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Ein Ostseepirat Band 2 – Kapitel 19

Carl Schmeling
Ein Ostseepirat
Historischer Roman, Zweiter Band
XIX. Die neuen Stadtaffichen

Die ehemalige Hansestadt und schwedische Festung Stralsund hatte von der Not des gegenwärtigen Krieges nicht viel zu leiden.

Im Gegenteil, in ihr entwickelte sich nur der Pomp der schwedischen Armee, die bessere Seite des Feldzugslebens, welche Handel, Wandel und Spekulationsgeist zu heben imstande sind.

Die Armeereserve befand sich hier; der Stab der Flotte, des Höchstkommandierenden und mit ihnen die unzähligen Beamten der Intendantur und des Verpflegungswesens.

Von Stralsund aus wurden die vor dem Feind stehenden Truppen verstärkt; in Stralsund erneuerten die Offiziere ihre mangelhaft gewordenen Ausrüstungen.

Der Krieg war also hier teils ein Vergnügen, teils ein Verdienst für die Gewerbetreibenden und raffinierenden Handelsleute, für Spekulanten und Gauner, Spieler, Betrüger, kurz allem Volk, dem die Art wie, wenn es nur Geld verdient, gleichgültig ist.

Gute und schlechte Anschläge kamen dadurch auf die Bahn und zu den guten gehörte jedenfalls die Idee eines gewissen Struck, für die Zeit des Krieges eine Leitung zu gründen, um stets Wissbegierige über die Schwankungen des Krieges und der am Ort selbst herrschenden babylonischen Verwirrung in Kenntnis zu setzen.

Der Entrepreneur dieses Unternehmens dachte nicht daran, sich regelmäßige Abnehmer zu verschaffen. Er schrieb sein Blatt, ließ es drucken, nannte es Die neuen Stadtaffischen und schickte Männer, Frauen, Knaben und Mädchen, kurz alle, die sich nur damit befassen mochten, in den Straßen umher, dieselben auszurufen und zum Verkauf anzubieten.

Die Sache brach sich Bahn. Man kaufte das Blatt und kaufte es wieder. Es war zur Gewohnheit, es zu lesen, endlich zum Bedürfnis.

Ehren Struck ermangelte nicht die hervorragenden Häupter, welche in der Stadt weilten, bis in die genauesten Details zu beschreiben, und dies hatte er besonders getan, als die Tochter des Vize-Gouverneurs sich mit dem Kapitän Staelswerd vermählte.

Weiter brachte der Publizist die Heldentaten des Kapitäns und seine Beförderungen sowie die edlen Handlungen des Gouverneurs und der Baronin, welche Letztere die Manie hatte, wie auch heute viele vornehme Damen, die Not des armen Volkes zu mildern.

Es konnte daher nicht fehlen, dass man im Haus des Vize-Gouverneurs die Affichen täglich ansah. Es war so wohltuend, sein Lob zu lesen und der Gouverneur gab sogar selbst Stoff zur Füllung der Spalten des Blattes her.

Im Übrigen war Staelswerd, der so wenig den Freischiffer gegriffen, als sonst Bedeutendes geleistet, zum Obersten ernannt, hatte einige Orden bekommen und befehligte ein Geschwader, das bereits im Hafen lag, um in Stralsund zu überwintern.

Noch hatten die beiden Ehegatten nicht gemeinschaftlich gelebt. Nun sollte es sich zeigen, ob es überhaupt für sie möglich sein werde, ob jedes seine Freiheit behalten solle, wie man es früher schon ausgemacht hatte.

Natürlich wurden die Dehors strenge beachtet zwischen ihnen, und wer beide nur oberflächlich beobachtete, konnte leicht zu der Ansicht kommen, dass der Oberst der zärtlichste Gatte und die Frau Baronin die hingebenste Gattin sei.

Es war ungefähr eine Woche nach den zuletzt erzählten Ereignissen, als der Oberst des Morgens seine Gemahlin besuchte. Beide gingen dem Gouverneur ihren Gruß zu bieten. Das Wetter hatte sich um jene Zeit bereits in Frost verändert, und der Gellen war mit Eis bedeckt.

Als das junge Ehepaar eingetreten war, wechselte es mit den Eltern verschiedene nichtssagende Komplimente, die damit endeten, dass die Eltern die Kinder zum Frühstück einluden. Diese Einladung wurde angenommen. Man setzte sich an den Tisch, doch ehe noch derselbe gehörig serviert war, erschallte eine Stentorstimme von der Straße herauf.

»Köpt de Affischen!«, rief dieselbe, »köpt de Affischen!«

»Das ist prächtig!«, rief der Gouverneur, »nichts angenehmer, als die Neuigkeiten des Tages mit dem Frühstück einzunehmen, ein prächtiger Kerl, dieser Struck, und ich denke ihn nächstens dem Ordenskapitel namhaft zu tun!«

»Daran würden Sie gut tun, Papa!«, sagte die Frau Oberst, »der Mann hat sich wirklich um die bessere Gesellschaft verdient gemacht!«

»Einen Orden diesem Einfaltspinsel geben!«, meinte Staelswerd verächtlich.

»Warum nicht, mein Herr?«, fragte die junge Frau, »ich glaube mehr Leute zu kennen, die für nichts und wieder nichts mit solchen verdienstlichen Anhängseln beehrt sind!«

Staelswerds Stirn legte sich in Falten und sein Blick drückte mehr aus, als Worte es gekonnt hätten, dass er sich getroffen fühlte. Die junge Frau lächelte sarkastisch.

