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Im Zauberbann des Harzgebirges – Teil 38

Im Zauberbann des Harzgebirges
Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann

Das Weingartenloch

Es gibt wohl kaum eine andere Höhle in Deutschland, die für das Volk so viel des Geheimnisvollen birgt, wie das Weingartenloch. Schon Henning Behrens gibt in seinem Hercyna curiosa oder Der kuriose Harzwald, einem Werk, das um 1700 erschien und das die älteste Quelle für die Harzsagen ist, interessante Schilderungen dieser ungeheuer weit ausgedehnten Höhle.

Köstlich ist die Art und Weise, wie er den Weg zu den Schätzen zeigt, die dort, wie er ernsthaft versichert, in großer Menge lagern, und wie er den Wanderer anweist, bald häuserlang auf dem Bauch sich durch schmale Gänge zu zwängen, bald auf einem Wässerlein fortzukriechen und sich Bahn durch Steingeröll vermittelst Aufkratzens zu erzwingen. Dann spricht er von der Begegnung gespenstischer Bergmänner mit Grubenlichtern, von Mönchen, die mit Piken nach den Schätzen zeigen und die, wenn sie durch ein Licht geschwärzt werden, einen Schall von sich geben: »Ich fresse dich!«

Nun ist es verboten, die Höhle, welche zwischen Nixei und Osterhagen liegt, zu betreten. Es sind zu viele Unglücksfälle dort vorgekommen, auch verspürt wohl kaum jemand Lust, sich hineinzuwagen, wenn er nur erst am Eingang die herabhängenden Felsblöcke gewahrt, die jeden Augenblick zu stürzen und den Eintretenden zu zermalmen drohen. Auch der Boden ist über und über mit Steingeröll bedeckt, ein Zeichen, dass von Zeit zu Zeit in der Tat Felsnachstürze stattfinden. Dessen ungeachtet hat vor Zeiten manch einer die Höhle nach Schätzen durchsucht. Aber wehe dem, der vergaß, am Eingang einen Strick zu befestigen. Es war ihm alsdann unmöglich, aus den labyrinthartigen Gängen sicher zurück zu gelangen, und mancher musste diesen Fehler mit dem Leben büßen. Wenigstens wird von älteren Harzforschern behauptet, dass mehrfach menschliche Skelette in der Höhle aufgefunden worden sind.

Noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts fand ein Mann aus Einbeck, den es nach den Schätzen des Weingartenloches gelüstete, dort ein furchtbares Ende. Er wollte sich durch einen Gang zwängen, aber dieser hielt den starken Menschen so fest, dass er nicht rück- noch vorwärts konnte. Viele Bergleute eilten auf die Kunde herbei, dem Unglücklichen Hilfe zu bringen; doch umsonst war ihr Bemühen. Auf keinerlei Weise gelang es, den Eingezwängten zu befreien. Als man schließlich auf seine Bitten Gewalt anwandte, ihm um die Füße Stricke band und nun mit vereinten Kräften zog, da wurde dem Ärmsten der Kopf vom Rumpf gerissen. Dieser Vorfall hat wohl viele vom Durchforschen der Höhle zurückgehalten, auch wird von allen, die darinnen waren, keine verlockende Schilderung ihrer Wanderung entworfen.

Die ersten Räume sollen von langohrigen Fledermäusen bewohnt und mit Felsstücken und Geröll angefüllt sein. Von hier haben, wie die Sage erzählt, die Mönche von Walkenried die Bausteine zu ihrem Kloster geholt und so die Verwüstung angerichtet. Bald durch hohe, bald durch niedere Höhlen und Gewölbe geht der Weg weiter. Weißlich graue, seltsam gestaltete Felsen, oft menschlichen Gestalten oder unförmlichen Tieren gleichend, zeigen sich, von dem flackernden Grubenlicht des Führers gespenstisch beleuchtet. Molche und Schlangen, durch die ungewohnten Menschentritte aufgeschreckt, rascheln vorüber, und der Eindringling weicht erschreckt zurück. Ein Murmeln ist vernehmbar; bald gewahrt man ein düsteres, schäumendes Wasser, welches weiteres Vordringen verhindert. Dennoch liegt ein langer Balken über dem Wasser und beweist, dass tollkühne Menschen es wagten, hinüber zu gehen.

