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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Detektiv – Der Kammerdiener des Maharadschas – 3. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Harald Harst gegen Cecil Warbatty
Des berühmten Liebhaberdetektivs Abenteuer im Orient
Der Kammerdiener des Maharadschas

3. Kapitel

Der tote Kammerdiener

Auf Grund der seiner Zeit bei einem Spießgesellen Warbattys gefundenen Aufzeichnungen (dass diese in unsere Hände geraten, ahnte Warbatty noch immer nicht) durften wir hoffen, den großen Verbrecher in der Hauptstadt Gwalior des gleichnamigen indischen Vasallenstaates wiederzufinden. Auch dort würde unser Cecil – denn nun war er ja unser Gegner geworden – eines seiner sein vorbereiteten Plänchen ausführen wollen. Nun, Harst war bereits wieder hinter ihm her und ich nahm mit Gewissheit an, dass Warbatty in Gwalior eine neue Niederlage erleben würde, zumal Harald Harst durch dessen Flucht in einen Zustand erhöhten Tätigkeitsdranges versetzt worden war.

Wir hatten noch drei Stunden Zeit, wie er mir sagte. Genau um Mitternacht würden wir aufbrechen. Nichts deutete auf unsere Abreise hin. Nur den Hoteldirektor, einen Schweizer, zog Harst ins Vertrauen.

Bis halb elf blieben wir im Speisesaal mit einigen englischen Offizieren zusammen. Dann verabschiedeten wir uns. Mir fiel auf, dass Harst mit Hauptmann Randall, dem Kommandeur der Fliegertruppe, einige leise Worte austauschte. Sollten wir etwa im Flugzeug den Weg nach Gwalior zurücklegen?

Wir stiegen die Treppe zu unseren Zimmern empor.

»Wird Randall uns nach Gwalior bringen?«, fragte ich leise.

»Ah, sehr unangenehm!«, meinte Harst. »Du hast also gemerkt, dass zwischen Randall und mir ein geheimes Einverständnis besteht. Dann können es auch andere herausgemerkt haben. Der Saal war dicht besetzt. Weiß man, wer sich unter den Gästen befand?«

Hinter uns eine Stimme: »Master Harst, hier ein Brief für Sie!«

Es war einer der braunen Kellner, uns vom Ansehen schon bekannt. Er reichte Harst einen Umschlag, der offenbar sehr eilig zugeklebt worden war.

»Ein Herr gab mir soeben den Brief«, erklärte der Kellner. »Ich hatte den Herrn bedient. Er saß mit einer Dame zusammen. Es müssen Touristen sein. Hier bei uns wohnen sie jedoch nicht. Ich halte die Herrschaften für Italiener …«

»Danke! Hier, nimm!« Harst reichte ihm einen Fünf-Rupien-Schein.

Wir gingen weiter. Harst riss die Briefklappe auf. Der Umschlag, dessen Adresse mit Bleistift geschrieben war – Master Harald Harst –, enthielt die Hälfte einer Speisekarte des Viktoria–Hotels. Auf der unbedruckten Rückseite stand, gleichfalls in Bleistiftschrift:

Ich erinnere Sie an Ihr Versprechen! Sie wollten meine Familie nicht wissen lassen, was ich heimlich nebenbei noch trieb! Nur Ihnen traue ich es zu, meinen wahren Namen und meinen Wohnort herauszufinden. Cecil Warbatty, alias Doktor …?

Harst hatte mir den Zettel gereicht.

»Was bedeutet das nun wieder?«, meinte er flüsternd und schloss die Tür unseres gemeinsamen Wohnzimmers auf. »Dieser Mensch scheint tatsächlich Familiengefühl zu besitzen und an den seinen sehr zu hängen oder aber …« Er schaltete das Licht ein und sah sich misstrauisch um. »… Er wollte mir nur beweisen, dass er wieder ganz in meiner Nähe gewesen sei, dass wir in demselben Saal den Klängen der echt ungarischen Zigeunerkapelle gelauscht hätten. Ich halte das Letztere, also so eine Art Wichtigtuerei, für das Wahrscheinliche. Wir kennen Warbattys Eitelkeit.«

Unsere Koffer wollte der Hoteldirektor uns an eine Deckadresse nach Gwalior nachsenden. Um dreiviertel 12 schlichen wir jeder nur mit einer Handtasche und dem Mantel ausgerüstet, durch den Hotelpark in die Anlagen, wo uns ein Militärauto erwartete. In einer Viertelstunde waren wir auf dem Flugplatz. Damals steckte die ganze Fliegerei noch halb in den Kinderschuhen. Aber Randall versicherte mir, dass der große Doppeldecker absolut zuverlässig sei.

