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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – Kapitel V

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Erstes bis drittes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

V. Gascogner und Italiener

Während dieser Zeit war der Kardinal in sein Kabinett zurückgekehrt, an dessen Tür Bernouin wachte, den er fragte, ob nichts Neues vorgefallen und ob keine Meldung von außen gekommen wäre. Auf seine verneinende Antwort hieß er ihn durch ein Zeichen sich entfernen.

Allein geblieben, öffnete er die Tür des Korridors und dann die des Vorzimmers. D’Artagnan schlief ermüdet auf einer Bank.

»Monsieur d’Artagnan!«, sprach er mit leiser Stimme.

D’Artagnan rührte sich nicht.

»Monsieur d’Artagnan!«, sprach er lauter.

D’Artagnan fuhr fort zu schlafen.

Der Kardinal näherte sich ihm und berührte seine Schulter mit der Fingerspitze.

Diesmal fuhr d’Artagnan zusammen, erwachte und stand erwachend auch aufrecht, wie ein Soldat unter Waffen.

»Hier!«, sagte er, »wer ruft mich?«

»Ich«, erwiderte Mazarin mit seinem freundlichsten Gesicht.

»Ich bitte Eure Eminenz um Vergebung«, sprach d’Artagnan, aber ich war so müde …«

»Bittet nicht um Vergebung, Monsieur«, erwiderte Mazarin, »denn Ihr habt Euch in meinem Dienst ermüdet.«

D’Artagnan bewunderte die anmutige Miene des Ministers.

»Oho!«, murmelte er zwischen den Zähnen, »ist das Sprichwort wahr, welches sagt: Das Gute kommt im Schlaf?«

»Folgt mir, Monsieur«, sagte Mazarin.

»Vortrefflich«, murmelte d’Artagnan, »Rochefort hat mir Wort gehalten. Nur möchte ich wissen, wo vom Teufel er herausgekommen ist?«

Er schaute in allen Winkeln des Kabinetts umher, aber es war kein Rochefort da.

»Monsieur D’Artagnan«, sagte Mazarin, nachdem er sich gesetzt und eine bequeme Stellung in seinem Fauteuil eingenommen hatte, »Ihr seid mir immer als ein braver mutiger Mann vorgekommen.«

Das ist möglich, dachte d’Artagnan, aber er hat sich Zeit gelassen, es mir zu sagen. Dessen ungeachtet bückte er sich vor Mazarin bis auf den Boden, um sein Kompliment zu erwidern.

»Nun wohl«, fuhr Mazarin fort, »der Augenblick ist gekommen, um aus Eurem Talent und aus Eurem Rat Nutzen zu ziehen.«

Die Blicke des Offiziers schleuderten gleichsam einen Freudenblitz, der sogleich wieder erlosch, denn er wusste nicht, wo Mazarin hinauswollte.

»Befehlt, Monseigneur, ich bin bereit, Eurer Eminenz zu gehorchen.«

»Monsieur d’Artagnan«, fuhr Mazarin fort, »Ihr habt unter der letzten Regierung gewisse Taten vollbracht …«

»Eure Eminenz ist zu gut, dass sie sich dessen erinnert … Es ist wahr, ich habe den Krieg mit ziemlich günstigem Erfolg mitgemacht …«

»Ich spreche nicht von Euren Kriegstaten«, entgegnete Mazarin, »denn obwohl sie einiges Aufsehen machten, »so sind sie doch von anderen übertroffen worden.«

D’Artagnan spielte den Erstaunten.

»Wie?«, sprach Mazarin, »Ihr antwortet nicht?«

»Ich warte darauf«, versetzte d’Artagnan, »dass Monseigneur mir sagt, von welchen Taten er zu sprechen die Gnade hat.«

»Ich spreche von den Abenteuern in … Ihr wisst wohl, was ich sagen will?«

»Ach nein, Monseigneur«, antwortete D’Artagnan ganz erstaunt.

»Ihr seid verschwiegen? Desto besser! Ich spreche von jenem Abenteuer der Königin, von den Nestelstiften, von der Reise, die Ihr mit drei von Euren Freunden gemacht habt.«

He, he!, dachte der Gascogner, ist das eine Falle? Da müssen wir festhalten.

Er bewaffnete seine Züge mit einem Erstaunen, um das ihn Mondori und Bellerose, die zwei besten Schauspieler jener Zeit, beneidet hätten.

»Sehr gut!«, rief Mazarin lachend. »Bravo! Man hat mir wohl gesagt, Ihr wäret der Mann, dessen ich bedürfe. Lasst hören, was würdet Ihr wohl für mich tun?«

»Alles, was Eure Eminenz mir zu tun befehlen wird«, antwortete D’Artagnan.