Im Volksmund heißt es, wer das Wasser überschreite, sei dem Teufel verfallen, der dort zwischen Gold- und Silberbergen sitze und der von drei Eindringlingen nur zwei mit den erlangten Schätzen hinauslasse, den dritten aber zerreiße. So heißt es, zwei fremde Männer hätten sich große Reichtümer aus dem Weingartenloch geholt und wären glücklich wieder herausgekommen. Sie wussten, dass der Teufel immer von denen, die dort in seinem Bereich Gold suchten, einen zurückbehielte. Deshalb nahmen sie jedes Mal einen Mann aus der Umgegend mit in die Höhle, um ihn als Opfer dort zu lassen.

Obwohl bald alle Leute wussten, dass diejenigen, welche die Fremden mitnahmen, nie wieder zurückkehrten, fanden sich doch noch immer törichte Menschen, die sich durch die Versprechungen der beiden verführen ließen. Die Vorstellungen, die ihnen jene von dem Reichtum machten, den sie im Weingartenloch erlangen würden, wirkten so mächtig, dass die Leichtgläubigen der Versuchung nicht widerstehen konnten und allemal ihr Vertrauen mit dem Tod bezahlten. Nun waren die fremden Männer schon elfmal in der Höhle gewesen. Als sie aber zum zwölften Mal hineingehen wollten, war keiner mehr zu finden, der sie begleiten mochte. Endlich waren die Leute klug geworden, trauten den Schatzgräbern nicht mehr und hatten keine Lust, ihr Leben leichtfertig aufs Spiel zu setzen.

Die beiden wanderten von Ort zu Ort und suchten nach einem Opfer, aber vergeblich. Da hörten sie eines Tages von einem Arbeitsmann, Schlosser geheißen, der so arm sei, dass er nicht wisse, wie er Brot für seine Familie herbeischaffen solle. Das war vielleicht der Rechte für sie. Drückende Not konnte am leichtesten zu dem gewagten Schritt bewegen.

Die Fremden gingen in Schlossers Hütte und brachten ihr Anliegen vor, aber der Arbeiter weigerte sich entschieden, ihnen zu folgen, so glänzend die beiden ihm auch die Zukunft ausmalten. Er wusste, welches Ende ihm bevorstand, und dass, wenn er stürbe, seine Familie noch weit ärger darben müsse.

Um die armen Leute zu verlocken, begann der eine der Fremdlinge hundert blanke Taler auf den Tisch zu zählen und rief: »Seht, das gebe ich Euch schon im Voraus. Nun denkt, welche Summe Goldes Ihr bekommt, wenn wir zurückgekehrt sind.«

Gierig blickten die Armen auf das Geld; waren sie doch in höchster Not, und diese Summe allein hätte sie schon glücklich machen können.

Da trat die Frau des Arbeiters zu ihrem Mann heran und redete ihm zu, doch mitzugehen. Verwundert hörte das Schlosser. Er wusste, wie lieb seine Frau ihn hatte und konnte es nicht begreifen, dass sie ihm raten mochte, diese Betrüger zu begleiten, aus deren Gesellschaft er sicher nicht lebend zurückkehren würde.

