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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Erster Teil – Fünfundzwanzigste Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil
Fünfundzwanzigste Erzählung

Von einem spukhaften Leichenzug, welchen die halbe Bauerschaft eines englischen Dorfes zur Stunde der Gespenster vorüberziehen sah

Die Bauersleute eines Dorfes in England pflegten in den Wirtshäusern und bei öffentlichen Gelagen zum Zeitvertreib sich einander allerlei schreckliche Teufeleien und wunderbare Geschichtchen von erschienenen Geistern zu erzählen. Nie fehlte es dann an aufmerksamen Zuhörern. Da waren keine Hochzeit und keine Kindstaufe, wo man nicht bald diese, bald jene wunderbare Erzählung zum Besten gab. Was der eine nicht wusste, das wusste ein anderer, und was man nicht selbst erlebt hatte, das hatte man doch, schon als Kind, von einer ehrlichen Muhme oder Großmutter gehört, mithin lag die Glaubhaftigkeit der Sache selbst zutage. Auch die Kinder des Dorfes waren bei solchen Erzählungen immer ganz Ohr und wurden im Finstern und in der Einsamkeit täglich furchtsamer. Wie hätte das anders sein können, da die Erwachsenen selbst sich keine Mühe gaben, ihren Kindern die Schüchternheit und das Schaudern zu verbergen, welches sie überfiel, so oft sie nach Anhörung eines Gespenstermärchens des Abends vom Gelage nach Hause gingen und etwa vor dem Kirchhof des Dorfes vorbei mussten.

Dem Prediger dieser graulichen Gemeinde, einem sehr vernünftigen und rechtschaffenen Mann, war die Lieblingsunterhaltung seiner Pfarrkinder kaum zu Ohren gekommen, als er sie mit dem Nachteil bekannt machte, der natürlich für sie selbst und ihre Kinder daraus entstehen müsste, wenn sie den Kopf immerfort mit dergleichen Märchen anfüllen würden. Allein so viel Vertrauen und Liebe der Mann auch unter ihnen besaß, so verargten sie es ihm doch fast, dass er die Erzählungen ihrer zum Teil selbst erlebten Spukgeschichtchen für nichts weiter als Märchen und Geschwätz der Unmündigen am Verstand, zu halten schien. Sie kannten seinen Unglauben in diesem Punkt schon längst und versuchten, bei mehr als einer Gelegenheit ihn zu ihrer Meinung zu bekehren. Immer stimmten sie indessen die alte Leier wieder an und beriefen sich auf Tatsachen, die sie selbst mit ihren Sinnen wahrgenommen haben wollten. Und gegen Tatsachen, die mit eigenen, obgleich irregeleiteten Sinnen wahrgenommen worden sind, lässt sich da, wo man diese Verblendung nicht eingesteht, wenig ausrichten.

So kamen einmal des Morgens in aller Frühe mehrere Geisterseher aus dieser Dorfgemeinde zu ihrem Prediger, um ihm von einer erst in der letztvergangenen Nacht erlebten schrecklichen Erscheinungsgeschichte Nachricht zu geben, und sein Urteil darüber zu vernehmen.

»Wir alle zwölf«, hob der Sprecher unter ihnen an, »die wir hier mit gesunden Sinnen vor Ihnen stehen, bezeugen ehrlich und einmütig, dass sich uns in der nun gottlob zurückgelegten Nacht ein fürchterliches Gesicht gezeigt hat, welches offenbar nichts anders als ein Blendwerk des Teufels selbst gewesen sein kann. Wir bitten daher, ehrwürdiger Herr, lassen Sie uns Gerechtigkeit widerfahren und halten Sie das für keinen Irrtum unsererseits, was diesmal vierundzwanzig Augen deutlich beobachtet und gesehen haben. Mit dem Glockenschlag zwölf nämlich hörten unserer Etliche, die dicht neben der Schäferei wohnen, ungewöhnliche, gar sonderbare Töne. Sie stutzten erst, gingen aber doch behutsam etwas näher hinzu, um zu sehen, was es da schon wieder für Teufeleien gäbe. Und wie gedacht, so geschehen! Sie erblickten allerlei Bewegliches und Unbewegliches, Schwarzes und Weißes, in einiger Entfernung vor sich. Indessen wurden wir übrigen Nachbarsleute von unseren Gevattern ebenfalls geweckt und herbei gerufen. Und so sammelten sich, unsere Frauen und Kinder nicht mit gerechnet, bloß an Männern unserer Zwölf.«