»Sieh! Sieh!«, meinte der Vater, »aber das müssen Sie gewohnt werden, lieber Sohn, die brave Frau Oberst lässt in dieser Hinsicht selbst nicht unsere wichtige Person ungeschoren!«

»Oh, was Sie betrifft.«

»Still, du Naseweis – doch da sind die neuen Affichen. Lesen Sie uns daraus vor, lieber Oberst!«

Staelswerd war bedeutend durch die Spötterei seiner Gemahlin verstimmt worden und die Begütigung des Vaters derselben vermochte dies nicht sofort zu verscheuchen.

Er nahm indessen das Blatt, dessen Papier kaum gröber sein konnte, und las mehrere der darin wirr durcheinander in Form von kurzen Notizen enthaltenen Aufsätze ab. Es war zum Teil Stadtklatsch. Plötzlich jedoch stutzte er.

»Also schon wieder jemand!«, murmelte er.

»Was gibt es Besonderes?«, fragte der Gouverneur.

Der Oberst las:

Der Kornett von Blücher von Mörner Husaren, welcher im Gefecht bei Jarmen von den Preußen gefangen genommen worden war, ist als Offizier in das Regiment von Belling Husaren zu den Preußen übergegangen. Es scheint, als hätten die bekannten Landesverräter von der Grieben und von Wardow ihn zu dem von ihnen begangenen Verbrechen verleitet. Dafür wird denn auch sein Name neben dem ihren am Galgen vor dem Frankentor prangen!

Die beiden Herren sprachen sich sehr bitter über diesen Fall aus und kamen zu der Überzeugung, dass den deutschen Angehörigen Schwedens in diesem Krieg durchaus nicht zu trauen sei. Sie begannen hiernach eine Abhandlung über mögliche Vorkehrungen, weiteren Verrat und erneuerte Desertionen zu hindern, worin sie jedoch durch die Frauen mit der Bitte an den Obersten, weiterzulesen, unterbrochen wurden.

Staelswerd las und stieß endlich auf folgenden Satz:

Der berüchtigte Freischiffer Jacobson soll die Frechheit gehabt haben, sich am hellen Tage auf offener Straße zu zeigen. Ein Versuch, ihn zu verhaften, wurde durch einen Schwarm trunkener Seeleute verhindert, die ihn für einen verfolgten Kame­raden hielten. Die Exzedenten wurden verhaftet und sollen bestraft werden!

Der Oberst stutzte plötzlich, denn als sein Blick auf seine Gemahlin fiel, entdeckte er, dass dieselbe errötet war!

»Sind Sie unwohl, meine Gnädige?«, fragte er erstaunt.

»Nein!«, antwortete die Dame kurz, wobei sie jedoch noch dunkler erglühte.

»Nun, nach Stralsund wird sich der Bursche nicht wagen!«, meinte der Gouverneur.

»Dem Menschen ist alles zuzutrauen!«, brummte Staelswerd, während er nachdenklich vor sich hinstarrte.

»Nur nicht, dass er sich von seinen Verfolgern fangen lässt!«, sagte die junge Frau schnell.

»Madame!«, fuhr ihr Gatte auf.

»Ruhe, Kinder!«, rief der Gouverneur, »was habt Ihr denn; das ist für den Baron ein empfindlicher Punkt, du übermütiges Kind, doch sie werden den Piraten nächsten Sommer seiner längst verdienten Strafe überliefern!«

»Unter Umständen vielleicht auch noch früher!«, antwortete Staelswerd, seine Frau fixierend.

Doch diese hielt nun seinen Blick vollkommen ruhig aus und lächelte dazu.

»Wissen Sie vielleicht, Herr Gemahl!«, fragte sie, »ob der Freibeuter schon mit Clara von der Grieben vermählt ist?«

Der Oberst warf das Blatt heftig hin, doch ebenso schnell nahm er es wieder auf, scheinbar plötzlich ruhig geworden. Er las weiter.

Unser Mitbürger Blise ersucht die Herrschaften, welche heute die Eispartie mitmachen, ja präzise zwei Uhr an der Fährbrücke zu sein, um die Rangordnung bei der Abfahrt bestimmen zu können. Das herrliche Wetter verspricht die Partie sehr interessant zu machen.

»Um zwei Uhr schon!«, rief die junge Frau, »mein Gott und es ist schon zwölf – Mama, werden wir denn bis dahin mit unserer Toilette fertig werden?«

»Ich denke doch, mein Kind!«, antwortete diese, »aber die Herren werden uns entschuldigen, wir haben wirklich keine Zeit übrig!«

Man erhob sich, verbeugte sich, und die Damen gingen davon. Staelswerd begleitete sie und sagte an der Tür zu seiner jungen Gemahlin: »Darf ich heute Ihr Kavalier sein, meine Gnädige?«

»Ich danke!«, sagte die junge Dame kalt, »ich werde mich der Schlittschuhe bedienen, der Damenklub will für sich bleiben!«

Der Baron biss sich auf die Lippen und kehrte zum Gouverneur zurück.

»Exzellenz«, sagte er mit Bitterkeit, »ich komme mir meiner Frau gegenüber fast vor wie … nun ich kann die rechte Bezeichnung nicht aussprechen!«

»Still, Lieber!«, lispelte der Schwiegerpapa wichtig, »unsere Damen müssen ihren Willen haben. Es ist das Vorrecht der höheren Aristokratie und nimmt ja auch uns die Fesseln ab!«

»Ja, es ist wahr!«, murmelte Staelswerd und fügte für sich hinzu: »Fesseln werde ich zur rechten Zeit bereithalten!«