Aber die Frau bat immer dringender und wusste ihm so guten Mut zu machen, dass Schlosser sich wirklich anschickte, den beiden zu folgen. Vorher hatte er, wie alle, die mit den Fremden gingen, sich waschen und ein reines Hemd anlegen müssen. In dieses aber nähte seine Frau geschwind Dill, Duft und Allermannsherrnkrant hinein. Das sind die Kräuter, welche gegen alle bösen Geister, Hexen und selbst gegen den Teufel schützen. Mit diesem Hemd angetan, ließ die Frau ihren Mann, der keine Ahnung hatte, wie sehr sein Weib um ihn besorgt war, mit den Fremden fortziehen und sah voller Sehnsucht seiner Rückkehr entgegen.

Als Schlosser mit seinen Führern die Höhle durchschritt, hatte er nicht wenig Lust, ihnen zu entlaufen, so schaurig und unheimlich war es dort. An dem Boden ringelten sich scheußliche Schlangen, ekles Gewürm wälzte sich vor seinen Füßen umher. Aber die beiden Fremden, schon an diesen Anblick gewöhnt, beobachteten ihr armes Opfer scharf, sodass diesem jeder Fluchtversuch unmöglich war.

Nun musste man die Brücke überschreiten. Hinter derselben traf man bald auf ein großes eisernes Tor. Einer der Männer öffnete dieses und nun standen die drei abermals in einer weiten Höhle, die in eigentümlichem Licht erstrahlte und in welcher große Berge von Gold- und Silbererz lagen. Ein schwarzer, schrecklicher Hund mit feurig glänzenden Augen kam herbei – es war der Teufel. Dieser führte sie zu den Gold- und Silberhaufen und bedeutete die Leute, nur davon einzupacken. Schnell waren die Säcke gefüllt, man machte sich auf den Rückweg und zu Schlossers Beruhigung war auch der Teufel verschwunden. Als sie jedoch die Brücke überschreiten wollten, da stand der Grimme, abermals in Gestalt eines Hundes, plötzlich vor ihnen. Schlosser schrie laut auf bei dem entsetzlichen Anblick, denn die Augen des Tieres rollten gleich großen Feuerrädern, die blutrote Zunge hing ihm lang aus dem dampfenden Rachen und die riesigen Krallen hatte der Furchtbare hoch erhoben, als wolle er sich gleich auf sein Opfer stürzen.

Einer der Fremden holte Lose aus seiner Tasche hervor und begann dieselben zu mischen. Doch so betrügerisch er es auch anstellte, das Los traf zu seinem größten Schrecken ihn selbst. Jedes Mal, wenn sie in der Höhle waren, mussten sie losen. Immer hatten die Schurken es so einzurichten gewusst, dass das Todesurteil den Mitgenommenen traf. Heute nun wollte es nicht glücken.

Als der Erste noch einmal und von Neuem die Lose ordnete und vorgab, er habe vorhin einen Fehler gemacht, da rief der Teufel mit schrecklicher Stimme: »Es ist genug, denn an dem da habe ich keinen Teil, also einen von euch beiden trifftʼs doch!«

Da zitterten die beiden Männer vor Angst und Schrecken, denn das hatten sie nicht erwartet. Der Teufel aber stürzte sich mit furchtbarer Gewalt auf sein Opfer, nahm den Unglücklichen mit in die Luft hinein und zerriss ihn, indessen ein entsetzliches Krachen und Dröhnen die Höhle erbeben machte.

Schlosser war vor Schreck wie gelähmt und sank bewusstlos zu Boden. Sein Begleiter versuchte eilig den Ausgang zu erreichen. Als Schlosser aus der Ohnmacht erwachte, sah er sich draußen vor dem Eingang zur Höhle und ein großer Beutel mit Gold lag neben ihm. Wie er hierher gekommen war, wusste er nicht. Als ihm an das Schreckliche, das er erlebt hatte, wieder vor die Augen trat, wurde ihm ganz Angst und Bange. Schnell erhob er sich und eilte mit dem Schatz fort von diesem schauerlichen Ort zu seiner Frau, die schon beklommen seiner geharrt hatte und nun glücklich war, ihren Mann gesund und noch dazu mit so vielem Gold wieder zu haben.