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Der Detektiv – Band 29 – Nur ein Tintenfleck – Kapitel 3

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 29
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Nur ein Tintenfleck
Kapitel 3 – Das Flachboot

Ich war schon die letzte halbe Stunde über so müde gewesen, dass ich mich kaum an der Unterhaltung beteiligt hatte. Unsere Rikschas fuhren erst hintereinander. Dann ließ Harst die seine dicht neben meinem Wägelchen dahinrollen und sagte gähnend:

»Mir ist der Kopf so schwer, als hätte ich ein Gelage hinter mir. Eine prachtvolle Nacht. Der Mond wird sofort hinter den Hügeln dort hochkommen. Findest du nicht auch, dass unsere Rikschakulis sehr faule Kerle sind? Und sie tragen trotz der warmen Nacht Leinenjacken und Leinenhosen …«

Was er weiter sagte, entging mir. Ich war für Minuten eingenickt. Dann rüttelte Harst mich wach, ließ seinen weit ausgestreckten Arm auf meiner Schulter ruhen und rief leise: »Zum Teufel, nimm dich zusammen! Hier ist ein Gewitter im Anzug.«

Diese Redensart machte mich schneller munter, als ein Kanonenschuss es getan hätte. Ich riss die schweren Lider weit auf. Wir befanden uns mitten in einem Reisfeld auf einem lehmgestampften Weg. Vor uns reckte sich der graziöse Bogenbau einer jener so wenig tragfähig aussehenden Brücken aus Bambusstangen in die Luft, die doch weit dauerhafter und fester als schwerfällige andere Holzkonstruktionen sind. Die Brücke war einer von jenen zahlreichen Übergängen über Seitenarme des Menam und wie alle diese Bauten mit Brettern gedeckt.

Bevor ich noch völlig Herr meiner Sinne war, polterten unsere Rikschas schon auf dem Bretterbelag der Brücke. Harsts Wägelchen war nun dicht vor mir, da die Brücke eine Breite von nur 2 Meter hatte.

Da – Harst wandte den Kopf, nickte mir zu. Der Mond stand nun über den bewaldeten Höhen und schien Harst gerade ins Gesicht. Ich sah, dass er mich auf irgendetwas aufmerksam machen wollte. Ich richtete mich halb auf.

Und dann ereignete sich das, was selbst Harsts stets so reges Misstrauen nicht vermutet hatte.

Die Rikscha vor mir verschwand plötzlich – war wie weggewischt. Nur der Rikschakuli rannte weiter. Und nun wurde auch ich das Opfer derselben Teufelei. Mein Rikschakuli ließ plötzlich die Scherendeichsel los, tat einen langen Satz nach vorwärts. Die Rikscha aber und ich mit ihr sauste durch ein Loch in dem Bretterbelag abwärts. Der Sturz war nicht tief, endete auf einem Haufen Maisstroh, der auf dem Deck eines großen Flachbootes aufgeschichtet war. Sofort stürzten sich drei, vier Kerle auf mich, drückten mich tief in das Stroh und hatten mir im Augenblick sowohl die Hände auf dem Rücken gebunden als auch meinen Kopf mit einer dicken Decke umhüllt, die mir um den Hals durch einen Strick zusammengeschnürt wurde. Dann schleifte man mich an den Beinen über das Stroh und warf mich in das Innere des Bootes hinab. Ich fiel abermals halb auf hartes Maisstroh, halb auf einen menschlichen Körper – auf Harst, der sich sofort mit den Worten meldete: »Falls du es bist, mein Alter, dann entferne dich von meinem Brustkasten. Du wiegst denn doch zu viel, um als angenehme Last gelten zu können.«

Ich rollte mich zur Seite, setzte mich aufrecht, stieß mit dem Kopf gegen einen Balken, fluchte und rief: »Was bedeutet denn diese Teufelei nun eigentlich? Die verdammten Rikschakulis …«

»… sind Mitglieder jener Gilde«, führte Harst den Satz weiter, »die die Ausplünderung leichtsinniger Touristen seit Jahren hier zum Gewerbe erhoben haben, wie Madame Pordepierre mir erzählte. Zum Glück hat die Gilde noch nie einen Menschen umgebracht. Man wird uns alles wegnehmen, was Wert hat und uns dann laufen lassen.«

