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Nick Carter – Nick Carters beste Maske – Kapitel 5

Nick Carter
Nick Carters beste Maske

Kapitel 5

Nick Carters beste Maske

Wohin hatte Morris Carruthers seine Schritte gewendet und wo war er aufzufinden?

Ehe Nick Carter sich zu irgendeinem Plan entschließen konnte, musste er natürlich diese wichtige Frage gelöst haben. Da Carruthers in seinem Brief angedeutet hatte, er gedenke in New York zu bleiben, so war eigentlich das gerade Gegenteil hiervon anzunehmen. Doch nochmaliges Durchlesen des Zettels überzeugte den Detektiv davon, dass sein Todfeind diesmal die Wahrheit gesagt hatte. Der Ton, dessen er sich bediente, war so brutal und gleichzeitig so herausfordernd, dass er die innerste Meinung des Schreibers – wenn vielleicht auch sehr gegen dessen Wunsch und Willen – verriet.

Morris Carruthers war und blieb also in New York. Vielleicht ist es leichter, im Wüstensand eine verlorene Stecknadel, als in dem ungeheuren Hudsonbabel einen Menschen zu finden – noch dazu einen Morris Carruthers, der all seinen Scharfsinn aufbietet, um den Armen der Gerechtigkeit zu entrinnen.

Es war anzunehmen, dass Carruthers nicht in der Maske des Reverend Hyde jenen Ort aufsuchen würde, welchen er als ständige Zufluchtsstätte ausgesucht hatte. Der Zufall treibt oft wunderliche Blüten und erweist sich häufiger, als man glaubt, als der geschickteste Detektiv. Ein Verbrecher vom Schlage eines Morris Carruthers war viel zu gewitzt, um dem Zufall auch nur die geringste Einmischung zu gestatten. Folglich betrat er seinen Zufluchtsort auch nicht in einer Verkleidung, von welcher er annehmen musste, dass sie mittlerweile der Behörde bekannt geworden war, sondern er bediente sich zu seinem Zweck einer weiteren, erst herzustellenden Maske, hinter welcher niemand den verfolgten Mörder vermutete und die ihm darum gestattete, sich unauffällig und zwanglos in den Straßen von New York zu bewegen.

Um eine derartige Verkleidung anlegen zu können, musste Morris Carruthers sich an einen Ort begeben haben, wo er ebenfalls keine störende Laune des Zufalls zu befürchten hatte. Keinesfalls hatte er gewagt, seine verbrecherischen Kumpane – und deren hatte zweifelsohne übergenug – in deren Behausungen, mochten diese nun in Palästen oder armseligen Tenementhäusern gelegen sein, aufzusuchen; denn schon beim Eintreten konnte jemand auf den schwarzbärtigen Reverend mit der goldenen Brille, dessen genaue Personenbeschreibung sicherlich schon die Spalten der heutigen Abendzeitungen füllen würde, aufmerksam geworden sein und der Behörde die gemachte Wahrnehmung mitteilen.

Nein, ein Morris Carruthers brachte sich nicht in eine solche Gefahr. Er wusste, dass der Zufall sein tückischster Feind und mehr zu fürchten war als der Scharfsinn und die Pflichttreue der auf seiner Fährte vereinigten Spürhunde der Gerechtigkeit; er wich ihm darum behutsam aus. Entweder tauchte er in einer jener Verbrecherspelunken unter, an denen New York so reich ist und welche der Löwenhöhle in der Fabel gleichen, in die man viele Spuren hinein- und keine einzige mehr hinausführen sieht. Oder er begab sich hinaus aufs Land, um auf freiem Feld oder im Wald, wo niemand ihn beobachten konnte, seine Verkleidung anzulegen und in dieser zur Stadt zurückzukehren. In der Handtasche, welche der famose Reverend Hyde mit sich genommen hatte, befand sich natürlich alles zu einer erfolgreichen Maskierung Erforderliche.

