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Eine Räuberfamilie – Einundzwanzigtes Kapitel

Emilie Heinrichs
Eine Räuberfamilie
Erzählung der Neuzeit nach wahren Tatsachen
Verlag von A. Sacco Nachfolger, Berlin, 1867
Einundzwanzigstes Kapitel

Neues Leben

»Deutschland! O herrliche Heimat! Lass mich ewig deiner würdig sein!«

So sprach Leonhardt leise mit bebender Stimme, als die blaue Flut des Rheins ihn heimtrug, ihn und die teuren Wesen, welche so viel für ihn getan hatten. Er lehnte das Haupt an des Barons Schulter und flüsterte: »Möge die Erinnerung an die letzte Vergangenheit auf ewig in Lethe versenkt werden, wie ich ihr Bild begrabe.«

Er nahm ein Medaillon an einer goldenen Kette vom Hals, betrachtete noch einmal Arabellas Bild und auf der anderen Seite des Marcheses Portrait und schleuderte es blitzschnell in den Strom, der es gierig verschlang.

»Begraben und vergessen, so ist es recht, mein Sohn!«, sagte Waldau, einen Blick hinüberwerfend zu einer Frauengestalt, welche an der entgegengesetzten Seite auf dem Verdeck stand und zu dem Lorelei-Felsen hinüberstarrte.

Es war Agnes, welche Neapel zwar noch als Knabe verlassen, doch beim Betreten des deutschen Bodens sich wieder in ein holdes Mädchen verwandelt hatte. Mit dieser Umwandlung war auch die Befangenheit der Frau zurückgekehrt, sie ging Leonhardt aus dem Weg und wagte es nicht, ihn anzureden.

Sie war noch immer in dem Wahn befangen, Leonhardt liebe die schöne Italienerin und trauere um ihren Verlust; ach, seine Trauer galt nur dem toten Vater, dem Unglücklichen, der ihm doch so nahe im Leben gestanden hatte, und seiner eigenen düsteren Geburt.

Es war ihm überaus peinlich, dass Agnes alles erfahren musste; ihre Befangenheit und Scheu in seiner Gegenwart galten ihm nur als Beweis des Abscheus, mit welchem seine Abstammung sie erfüllt hatte.

Und der Arme hätte sich in seiner Qual in das feuchte Wellengrab hinabstürzen mögen, dem falschen Trugbild nach, das er soeben in die Tiefe hinabgeschleudert hatte. Nach einer langen Pause sagte er zu dem Baron: »Warum meidet Agnes mich, seit sie wieder ein Mädchen geworden ist? War ihr der wahnsinnige Marchese mehr wert als der deutsche Freund? Die Frauen sind alle launenhaft, in Süd und Nord.«

»Du bist ungerecht, mein Sohn«, erwiderte Waldau sanft, »noch ist ihre Gesundheit nicht ganz wieder hergestellt. Ihr ganzes Tun tritt jetzt vielleicht klar vor sie hin, und sie erschrickt vor ihrer eigenen Kühnheit. Sie fühlt sich als Weib scheu und befangen, vielleicht gar in der Furcht, missdeutet und verspottet zu werden.«

»Das ist es wohl nicht«, murmelte Leonhardt, »ich glaube, Vorurteile leben noch in ihrer Seele.«

»Er trauert um sie«, flüsterte Agnes mit einem tiefen Seufzer, »ach, er wird sie nie vergessen.«

Und weiter zogen sie, immer weiter nördlich. Da endlich war die Heide mit ihrer braungefärbten Eintönigkeit, da zog der Schäfer mit seinen Heidschnucken, und mitten hindurch brauste das dampfschnaubende Feuerross.

Sie hatten in einem Brief ihre Ankunft angezeigt und da hielt der Wagen vom Gut auch schon auf der Station, da streckte der Inspektor Walter zuerst dem geliebten Herrn beide Hände entgegen, welche dieser kräftig schüttelte, und den bewährten Freund an die Brust drückte, worauf Agnes in des Vaters Arme flog, der sie schluchzend herzte und küsste.