»Nun«, fiel der Prediger dem Sprecher hier in die Rede, »das war gut, dass der handfesten Männer so viele waren, denn nun gingt Ihr auf die vermeintliche Erscheinung gewiss desto zuversichtlicher los, um der Sache auf den Grund zu kommen.«

»Ei, lieber ehrwürdiger Herr!«, erwiderte man. »Sie selbst haben uns jezuweilen auf das wahre Sprichwort aufmerksam gemacht: Wer sich ohne Not in Gefahr gibt, der kommt darin um. Es war Mitternacht, und wir merkten daher gleich anfangs, dass das ein Teufelswerk sein müsse. Und mit Geistern zu streiten, dazu fanden wir keinen Beruf. Hu! Uns schaudert noch jetzt die Haut bei der bloßen Erinnerung an das schreckliche Gesicht! Es war ein förmlicher Leichenzug, und Gott weiß, wem von uns er den nahen Tod geweissagt haben mag. Der Zug kam von der Schäferei her und ging, kaum hundert Schritte vor uns, vorüber. Da es eine sternhelle Nacht war, so konnten wir alle ganz deutlich erkennen, wie die schwarzen Teufelsgestalten eine Totenbahre trugen, worauf ein abscheulich hoher Sarg stand, der mit einem herabhängenden weißen Laken bedeckt war. Uns allen standen bei dem grausenvollen Anblick die Haare zu Berge. Wir beteten, bekreuzigten und segneten uns und eilten ungesäumt zu unseren Wohnungen, wo wir uns dem Schutz des Allmächtigen empfohlen. Nun sagen Sie uns nicht mehr«, setzten sie hinzu, »dass Gott den bösen Geistern nicht zuweilen gestatten sollte, uns arme Menschen zu erschrecken und zu ängstigen.«

Der Prediger, der ihnen aufmerksam, jedoch ohne sichtbare Verwunderung zugehört hatte, wagte es für dieses Mal nicht, das Gesicht an und für sich zu bezweifeln, weil es ihm nicht wahrscheinlich war, dass so viele, zugleich und auf einmal, etwas gesehen zu haben glauben sollten, was eine bloße Geburt ihrer Einbildungskraft gewesen wäre. Das aber versicherte er mit fester Zuversicht, dass der Leichenzug wenigstens nicht das Werk gaukelnder Geister, wohl aber vielleicht die Spielerei mutwilliger Menschen gewesen sein könne. Übrigens ließ er die Sache dahin gestellt sein und hoffte, dass Zeit das große Rätsel vielleicht noch einmal aufklären würde.

Wie gedacht, so geschehen! Kaum war es recht Tag geworden, so bemerkte der Schäfer einen großen Verlust an Fetthammeln, wodurch dann freilich in den Augen jedes Vernünftigen schon viel Licht über die Natur der nächtlichen Leichenträger verbreitet wurde. Allein, jene zwölf Geisterseher, die ihr bisschen Vernunft bereits in den Schlamm des Aberglaubens vergraben hatten, waren anderer Meinung.

»Eben darum«, meinten sie, »weil die Diebesbande in der Nacht eine Handlung verübte, zu der sich die Teufel in der Hölle freuen, eben darum begünstigten diese die Spitzbüberei durch das höllische Gaukelspiel des Leichenzuges.«

Bald danach sah man in einem benachbarten Dorf um Mitternacht eine ganz ähnliche Erscheinung. Den dortigen Bauern, die, weniger tief in den Wahnglauben versunken, von jenem Diebstahl bereits gehört hatten, kam nun die Spukerei höchst verdächtig vor. Sie rotteten sich geschwind und in aller Stille, mit Dreschflegeln, Mistforken und Heugabeln bewaffnet, zusammen, traten so dem nächtlichen Leichenzug herzhaft in den Weg und umringten ihn. Die Leichenträger, die solche verwegene Entschlossenheit nicht erwartet haben mochten, ließen die Leiche im Stich und suchten ihr Heil in der Flucht. Aber die braven Bauern, die Kopf und Herz am rechten Fleck hatten, machten die ganze Schar von Teufeln zu Gefangenen und fanden bei genauer Besichtigung, dass auch nicht einer von ihnen einen Pferdefuß oder Ähnliches hatte. Es waren eitel menschliche Teufel, das heißt, schlaue Diebe, die den Aberglauben und die Gespensterfurcht benutzen wollten, um die gestohlenen Fetthammel, welche sie auf die Totenbahre geladen und mit einem weißen Laken behängt hatten, desto sicherer davon zu tragen.