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Sagen- und Märchengestalten – Die Passauer Kunst

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Die Passauer Kunst

Wie der Gedanke an des Todes furchtbare Umarmung in der Seele des Staubgeborenen ein unbezwingliches Grausen erweckt, so erfüllt die scharfe kalte Schwerterklinge des Menschen Herz mit Furcht und Zittern. Kaum wagt eine friedliche Hand die schneidende Waffe zu fassen. Nur des Kriegers stahlharte Faust ergreift sie voll Mut und Begeisterung, hoch empor sie schwingend zum Waffentanz, so in freudiger Lust, wie nur der Bursche sein Mädchen zum fröhlichen Reigen führt. Doch wer hinauszog in die blutige Schlacht, wo der wilde Gott die Todeslose schüttelt, dem gab liebende Sorge und das Gebet derer das Geleit, welche daheim zurückblieben, dem suchte die zärtliche Mutter, die liebende Gattin, die harrende, bange Braut ein glückliches Geschick mit heißem Wunsch zu erflehen. Gleich, als vermöchten Lieb und Treue schützende Arme um das bedrohte Haupt zu breiten, wenn das schwere Gewölk daran vorüberzieht. So ergriff einst Thetis mit ihren Götterhänden den neu geborenen Sohn Achilles und tauchte ihn drei Mal hinab in die düsteren Fluten des Styx, auf dass der geheiligte Strom seinen Leib den Unsterblichen gleich mache, ihn schirme gegen Hieb und Stoß und Stich. Nur die Ferse, an welcher sie den Säugling erfasst hatte, als sie ihn untertauchte, war mit sterblicher Haut bedeckt und verwundbar geblieben, und hierhin traf ihn denn auch der mörderische Pfeil, um ihn todeswund darniederzuwerfen.

Zu diesem griechischen Mythos, der uns von einer Festigung sterblicher Leiber Kunde gibt, bietet die deutsche Heldensage vom gehörnten Siegfried eine treffende Parallele. Dieser durchzieht, noch ein Jüngling, die Lande und gelangt an das Tal, in welchem Drachen, Schlangen und Lindwürmer hausen. Da fällt er Bäume im Wald, bedeckt mit ihnen den Grund und das ringelnde Gewürm und facht das Holz zu hellem Brand an, dass die Tiere sterben und verbrennen müssen. Zwischen den Felsen hervor dringt ein klarer Quell. Das ist das Öl, welches durch die Gewalt des Feuers den schuppigen Leibern entfloss. Neugierig taucht Jung Siegfried die Spitze seines Fingers hinein und sieht mit Staunen, wie das Öl, welches seinen Finger einhüllt, allmählich zu einem festen undurchdringlichen Horn verhärtet. Nun salbt er den ganzen Leib mit dem kostbaren Öl, macht ihn unverletzlich, sicher gegen Abhieb und Lanzenstoß, nur oben im Rücken, zwischen den Schultern, wohin ihm von der Linde, unter welcher er stand, ein Blatt gefallen war, blieb eine Stelle frei, und dorthin traf ihn einst der eigene Speer, von des grimmen Hagen mörderischer Hand entsendet.

So bestand der Glaube an eine Festmachung des Menschenleibes schon im Altertum und ging von diesem auf neuere Zeiten über, nur mit dem Unterschied, dass die ältere Anschauung darin eine Vergöttlichung des irdischen Wesens sah, während längere Sagen denjenigen im Bündnis mit bösen Geistern glaubten, der sich gegen Hieb und Schuss stich- oder kugelfest machte. Zur Zeit der öffentlichen Fechtspiele und Faustkämpfe zu Rom geschah es zuweilen, dass die Gladiatoren, wie man die Fechter nannte, sich durch Zauber den Sieg zu sichern trachteten. Seltsame Buchstaben oder Wörter waren auf ihre Knie gemalt, die unter dem Namen der ephesischen Zeichen bekannt waren und den Fechtenden übernatürliche Kräfte verleihen sollten. Mit naiver Unbefangenheit erzählt ein Berichterstatter dieser Kampfspiele, wie ein Fechter, der solche Zeichen an sich hatte, dreißig Gegner nacheinander zu besiegen vermochte, dass er aber, als er darauf genötigt wurde, den Zauber abzutun, von dem Einunddreißigsten mit leichter Mühe geworfen wurde.

