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Aëlita – Teil 15

Alexej-Tolstoi-AelitaAlexej Tolstoi
Aëlita
Ein utopischer Roman

Soazera

Die sich hinter den Hügeln erhebenden bläulichen Umrisse von Soazera, die Vorsprünge seiner flachen Dächer, die von Grün bedeckten gitterartigen Mauern, die spiegelglatten ovalen Teiche, die durchsichtigen Türme nahmen einen immer größer werdenden Raum ein und tauchten unter hinter dem dunstigen Horizont. Eine Unmenge schwarzer Punkte flog über die Stadt dem Luftschiff entgegen.

Der blühende Kanal wich gen Norden zurück, östlich von der Stadt erstreckte sich ein ödes, von Schutthaufen bedecktes, zerwühltes Feld. Am Rande dieser Wüstenei erhob sich, einen scharfen langen Schatten werfend, eine gigantische Statue, sie war an vielen Stellen gesprungen und von Flechten bedeckt.

Der steinerne nackte Mensch stand in ganzer Größe da. Seine Füße waren geschlossen, die Arme an die schmalen Hüften gepresst, ein gerippter Gürtel stützte seine gewölbte Brust, sein von einem spitzen fischgrätenähnlichen Kamm gekrönter, breiter Helm schimmerte matt in der Sonne. Der halbmondförmige Mund seines breitknochigen Gesichts mit den geschlossenen Augen lächelte.

»Magazitl«, sagte der Marsianer und zeigte auf den Himmel. In der Ferne, hinter der Statue konnte man die ungeheuren Ruinen einer Zisterne sehen, die Umrisse von zerfallenen Aquäduktbogen. Als Losj genauer hinsah, begriff er, dass die Schutthaufen auf der Ebene Gruben waren und die Hügel Überreste einer uralten Stadt. Die neue Stadt, Soazera, begann hinter einem glitzernden See, westlich von diesen Ruinen.

Die schwarzen Punkte am Himmel näherten sich und wurden größer. Das waren Hunderte Marsianer, die ihnen in geflügelten Booten und Sätteln, auf Vögeln aus Segeltuch, in Körben mit Fallschirmen entgegenflogen.

Als Erstes erreichte sie ein leuchtendes, schmales goldenes Flugzeug, von der Form einer Zigarre, mit vier Flügeln. Es glich einer Libelle. Das Flugzeug machte eine scharfe Wendung und blieb frei in der Luft schweben. Blumen, farbige Papierstreifen fielen von ihm auf das Deck hernieder, erregte Gesichter schauten über Bord.

Losj erhob sich, hielt sich an einer Trosse fest und nahm den Helm ab. Der Wind hob sein weißes Haar. Aus der Deckkabine trat Gussew heraus und stellte sich neben ihn. Von den Booten wurden ganze Bündel Blumen auf sie herabgeworfen. Die teils bläulichen, teils bräunlichen oder ziegelroten Gesichter drückten Erregung, Begeisterung und Entsetzen aus.

Vor, über, hinter und neben dem langsam sich vorwärtsbewegenden Luftschiff flogen jetzt Hunderte von Luftequipagen. Da glitt ein in einem Korb unter dem Fallschirm hervor winkender Dicker mit gestreifter Kappe von oben nach unten. Dort zog ein beuliges Gesicht, das durch ein Rohr schaute, rasch vorbei. Hier sah man einen besorgt dreinblickenden spitznasigen Marsianer mit wehendem Haar, der sich in seinem geflügelten Sattel vor dem Luftschiff hin und her drehte, mit einer kleinen rotierenden Schachtel auf Losj zielen. Und jetzt sauste in schneller Fahrt ein ganz mit Blumen geschmücktes geflochtenes Boot vorbei: Aus ihm schauten drei blasse Frauengesichter mit großen Augen, es wehten golddurchwirkte Schals, himmelblaue Ärmel, hellblaue Hauben.