Doch weiteres Nachdenken brachte Nick Carter zu der Ansicht, dass Morris Carruthers es sicherlich nicht gewagt hatte, eine längere Eisenbahnfahrt zu unternehmen. Wie leicht konnten die in einem jeglichen Bahnzug anwesenden Detektive bereits im Besitz einer von der Zentrale auf telefonischem Weg verbreiteten Personalbeschreibung des Gesuchten sein – und da hatten sie dann auch schon diesen beim Kragen. Nein, das hieß dem Zufall die allerkompliziertesten Gewinnchancen zuzugestehen – und das tat Morris Carruthers nicht.

Blieben also nur die Kaschemmen (Verbrecherkneipen) übrig, die nahezu in ebenso viele Klassen zerfielen wie die Hotels und Gasthäuser der Weltstadt. Aber unter den vielen Hunderten von Schlupfwinkeln, in denen das Laster sich verkroch, waren doch nur wenige, deren Inneres selbst den Sicherheitsorganen ein Buch mit sieben Siegeln geblieben war. Örtlichkeiten, so raffiniert eingerichtet, dass keinerlei Hausdurchsuchung Erfolg haben konnte, weil Dutzende von Verstecken unter und über der Erde vorhanden waren.

Es war selbstverständlich, dass der falsche Reverend Hyde seine Schritte nur einer von diesen Verbrecherspelunken zugewandt hatte. Nick Carter war überzeugt davon, dass der mit allen Wassern gewaschene und mit allen Hunden gehetzte Morris Carruthers ihm an Kenntnis des dunkelsten New York nicht nachstand und schon häufig genug in diesem Kaschemmen, deren Betreten für den nicht zur Zunft Gehörigen mit direkter Lebensgefahr verbunden ist, geweilt haben mochte, um sich unter den männlichen und weiblichen Verbrechern die für seine Anschläge geeignetsten Elemente auszusuchen. Nun war er, selbst zum gehetzten Wild geworden, sicherlich in die Tiefen einer derartigen Spelunke untergetaucht. Gewiss, anders konnte es gar nicht sein. In einem solchen Schlupfwinkel hielt sich Morris Carruthers einige Tage verborgen, um dann in irgendeiner zweckentsprechenden Verkleidung den Schritt zu seinem eigentlichen Zufluchtsort zu lenken und in diesem sich verborgen zu halten, bis wieder Gras über die Geschichte gewachsen war.

»Well, alles, was ich zu tun habe, ist, diese Höhlen der Reihe nach abzustreifen«, meinte Nick Carter nachdenklich. »Es kommen höchstens drei oder vier in Betracht, und ich denke, ich kenne mich genügend dort aus, um Einlass zu bekommen.«

Der Detektiv wusste genau, welche Gefahren sein Vorhaben in sich barg. Wurde er erkannt, nachdem er in die geheimen Schlupfwinkel einer solchen Kaschemme einmal eingedrungen war, so wurde er wie eine Katze kurzerhand totgeschlagen, und kein Hahn krähte nach ihm. Er blieb einfach verschwunden, und keine Nachforschung brachte jemals Kunde von ihm.

»Well, ich muss mich in einer Weise verkleiden, dass ich mich selbst nicht wiedererkenne«, meinte der Detektiv bedächtig. »Am besten ist es, ich werde zum Vagabunden, zum echten Pennbruder. Die Maske darf jedoch nicht nach Schminke oder gar Theatergarderobe riechen, denn die Kerle haben eine wunderbare Witterung dafür, was echt und was von der Polente (Polizei) ist.«

Nun war Nick Carter unfraglich der größte Verkleidungskünstler der Welt. Natürlich verfügte er über ein wahres Arsenal an Rüstzeug und Hilfsmitteln.

Hunderte von Perücken und Bärten lagen in seinen Schubladen. Seine Garderobenschränke bargen in erstaunlicher Fülle die verschiedenartigsten Kleidungsstücke – von der goldstrotzenden Uniform eines exotischen Würdenträgers herab bis zu den schmutzigen Lumpen des berufsmäßigen Landstreichers. Derartige Vorratsschränke hatte er indessen nicht nur in dem eleganten Privathaus, das er in der oberen Stadt bewohnte, sondern der umsichtige Detektiv hielt sich Niederlagen, welche über das ganze Stadtgebiet verstreut lagen; darunter einige, die selbst seinen eigenen Gehilfen nicht bekannt waren und die er kaum einige Mal das Jahr hindurch betrat.