»Werdet Ihr für mich tun, was Ihr einst für eine Königin getan habt?«

»Es ist entschieden«, sagte d’Artagnan zu sich selbst, »man will mich zum Sprechen bringen. Lassen wir ihn immerhin herankommen. Der Teufel ist nicht feiner als Richelieu.«

»Für eine Königin, Monseigneur? Ich begreife nicht!«

»Ihr begreift nicht, dass ich Eurer und Eurer drei Freunde bedarf?«

»Welcher Freunde, Monseigneur?«

»Eurer drei ehemaligen Freunde.«

»Ehemals hatte ich nicht drei, sondern fünfzig Freunde, Monseigneur«, antwortete d’Artagnan. »Mit zwanzig Jahren nennt man alle Menschen seine Freunde.«

»Gut, gut, Monsieur Offizier«, sagte Mazarin, »die Verschwiegenheit ist eine schöne Sache, aber heute könntet Ihr es bereuen, zu verschwiegen gewesen zu sein.«

»Monseigneur, Pythagoras ließ seine Schüler fünf Jahre lang Stillschweigen beobachten, um sie schweigen zu lehren.«

»Und Ihr habt es zwanzig Jahre lang beobachtet, Monsieur, das ist fünfzehn Jahre mehr als ein pythagoräischer Philosoph, was mir hinreichend erscheint. Sprecht also heute immerhin, denn die Königin selbst entbindet Euch Eures Schwures.«

»Die Königin!«, sagte d’Artagnan mit einem Erstaunen, das diesmal nicht gespielt war.

»Ja, die Königin. Und zum Beweis, dass ich in ihrem Namen mit Euch spreche, hat sie mich beauftragt, Euch diesen Diamanten zu zeigen, von welchem sie behauptet, Ihr kennt ihn, und den sie von Monsieur des Essarts wieder zurückkauft hat.«

Mazarin streckte die Hand nach dem Offizier aus, und dieser seufzte, als er den Ring wiedererkannte, den ihm die Königin am Abend des Balles im Stadthaus geschenkt hatte.

»Es ist wahr«, sagte D’Artagnan, »ich erkenne diesen Diamanten, welcher der Königin gehört hat.«

»Ihr seht also wohl, dass ich in ihrem Namen mit Euch spreche. Antwortet mir, ohne fernerhin Komödie zu spielen. Ich habe Euch schon gesagt und wiederhole, dass Euer Glück davon abhängt.«

»Meiner Treu, Monseigneur, ich habe es sehr nötig, mein Glück zu machen. Eure Eminenz vergaß mich so lange!«

»Es braucht nicht mehr als acht Tage, um dies gut zu machen. Ihr seid einmal hier; aber wo sind Eure Freunde?«

»Ich weiß es nicht, Monseigneur.«

»Wie, Ihr wisst es nicht?«

»Nein, wir sind seit geraumer Zeit getrennt, denn alle drei haben den Dienst verlassen.«

»Aber wo werdet Ihr sie wiederfinden?«

»Überall, wo sie sich aufhalten; das ist meine Sache.«

»Gut … Eure Bedingung?«

»Geld, Monseigneur, so viel, wie unsere Unternehmungen fordern. Ich erinnere mich zuweilen nur zu gut, wie sehr wir ohne Geld gehemmt waren. Ohne diesen Diamanten, den ich zu verkaufen mich genötigt sah, wären wir auf dem Weg liegen geblieben.«

»Teufel! Geld, und zwar viel«, sprach Mazarin. »Wie rasch Ihr darauf losgeht, Monsieur Offizier! Wisst Ihr, dass in den Kassen des Königs kein Geld ist?«

»Macht es wie ich, Monseigneur, verkauft die Diamanten der Krone. Glaubt mir, wir wollen nicht handeln. Man führt große Dinge nur schlecht aus mit kleinen Mitteln.«

»Nun wohl«, sprach Mazarin, »wir werden Euch zu befriedigen suchen.«

Richelieu, dachte d’Artagnan, hätte mir bereits fünfhundert Pistolen Handgeld gegeben.

»Ihr gehört also mein?«

»Ja, wenn meine Freunde wollen.«

»Aber falls sie sich weigern, kann ich auf Euch zählen?«

»Ich habe nie etwas Gutes ganz allein getan«, antwortete D’Artagnan, den Kopf schüttelnd.

»Sucht sie also auf.«

»Was soll ich ihnen sagen, um sie zu überzeugen, Eurer Eminenz zu dienen?«

»Ihr kennt sie besser als ich; nach ihren Charakteren versprecht ihnen.«

»Was soll ich ihnen versprechen?«

»Sie mögen mir dienen, wie sie der Königin gedient haben, und meine Dankbarkeit wird glänzend sein.«

»Was sollen wir tun?«

»Alles, denn es scheint, Ihr wisst alles zu tun.«

»Monseigneur, wenn man Vertrauen zu den Menschen hat und man will, dass sie Vertrauen zu uns haben sollen, so unterrichtet man sie besser, als dies Eure Eminenz tut.«

»Ist der Augenblick gekommen«, versetzte Mazarin, »so werdet Ihr alle meine Gedanken erfahren, darüber seid unbesorgt.«

»Und bis dahin?«

»Wartet und sucht Eure Freunde.«

»Monseigneur, vielleicht sind sie nicht in Paris; ja dies ist sogar wahrscheinlich, ich werde reisen müssen. Ich bin nur ein sehr armer Musketierleutnant und die Reisen sind teuer.«