Ich hörte an dem Rascheln des Strohs, dass Harst sich bewegte und neben mich kroch. Dann fügte er ebenso dumpf wie bisher hinzu – ihm war also der Kopf ebenfalls eingewickelt worden: »Ich habe bei dem Sturz mit der Rikscha einen solchen Schlag gegen den rechten Unterarm erhalten, dass ich den Arm kaum fühle. Er ist wie abgestorben. Die Schmerzen sind kaum mehr zu ertragen. Wenn ich wüsste, dass mich jemand hört, würde ich rufen und die Kerle bitten, mir wenigstens den rechten Arm freizugeben.«

Er stöhnte leise auf. Wie gern hätte ich ihm geholfen! Aber ich war ja selbst so festgebunden, dass die Stricke an meinen Handgelenken bei jeder Bewegung tief in die Haut einschnitten. Ich sagte ihm das auch, worauf er erwiderte: »Lass nur! Es wird ja fraglos bald einer der Leute hier erscheinen und den Inhalt unserer Taschen sich näher ansehen.«

Eine Weile schwiegen wir beide nun. Inzwischen hatte ich mir so mancherlei überlegt, was unseren Besuch bei Major Trimal anbetraf. Ich hatte mich daran erinnert, dass mir Verschiedenes an Harsts Benehmen während des Aufenthaltes im Bungalow Trimals aufgefallen war, so besonders seine Bemerkung, dass er stets mit mir zusammenarbeite, und dann auch seine spätere Erklärung über die Entstehung des Tintenflecks durch einen Füllfederhalter. Gewiss: Diese Erklärung schien die einzig mögliche zu sein! Aber was sollte wohl ein fremder Eindringling in Trimals Arbeitszimmer sich haben notieren wollen? Und wenn er dies gewollt hätte – es lagen ja Bleistifte genug auf dem Onyxschreibzeug! Würde der Betreffende da erst seinen Füllfederhalter aus der Tasche genommen haben? Und schließlich: Ein Mensch, der in verbrecherischer Absicht sich irgendwo in einem bewohnten Haus Zutritt verschafft hat, wird doch nicht sich die Zeit lassen, irgendwelche Notizen zu machen, wozu er doch eine Beleuchtung gebraucht hätte, die stärker sein musste als eine gewöhnliche elektrische Taschenlampe etwa. Wie hätte er diese auch halten sollen, da er doch in der einen Hand das Notizbuch und in der anderen die Füllfeder hatte! Denn: Harst hatte ja geäußert, der Eindringling hätte am Schreibtisch stehend geschrieben! Also hatte der Mann das Notizbuch nicht auf die Tischplatte gelegt, sondern in der Hand gehalten! Dabei hätte er eine kleine Diebeslaterne gar nicht benutzen können, vielmehr hätte er die elektrische Krone einschalten müssen.

Jedenfalls war mir in dieser Erklärung Harsts einiges als so widerspruchsvoll aufgestoßen, dass ich nun mit etwas gedämpfter Stimme fragte: »Weshalb verlangtest du bei Trimal eigentlich so energisch, dass ich bei der Untersuchung der Briefmarke dabei war, und verhält es sich hinsichtlich des Füllfederhalters …«

Ich schwieg schnell, denn ich hatte von Harsts Ellbogen einen leisen Puff in die Seite bekommen.

Dann sagte er auch schon: »Lass doch jetzt diese Sache ruhen! Ich habe viel zu große Schmerzen, als dass ich Lust hätte, jetzt mit dir diese fraglos hochinteressante Angelegenheit zu erörtern. Der Major ahnt nicht, dass ich dieses Problem für einen besonders leckeren Bissen halte. Wir werden damit noch viel Arbeit haben. Der, von dem die Briefmarke durch den Tintenklecks beschmutzt wurde, dürfte es keineswegs nur auf die Sammlung abgesehen haben.«

Abermals stöhnte er dann wieder leise auf und fügte hinzu: »Wenn diese Banditen hier uns nur recht bald freilassen wollten. Das Problem des Tintenflecks reizt mich trotz der Höllenpein, die mir die Quetschwunde am rechten Unterarm bereitet.«

Er sprach auch dies alles wieder sehr laut. Sogar so laut, dass ich den Eindruck gewann, er vermute heimlich Lauscher in der Nähe und rede mehr für diese als für mich.

Dann wohl eine Viertelstunde nichts, nur Harst stöhnte zuweilen und über uns vernahm ich noch auf dem Deck des Flachbootes allerlei Geräusche, ebenso wie ich auch aus dem gelegentlichen Schwanken des Fahrzeugs schloss, dass es nicht etwa irgendwo am Ufer still lag, sondern in Bewegung war.