Eine solche Niederlage hatte Nick Carter sich auch in Hell’s Kitchen, Teufels Küche, wie ein zumeist von Farbigen bewohnter Stadtteil genannt wurde, in einem der von zahllosen Familien bewohnten Mietskasernen eingerichtet, eine kleine Hinterwohnung im Erdgeschoss.

Um sie zu erreichen, wählte der Detektiv einen etwas umständlichen Weg.

Das Haus, in welchem seine Niederlage sich befand, lag an der 41th Street. Nick Carter aber schlüpfte in ein beliebiges Haus an der 40th Street; natürlich ein solches, das im selben Block oder Häusergeviert lag.

Ein solcher Block wird von zwei parallel laufenden Avenues und ebensolchen zwei Seitenstraßen gebildet.

Eine Eigentümlichkeit der New Yorker Mietskasernen bilden die flachen Dächer, welche zumeist zum Wäschetrocknen eingerichtet sind. Einem geübten Turner, der sich nicht davor scheut, zuweilen die Höhe eines Stockwerkes herabzuspringen oder emporzuklettern, macht es darum keine großen Schwierigkeiten, an den Dächern entlang um den ganzen Block herumzulaufen.

Diesen Weg schlug Nick Carter ein. Nachdem er sich durch einen Blick davon überzeugt hatte, dass die Straße durch die Fuhrwerke fahrender Händler, die plumpen Gestalten einkaufender und feilschender Afrikanerinnen und ihrer umherlungernden Männer derart belebt war, dass selbst ein etwaiger Verfolger sein Einbiegen in einen Hauseingang nicht sofort bemerken konnte, eilte er die Treppen bis zum Dach empor, immer vier Stufen auf einmal nehmend und mit scharfem Ohr auf etwa ihm nachsetzende Schritte lauschend.

Doch es blieb alles still. Auf den meisten Hausdächern war Wäsche zum Trocknen aufgehängt, sodass man kaum von einem Dach auf das andere zu sehen vermochte. Das kam dem Detektiv gerade recht.

Mit der Gewandtheit eines Akrobaten setzte er über alle nur möglichen Hindernisse hinweg. Kaum zwei Minuten später hatte er das Dach des Hauses an der 41th Street erreicht, wo sich im Erdgeschoss seine Niederlage befand. Statt nun die Treppen aufzusuchen, wendete sich Nick Carter nach einem, mit einer Seitentür versehenen Bretterhäuschen auf dem Dach.

Es war dies das obere Ende des sogenannten Dumbwaiter (stummer Diener), eines durch Stricke auf- und niedergezogenen Aufzuges zur Bequemlichkeit der Hausbewohner, um darin Kohlen aus dem Keller sowie Wäsche zum Trocknen auf das Dach zu befördern. In jeder Küche befindet sich eine nach dem Dumbwaiter mündende Tür, sodass die Hausfrauen auch ihre Einkäufe von den Boten der betreffenden Geschäfte direkt in die Wohnung geliefert erhalten können.

Eben wurde der Dumbwaiter nicht benutzt. Hurtig zog Nick Carter ihn hoch, und nach einem raschen, befriedigend ausgefallenen Orientierungsblick kroch er in den Aufzug und ließ sich in diesem nieder, bis er die zu seiner eigenen Wohnung führende Dumbwaitertür erreicht hatte.

Natürlich war diese von innen verriegelt, doch Nick Carters geschickte Hand schob innerhalb einer Sekunde den betreffenden Riegel zurück. Kurz darauf stand er in der völlig dunklen Erdgeschosswohnung.

Sämtliche Fensterläden waren verschlossen.

