. Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, dass das Wildschwein niemand anderes war, als der verwünschte Königssohn. Das Mädchen wurde auch immer kühner und zutraulicher und streichelte endlich mit seinen kleinen Händchen den rauen Borstenkopf des Wildschweins. Dies leckte ihm dafür die Hände und war so glücklich darüber, dass ihm die Tränen aus den Augen liefen.

»Warum weinst du denn?«, fragte das Mädchen.

Das Wildschwein sprach: »Warum sollte ich nicht weinen. Ich bin so unglücklich und du könntest mich erlösen, aber das wirst du nicht tun, das weiß ich.«

Das tat dem Mädchen leid und es fing selbst an zu weinen. Es sprach: »Doch, das will ich gern tun, Wildschwein, aber sage mir, wie ich das machen muss.«

Das Wildschwein antwortete: »Ob ich dir das sage, du tust es doch nicht; aber ich will es dir nur sagen, du musst mich zum Mann nehmen, mich heiraten und meine Frau werden.«

Da lachte das Mädchen sprang auf und sprach: »Ist das alles, dann will ich dich schon erlösen.«

Als das Wildschwein das hörte, da sprang es dreimal um und um vor lauter Freuden. Dann lief es weg und holte so viel weiches, grünes Moos herbei, bis das es ein Bett zusammenhatte, worin sie beide gemächlich zusammen schlafen konnten.

Des Nachts hatte das Mädchen einen sonderbaren Traum. Es dünkte ihr, als sagte ihr jemand, sie müsse morgens früh aufstehen und ein großes Fell nehmen, welches sie vor dem Bett finden würde. Dann müsse sie aus der Höhle gehen, diese mit einem Stein schließen und auf den Stein das Fell zu Asche verbrennen. Das däuchte ihr gar wunderlich. Als sie aber beim ersten Tagesdämmern einmal aus dem Bett blickte, da sah sie in der Tat ein großes Fell wie von einem Wildschwein da liegen. Da fasste das Mädchen Mut, ging vor die Höhle und wälzte mit allen Kräften, die sie hatte, einen schweren Stein davor, der gleich neben dem Eingang lag. Dann machte es ein großes Feuer. Als das recht am Brennen war, warf es das Fell hinein. Doch kaum fing dasselbe an zu brennen, als ein jämmerliches Schreien und Jammern aus der Höhle ertönte. Da hätte sie nun gern die Höhle aufgemacht, aber der Stein war zu heiß geworden und das arme Mädchen hätte sich die Händchen tüchtig daran verbrannt. Als das Feuer aber aus war, der Stein eben ein wenig abgekühlt war, da schob es, so gut es konnte, den Stein ein wenig zurück. Doch da stand der allerschönste Königssohn vor ihr, den man nur mit Augen sehen kann.

Der fiel ihm um den Hals und rieft: »Siehst du nun, dass du mich erlöst hast? Nun bist du mein und ich bin dein, und wären deine Schwestern so willig gewesen wie du, dann wären sie nun nicht tot.«

Nun ging der Königssohn mit dem Mädchen aus der Höhle und in das Schloss des Königs und erzählte dem und der Königin alles. Dann wurden die Eltern des Mädchens von dem anderen Schloss und denen erzählt er auch alles. Drei Tage danach hielt man die Hochzeit mit viel Pracht und Staat. Nie hat man einen schöneren Bräutigam gesehen wie den König, und nie eine schönere Braut wie das Mädchen. Nicht lange darauf starb der alte König und der Königssohn kam auf den Thron und das Mädchen wurde seine Königin. Wenn sie noch nicht vom Thron aufgestanden sind, dann sitzen sie noch heute darauf.