Das singende Surren der Luftschrauben, das Rauschen des Windes in den Flügeln, ein feines Pfeifen, glitzerndes Gold, die Buntheit der Kleider in der blauen Luft; unter ihnen das purpurne und bald silberglänzende, bald kanariengelbe Laub der Parkbäume, die terrassenförmigen Häuser mit ihren funkelnden Fenstern, in denen sich die Sonne spiegelte – all das war wie ein Traum. Der Kopf schwindelte ihnen. Gussew blickte nur immer um sich und flüsterte: »Sieh nur, sieh nur, ach, du liebes Mütterchen!«

Das Luftschiff flog über hängende Gärten hinweg und landete leicht auf einem großen runden Platz. Sogleich fielen, wie Erbsen vom Himmel, Hunderte von Booten, Körben, geflügelten Sätteln herunter. Sie setzten auf oder plumpsten einfach auf die weißen Platten des Platzes. In den von ihm sternförmig ausgehenden Straßen lärmte eine große Volksmenge; die Menschen liefen, warfen Blumen und Papierstreifen, schwenkten Tücher.

Das Luftschiff hatte vor einem hohen und wuchtigen, pyramidenartigen, düsteren Gebäude aus schwarzrotem Stein aufgesetzt. Auf der breiten Treppe, zwischen quadratischen, sich nach oben verjüngenden Säulen, die nur bis zu einem Drittel der Höhe des Hauses gingen, stand ein Häuflein Marsianer. Sie waren alle in schwarze weite Mäntel gekleidet und hatten runde Mützchen auf. Wie Losj später erfuhr, war dies der Höchste Rat der Ingenieure, das höchste Verwaltungsorgan aller Länder des Mars.

Der marsianische Begleiter bedeutete Losj zu warten. Die Soldaten liefen über die kleinen Leitern hinunter auf den Platz und umgaben das Luftschiff, um die herandrängende Volksmenge abzuhalten. Gussew blickte entzückt auf den bunt bewegten Platz, auf die unzähligen durch die Luft schwirrenden Flügel, die Riesenkolosse der grauen oder schwarzroten Gebäude, auf die Umrisse der durchbrochenen Türme hinter den Dächern. »Nein, ist das eine Stadt … das nenne ich eine Stadt«, wiederholte er immer wieder und stampfte leicht mit dem Fuß auf.

Die Marsianer in den schwarzen Mänteln auf der Treppe traten auseinander. Es erschien ein hochgewachsener Marsianer von gebückter Haltung, ebenfalls schwarz gekleidet, mit einem langen finsteren Gesicht und langem, schmalem, schwarzem Bart. Auf seinem runden Mützchen zitterte ein goldener Kamm, welcher der Rückenflosse eines Fisches ähnlich war.

Auf einen Stock gestützt, schritt er bis zur Mitte der Treppe hinunter und blickte lange aus tief in den Höhlen liegenden dunklen Augen auf die Ankömmlinge von der Erde. Auch Losj blickte ihn an – aufmerksam und auf der Hut.

»Wie er uns anstarrt, dieser Teufel!« flüsterte Gussew. Er drehte sich zu der Volksmenge um und rief bereits ganz unbekümmert: »Guten Tag, Genossen Marsianer, wir bringen euch Grüße von den Sowjetrepubliken … Zur Anbahnung gutnachbarlicher Beziehungen …«

Die Menge ächzte erstaunt, murrte, lärmte, rückte vor. Der finstere Marsianer umfasste mit der Hand seinen Bart und richtete den trüben Blick auf die Menge, ließ die Augen über den Platz schweifen. Und unter seinem Blick wurde das erregte Meer der Köpfe alsbald still. Er wandte sich zu den auf der Treppe Stehenden um, sagte einige Worte und wies mit dem gehobenen Stock auf das Luftschiff.

Sofort lief einer der Marsianer zu dem Schiff und sagte etwas leise und schnell zu dem sich über Bord beugenden kahlköpfigen Marsianer. Darauf ertönten Signalpfiffe, zwei Soldaten liefen an Bord, die Luftschrauben heulten auf, das Schiff erhob sich schwerfällig von dem Platz und schwebte in nördlicher Richtung über der Stadt davon.