»Es liegt nicht in meiner Absicht«, sagte Mazarin, »dass Ihr mit einem großen Gefolge erscheint. Meine Pläne bedürfen des Geheimnisses und würden unter einer großen Equipage leiden.«

»Ich wiederhole, Monseigneur, ich kann nicht mit meinem Sold reisen, da man bei mir mit drei Monaten im Rückstand ist, und ich kann auch nicht mit meinem Ersparnissen reisen, insofern ich seit zweiundzwanzig Jahren, die ich im Dienst bin, nur Schulden erspart habe.«

Mazarin blieb einen Augenblick nachdenkend, als ob sich ein gewaltiger Kampf in seinem Inneren entspänne. Dann ging er auf einen dreifach geschlossenen Schrank zu und zog einen Sack hervor, den er wiederholt in der Hand wog, ehe er ihn d’Artagnan gab.

»Nehmt dies«, sprach er mit einem Seufzer, es ist für die Reise.«

Wenn es spanische Dublonen oder Goldtaler sind, dachte D’Artagnan, so können wir noch ein Geschäft miteinander machen.

Er verbeugte sich vor dem Kardinal und schob den Sack in seine weite Tasche.

»Nun, das ist abgemacht«, versetzte der Kardinal, »Ihr reist.«

»Ja, Monseigneur.«

»Schreibt mir alle Tage und gebt mir Nachricht von Eurer Unterhandlung.«

»Ich werde nicht verfehlen, dies zu tun, Monseigneur.«

»Gut. Doch halt, der Name Eurer Freunde …«

»Der Name meiner Freunde?«, wiederholte D’Artagnan mit einem Rest von Unruhe.«

»Ja, während Ihr Eurerseits sucht, werde ich mich meinerseits erkundigen und vielleicht erfahre ich etwas.«

»Der Monsieur Graf de la Fère, sonst Athos genannt, Monsieur du Vallon, sonst Porthos genannt, und der Monsieur Chevalier d‘Herblay, gegenwärtig Abbé d‘Herblay früher Aramis genannt.«

Der Kardinal lächelte.

»Junker«, sprach er, »die sich unter falschen Namen unter den Musketieren hatten aufnehmen lassen, um nicht ihre Familiennamen zu kompromittieren … lange Stoßdegen, leichte Börsen. Man kennt das.«

»Wenn es Gottes Wille ist, dass diese Stoßdegen in den Dienst Eurer Eminenz treten«, erwiderte D’Artagnan, »so wage ich den Wunsch auszudrücken, die Börse Eurer Eminenz möge leicht und die ihre dafür schwer werden, denn mit diesen drei Männern und mit mir kann Eure Eminenz ganz Frankreich und sogar ganz Europa in Bewegung setzen, wenn es Euch beliebt.«

»Diese Gascogner«, sprach Mazarin lächelnd, »kommen den Italienern in der Prahlerei gleich.«

»In jedem Fall«, sagte D’Artagnan mit einem Lächeln, ähnlich dem des Kardinals, »in jedem Fall stehen sie über ihnen, was das Schwert betrifft.«

Und er trat ab, nachdem er um einen Urlaub gebeten hatte, der ihm sogleich bewilligt und von dem Kardinal selbst unterzeichnet wurde.

Kaum war er draußen, so näherte er sich einer Laterne, welche er im Hof fand, und schaute rasch in den Sack.

«Silbertaler!« rief er verächtlich, »ich vermutete es! Ach, Mazarin, Mazarin! Du hast kein Vertrauen zu mir. Desto schlimmer! Das wird dir Unglück bringen.«

Während dieser Zeit rieb sich der Kardinal die Hände.

»Hundert Pistolen!«, murmelte er, »hundert Pistolen! Um hundert Pistolen habe ich ein Geheimnis erhandelt, wofür Monsieur Richelieu zwanzigtausend Taler bezahlt hätte. Diesen Diamanten nicht zu rechnen«, fügte er bei und warf einen verliebten Blick aus den Ring, den er behalten hatte, statt ihn D’Artagnan zu geben, »diesen Ring nicht zu rechnen, welcher wenigstens zehntausend Livres wert ist.«

Der Kardinal kehrte in sein Zimmer zurück, ganz freudig über diesen Abend, an welchem er einen so schönen Vorteil gemacht hatte, legte den Ring in ein mit Brillanten aller Art ausgestattetes Etui, denn Mazarin hatte Geschmack für Edelsteine, und rief sodann Bernouin, um sich auskleiden zu lassen, ohne sich weiter um den Lärm, der fortwährend gleichsam in Windstößen an die Fensterscheiben schlug, und um die Flintenschüsse zu bekümmern, welche noch in Paris erschallten, obwohl es bereits elf Uhr vorüber war.

Während dieser Zeit ging d’Artagnan in die Rue Tiquetonne, wo er in der Herberge Zur Rehziege wohnte. Wir wollen mit wenigen Worten erzählen, wie es gekommen war, dass D’Artagnan dieses Quartier gewählt hatte.

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