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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Detektiv – Der Löwe von Flandern – Teil 9

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 20
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Der Löwe von Flandern

Die Horna-Fee Teil 4

Kapitän und Steuermann des Old England verrieten durch ihr Benehmen bei ihrer Verhaftung ihr schlechtes Gewissen. Aber auch sie schwiegen genau so hartnäckig wie Preegrave und der Spanier.

Dem ersten Verhör durch den Ortsvorsteher wohnten wir bei. Wenn Blicke hätten töten können, so wären wir beide damals nicht am Leben geblieben. In des herkulisch gebauten Engländers Augen loderte ein Hass, der zur Vorsicht mahnte. Keiner der vier Verhafteten gab auf irgendeine Frage Antwort. Es war kein Verhör, es waren nur verzweifelte Versuche des braven Björka, diese ihm geistig fraglos weit überlegenen Menschen zum Reden zu bringen.

Schließlich ließ er sie wieder in das Gefängnis abführen. Dieses hatte nur eine Zelle und war an das Spritzenhaus angebaut. Da Harst der Festigkeit dieses Kerkers nicht traute, riet er Björka ständig eine Wache vor die Tür zu stellen. Dies geschah auch.

Mittlerweile war es elf Uhr geworden. Ich war zum Umfallen müde. Aber Harst gönnte mir keine Ruhe. Wir frühstückten bei Sven Björka inmitten einiger fünfzig Isländer, die flüsternd dastanden und Harst mit den blauen Nordmänneraugen staunend betrachteten.

Tiessen und Karl waren bei uns. Karl bettelte, Harst möge ihn doch mitnehmen. Wir wollten gleich nachher versuchen, Edith Preegraves habhaft zu werden. Schließlich gab Harst nach. Inzwischen hatte Björka vier junge Leute zu der Besitzung des Engländers als Wachen geschickt.

Wir fuhren dann zu dritt ab. Der Rentierwagen, von Harst gelenkt, raste im Galopp über den steinigen Boden dahin. Ich muss noch nachholen, dass wir schon in der Nacht den gesamten Inhalt unserer Taschen im Haus Preegraves wiedergefunden hatten.

Als wir dort ankamen, meldeten die vier Isländer, dass bei ihrem Nahen Edith Preegrave auf einem Pony das Gehöft in wilder Flucht verlassen hätte. Die Verfolgung sei ergebnislos geblieben.

Im Haus fanden wir anscheinend alles unverändert vor. Nur in einem Ofen lag ein Berg noch warmer Asche von verbrannten Papieren. Harst entdeckte sie, durchwühlte sie, aber auch nicht ein Eckchen Papier war unversehrt geblieben.

Dann verließen wir drei zu Fuß das Gehöft und wandten uns nach Osten. Eine Strecke weit zeichnete sich deutlich ein Weg ab. Dann aber, am Ostrand des Tals, hörte jede Spur von Rädern auf. Harst fand aber in einem Gewirr von Felsen, Decken und Riemen, die offenbar dazu bestimmt waren, die Hufe der Rentiere und die Räder zu umwickeln.

Er war auch nun sehr schweigsam. Immer wieder schritt er den Fuß der östlichen Anhöhen ab und suchte nach einer Fährte. Nach einer Stunde bog er dann in einen Einschnitt zwischen den Bergen ein, der passähnlich den Zugang zu einem sogenannten Hraun bildete, einem öden nackten Lavafeld, das sich kilometerweit hinzog und in eine Ebene, bestehend aus Schuttflächen, Steinblöcken und Sumpflöchern, Halsar genannt, überging, deren östlichster Ausläufer an nackte, steile Felswände stieß.

Bis zu diesen starren, rissigen, dunklen Granitwänden drangen wir scheinbar auf gut Glück vor. Harst war uns immer einige fünfzig Meter voraus. Wir hatten wohl gegen zwei Meilen zurückgelegt und mir war es daher sehr lieb, als Harst nun erklärte, wir sollten uns hier nur ausruhen. Er würde noch versuchen, die Wände zu erklimmen.

