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Detektiv Nobodys Erlebnisse und Reiseabenteuer Band 1 – Teil 13

Detektiv Nobodys Erlebnisse und Reiseabenteuer
Nach seinen Tagebüchern bearbeitet von Robert Kraft
Band 1
Kapitel 2, Teil 8

Dann noch etwas anderes, was dem Leser ebenfalls nur angedeutet werden kann.

In derselben Nacht, welche diesem Tage folgte, öffnete sich in der dritten Etage eines Hauses, dessen Eingang in der Bedford Street lag, das Fenster eines Hinterzimmers. Ein Mensch bog sich heraus, blickte in den dunklen Hof hinab und sah zu dem finsteren Himmel hinauf, und dann kam eine Hand zum Vorschein und tastete seitwärts nach dem Blitzableiter, und im nächsten Augenblick hing an diesem Blitzableiter zwischen Himmel und Erde die Gestalt eines dunkel gekleideten Mannes, der wieder im nächsten Moment mit der Gewandtheit eines Affen den Blitzableiter emporkletterte, und als er das Dach erreicht hatte, verwandelte sich der Affe in eine Katze, denn mit der Geschicklichkeit einer solchen setzte er seinen Weg auf dem Dache fort, und da gab es kein Hindernis, welches er nicht durch Springen oder Kriechen zu überwinden gewusst hätte.

Der Mann zeigte ein außerordentliches Interesse für Schornsteine, besonders aus dem einen Hause, und mit einem Male war er in demselben spurlos verschwunden. Und der gehörte gerade dem Hause an, in welchem Loftus Deacon ermordet worden war.

*

Der Tag, an welchem der Amerikaner den Untersuchungsgefangenen erfolglos besucht hatte, war seit jener Mordnacht der neunte gewesen. Vier Tage später sprachen die Geschworenen über den des überlegten Mordes schuldig Befundenen das Urteil aus, welches diesmal Sir Edward Clane nicht hatte mildern können. Es lautete auf den Tod durch den Strang. Und wiederum vier Tage später musste dieses Urteil vollstreckt sein.

Die Hinrichtung sollte auf der üblichen Stätte vollzogen werden. Es ist dies in Newgate ein unbedeckter Hof, welcher nichts weiter als den hohen Galgen enthält. Die Flaggenstange steht daneben auf dem Dache eines Hauses, es weht ständig eine weiße Fahne daran, nur bei einer Hinrichtung wird sie durch eine schwarze ersetzt, und an demselben Hause ist auch die elektrisch funktionierende Sünderglocke angebracht.

Sitzplätze für die Zuschauer gibt es nicht, alles muss stehen, ohne Schutz vor der Witterung. Öffentlich sind diese Hinrichtungen natürlich nicht mehr, Billetts kann man sich nicht kaufen. Es sind aber außer den Richtern und Beamten doch immer noch Zuschauer vorhanden: die Geschworenen, die Zeugen, welche in dem Prozess mitgewirkt haben, die Berichterstatter der großen Zeitungen, und auch sonst können einzelne Personen Zutritt erhalten, wenn sie sich darum bemühen und Protektion haben.

So war auch Mr. Beken zugegen, um den Japaner sterben zu sehen, dessen Vater er gekannt. Sir Edward Clane hatte ihm auf seine Bitte eine Karte verschafft.

Die letzte Minute war da. Aus dem Portal jenes Hauses kam Keigo Kiyotaki in Begleitung zweier Wächter, in einem grauen Anzug, den Oberkörper in einer Art von Zwangsjacke, an der die Hände und Arme festgeschnallt sind.

Es war ihm nichts anzumerken. Gelassen schritt er über den Hofraum und stieg die breite Treppe zum Galgen hinauf. Auf dem Forum angelangt, musste er stehen bleiben, die weiße Flagge wurde mit der schwarzen vertauscht, der Richter verlas nochmals das Urteil, der als Gentleman gekleidete Henker sprach seine Formel, legte dem Delinquenten die Schlinge um den entblößten Hals, trat zurück, und alles war fertig; der dem Tode Geweihte stand bereits auf dem Fallbrett.

Bim …bim …bim …

»Haltet ein!!!« donnerte da plötzlich eine Stimme. »Keigo Kiyotaki ist unschuldig!!!«

Mr. Beken war es, der es mit machtvoller Stimme gerufen hatte und dabei mit ausgestrecktem Arm weit vorgetreten war.

Es lässt sich denken, was für eine Bestürzung diese Worte hervorriefen. Selbst das Armesünderglöcklein konnte vor Schreck nicht den vierten Ton hervorbringen – der den Apparat bedienende Beamte hatte den Mechanismus ausgeschaltet.

»Was sagen Sie da?! Mann, wer sind Sie?« erklang es von berufener Seite.