Es war mein erster Flug in einem der modernen Riesenvögel. Das Herzklopfen verlor ich erst nach einer halben Stunde. Wir schwebten zunächst in 200 Meter Höhe dahin. Die Nacht war mondhell und windstill. Das Knattern des Motors schläferte mich langsam ein, zumal von der Landschaft unter uns nur zuweilen ein paar lodernde Feuer oder winzige Lichtpünktchen zu sehen waren.

Drei Stunden vergingen. Dann hörte selbst mein ungeübtes Ohr, dass der Motor unregelmäßig arbeitete. Nun setzte er ganz aus. Ich wurde munter. Harst, der hinter mir in dem engen bootsähnlichen Kasten saß, rüttelte mich.

»Aufgepasst, Schraut! Notlandung!«

Ich beugte mich vor. Die dunkle Masse unter uns entwirrte sich zu Baumwipfeln.

Hauptmann Randall rief: »Stillsitzen und festhalten!«

Ich klammerte mich an meinen Sitz mit aller Kraft fest. Baumäste streiften die untere Tragfläche. Dann vor uns ein Urwaldriese wie ein schwarzer Hügel.

»Köpfe einziehen!«, brüllte Randall.

Ein Krachen, Splittern; der Apparat kippte nach links über; noch ein paar Rucke; dann saßen wir festgekeilt zwischen den Baumästen.

»Wir haben Glück gehabt«, rief der Fliegeroffizier sorglos. »Großes Glück! Gwalior ist keine zehn Meilen entfernt. Wir werden schon irgendwo einen Wagen auftreiben. Dörfer gibt es hier genug in der Nähe. Warten wir den Morgen ab. Der Horizont lichtet sich schon im Osten.«

Wir machten es uns nach Möglichkeit bequem, unterhielten uns und freuten uns über eine Affenherde, die von einem Nachbarbaum aus uns als Störenfriede wütend mit Aststücken bombardierte.

Harst fragte Randall über Gwalior aus.

»Alles in allem ein Drecknest, diese Residenz des Maharadscha Tomara Sing Bekur, Master Harst. Das neuere Viertel, die Lakschar, geht an. Aber die Einwohner sind fleißig und intelligent. Seine Hoheit der Maharadscha gehört zu den reichsten Fürsten Indiens. Seine Jahreseinkünfte betragen 140 Millionen Rupien.« (Die Rupie 1,25 Mark etwa).

»Donnerwetter!«, entfuhr es mir. »Glücklicher Mann!«

»Oh, Sie irren, Master Schraut! Auch dieser Nabob hat seine Sorgenlast zu tragen. Wenn auch eine, die uns Europäern nur ein Lächeln entlocken kann …«

»Erzählen Sie«, bat Harst.

Der Hauptmann machte eine bedauernde Handbewegung. »Ich weiß nichts Näheres, nur das, was so an Gerüchten an die Öffentlichkeit dringt. Seine Hoheit soll an Gespensterfurcht leiden. Es spukt in seinem Palast.« Randall lachte. »Diese braunen Fürsten, die sich als die modernen Herren aufspielen, bleiben ja doch stets Halbwilde trotz englischer Kammerdiener, trotz Autos, Lackschuhen, Bügelfalten und so weiter. Tatsache ist, dass der Maharadscha sich vor einigen Monaten einen Detektiv aus London verschrieben hatte, der aber den Gespenstern auch nicht auf die Spur kam. Der Detektiv hieß Hektor Wellerley. Sein Name ist in ganz England bekannt.«

»Stimmt«, meinte Harst. »Wellerley ist eine allererste Kraft.«

»Und nebenbei ein Gentleman«, fügte der Hauptmann hinzu. »Ich lernte ihn auf der Festung kennen. Sie wissen doch, dass die Stadt Gwalior von einem enormen, freistehenden Felsen im Westen überragt wird, der zu einer der stärksten Festungen Indiens ausgebaut ist und mehrere Regimenter als Besatzung hat. Wellerley war dort häufiger Gast im Offiziershaus. Aber über den Spuk sprach er nicht. Er hatte Hoheit Verschwiegenheit zusichern müssen.«

