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Der tolle Koffer – 1. Teil

Der tolle Koffer

Eine fortlaufende Musterkollektion der besten Witze, Schnurren und Anekdoten von Reisenden und Kaufleuten
Offeriert von Felix Schloemp
München und Leipzig bei Georg Müller, 1910

Leitgedicht

Der tolle Koffer

Bei Tafel saßen in bunter Reih’

Damen und Herren; auch saß dabei

ein junger Mann von blassem Gesicht,

in Haltung und Ausdruck ernst und schlicht,

durchaus bescheiden, zwar etwas gefräßig,

aber schweigsam verhältnismäßig.

Und wie der Bach in der Sonne Blinken

glitt das Gespräch zwischen Scherzen und Trinken.

Man sprach über dieses, man sprach über jenes,

man sprach über Nützliches, über Schönes,

und kam über Unfälle und Verbrechen

glücklich auf Reisekoffer zu sprechen.

Nun waren, wie das so geht hienieden,

Urteil und Ansichten sehr verschieden;

die Damen lobten die großen, schweren,

bequem zu packen und rasch zu leeren,

ohne dass dabei die Toilette

jemals Schaden genommen hätte.

Den Herren hingegen wollte es scheinen,

angenehmer wären die kleinen,

die leichten zusammengeklappten Dinger;

man könne sie heben mit einem Finger.

Unser Jüngling in guter Ruh’

kaut seinen Bissen und schweigt dazu.

Und wie im Schilf der schaukelnde Nachen

glitt das Gespräch zwischen Scherzen und Lachen

von Reisekoffern auf ferne Gefilde

im schönen Italien und Kunstgebilde

und auf das Glück und das Glücklicherscheinen

sowie auf die Liebe im Allgemeinen.

Unser Jüngling kaute wacker fort,

hört von dem allen kein Sterbenswort,

seine Gedanken, begreiflicherweise

dämmern so weiter im alten Gleise.

Und wie er sich abmüht mit düsterer Stirn,

löst sich ein Etwas in seinem Hirn

und klettert herab und erreicht seine Zung’

und wird nun allmählich zur Äußerung.

Und er tut den Mund auf, er winkt mit der Hand,

die Damen im Kreise die lauschen gespannt,

die Herren verstummen von Reminiszenzen

aus schwülen Garderoben mit welkenden Kränzen;

alles starrt in nervösem Grimme,

und er sagt mit flötend melodischer Stimme,

und dabei leuchtet sein Antlitz hell:

»Ich habe einen von Seehundsfell.«

Frank Wedekind

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