Nick Carter zündete eine Gasflamme an und durchschritt schnell die beiden Räume, um die verschiedenen von ihm angebrachten Merkmale zu besichtigen, an deren Zustand er erkennen konnte, ob seit seiner letzten Abwesenheit unerwünschter Besuch dagewesen war oder nicht.

Nein! Es befand sich alles in Ordnung. Die Luft in der kleinen Wohnung war stickig und verdorben; doch das kümmerte den Detektiv wenig. Er zog zum Überfluss noch die dunklen Stoffgardinen an den Fenstern zu und entzündete nun in beiden Räumen sämtliche Gasflammen, um zu seinem Vorhaben gründlich sehen zu können.

Die beiden Zimmer glichen einer Maskengarderobe. Im vorderen befand sich eine Badewanne mit Gasofen. Diesen entzündete der Detektiv zunächst.

Dann ließ er Wasser in die Wanne und wendete sich einem Schrank zu, dessen innere Einrichtung an eine Apotheke gemahnte. Hier nun begann er, aus verschiedenen Flaschen und Büchsen eine dunkle Mischung herzustellen, welche er dem Badewasser beifügte. Dann entkleidete er sich vollständig und nahm ein Vollbad, das auf seinen Körper eine eigentümliche Wirkung ausübte.

Die weiße Hautfarbe verschwand und wandelte sich in einen dunklen Bronzeton, der sich auch dem Gesicht mitteilte.

Als Nick Carter dem Bad entstieg, da glich er von den Haarwurzeln bis zu den Zehenspitzen einem dunkelhäutigen Südländer, vielleicht auch einem Mestizen.

Doch damit nicht genug, nahm der Detektiv noch einen anderen Farbstoff und bearbeitete damit Gesicht, Hände, Arme, Nacken und Brust.

»Well«, sagte er, »nun bin ich waschecht gefärbt … nur Terpentin vermag die Farbe wegzubeißen … jetzt noch die Haare und das Gesicht.«

Nick Carter setzte sich vor einen hohen Ankleidespiegel und begann mit feinen Nadeln, die er in den Inhalt von Glasphiolen tauchte, an Gesicht und Händen zu operieren. Mit einer kleinen Spritze träufelte er Saft in die Augenlider – mit dem Erfolg, dass diese stark aufschwollen und an den Rändern entzündet erschienen. Ein weiterer Tropfen in die Augen selbst machte das Weiße im Auge rötlich und die Pupillen stumpf und stier, wie man es bei Gewohnheitssäufern beobachten kann. Die edel geformte griechische Nase verwandelte sich in einen wahren Klumpen, die Lippen erschienen hasenschartig; kurzum, aus dem männlich schönen Nick wurde im Handumdrehen eine wahre Vogelscheuche. Als er bald darauf auch in der zerlumpten, schmierigen, nach Schnaps duftenden Kluft eines berufsmäßigen Walzbruders dastand, da sah er so schreiend echt aus, dass empfindsamere Naturen sich bei seinem Anblick sicherlich mit zugehaltener Nase erschauernd abgewendet haben würden.

Aufmerksam betrachtete sich Nick Carter im Spiegel; dann nickte er befriedigt.

»Well, ich denke, ich kann es wagen!«, flüsterte er. Nochmals überzeugte er sich davon, dass seine sämtlichen Waffen in gewohnter Weise am Leib untergebracht waren. Dann verwahrte er wiederum sorglich alles in der Wohnung, verlöschte die Gasflammen und verließ die Räume wieder durch den Dumbwaiter, indem er sich diesmal zum Keller herunterließ und von diesem aus sich unbemerkt aus dem Haus schlich.

Nick Carter hatte sich entschlossen, zunächst den allerverborgensten Platz, zugleich aber auch den gefährlichsten in der Metropole aufzusuchen. Es war dies eine Kaschemme oder Dive – wie der New Yorker sagt –, die sich im Cherry Hill Distrikt, dem allerverrufensten Stadtteil der Weltstadt, befand, der die Seitenstraßen der an sich schon genugsam berüchtigten Brewery umfasst.

