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Der bayerische Hiesel – Teil 38

Der-bayerische-HieselFriedrich Wilhelm Bruckbräu
Der bayerische Hiesel
Wildschützen- und Räuberhauptmann, landesverrufener Erzbösewicht

Zur rechten Zeit

Eines Tages durchstreifte Hiesel mit seinem Hund ganz allein einen großen dichten Wald, um bei einem bekannten Bauer anzufragen, wie viel er von dem geschossenen Wild bereits verkauft habe. Plötzlich hörte er ein durchdringendes Hilfsgeschrei in seiner Nähe, machte sich schussfertig und drang durch einen langen Tannenanflug zu Hilfe. Vor ihm lag eine reicht gar zu breite Blöße, ein freier Platz, und er erblickte am entgegengesetzten Rand des Waldes eine weibliche Gestalt, die soeben von einigen Kerlen an einen Baum gebunden wurde, während andere beschäftigt waren, einen städtisch gekleideten jungen Mann aufzuhängen.

An den Kleidern erkannte Hiesel sogleich Räuber von der Bande des Schwarzen Martin, die hier im Begriff standen, einen Raubmord zu begehen. Hiesel bog die Zweige einer Buche auseinander, die fast krüppelhaft im Boden wurzelte, und erkannte zu seinem Entsetzen seine geliebte Marie, gerade so, wie sie ihm an Afras Lager hilferufend erschienen war.

Hiesel schoss sogleich den Räuber, der eben den jungen Mann erdrosseln wollte, durch den Kopf und hetzte, während er eilig lud, seinen Tiras, der wie ein wütender Tiger in langen Sätzen auf die Mörder hinsprang. Einer von den Räubern schlug auf den Hund an, da krachte es, und die Kugel fuhr dem Räuber dicht unter dem Kinn in den Hals, sodass er sogleich tot zu Boden stürzte. Tiras zerfleischte die Mörder mit steigender Wut, die von ihrer Beute ließen, um den noch unsichtbaren Feind zu bekämpfen. Hiesel schoss zum dritten Mal und traf wie immer seinen Mann. Noch waren ihrer fünf, und es schien ihm nicht ratsam, ihnen auf offenem Feld entgegenzugehen. Er sprang daher als ein geübter Wildschütze von Baum zu Baum, weil die Räuber immer dahin schossen, wo sie den Pulverdampf erblickten. Als jedoch wieder zwei auf ihrer Haut lagen, sprang Hiesel heraus und schrie ihnen mit seiner donnernden Stimme zu: »Der bayerische Hiesel bin ich! Nehmt Reißaus, ihr Spitzbuben, oder ich schieße euch zwischen die Löffel, dass euch die Hirnsuppe ins Maul rinnen soll! Die Gewehre weggeworfen, oder …«

Kaum hörten die Räuber den gefürchteten Namen, als sie ihre Stutzen von sich warfen und mit der größten Schnelligkeit ins Dickicht sprangen. Der Hund wollte ihnen nach. Hiesel pfiff ihm zur Umkehr.

Nun löste er mit bebender Hand Maries Fesseln, dann machte er den jungen Mann, ihren Gatten, von den Stricken los.

»Das ist wohl dein Mann, Marie?«, fragte Hiesel mit bebender Stimme, denn die Erinnerung an die glückliche Zeit seiner Liebe und die Anstrengung im Kampf gegen die Raubmörder hatten vereint seine Nerven erschüttert.

»Er ist es!«, antwortete Marie und wagte es kaum, ihm ins Gesicht zu sehen. Die alte Liebe aus schöneren Tagen rang mit der Furcht vor dem Furchtbaren, und tiefem Mitleid mit dem tief Gefallenen.