»Keigo Kiyotaki ist unschuldig! Mein Name ist Nobody! Ich bin Berichterstatter von der in New-York und London erscheinenden Zeitung ›Worlds Magazine‹!«

Wiederum eine furchtbare Erregung und überall die zweifelndsten Gesichter.

Wie, das war dieser vielgenannte Nobody, der sich hier hereinmischte, das war der Privat-Detektiv von jener amerikanischen Schwindelzeitung?

Wir werden noch später sehen, weshalb diese Namen in England einen so schlechten Klang hatten.

»Und Sie behaupten, der Verurteilte sei an der Ermordung von Loftus Deacon unschuldig?!«

»Ich behaupte es nicht, sondern ich weiß es! Ich verlange, sofort als Zeuge vernommen zu werden! Keigo Kiyotaki ist völlig unschuldig! Ich habe den wahren Mörder gefunden!!«

*

Man reißt und schleppt sie vor den Richter,

Die Szene wird zum Tribunal …

Dass eine Hinrichtung unterbrochen wurde, ist nur zweimal passiert, solange Newgate steht. Dies hier war also der zweite Fall.

Die Wiederaufnahme des Prozesses vor den Richtern geschah sofort – sofort! Freilich nicht auf der Hinrichtungsstätte.

Unterdessen aber hatten auch schon die Richter die Nummer von WORLDS MAGAZINE in die Hände bekommen, beim dritten Glockenzeichen ausgerufen, in dem Augenblick, als jener Nobody mit seiner Behauptung aufgetreten war, und was man da zu lesen bekam, das war unerhört! Alles war wie vor den Kopf geschlagen, am allermeisten die Richter.

Aber wehe, wehe, wenn dieser Mann, der sich Nobody nannte, hier einen seiner genialen Yankeestreiche zum besten geben wollte!!!

»Ihr Name?«

»Nobody.«

»Vorname?«

»Habe keinen.«

»Wann sind Sie geboren?«

»Ich spreche nicht über meine Vergangenheit, ich verlange, mit Keigo Kiyotaki konfrontiert zu werden, um hier öffentlich seine Unschuld zu beweisen, um einen Justizmord zu verhüten.«

Es lag hier ein solch außergewöhnlicher Fall vor, dass alles andere als Nebensache betrachtet wurde.

Keigo Kiyotaki ward nun wieder als Untersuchungsgefangener vorgeführt. Man sah ihm an, wie unwirsch er war, wie er seine alte Gleichgültigkeit gegen alles zwar noch zu heucheln suchte, aber mit wenig Glück. Mit geheimer Angst blickte er auf den alten Herrn, welche Maske Nobody beibehielt.

»Keigo Kiyotaki,« redete ihn dieser, dazu aufgefordert, jetzt an, »hast du an jenem Tage, an welchem du dich in London aufhieltest und an welchem Loftus Deacon ermordet worden ist, mit diesem gesprochen?«

»Nein.«

Es war das erste Wort, welches man wieder von dem jungen Japaner hörte, und es war so unsicher herausgekommen.

»Du hast ihn gesprochen! Ich weiß es bestimmt!« rief Nobody in fast drohendem Tone. »Wo hast du ihn gesprochen?«

Keine Antwort. Der Japaner bereute schon sein erstes Wort. Er wollte wieder stumm werden.

»Am Abend in der sechsten Stunde, gerade, als die Figur in das Haus geschafft wurde und die Hausflur voller Menschen war, hast du dich zu ihm begeben, in sein Haus, hast mit ihm unter vier Augen gesprochen. Stimmt das nicht?«

Der Japaner riss nur die Augen weit auf und starrte den Sprecher an.

»Dann müsste er doch gesehen worden sein,« meinte einer am Richtertisch.

»So? Dann müsste er auch gesehen worden sein?« wiederholte Nobody spöttisch. »Ich denke, es sei so einfach für den Mörder gewesen, sich in dem Hause, in dem es damals so lebhaft zuging, ein- und auszuschleichen? – Keigo Kiyotaki, hat dir Loftus Deacon das Masamune-Schwert nicht freiwillig ausgehändigt?«

»Ja,« erklang es wieder gepresst.

»Ach, daran ist ja gar nicht zu denken,« wurde abermals am grünen Tisch gesagt. »Mr Deacon hätte nicht für alle Schätze der Welt …«

»Bitte, so unterbrechen Sie meine Beweisführung doch nicht immer!« rief Nobody ungeduldig. »Ich habe Ihnen doch soeben gezeigt, dass Sie sich selbst widersprechen. – Keigo Kiyotaki, was hast du ihm für dieses Masamune-Schwert gegeben?«

Lange blieb die Antwort aus, mit fest zusammengepressten Lippen stierte der Japaner auf den ihm unbekannten Mann, und unverkennbare Angst sprach aus seinen Augen.