McGonnigals Dive unterschied sich von allen anderen ähnlichen Plätzen der Metropole. Sie lag an einem unbenannten engen Durchlass, welchen der Volkswitz die Moballee genannt hatte.

So wenig einladend das Haus an sich auch war, so schien es wiederum weit davon entfernt zu sein, den Zufluchtsort der allerschlimmsten verbrecherischsten Elemente zu bilden.

Einige Stufen führten von der Moballee ins Souterrain hinunter. Öffnete man die Tür, so befand man sich in einem Salon der allerniedrigsten Art, mit der typisch langgestreckten »Bar« am entgegengesetzten Zimmerende. Im Raum selbst befanden sich eine Anzahl Tische und Stühle, welche um die verhältnismäßig frühe Abendstunde, in welcher Nick Carter seinen Eintritt bewerkstelligte, von den Stammgästen zahlreich besetzt waren.

Zu beiden Seiten der Rückwand, hinter der langgestreckten Bar, befand sich je eine Eisentür, und in ihrer unmittelbaren Nähe konnte man Tag und Nacht unausgesetzt den einen oder anderen Stammgast des Lokals sitzen sehen. In Wahrheit waren es Aufpasser, die dafür sorgten, dass niemand die Türen passierte, welcher nicht ihnen oder dem Besitzer genau bekannt war oder von regelrechten Kunden eingeführt wurde. Es wäre vielleicht für einen Laien bedeutend leichter gewesen, mit der bloßen Hand einen kunstvoll gearbeiteten Kassenschrank aufzubrechen, als den erfolgreichen Versuch zu machen, durch eine dieser Eisentüren zu gelangen.

Die Tür zur Rechten mündete in einen Tanzsaal, dessen Parkettboden so spiegelglatt wie im feinsten Balletablissement gewachst war. Eine breite, niedrige Balustrade umzog den Saal. Auf ihr befanden sich Tische und Stühle. Die dort sitzenden intimen Gäste wurden durch einen Kellner von Buffet aus bedient.

Die Tür zur Linken führte in ein von jenem gänzlich verschiedenes Zimmer. Hier war der Boden mit Teppichen belegt; hier befand sich auch ein so reichhaltig ausgestattetes Buffet, das man ohne Weiteres in eines der eleganten Großstadtrestaurants hätte verpflanzen können. Das Publikum freilich, das sich vor und nach Mitternacht an den zahlreichen Tischen niederließ und an Speisen und Getränken bestellte, was gut und teuer war, gehörte ausschließlich der Unterwelt an – wie die Eingeweihten jene lichtscheuen Elemente bezeichnen, die von den Ersparnissen ihres Nächsten leben und, um diese zu erlangen, auch nicht davor zurückschrecken, diesem Nächsten auch zugleich das Leben zu nehmen.

Taschendiebe, Einbrecher, Räuber und Mörder – daneben Baldowerer, Kerle also, welche Gelegenheiten zur Ausführung von Verbrechern auskundschaften und dafür klingenden Lohn empfangen – im Verein mit einigen auffallend geputzten Damen waren hier Stammkunden. Wohl keiner befand sich unter ihnen, welcher mit der Polizei noch nicht in Konflikt geraten war.

In diesem Raum – der aber immer noch gewissermaßen als Vorzimmer zu der eigentlichen geheimen Abteilung des Hauses galt – fühlte sich das verbrecherische Element durchaus sicher, rühmte sich doch McGonnigal, der Besitzer, dass es bisher noch keinem Sicherheitswächter, ob uniformiert oder verkleidet, gelungen sei, bis zu diesem Zimmer zu dringen.

In den Verbrecherkreisen wurde der Raum nur das Mauseloch genannt, und wer einmal Einlass gefunden hatte, fühlte sich vor jeglicher Verfolgung so sicher wie in Abrahams Schoß.

