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Dark Sights

Karin Elisabeth
Dark Sights

Kurzgeschichten, Horror, Taschenbuch, Amrûn Verlag, Traunstein, März 2018, 144 Seiten, 7,50 Euro, ISBN: 9783958693074, Covermotiv: Mark Freier, Innenillustrationen: Svart Myr
www.amrun-verlag.de

[…] Eines Nachts, schon spät im Sommer, kam Mimi noch einmal runter in die Küche, um sich etwas zum Trinken zu holen. Als sie die Kühlschranktür öffnete, bemerkte sie aus dem Augenwinkel ein seltsames, unnatürliches Leuchten, das durch das Küchenfenster fiel. Mimi fuhr herum und sah, dass das Leuchten von den Sonnenblumen kam. Wie tückisch sie durch das Fenster blickten mit ihren dunklen Gesichtern! Und dann sah sie auch ihrer Mutter draußen, ganz nah am Feld, wo sie mit den Blumen zu sprechen schien. […] (Aus: Die Blumen)

Die Blumen

Eines Morgens beginnt es. Apathisch starrt Isabel aus dem Küchenfenster auf das Beet, wo sie mit ihren Kindern die Sonnenblumen eingepflanzt hat. Je höher die Blumen wachsen, desto mehr verschlimmert sich ihr Zustand, denn die Sonnenblumen wecken in Isabel eine Erinnerung aus ihrer Kindheit.

Kain

Gelangweilt von der eigenen bedeutungslosen Existenz suhlen sich die Bandenmitglieder in nachgeplapperten philosophischen Geschwafel. Um endlich an Bedeutung zu gewinnen, beschließen sie, ein unwertes Leben auszulöschen. Doch das Gewissen holt sie nacheinander ein.

Die Mädchen

Ein totes Mädchen wird aus der Jauchegrube von Bauer Pölz geborgen. Die kleine Elli Hübner, die mit ihrer kleinen Schwester Karla die derbsten Streiche ausheckte, welche auch schon einmal mit dem Tod eines Ferkels endeten. Nicht selten gelang es den Schwestern, andere für ihre rücksichtslosen Taten büßen zu lassen.

Die Gabe

Nach einem schweren Jahr für Lenny wird es Zeit, in die Normalität zurückzukehren. Der Besuch eines Techno-Festivals ist ein erster Schritt. Doch sein Vater, der ihn begleitet, bemerkt sehr wohl, wie er das Mädchen mit den blauen Haaren ansieht. Genauso, wie er als Kind die kleine Lilli Liebermann angesehen hatte, die am Abend darauf tot war.

Johnny

Eines Tages steht Johnny einfach in Peters Zimmer, mit seinem blutgetränkten T-Shirt und dem zerstörten Kopf. Doch Peter gewöhnt sich bald an seinen merkwürdigen Gast, den nur er allein sehen und hören kann. Dann spricht Johnny eine Warnung aus.

Das Nest

Die Tage verbringt der Tierarzt Xaver W. mit unpassenden Gedanken an seine Auszubildende und die altjüngferlichen Frauchen seiner Patienten, die Nächte vollgestopft mit Kokain und unablässig schwanzwedelnd vor dem Rechner, um sich von der Dehnbarkeit weiblicher Geschlechtsorgane zu überzeugen. Ein Lebenswandel, der seine schwangere Frau schließlich zum Auszug bewegt. Dass er sich bei einem Labrador noch irgendwelches Ungeziefer eingefangen hat, ist nur das Tüpfelchen auf dem I.

Baba Jaga

Allein im Wald will Alexej seinem Leben ein Ende setzen. Doch noch bevor er das mitgebrachte Seil an einem Baum festmachen kann, kreuzt ein junges Mädchen seinen Weg, das ihn zum Schwimmen im nahen Teich einlädt. Dort, wo er selbst als Junge die herumlaufende Hütte der Hexe Baba Jaga gesehen hatte.

Der Wechselbalg

Eine ungewollte Schwangerschaft hat für die Prager Kaufmannstochter Zuzana Svoboda ungewünschte Folgen, die mit Blick auf die Familienehre geheim gehalten werden müssen. Nach einem Albtraum erleidet sie unter beunruhigenden Umständen eine Totgeburt, was nicht ohne psychische Folgen für Zuzana bleibt. Dem Vater gelingt es jedoch, einen Ehemann für sie zu finden, welchem bald eine weitere Schwangerschaft und ein gesunder kleiner Junge folgt. Doch die Ereignisse und Träume der Vergangenheit lassen Zuzanas verletzten Geist nicht zur Ruhe kommen.

[…] Als wir noch Kinder waren, erzählte uns die Urgroßmutter oft Geschichten über Geister oder daimonische Wesen. Dabei verstand sie es vorzüglich, uns eine Heidenangst einzujagen – wohl auch, weil sie behauptete, sie sei einigen dieser Daimonen höchstselbst begegnet. […] (Aus: Der Wechselbalg)

Karin Elisabeths kurze Geschichten kommen zunächst relativ unscheinbar daher, doch sollte man sich von dem ruhigen Erzählton nicht täuschen lassen. Ihre Spezialität ist es, mit Andeutungen zu arbeiten, die oft gar nicht gleich als solche erkennbar sind. Die Autorin schließt ihre Geschichten nicht vollständig, sodass erst beim nochmaligen Nachsinnen über das gerade Gelesene die Verknüpfungen innerhalb der Erzählungen deutlich werden. Ein Effekt, der den Leser herausfordert und nicht selten einen nachträglichen Schauer auslöst, sobald sich die gesamte Tragweite der Erzählung ihren Weg an die Oberfläche des Bewusstseins gebahnt hat. Auch unvermittelt brutale und unverblümt geschilderte Stellen sorgen mehrmals für eine Spontan-Gänsehaut. So sind die Beiträge in Dark Sights Musterbeispiele dafür, welche Wirkung auch heute noch mit durchdacht erzähltem psychologischen Horror erzielt werden kann.

Auch sprachlich kann Karin Elisabeth voll überzeugen. Alles ist sauber formuliert und der Stil ist Zeit und Inhalt angepasst. Man vergleiche das rotzig skizzierte Das Nest mit der stimmungsvoll altertümlichen Prosa von Der Wechselbalg, das durchaus Poe’sche Qualität aufweist. Dark Sights ist meilenweit entfernt von den meisten aktuellen Genre-Autoren, die auf der Folter- und Gekröse-Schiene fahren. Die Autorin sollte man sich unbedingt merken. Eine Kostprobe war bereits im Visionarium-Magazin 3 zu lesen.

Das Cover wird von einem eher untypischen Mark Freier-Motiv geziert, das gleich die erste Geschichte aufgreift und diese sehr gelungen und passend grafisch umsetzt.

Fazit:
Kleine Meisterstücke, die sich auf leisen Sohlen anschleichen, doch in ihren Nachwirkungen nicht zu unterschätzen sind.

(eh)