Inzwischen war es hell genug geworden, um den Marsch durch den Urwald antreten zu können. Wir fanden einen Pfad, der zu einem Dorf hinlief. Der Wald hörte bald auf. Die Gegend war felsig; die Vegetation meist dürftig. Dabei herrschte bereits um 7 Uhr morgens eine fürchterliche Hitze. Gwalior ist seiner Backofenglut, seines Fiebers und seiner Giftschlangen wegen berüchtigt. Ich lernte so eine indische Landschaft kennen, die von dem bisher Geschauten grundverschieden war.

Randall trieb im Dorf einen zweirädrigen Wagen auf, der von einem Kamel gezogen wurde. Diese genügsamen Zugtiere trifft man in Nordindien weit häufiger an, als ich je gedacht hatte. Der Wagenbesitzer lief nebenher. Harst und ich galten gleichfalls als Offiziere. Die Fahrt war interessanter als der nächtliche Flug. Mir fielen die riesigen Mohnfelder am Weg auf. Randall belehrte uns, dass in Gwalior sehr viel Opium gewonnen würde. Bekanntlich werden die halbreifen Mohnköpfe angeritzt, woraus das Opium in kleinen Tropfen heraustritt, erhärtet und mühevoll eingesammelt wird.

Der Wagen brachte uns zu der Festung. Die Stadt umgingen wir. Der Anblick von Gwalior mit dem riesigen Naturbollwerk im Westen (der Felsen ist 104 Meter hoch, 1890 Meter lang und 600 Meter breit) ist überaus malerisch. Die drei Hauptgebäude, zwei riesige Hindutempel und der Palast des Fürsten, wirken inmitten der niedrigen Steinhütten und -häuser besonders imposant.

Ich könnte hier vieles über die zwanglose Gastfreundlichkeit der englischen Offiziere sagen; könnte auch schildern, wie wir Zeugen einer Hinrichtung von drei Straßenräubern noch an demselben Tag wurden, wobei mir die Gelassenheit auffiel, mit der die braunen Banditen sich aufhängen ließen. All das würde Seiten füllen.

Auf Harsts Bitte wurde unser Inkognito streng bewahrt. Nur die Offiziere der Fliegerabteilung wussten, wer wir waren. Wir galten weiter als Engländer, als Heeresangehörige. Harst hatte, für mich etwas überraschend, den Gedanken fallen lassen, offen als Harst gegen Warbatty vorzugehen.

Wir bewohnten in einer langgestreckten Steinbaracke ein großes Zimmer, denn an Unterkunftsräumen war auf der Festung kein Überfluss. Nachmittags um sechs – wir hatten gerade Mittagsruhe gehalten – erschien Randall bei uns und teilte Harst mit, dass der Maharadscha uns am Abend unauffällig empfangen würde. Nun erst erfuhr ich auf diese Weise, dass Harst den Hauptmann als Unterhändler zu dem Fürsten geschickt hatte. Nun, es war nicht schwer, herauszufinden, was Harst bei dem Maharadscha wollte. Natürlich lockten ihn die Gespenster, die der Londoner Berufskollege Wellerley nicht hatte bewältigen können.

Um acht Uhr führte uns Randall in ein Gehölz unweit der Festung. Dort wartete schon ein geschlossener Kraftwagen. Randall begleitete uns. Durch ein Parktor des Palastes und über einen breiten Kiesweg rollte das Auto in eine Halle hinein, deren Tore sich hinter uns sofort wieder schlossen.

Ein sehr würdevoller englischer Kammerdiener in Kniehosen, Schnallenschuhen und schwarzen Seidenstrümpfen öffnete die Tür des Kraftwagens, ging uns dann voran über eine enge Treppe und durch endlose Säle, in denen sämtliche elektrische Flammen brannten und die überladene Pracht dieser Räume enthüllten.

Der Maharadscha empfing uns in seinen Privatgemächern in der Bibliothek. Er war damals 33 Jahre alt. Seine helle Hautfarbe, die europäische Tracht, ein grauer Anzug, sein tadelloses Englisch und seine ganze Art des Auftretens ließen mich schnell vergessen, dass ich einen eingeborenen Fürsten vor mir hatte.