»Nichts,« erklang es dann heiser, und jetzt wurden auch die Richter stutzig.

Nobody streckte den Arm gegen ihn aus.

»Keigo Kiyotaki,« sagte er, jedes Wort betonend, »du – hast – ihm – ein – ›Monikono‹ dafür gegeben!!«

Es war nicht anders, als ob der Japaner plötzlich vom Blitze getroffen worden wäre. Einen gellenden Schrei ausstoßend schlug er die Hände vor das Gesicht und stürzte rücklings zu Boden. Die herbeispringenden Konstabler fanden ihn zwar nicht tot, aber er war nicht zum Aufstehen zu bewegen, er musste hinausgetragen werden.

In dem Gerichtssaale war ein kleiner Tumult entstanden. Erklären konnte sich das hier vorliegende Rätsel niemand.

»Armer Kerl,« ließ sich Nobody vernehmen, als die Ruhe wiederhergestellt war, »ich musste ihn vernichten, um ihn retten zu können.«

»Aber so erklären Sie doch! Was ist das eigentlich, ein Monikono? Mr. Scott, wissen Sie das?«

Der Gefragte, welcher bei den Gerichtsverhandlungen als Sachverständiger über japanische Verhältnisse fungiert hatte, gab eine Erklärung.

Monikono war gleichfalls ein japanischer Waffenschmied, welcher Katanas fertigte. Aber während Masamune im vierten Jahrhundert nach Christi lebte, hat Monikono seinen Beruf noch vor Beginn unserer Zeitrechnung ausgeübt. Sind schon die Masamune-Schwerter in Japan sehr selten und so wert gehalten, dass nur das Petersburger Museum durch Zufall in den Besitz eines solchen gekommen ist – und dann also Loftus Deacon – so existierte von den Monikono-Schwertern auch in Japan überhaupt nur ein einziges Exemplar.

»Ich kann mir gar nicht denken, Herr, wie dieser junge Japaner zu einem Monikono-Katana gekommen sein soll,« wendete sich der Sachverständige an Nobody, »ich weiß bestimmt, dass sich nur noch ein einziges Monikono vererbt – das ist im Besitze des Mikado.«

»Nun, es hat früher doch noch andere Monikonos gegeben, wo sind denn die alle hin?«

»Die ruhen sämtlich in japanischen Fürstengräbern, das kann ich beweisen.«

»Na ja, ganz einfach, der Junge hatte eine solche Liebe oder einen solchen Respekt vor seinem Vater, dass er vor nichts zurückschreckte. Der ist damals, als ihm Deacon das Katana gegen Geld nicht aushändigen wollte, wieder nach Japan gegangen und hat ein Fürstengrab geplündert. Bei einem Monikono griff der alte Raritätensammler natürlich mit beiden Händen zu, dafür gab er sein Masamune gern her.«

Dass hier etwas ganz Außergewöhnliches vorlag, erkannten die Richter hauptsächlich an dem Benehmen des Sachverständigen. Dieser blickte starr nach dem Sprecher, schnalzte mit den Fingern und stieß, seine Umgebung vergessend, einen langen Pfiff aus.

»Wahrhaftig, das wäre eine Lösung! Um diesen Preis hätte Mr. Deacon das Masamune wohl weggegeben!«

»Deacons Diener, Mr. Jensy,« fuhr Nobody fort, sich wieder gegen den Richtertisch wendend, »will doch noch gegen zehn Uhr abends das Schwert auf dem Altar vor den Füßen des Götzen haben liegen sehen.«

»Allerdings.«

»Nein, das war nicht mehr das Katana des Masamune, das war schon das Monikono! Weil Mr. Deacon gar nichts davon gesagt hat? Zu wem sollte er denn seiner Freude gleich Ausdruck geben? Und das können Sie mir glauben, dass er dem Japaner, der heimlich unter falschem Namen seine Heimat verließ und nach London kam, sein heiligstes Versprechen abgeben musste, diesen Tausch nicht gleich auszuposaunen, eine Zeit musste er wenigstens vergehen lassen, und niemals durfte er verraten, von wem er das Monikono bekommen hatte.«

»Ja, wo ist das Monikono aber jetzt?«

»Das hat sich eben der eigentliche Mörder angeeignet.«

»Sie wollen diesen Mörder gefasst haben?«

»Nicht gefasst, sondern entdeckt.«

»Wer ist es?«

»Ein Werftarbeiter Namens Slackjaw.«

Durch die Reihen der im Saale postierten Konstabler ging eine unruhige Bewegung, mit bestürzten Augen sahen sie einander an.

»Wissen Sie, wo dieser Mann jetzt ist?«

»Ja.«

»Wo?«

»Er befindet sich noch jetzt in Mr. Deacons Wohnung!«

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