Das Innere dieses merkwürdigen Zimmers erinnerte gewissermaßen an den Speisesaal eines der großen Ozeandampfer, denn die dem Eingang entgegengesetzte Wand war bis zur Decke aus Holzpaneelen zusammengesetzt, in welchen sich zahlreiche Türen befanden, die aber so künstlich in das Holzwerk eingefügt waren, dass man sie im geschlossenen Zustand mit dem bloßen Auge überhaupt nicht wahrzunehmen vermochte.

Diese Türen führten wieder zu kleineren Räumen, welche den Stammgästen gegen Entrichtung einer bestimmten Summe zur Verfügung standen. Sie wurden auch fleißig genug benutzt, denn die Ritter vom Brecheisen und ihre noch schlimmeren Genossen hatten häufig Geschäftsangelegenheiten zu besprechen, welche nicht für die Ohren unbeteiligter Dritter bestimmt waren.

Außerdem aber befand sich noch eine Geheimtür in dem Mauseloch, welche nur ganz wenigen bekannt war, und nur die Allerintimsten wussten, welche Bewandtnis es mit jenem Ausgang hatte.

Zuweilen begab es sich, dass zwei oder drei der Eingeweihten an die Tür herantraten, neben welcher eine Anzahl von weißen Knöpfen in der Wand eingelassen war.

Drückte man auf diese Knöpfe in einer bestimmten Art und Weise, so verschob sich plötzlich die Täfelung, um sich hinter dem Eintretenden sofort wieder zu schließen.

Doch wie gesagt, was hinter dieser geheimnisvollen Tür lag und geschah, das wussten nur die Allerwenigsten.

Derart war McGonnigals Dive beschaffen; selbstredend waren außerdem noch genügend Notausgänge vorhanden, falls die Polizei doch einmal die Abhaltung einer Razzia wagen sollte.

McGonnigal selbst brüstete sich damit, dass er im Falle einer polizeilichen Überrumpelung auch den letzten seiner Gäste längst in Sicherheit gebracht haben würde, ehe die Spürhunde auch nur einen der Geheimgänge zu entdecken vermochten.

Nick Carter war in jenem Haus sozusagen Stammgast. Er hatte schon in vielfachen Verkleidungen dort geweilt, doch niemals eine Verhaftung darin vorgenommen oder auch nur von dort aus einen Verbrecher verfolgt, sondern sich stets damit begnügt, in dem Mauseloch seine stillen Beobachtungen zu machen, welche er dann anderenorts vortrefflich verwerten konnte.

Zum ersten Mal betrat er nun McGonnigals Dive in einer Verkleidung, wie er sie bisher noch nie getragen und in der ihn auch der Wirt nicht kannte, denn dieser war froh genug gewesen, mit dem berühmten Detektiv leidlich gut zu stehen, und hatte dessen Gegenwart stillschweigend geduldet und ihn nie an seine Gäste verraten. Da hatte es sich aber immer um gewöhnliche Übeltäter gehandelt. Dieses Mal lag die Sache anders, da vielleicht der Verbrecherkönig selbst Zuflucht im Mauseloch gesucht hatte. War dies der Fall, dann lohnte Morris Carruthers den Wirt auch mit fürstlicher Freigiebigkeit. Er konnte das leicht, verfügte er ja über ungezählte Reichtümer. Dass dafür McGonnigal für seinen vornehmen Gast alle andere Rücksicht schwinden ließ und es ihm auch auf einen Mord nicht ankam, galt es, dessen Verfolger zu beseitigen, war klar. Nick Carter war darum auch entschlossen, als ein völlig Fremder anzutreten.

Doch das machte ihm nichts aus. Er war mit allen Gebräuchen und Förmlichkeiten völlig vertraut. Ferner hatte er selbst zwei Stammgästen des Mauselochs zu langjährigen Zuchthausstrafen verholfen, die sie nun in Sing-Sing, dem New Yorker Zuchthaus, verbüßten. Er kannte die beiden Kumpane so genau, dass er sich wohl auf diese mit Erfolg berufen zu können glaubte.