Nun über uns das Knarren klemmender Holzteile, ein Poltern und darauf lautes Rascheln des Maisstrohs. Ohne Zweifel war jemand durch die bis dahin geschlossene Deckluke zu uns herabgesprungen. Ich hatte mit dieser Vermutung recht, denn nun ertönte dicht vor uns eine tiefe Männerstimme, die in sehr mäßigem Englisch folgendes erklärte: »Wenn ihr euch gehorsam zeigt, wird euch nichts geschehen. Sobald ihr aber etwa um Hilfe ruft oder zu fliehen versucht, machen wir euch für alle Zeit stumm. Wieviel Geld habt ihr bei euch?«

Harst erwiderte, wir trügen vielleicht 80 Pfund Sterling bei uns. »Ich bin jedoch bereit, noch freiwillig ein Lösegeld zu zahlen, wenn Ihr mir den rechten Arm losbindet. Ich habe eine Quetschwunde am Unterarm, die stark schmerzt. Wir werden nicht um Hilfe rufen. Wir wissen ja, dass Ihr zu den sogenannten Menam-Brüdern gehört, die es nur auf Geld abgesehen haben. Behandelt uns gut, und Ihr sollt 500 Pfund erhalten.« Diesen Zusatz brachte er in so aufrichtiger Art vor, dass auch ich mich völlig täuschen ließ. Erst nachher erkannte ich, wie fein Harst jedes Wort berechnet hatte und wie kurzsichtig ich bei diesem Tintenfleck-Problem wieder einmal gewesen war.

Der uns unsichtbare Bandit sagte nun, er wolle sich Harsts Arm einmal ansehen. Nach ein paar Minuten dann abermals seine tiefe Stimme: »Oh – es ist eine große blaue Stelle vorhanden. Bewege einmal den Arm.«

»Das kann ich nicht. Er ist wie gelähmt«, erklärte Harst. »Lege mir einen nassen Verband an. Die Schmerzen sind kaum zu ertragen.«

»Wenn du mir schwörst, nicht zu fliehen, dann tue ich es«, meinte der Menam-Bruder nach kurzem Überlegen. »Aber du musst auch die 500 Pfund zahlen und darfst uns nicht bei der Polizei anzeigen.«

»Gut – ich schwöre, dass ich nicht ohne eure Erlaubnis dies Schiff verlassen will und dass ihr haben sollt, was euch gebührt«, lautete Harsts Antwort, deren Schlusssatz mir deutlich bewies, wie wenig es in Harsts Absicht lag, diesen Schurken das Geld wirklich auszuhändigen und sie zu schonen. Denn der Ausdruck gebührt war ja sehr verschieden auszulegen. Ich fürchtete schon, der Unsichtbare würde an diesem einen Wort Anstoß nehmen. Aber er hielt uns fraglos für gewöhnliche europäische Touristen, dem gegenüber er nicht irgendwie misstrauisch zu sein brauchte.

»Ich bin zufrieden«, sagte er nun. Und wieder nach einer Weile meinte er: »Legt euch nieder und schlaft. Morgen früh bekommt ihr zu essen und zu trinken. Und dann werden wir beraten, wie ihr die noch fehlende Summe uns zustellen könnt. Abends dürft ihr dann nach Bangkok zurück.«

»Erst morgen Abend?«, rief Harst enttäuscht. »Weshalb wollt ihr uns so lange gefangen halten? Es wäre mir lieber, wir träfen jetzt schon ein Übereinkommen wegen der Auszahlung des Geldes. Ich lege noch fünfzig Pfund zu, wenn ihr uns schon frühmorgens freilasst.«

»Es geht nicht«, erklärte der Bandit widerwillig.

»Hundert Pfund mehr!«, sagte Harst schnell.

»Nein, gib dir keine Mühe! Schlaft und seid froh, dass wir so milde mit euch verfahren. Wer seid ihr eigentlich?«

»Deutsche Vergnügungsreisende.«

»Deutsche? Du lügst. Du bist ein Engländer. Ich weiß es bestimmt.«

»Du weißt es dann eben nicht bestimmt. Nimm meine Brieftasche aus dem Rock. Darin wirst du meine Papiere finden.«

»Die kann ich nicht lesen. Nun – ob Engländer oder Deutsche, das bleibt sich gleich. Streckt euch jetzt nur auf dem Maisstroh aus. Ich will euch nur noch darauf hinweisen, dass ihr aus diesem Verschlag gar nicht herauskönnt. Er hat nur den einen Zugang von oben. Also denkt ja nicht an Flucht. Du hast so auch geschworen. Gute Nacht.«

Für einen Banditen war der Kerl wirklich merkwürdig höflich und gutmütig.