Ich will das Gespräch zwischen ihm und Harst nicht im Einzelnen wiederholen. Der Maharadscha gab seiner Freude wortreich Ausdruck, Harst kennen zu lernen. Dieser erklärte dann, er habe gehört, dass sich hier im Palast geheimnisvolle Vorgänge abspielen sollten; er würde Seiner Hoheit gern helfen, diese Dinge aufzuklären.

Der Fürst hatte wohl ein ähnliches Anerbieten erwartet. Nachdem er uns das Versprechen abgenommen hatte, über das zu schweigen, was er uns mitteilen würde, erzählte er Folgendes:

Sein erster englischer Kammerdiener, den er sich vor vier Jahren von einer Europareise aus London mitgebracht hatte und mit dem er außerordentlich zufrieden gewesen, war vor etwa sieben Monaten in seinem Zimmer eines Morgens tot aufgefunden worden; und zwar war dieser Albert Wrihgton eines gewaltsamen Todes gestorben, obwohl vieles für einen Selbstmord zu sprechen schien. Wrihgton hatte nämlich in einer Hanfschlinge am Türgerüst gehangen. Der Leibarzt des Fürsten, gleichfalls ein Engländer, hatte jedoch festgestellt, dass der Kammerdiener vorher vergiftet und dann erst aufgeknüpft worden war. Der Maharadscha hatte durch einen Polizeibeamten aus Benares, den Inspektor Halberty, die Sache insgeheim untersuchen lassen – ohne Erfolg. Dass Wrihgton ermordet wurde, blieb Geheimnis. Nur wenige hatten eben gehofft, die Mörder doch noch entdecken zu können und persönlich alles getan, um das Dunkel dieses Todesfalles zu lüften. Etwa fünf Wochen nach Wrihgtons Ermordung hatte der Maharadscha eines Abends hier in der Bibliothek gesessen, als er plötzlich vor dem, den Eingang zum Billardzimmer verschließenden dicken, golddurchwirkten Vorhang (es war dies ein Kunstwerk mit aufgestickten altindischen Kampfszenen) seinen toten Kammerdiener stehen sah, der langsam die rechte Hand hob und seinem Herrn dann traurig zuwinkte.

Hier unterbrach Harst den Maharadscha zum ersten Mal.

»Hoheit, Sie erkannten Wrihgton ganz deutlich?«

»Ja. Es war damals genau so hell hier wie heute. Die elektrische Krone und die Wandleuchter brannten. Ich bin nicht ängstlich, Master Harst. Ich sprang sofort auf, ging um den Tisch herum und auf die Erscheinung zu. Da verschwand sie lautlos hinter dem Vorhang, der sich noch bewegte, als ich ihn wieder zur Seite zog und in das Billardzimmer eilte. Auch dort brannte das Licht. Die Gestalt war spurlos verschwunden. Ich läutete nach Edward.«

»Wohl der jetzige Kammerdiener?«

»Ganz recht – Edward Armstrong – eine Perle in seiner Art. Edward kam sofort. Wir durchsuchten …«

»Danke Hoheit. Und die weiteren Erscheinungen?«

»Zeigen sich stets an derselben Stelle. Oft verging eine Woche, ehe die Gestalt wieder vor mir auftauchte, oft nur zwei Tage. Und stets war ich allein, wenn Wrihgton …«

»Das genügt, Hoheit. Auch am Tag erschien der Tote Ihnen?«

»Ja, leider! Ich wurde dadurch sehr bald etwas nervös und ließ mir schließlich, als auch die schärfste Überwachung das Gespenst nicht verscheuchte, einen berühmten Londoner Detektiv kommen. Aber er richtete nichts aus. Er kehrte wohl mit der Überzeugung nach London zurück, dass ich an Gespensterfurcht leide und nur Halluzinationen hätte. Das ist jedoch Unsinn. Ich bin ein sehr gesunder Mensch, treibe viel Sport, schieße vorzüglich. Richtig, ich habe zweimal auf die Erscheinung geschossen. Beide Male versagte meine Repetierpistole. Ich habe die Patronen nachher untersucht. Die Zündhütchen waren durch den Schlagbolzen angeschlagen. Die Ladung war in Ordnung. Immerhin blieb es ein merkwürdiger Zufall, die beiden Versager.«

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