Karl Malke und ich setzten uns hinter ein paar dürre Birken die auf Island zumeist strauchartig auftreten.

»Herr Schraut«, meinte unser junger Freund und Gehilfe, »es gibt hier sehr wohl Spuren von Rädern und Rentieren, allerdings nur so undeutliche, dass ich sie nie bemerkt hätte, wenn ich mich nicht auch überall dort gebückt hätte, wo Herr Harst dies getan hat. Er tut nur so, als ob wir aufs Geratewohl durch diese Wildnis gewandert sind. In Wahrheit ist er stets auf einer Fährte geblieben, die allerdings nur er herausfinden konnte, da es sich nur um weit auseinanderliegende, verschwommene Eindrücke handelte. Der Boden ist hier zumeist steinhart und lediglich ein paar zermalmte Steinchen, aus ihrem Lager geschobene Felsstückchen und ähnliches deuteten an, dass hier vielleicht öfters ein Wagen vorübergekommen ist. Außerdem sah ich, dass Herr Harst verschiedentlich Wollfäden vom Boden aufhob, also Teile der Räder- und Hufhüllen.«

Ich war beschämt. Karl hatte besser beobachtet als ich.

Und – er hörte nun auch mehr als ich, sagte nämlich: »Da links von uns jenseits der steilen Anhöhe rauscht es wie von einer Brandung. Geben Sie nur Acht, Herr Schraut. Der Wind trägt das Geräusch uns zuweilen zu.«

Er hatte recht. Und gerade dieses ferne Rauschen machte mich stutzig. Sollten wir uns so nahe der Küste befinden? Sollte vielleicht hinter den schroffen Wänden dort die Horna-Insel liegen? Sollten diese Anhöhen etwa zu der Landzunge gehören, die sich vor dem Hornafjord von Süden nach Norden wie eine Mole hinzog?

Ich überlegte mir, wann und wie wir die Richtung geändert hatten, bevor wir hierher gelangten. Ich stand auf und schaute nach Westen. Auch dort die Aussicht versperrender Berge. Und diese Talebene hier setzte sich wirklich immer schmaler werdend nach Norden zu fort. Alles dies machte es wahrscheinlich, dass wir hier auf der Landzunge waren!

Und – die Horna-Insel so in der Nähe! Ob Harst etwa hier doch mehr dem Geheimnis der Horna-Fee als Edith Preegrave nachspürte?

Ich sprach mit Karl darüber. Meine Müdigkeit war vergessen.

Karl teilte meine Ansicht und meinte: »Herr Harst sagt ja nie, was er eigentlich vorhat, wenn er allein etwas unternimmt.«

Vor einer vollen Stunde war Harst nun bereits dort zwischen den Felsblöcken am Fuß der Steilwände verschwunden. Es begann zu dunkeln. Meine nervöse Erregung wurde zu peinvoller Sorge um das Leben des Freundes. Wenn diese Frau, das uns so rücksichtslos in der Nacht hatte niederschießen wollen, ihm einen Hinterhalt gelegt hatte? Wenn Harst tollkühn zu viel gewagt hatte?

Ich sprang auf. »Karl, suchen wir nach Harst!«

Wir drangen zwischen den Felsblöcken vor, fanden dahinter eine mehrere Meter breite Spalte im Gestein, die wie ein Tunnel beinahe horizontal verlief. Wir betraten die Spalte, kamen aber nicht weit. Die Batterie meiner Taschenlampe war verbraucht. Die Finsternis ringsum zwang uns zur Umkehr.

Meine Uhr zeigte auf halb fünf. Gerade als ich sie wieder in die Tasche schob, Schritte – Harst!

Wir standen und starrten ihn an wie eine Erscheinung. Sein Gesicht war bleich, so bleich, wie ich ihn selten gesehen habe. Wir erkannten dies trotz der mangelhaften Beleuchtung.