Ich hörte, wie er wieder durch die Luke hinausturnte, deren Deckel dann krachend zugeworfen wurde.

Harst legte sich sofort zum Schlafen nieder und meinte:

»Folge meinem Beispiel. Wir können nichts Besseres tun als schlafen, mein Alter. Major Trimal und der Tintenfleck müssen sich gedulden. Angenehme Ruhe. Es liegt sich ganz gut hier im Stroh.«

Ich erwiderte nichts als ein kurzes »Gute Nacht« und wühlte mich dann halb in das Stroh ein, bis ich bequem lag. Dass ich munter bleiben würde, wusste ich genau. Schon die enge Fesselung meiner Handgelenke musste jeden Schlummer verscheuchen, ebenso würden auch die Gedanken, die nun lebhafter als bisher mich bestürmten, mich nicht einschlafen lassen. Es waren Gedanken, die den Ereignissen dieses Tages galten und die all diese Ereignisse nun kritisch nachprüften, beginnend mit unserer Rikschafahrt zum Kloster P’hrabat und der Besichtigung des goldenen Turmes, der rotblonden Dame und dem Interesse, das Harst für sie heimlich bezeigt hatte.

Harst schnarchte bereits, als die Luke dann wieder quietschend und knarrend geöffnet wurde und der Unsichtbare erschien, um Harsts Unterarm mit einem nassen Verband zu versehen.

Dann waren wir abermals allein. Nachdem Harst noch erklärt hatte, der feuchte Umschlag tue ihm sehr wohl, atmete er wieder tief und ruhig und begann auch bald von Neuem jene gurgelnden Töne auszustoßen, die nur im Tiefschlaf dem etwas geöffneten Mund entquellen.

In diesem Schiffsverschlage herrschte eine drückende Hitze. Mir lief der Schweiß immer wieder in die Augen. Gerade das um den Kopf gebundene Tuch verstärkte noch die Schweißabsonderung. Zudem hatte ich noch wütende Kopfschmerzen, die sich schnell steigerten. Das Blut sang mir in den Ohren und pochte in meinen Schläfen. Zuweilen würgte mir auch ein kaum zu unterdrückender Brechreiz in der Kehle. In diesem Zustand war mir Harsts gelegentliches Schnarchen und gurgelndes Atmen geradezu eine Pein.

Dann – und ich fuhr entsetzt hoch – dann fühlte ich tastende Finger an meinem Hals. Ich merkte, dass zwei Hände an den Knoten des Strickes herumarbeiteten, der das Tuch um meinen Hals festschnürte.

Es konnte nur Harst sein, der in dieser Weise sich an meinem Hals zu schaffen machte! Nur Harst! Und doch hörte ich weiter dasselbe Schnarchen — nur näher erklang es nun und aus anderer Richtung.

Nun flog das Tuch beiseite. Ich starrte um mich. Tiefe Dunkelheit – nichts weiter. Aber – nun ein paar gehauchte Worte aus Haralds Mund: »Richte dich langsam mit dem Oberkörper auf!«

Ich tat es. Ein Messer sägte an meinen Handfesseln. Dann hatte ich die Arme frei.

»So, nun werden wir die Menam-Brüder um die Erlaubnis bitten, das Schiff verlassen zu dürfen«, flüsterte Harst wieder. »Reibe erst mal deine Handgelenke mein Alter, und dann nimm deinen Mehrlader und stecke ihn entsichert in die rechte Jackentasche.«

Gleich darauf stand Harst auf meinen Schultern und versuchte den Lukendeckel zu lüften. Es gelang. Nur allmählich hob er ihn ganz hoch, schob ihn zur Seite und schwang sich dann auf Deck.

Ich hatte nun über mir ein helleres Viereck, eben die Lukenöffnung. Ich sah ein Stück des ausgestirnten Himmels und vernahm das Rauschen naher Bäume und das Kreischen von ziehenden Wasservögeln.

Harst blieb etwa fünf Minuten aus. Dann erschien sein Oberleib über der Luke. Er warf mir ein Tau zu und half mir, gleichfalls auf Deck zu klettern.

Der Mond stand bereits tief. Das Flachboot mit dem geschweiften Vorder- und Hintersteven war etwa zwölf Meter lang und fünf Meter breit. Wie alle diese Flussfahrzeuge hatte es auch auf dem Achterdeck eine Hütte aus Bambus für die Besatzung und zwei Masten. Es lag nun am Ufer in hohem Röhricht. Rechts schimmerte ein seeartiges Wasserbecken; links rauschte ein großer Palmenhain, der sich eine Berglehne hinaufzog.