Sein Eintreten in das äußere Schrankzimmer im Souterrain vollzog sich so unauffällig wie möglich. Wohl veranlasste sein abstoßendes Äußere manches der am Tische sitzenden Dämchen, sich naserümpfend abzuwenden; doch den an der Bar stehenden Männern nötigte sein Erscheinen kaum einen flüchtigen Blick ab. Sie rückten höchstens ein wenig zur Seite.

Nick lehnte sich nachlässig gegen die Bar und stützte die Arme auf die hohe, messingene Querstange. Er bestellte sich Whiskey und nahm, sorgsam darauf bedacht, einen der zahlreich aufgestellten Spucknäpfe gerade unter sich zu haben, um den Branntwein unbemerkt fortschütten zu können, denn ihm war es natürlich nicht ums Trinken zu tun.

Als ihm der Bartender das schon im Voraus bezahlte Glas Whiskey verabreichte, beugte sich Nick unauffällig vor und wisperte so leise, dass nur der Angeredete ihn hören und verstehen konnte: »Bist du Mike Delaney?«

»Bin ich nicht«, entgegnete der Bartender ebenso leise, »das ist mein Kollege dort.«

»Dann bist du Jimmy Dempsey?«

»Gewiss, der bin ich.« Der Bartender schaute den Sprecher aufmerksamer an. »Wer bist du, Kamerad?«

»Besorgt Sandy Crogan noch immer das Buffet im Mauseloch? Und Buff Magin die Bar über der Schleuse?«

Der Bartender wurde immer aufmerksamer. »Stimmt«, wisperte er wieder. »Wer bist du denn, dass du alles so genau weißt?«

»Well, ich bin stadtfremd«, flüsterte Nick zurück, der wohl das Misstrauen in den abstoßenden Zügen des anderen gewahrte. »Ich komme den Fluss herunter, habe Ferien genommen.«

Das war Verbrecherrotwelsch und hieß: Ich bin aus dem Staatszuchtshaus Sing-Sing ausgebrochen und suche Unterschlupf.

»Dass dich das Gewitter«, brummte Jimmy schmunzelnd. »Wie lange war es?«

»Dreieinhalb von neunzehn Jahren … den Rest schenkte ich mir.«

»Selbst begnadigt, eh?«, meinte der Bartender mit listigem Augenzwinkern.

»Yes, Sir … übrigens schickt mich Bobby Feeson.«

»Ei was, Bobby … armer Junge. Wie geht es ihm?«

»Well, er sehnt sich nach Luftveränderung. Auch Al Guinn lässt grüßen. Sie gaben mir das Passwort und machten mich mit dem ganzen Zauber bei euch bekannt.«

»Well, wie heißt du, Pard? Du nanntest deinen Namen noch nicht«, erkundigte sich Jimmy.

»Natürlich, das ist wesentlich. Ich bin Tony Arco … sage, Pard, wo ist Mac?«

»Der Boss? Well, der ist im Mauseloch«, brummte der Bartender nach kurzem Nachdenken. »Willst du ihn sprechen, Kamerad?«

Nick Carter nickte vertraulich. »Jawohl … Ich will Muster auswechseln und ablegen.«

Das heißt so viel wie, er wollte sich neu bekleiden und bis auf Weiteres verborgen bleiben.

»Well, wenn Bobby und Al dich klug gemacht haben, so musst du auch wissen, wie man den Alten ruft«, bemerkte der Bartender.

Nick wendete sich ohne ein Wort zur Seite, schritt um die Bar herum und drückte einen dort angebrachten Knopf nieder. Er hatte vordem denselben Knopf schon so manches Mal berührt und wusste deshalb genau, was er zu tun hatte.

»Hm«, machte Jimmy Dempsey, der ihn genau beobachtet hatte, »ich denke, du bist all right!«

»Natürlich bin ich es!«, brummte der angebliche Tony Arco.

Gerade in diesem Augenblicke öffnete sich die auf der linken Seite der Hinterwand befindliche eiserne Tür, und McGonnigal trat in den Barroom.

»Das ist der Alte«, flüsterte Jimmy dem neuen Kunden zu, »findet der dich auch all right, so bist du sicher aufgehoben.«

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