»Willkommen, Herr Leonhardt! O Gott, welche Freude ist uns durch dieses Wiedersehen beschert, wie viele Tränen jetzt getrocknet.«

»Hat denn Doris nicht in den Karten nachgeschaut?«, fragte Leonhardt in einem Anflug glücklicher Laune.

»Gewiss«, sprach Walter unter Tränen, »und die Alte hat noch nie in ihrem Leben einen größeren Triumph mit den Karten gefeiert, als in diesen letzten traurigen Wochen. Sie hat mich bekehrt, ich war stets ein andächtiger und gläubiger Zuhörer.«

Der Baron lachte vergnügt, indem er seine beiden Apfelschimmel klopfte und sich von ihnen beschnobbern ließ. Die schönen Tiere zeigten ihre Freude auf die rührendste Weise.

Munter kutschierte der Inspektor sie nun zum Gut, vergnügt auf Agnes blickend.

Und da stand das ganze Dorf, Jung und Alt, keiner war zurückgeblieben in seiner Hütte, alle wollten den guten Herrn wiedersehen und das freundliche Antlitz des lieben Inspektorkindes.

Wie sie Girlanden gebunden und Blumen gestreut hatten und nun mit jubelndem Hurra-Rufen und fröhlichen Gesang die Ankommenden begrüßten.

Und da stand sie auch, die alte Doris, die gute treue Seele. Große Tränen rannen über ihr runzliges Gesicht und die schöne Rede, welche sie so fest einstudiert hatte, blieb gänzlich in der Kehle sitzen.

Man las sie ihr Wort für Wort in den ehrlichen Augen.

Nun aber ging es drinnen in dem behaglichen Zimmer, wo der Ofen eine so recht heimische Wärme ausströmte, ans Erzählen, während die Landleute auf den nächsten Abend zu einem fröhlichen Tanz eingeladen waren.

Der alte Baron erzählte erst von seiner Reise, dann Agnes, schließlich sollte Leonhardt auch mit seiner Vergangenheit herausrücken, was er aber mit einem so düsteren Blick abwehrte, dass Doris erschreckt schwieg. Sie verließ deshalb auch bald die Gesellschaft und ging zu ihrem Neffen Schorse, um sich von ihm ihre Neugierde hinsichtlich des jungen Herrn Vergangenheit stillen zu lassen.

»Ein anderes Mal, Tantchen«, sagte er, »jetzt will ich mal wieder versuchen, wie es sich daheim in einem deutschen Bett schlafen lässt. Der Teufel hole das ganze Welschland mit seinen Banditen und falschen Weibern!«

»Da haben wir es, also falsche Weiber, ja, das wusste ich längst, dass Euch dergleichen in dem infamen Welschland zurückhielt.«

»Es stand wohl in den Karten, Tantchen?«

»Ja, es stand in den Karten, und wenn ich nicht so fest vorhergesagt hätte, dass Herr Leonhardt in Todesgefahr schwebe, unsere kleine Agnes wäre nicht nachgereist.«

»Dann sollen deine Karten leben, und du daneben, goldenes Tantchen!«, erwiderte Corso und tanzte lustig mit ihr umher.

»Nun ist es genug, du Narr!«, rief Tante Doris, »erzähle mir jetzt von den falschen Weibern …«

»Ein anderes Mal, Tantchen!«, unterbrach Georg sie kurz, »doch über etwas wollen wir noch plaudern. Was so weit dahinten liegt, mag begraben sein mit dem alten Marchese, der nicht so schlecht war, wie seine Nichte. Ich sah, wie mein junger Herr ihr Bild in den Rhein warf, übrigens Tante, hat er sich nicht das Geringste zu Schulden kommen lassen, was ihn gereuen könnte. Liebe ist ja noch kein Verbrechen, und die Signorina war verteufelt schön.«

»Habe ich es doch immer gesehen, es lag ganz deutlich darin, die Pik-Dame war immer hinter ihm her«, murmelte die Alte kopfschüttelnd.