»Es sind vier Kerle«, berichtete Harst schnell. »Drei schlafen. Einer sitzt in der Hütte neben dem offenen Herd. Wir werden die Sache mit ihnen bald in Ordnung bringen.«

Die Hütte hatte als Türvorhang eine dicke Bastmatte. Harst schlüpfte als Erster hinein, hielt dem Kerl am Feuer sofort die Pistole vor das Gesicht und rief: »Wir wollen nur eure Erlaubnis erhalten, uns bis morgen Mittag entfernen zu dürfen. Fliehen wollen wir nicht.«

Die drei Schläfer schnellten empor. Die Leute waren Siamesen, und Mut gehört nicht gerade zu den Charaktermerkmalen dieses trägen, unterwürfigen Volkes, das durch die jahrhundertelange Knechtung unter einem echt orientalischen Despotismus jeden Unternehmungsgeist, aber auch jede Wahrheitsliebe verloren hat. Unsere Pistolen genügten vollauf, die vier Männer gefügig zu machen. Harst erklärte nochmals, dass wir mittags uns wieder einfinden würden.

»Ich weiß, dass ihr keine echten Menam-Brüder seid«, beendete er seine Ansprache. »Ihr seid nur für diesen Streich gedungen worden. Das Geld hat euch verlockt. Ihr habt versprochen, uns bis morgen Abend festzuhalten. Dafür erhieltet ihr eine bestimmte Summe, auch solltet ihr uns ausplündern dürfen. Man hat euch aber belogen: Wir sind keine Engländer! Wisst Ihr, was ein Detektiv ist?«

Der Älteste der Leute, dessen Scheitellocke bereits silbern schimmerte (die Siamesen der unteren Volksschichten rasieren den Kopf und lassen nur in der Mitte einen Haarschopf stehen) nickte und sagte: »Tuwan (Herr), ein Detektiv ist ein kluger Mann, der Diebe und Mörder fängt.«

»Richtig. Solche Detektive sind wir beide, deutsche Detektive. Die von denen ihr Geld empfangen habt, damit wir bis morgen oder besser bis heute Abend, denn Mitternacht ist längst vorbei, hier gefangen blieben, planen ein großes Verbrechen gegen die Schätze des heiligen goldenen Turmes. Sie fürchteten uns, und deshalb ließen sie uns mithilfe des Loches in der Bambusbrücke verschwinden. Sie haben euch fraglos belogen, denn als gläubige Buddhisten hättet ihr nicht gewagt, einen Anschlag gegen die Kostbarkeiten des P’hrabat zu unterstützen.«

Der Alte schüttelte den Kopf.

»Tuwan, niemand vermag aus dem goldenen Turm etwas zu stehlen«, meinte er. »Ihr wollt hier eine weiße Lady entführen. Nur deshalb solltet ihr unschädlich gemacht werden, sagte uns der Tuwan, der uns gestern Abend überredete, ihm zu helfen, euch gefangen zu nehmen.«

»Du wirst sehen, dass dieser Tuwan Euch getäuscht hat, der auch vorhin hier auf dem Boot war und uns belauscht hat, als wir in dem Verschlag saßen und ich so tat, als wäre mein Arm gelähmt. Ist es nicht so?«

»Ja, es ist so. Der Tuwan ließ sich nachher an Land rudern.«

»Dasselbe werdet ihr jetzt mit uns tun. Ihr habt ein kleines Boot am Heck befestigt. Vorwärts — zwei von euch werden uns sofort nach Bangkok zurückbringen. Ich habe Eile. Vielleicht komme ich schon zu spät, denn die, die euch erkauft haben, planen sehr wahrscheinlich auch einen Mord!«

Harsts bestimmtes Auftreten machte auf den Alten offenbar Eindruck. Er trat dann mit Harst hinaus auf das Deck und verhandelte dort mit ihm weiter. Sehr bald rief Harald mir dann zu, ich solle ebenfalls hinauskommen.

»Der Mann hat sich von mir überzeugen lassen, dass es sich tatsächlich um einen Anschlag auf den goldenen Turm handelt«, erklärte er hastig. »Er fühlt sich daher an sein Versprechen nicht mehr gebunden und hat sich mit mir im Guten geeinigt. Er und seine drei Söhne erhalten von uns 50 Pfund und bringen uns schleunigst nach Bangkok zurück. Die Leute sind arm und lediglich Opfer der Verführungskünste jenes Fremden. Ich werde sie nicht weiter zur Rechenschaft ziehen. Von dem Alten erfuhr ich auch einen sehr wichtigen Namen: Houster!«