Der gräfliche Schlossverwalter, Mariens Gatte, dankte dem Hiesel auf das Innigste für die mutige Rettung seines Lebens und des Lebens seiner Gattin. Er verschwieg nicht, dass er Maries früheres Verhältnis mit Hiesel aus ihrem eigenen Mund kenne, und dass sie stets mit großem Lob und aufrichtiger Teilnahme von ihm gesprochen habe. Er fuhr fort: »Seit anderthalb Jahren ist Marie meine Frau, und ich danke Gott, dass ich diese Perle gefunden habe. Ich bin Schlossverwalter auf dem herrlichen Gut des Grafen Verinsky in Böhmen, nicht fern von der Donau. Es geht mir recht gut, der Graf beehrt mich mit seinem vollen Vertrauen. Er hat mir Urlaub gegeben, um Maries Vater und ihre Verwandten, wonach sie sich sehnt, zu besuchen. Wir ließen den Wagen auf der Straße voranfahren, um durch dieses scheinbar kurze Wäldchen zu Fuß zu gehen. Wir verirrten uns und wären dem grausamsten Tod entgegen gegangen, hätte nicht Gottes Fügung Euch herbeigeführt. Euer außerordentlicher Mut allein war imstande, uns zu retten. Ich kenne Eure Gesinnung, Hiesel, Ihr würdet es mir übel nehmen, wenn ich Euch ein Geschenk dafür anbieten wollte. Stattdessen mache ich Euch einen Vorschlag: Mein Graf hat große, ausgedehnte Waldungen und wünscht schon lange einen tüchtigen Jägermeister. Kommt mit uns oder folgt nach, ich verbürge Euch die freundlichste Aufnahme. Entsagt dem Leben, das Ihr jetzt führt, es kann nimmermehr ein gutes Ende nehmen.«

»Ich danke Euch, Herr Schlossverwalter«, erwiderte Hiesel, »für Euren Antrag und guten Rat. Ich kann meine Freunde nicht verlassen, an die mich ein schrecklicher Eid bindet. Sollte sich die Gesellschaft auflösen oder durch Gewalt der Waffen zersprengt werden, dann suche ich bei Euch ein Unterkommen. Ich will dann gern mit einem Stück schwarzen Brotes zufrieden sein, wenn ich es in Frieden verzehren kann.«

»Hiesel«, bat Marie mit fast schluchzender Stimme, »wenn meine heißen Bitten noch etwas über dich vermögen, obgleich ich nicht mehr deine Geliebte, aber deine Freundin, deine Schwester bin, so gib dies schreckliche Leben auf, das deinen Namen brandmarkt und dir ein fürchterliches Ende bereitet. Wärst du bei meinem Vater geblieben, hättest du nie ein Gewehr in die Hände genommen, es wäre jetzt alles ganz anders.«

Dabei sah sie ihn mit stillem Herzenskummer an, mit Augen, welche deutlich sprachen: Hiesel, jetzt wäre ich längst schon deine liebende Frau!

Hiesels Herz war erweicht. Die ganze Vergangenheit, leidvoll und freudvoll, tat sich wieder vor ihm auf. Er nahm sein Jagdmesser, stieß es, von Marie unbemerkt, in seinen Arm, nahm ihr Taschentuch, das er mit diesem Blut benetzte, und gab es ihr, indem er bat: »Bewahre dies, mit deines Mannes Erlaubnis, zur Erinnerung an die Stunde deiner Rettung, als ein Zeichen, dass ich gern mein Blut für dich vergossen hätte!«

Er konnte sich nicht mehr überwinden, als die Straße vor ihnen offen lag, und der Wagen in weiter Ferne sichtbar wurde. Weinend fiel er Marie um den Hals und drückte den letzten Kuss auf dieser Welt auf ihre Lippen.

»Lebe wohl, Marie, auf ewig wohl, und hörst du von meinem Tod, so weihe mir eine Träne und bete für meine arme Seele. Leb wohl, leb ewig wohl!«

Mit diesen Worten riss sich Hiesel los, und stürzte, vom Schmerz ewiger Trennung vernichtet, in den Wald zurück. Marie aber wankte fast ohnmächtig am Arm des tröstenden, tief gerührten Gatten dem Wagen zu.

Hiesel lag in einem Dickicht, Tränen der Verzweiflung weinend, in großer Versuchung, sich selbst das nun verhasste Leben zu rauben. Sein treuer Hund winselte, als verstünde er den Jammer seines Herrn, und schmiegte sich liebkosend an seine Seite.

 

***

 

Mit Marie verlor Hiesel die letzte schöne Hoffnung seines Lebens, und anstatt ihre Warnungen und Bitten zu achten, und seinen Verbrechen zu entsagen, schien er vielmehr mit der letzten Träne über ihren Verlust auch den letzten Rest von Menschlichkeit aus seinem Herzen gerissen zu haben. Denn von nun an häuften sich seine Grausamkeiten in einem unglaublichen Grade. Manche von diesen, deren späterhin sein Todesurteil Erwähnung tut, mögen hier verschwiegen bleiben, da sie durch größere verdunkelt werden, wie die lieben Leser bald hören werden , und welche sein trauriges Ende beschleunigt haben.