»Nun aber ein Punktum hinter die welsche Signorina«, fuhr Georg fort, »mir liegt was anderes auf dem Herzen, was du vielleicht zum guten Ende führen kannst, Tantchen. Was meinst du, Tante Doris, mein junger Herr und die kleine Agnes Walter, sollte das nicht ein prächtiges Paar abgeben?«

Die Alte sah ihn überrascht an und sagte: »Wo hast du auf einmal einen so ausnehmend vernünftigen Gedanken erwischt, Schorse?«

»Hm, er kam mir schon in Neapel und wurde immer klarer auf der Reise. Mein junger Herr ist der Agnes sehr zugetan, das möchte ich behaupten.«

»O, das wäre herrlich«, rief die Alte vergnügt. »Ich muss dir nur entdecken, dass die Agnes nicht nur des alten Herrn wegen, sondern mehr um Leonhardt nachgereist ist. Ich sah es in den Karten, es lag auch eine Hochzeit dabei, will doch nur gleich mal wieder nachsehen, wie es jetzt liegt. Siehst du, die schwarze Dame liegt weit hinter ihm, aber hier die Herz-Dame, das ist Agnes, und hier die Heirat dicht dabei, pass auf, es gibt bald eine Hochzeit auf Waldau.«

»Doch nun noch ein Wort, Tantchen!«, sagte Georg, »die beiden scheinen sich voreinander zu fürchten, wir müssen diese Furcht beseitigen.«

»Versuch du es mit deinem Herrn, ich will mit der Agnes reden. Gute Nacht!«

Und die Tante huschte hinaus, um gleich darauf bei Agnes anzupochen. Hier machte sie keine Umstände und hatte bald eine so vollständige Beichte erlangt, dass sie Georg am nächsten Morgen die nötigen Instruktionen geben konnte. Georg weckte seinen Herrn und bemerkte dabei ganz harmlos: Fräulein Agnes ginge schon im Garten, um jeden Baum und Strauch zu begrüßen, und zuletzt auch noch die Heidschnucken.

»Die passen auch für sie«, versetzte Leonhardt.

»Sie passt aber auch noch für einen anderen«, entgegnete Georg trocken.

»Für wen denn, du Narr?«

»Für einen gewissen Herrn, der sich gar nicht um sie bekümmert, und nicht mehr daran denkt, dass sie, um ihn zu erretten, eine so weite Reise gemacht hat.«

»Du wirst unverschämt«, brauste Leonhardt auf.

»Besser als undankbar sein.«

»Pah, flieht sie nicht vor mir?«

»Da sind Sie im Irrtum; sie hat es der Tante Doris gestanden, wie sie nicht mehr fröhlich werden könne, weil der junge Herr Baron immer noch an die falsche Signorina denke, die zwar schön wie ein Engel gewesen wäre, ihn aber doch nur verraten hätte.«

»Sprichst du die Wahrheit, Georg?«, rief Leonhardt und packte den Burschen so ungestüm, dass er zusammenfuhr.

»Gewiss, ich lüge nicht, Fräulein Agnes ist aus Liebe zu Ihnen nach Welschland gegangen.«

In zwei Minuten war Leonhardt angekleidet und in den Garten hinabgesprungen.

Georg blickte ihm schmunzelnd nach und sah bald, wie beide Hand in Hand über die braune Heide gingen. Leonhardt hatte nicht große Mühe, ihr Herz zu gewinnen, es gehörte ihm ja längst, und sie hatte sich das seine erkauft, durch das Opfer, welches sie seinem unglücklichen Vater gebracht.

So kamen sie heim und traten Hand in Hand vor den alten Baron, der sie unter Tränen segnete und umarmte.

Dass der Inspektor nicht Nein sagte, lässt sich denken. Als am Abend das ländliche Fest gefeiert wurde, da verkündigte der Baron die Verlobung des jungen Paares und die Landleute jubelten, dass es weithin erscholl.

Alles tanzte, selbst der alte Baron mit der klugen Hexenmeisterin Doris; und Corso war so glücklich, dass er schließlich sogar die Briganten hochleben ließ.

Um Weihnachten war Hochzeit, wo der Jubel sich wiederholte und die Schnucken auf der braunen Heide erstaunt die Köpfe hoben, weil sie solches Treiben noch nie erlebt hatten.

Ende

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