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Lovecraft Letters I

Christian Gailus
Lovecraft Letters I

Thriller, Horror, E-Book, be – Imprint der Bastei Lübbe AG, Köln, Oktober 2017, 150 Seiten, 1,99 Euro, ISBN: 9783732531622
www.be-ebooks.de

Der Psychiater Ray Berkeley arbeitet im Auftrag der Henderson & Remington Company, einer Firma, die eine Mischung aus Finanzberatung und psychologischer Betreuung anbietet, an dem Fall Mahmoud Al-Tahiri. Der unter Verfolgungswahn leidende Mann hatte sich im Schlafwagen eines Zuges verschanzt und eine Zugbegleiterin getötet. Ray soll prüfen, wie es um den Geisteszustand Al-Tahiris bestellt war, und geht dafür ein gewagtes Experiment ein: Er setzt sich selbst den Umständen aus, unter denen der Mann offenbar unter Wassermangel eine Psychose entwickelte. Der Ausgang ist besorgniserregend. Auch Ray verliert zeitweilig die Nerven, sieht seltsame Wesen, die ihn verfolgen und angreifen. Als Folge wird er von einem Wachmann, den er als Monster sah, angeschossen und hat auch jetzt, Wochen später, noch seltsame nächtliche Aussetzer. Das Experiment wird daher vor Gericht angefochten, und Ray bekommt Ärger in der Firma. Die setzt ihn – sozusagen als Strafe – auf einen anderen Fall an. Der Geschichtsprofessor Henry Coleman soll seine Frau bestialisch ermordet haben. Im Gespräch mit Ray offenbart der Mann, dass seiner Ansicht nach etwas ganz anderes die Schuld am Ableben seiner Frau trägt. Coleman und sein Kollege St. John, beides große Bewunderer das Autors H.P. Lovecraft, hatten sich in den Kopf gesetzt, möglichst viele Dinge aus dessen Leben zusammenzutragen. Auch ein Siegelring, der in einer verschollenen und nun von ihnen wiederentdeckten Aufzeichnung von Lovecraft erwähnt wird, können sie in Europa ausfindig machen. Coleman reist in das niederländische Leiden, um das Stück zu begutachten, und sieht sich mit einem grausam hingerichteten Toten konfrontiert …

In einer Parallelhandlung macht sich eine Gruppe von Studenten zu einer Wanderung durch die Mammut Cave in Coldwater, Massachusetts auf. Als sich ein junger Mann namens Kevin unbewusst von der Gruppe entfernt, verläuft er sich in dem weit verzweigten unterirdischen Tunnelsystem und merkt bald, dass er von einem Unbekannten verfolgt wird. Verwirrt von den immer gleich aussehenden Gängen und den undeutbaren Echos gerät er bald in einen Kreislauf der Angst. Als er schließlich auch noch das Licht seiner Taschenlampe verliert, kann er sich nur noch knapp mit einem Stein gegen den Verfolger zur Wehr setzen …

Der erste Teil der auf acht monatlich erscheinende Episoden ausgelegten Mystery-Thriller-Serie Lovecraft Letters, die exklusiv als Ebook im Imprint be beyond des Bastei Lübbe Verlags erscheint, bringt die unheimlichen Ereignisse um den Psychologen Ray in Gang. Die Nebenhandlungen, die in jeder Episode ebenfalls eine Rolle spielen, werden hier durch den Plot in der Mammut Cave eingeleitet. Der Text umfasst etwa die Länge eines 64-seitigen Heftromans und besteht aus genre-typisch kurzen Kapiteln, die in schnellen Wechseln die beiden Handlungen vorantreiben. Immer wieder wechselt dabei auch die Zeitebene, während Coleman davon berichtet, was ihm bei Sammeln der Lovecraft-Artefakte passiert ist.

Autor Christian Gailus (unter anderem Autor der Hörspielserie Glashaus) hat dabei ein nicht ganz so glückliches Händchen bewiesen, um seinen Hauptcharakter einzuführen. So faszinierend der Gedanke des Nachstellens einer Situation, in der ein des Mordes Beschuldigter eine Psychose entwickelte, ist, umso naiver und unglaubhafter ist es, dass ein derart erfahrener Mann davon ausgeht, so etwas könne vor Gericht Bestand haben. Bei mir als Leser hinterlässt das den Eindruck, dass ich diese Figur nicht ernst nehmen kann, da sie ihrer Erfahrung zuwider handelt. Kein günstiger Einstieg in den Text. Glücklicherweise fängt sich die Figur im Laufe des Romans wieder ein bisschen. Spätestens, als die Coleman-Verhöre anfangen, kommt ordentlich Atmosphäre auf. Hier vermischt der Autor bestimmte über Lovecraft bekannte Fakten mit eigenen Ergänzungen, lässt seine Protagonisten wie die Leser im Unklaren darüber, ob das, was geschieht, Wirklichkeit ist oder nur ein paranoider, ausgeformter Gedanke der Figur, aus dessen Sicht das Geschehen geschildert wird. Gailus trifft hier den Ton lovecraftscher Geschichten recht gut, wenn einige Szenen doch manchmal auch äußert stark springen und abrupt enden, sodass man den Eindruck bekommt, man habe etwas überlesen. Ob dies ein Stilmittel ist, wird indes nicht klar.

Gegen die Haupthandlung fällt die Handlung in der Mammut Cave sehr ab. Kevin, der sich dort verlaufen hat, irrt in redundanten, aber zum Glück recht kurzen Kapiteln, durch das Höhlenlabyrinth, ohne dass sich seine bereits zu Beginn bestehende Angst entwickelt. Die Handlung tritt hier bis zum recht unspektakulären Finale auf der Stelle und hätte in einem einzigen, etwas längeren Kapitel genauso viel Sinn gemacht bzw. vielleicht sogar noch mehr Spannung erzeugt.

Apropos Spannung: So richtig spannend ist Lovecraft Letters 1 nicht. Stellenweise gelingen Gailus durchaus atmosphärisch dichte Absätze, durch die diffusen Charaktere fehlt allerdings eine Identifikation mit ihnen. Die Handlung darf – ganz im Sinne Lovecrafts – zunächst nebulös bleiben, aber dass dies auch bei den Figuren der Fall ist, tut dem Text nicht gut. Es bleibt zu hoffen, dass Gailus Ray Berkeley und Henry Coleman in den kommenden Episoden mehr Tiefe und Glaubwürdigkeit verleiht. Zudem fehlt hier noch das Fingerspitzengefühl dafür, welche Handlungselemente für den Leser interessant wären. Die Höhlenhandlung ist viel zu gedehnt und unspektakulär, dafür hätten Colemans Ausführungen und auch Reys surreal anmutende nächtliche Episoden den ein oder anderen zusätzlichen Absatz gebrauchen können. Lovecraft Letters 1 ist somit ein – zwar atmosphärisch in Teilen sehr gelungener, insgesamt jedoch eher durchwachsener – Auftakt der Serie. Für kommende Folgen ist auf jeden Fall noch ordentlich Platz nach oben.

(sv)