»Was ist geschehen, Harald?«, fragte ich und griff nach seiner Hand.

»Geschehen? Nichts! Vorwärts – zurück nach Barnjaröp! Ich … habe … die zehn Leute … bemerkt!«

Schwer und widerwillig kamen ihm die Worte über die Lippen. Er stierte vor sich hin, sagte dann ganz geistesabwesend:

»Eine Schurkerei, wie die Welt sie selten erlebt haben dürfte!«

Dann raffte er sich auf, schritt davon, schlug bald einen kurzen Trab an.

Halb tot kam ich als Letzter in Preegraves Gehöft an. Harst und Karl standen mit den vier Isländern auf dem Hof.

Harst rief mir entgegen: »Soeben ist Landsmann Schlimp auf seinem Pony hier gewesen und hat die Nachricht gebracht, dass die Frau ihre Kumpane aus der Zelle befreit hat … vor einer Stunde. Sie hat den Wächter hinterrücks niedergeschlagen. Ich soll schleunigst nach Barnjaröp kommen.«

Die vier jungen Leute hatten für uns den Wagen schon bereitgehalten. Wir stiegen ein. Harst knallte mit der Lederpeitsche, und die Rentiere sprangen los. An diese Fahrt werde ich noch lange denken! Dass der Wagen dabei nicht in Stücke ging, wir nicht hinausgeschleudert wurden, war ein Wunder. Gegen acht Uhr hielten wir vor Sven Björkas großem Haus. Aus der Tür quollen uns Männer mit Laternen entgegen; Schlimps scharfe, helle Stimme gesellte uns in die Ohren.

»Die Schufte sind mit dem Optimus auf und davon. Zwei Fischer beobachteten den Überfall auf die Jacht. Eine halbe Stunde ist es her!«

Und diesen deutschen Worten folgten aus Björkas Mund zur Ergänzung die Sätze: »Den Kapitän und den Maschinisten haben sie in der Kajüte überrascht. Deren Hilfegeschrei verstummte schnell.«

Harst sprang vom Wagen. Ich war so entsetzt, dass ich kein Glied rühren konnte. Unser Optimus entführt! Tiessen und Pedersen in der Gewalt dieser schlauen Schurken.

Harsts laute, befehlende Stimme brachte wieder Leben in meinen Körper. Ich wollte gleichfalls aus dem Wagen klettern, als Karl mich wieder auf das als Sitz dienende Moosbündel zog.

»Schlimp, wir brauchen Taue!«, hatte Harst dem kleinen Landsmann zugerufen, »lange, starke Taue, die zusammen eine Länge von etwa achtzig Meter haben müssen. In zehn Minuten müssen sie hier sein. Vorwärts … besorgen Sie sie! Wir kehren mit unserem Wagen sofort wieder um.«

Schlimp tauchte in der Dunkelheit zum Hafen unter.

Karl hatte also ganz recht: Es hatte keinen Zweck, auszusteigen, wenn wir sogleich nach Preegraves Gehöft zurück wollten. »Nach Preegraves?«, schoss es mir durch den Kopf. »Vielleicht geht es auch abermals zur Landzunge, den Felsblöcken und dem tunnelartigen Spalt in der Steilwand?«

Wieder Harsts Stimme, jetzt zu dem Ortsvorsteher: »Sorgen Sie für Laternen und Stricke. Lassen Sie einen zweiten Wagen anspannen. Sie, Schlimp und der Herr Pfarrer müssen uns als Zeugen begleiten. Dann … haben Sie ein Motorboot hier?«

Aus dem Haufen der Männer brüllte jemand: »Yes – ich besitze eins!«

»Gut – dann kreuzen Sie an der Südwestseite der Horna-Insel. Nehmen Sie noch zwei, drei Leute mit Gewehren mit. Bemerken Sie unsere Jacht, so suchen Sie lautlos heranzukommen. Und – sparen Sie keine Kugel, wenn es Not tut! Diese Schurken verdienen keine Schonung!«

*