Bei den Indianerstämmen Nordamerikas erscheint der Teufel unter allerlei Gestalten und belehrt die Krieger, wie sie ihre Leiber fest zu machen vermögen, und wie die Kugeln, welche sie versenden, zu behandeln sind, um niemals das vorgesteckte Ziel zu fehlen.

Während des Dreißigjährigen Krieges wurde um die Stadt Passau in Bayern ein Heer zusammengezogen. Da verkaufte der Henker zu Passau den Soldaten Zettel von der Größe eines Talers, auf welche zauberische Wörter und Figuren gedruckt worden waren. Diese Zettel mussten sie verschlingen, um sich gefroren oder fest zu machen. Das Zaubermittel durchdrang bald das ganze Heer und wurde von diesem hinausgetragen in aller Herren Länder unter dem Namen Passauer Kunst. Und so sicher dünkten die Kriegsknechte sich, dass sie die feindlichen Büchsenkugeln in ihren Ärmeln auffangen wollten. Doch konnte der Bann nicht den ganzen Körper gegen Verletzung sichern, vor allem die Augen nicht, auch nicht die Stelle im Rücken, die Achselhöhlen und Kniekehlen. Alte, erfahrene Soldaten wussten viele Sprüche und Zauberstücke und vermochten sogar andere fest zu machen, selbst wenn diese nichts von dem ihnen zugewiesenen Schutzmittel wussten. Einige Schriftsteller aus dem Anfang des siebzehnten Jahrhunderts berichten von festen Butterbällchen, an denen die schärfsten Messer vergeblich arbeiteten, von Heringen, die sich nicht zerschneiden ließen. Ein alter Kriegsknecht erklärte sogar, dass er selbst die Mücken gefroren machen könne.

Die Mittel, deren man sich bediente, waren äußerst mannigfaltig. Sie bestanden aus Gebeten oder Segen, in welchen der Schutz Gottes, des Kreuzes, der vier Evangelisten, der Heiligen drei Könige, der Muttergottes, der fünf heiligen Wunden oder der drei Kreuzesnägel angerufen wurde. Mit diesen Gebeten segnete sich der Ausziehende, trug auch wohl die auf Papier geschriebenen Sprüche auf dem bloßen Leib in einer metallenen Kapsel um den Hals oder in einem Fingerreif an der Hand. Andere wählten statt der Gebete wunderliche Zeichen und Worte, wie Masala, Alphe, Glaji, Beji, Arios etc. Der Führer eines Regiments im Türkenkrieg pflegte vor Beginn einer Schlacht ein gesegnetes Brot in viele kleine Stücke zu zerschneiden, die er seinen Soldaten mitteilte, um sie kugelfest zu machen. Einige Mittel besaßen nur für vierundzwanzig Stunden Kraft und mussten an jedem Tag erneuert werden.

Das Evangelium Johannis, auf einen kleinen, runden Zettel geschrieben, der heimlich unter dem Altartuch verborgen wurde, sollte von großer Kraft sein, wenn eine oder drei Messen darüber gelesen worden. Damit der Segen nicht wieder entweichen konnte, steckten die Soldaten den Zettel in eine ausgehöhlte Haselnuss oder auch in einen Federkiel, der alsdann sorgfältig mit spanischem Wachs verschlossen wurde. Wer es vermochte, ließ das unschätzbare Mittel in Gold oder Silber fassen und hing es um den Hals. Wahrhaft schändlich war das geheimnisvollste Mittel, dessen sich abgehärtete Strolche bedienten, um ihre bösen Taten ungestraft zu verüben. Sie empfingen die Hostie im heiligen Abendmahl und sprachen dazu: »Ich nehme dich in des Teufels Namen!« Dann wussten sie die Oblate geschickt wieder aus dem Mund zu entfernen, brachten sich einen Schnitt in das dicke Fleisch des Oberarmes bei, legten die Hostie hinein und ließen die Wunde wieder zuheilen.

Ganz natürlich erscheint neben so frevelhaftem Beginnen das Streben des Gegenparts, den vorhandenen Zauber zu entkräften, der überhaupt nur gegen Eisen, Stahl oder Blei gerichtet sein konnte, weil diese niederen Metalle nach der Ansicht jener Zeiten leicht zu besiegen waren. Gold und Silber, besonders aber edle Steine, widerstanden gemeinem Zauber und entkräfteten ihn, wo er auch gegen sie ausgeübt wurde. Von gleicher Wirkung zeigten sich zu Pulver zerriebene Weizenkörner, Spießglanz und Donnerkeile, wenn sie unter die Masse, aus welcher Kugeln gegossen werden sollten, gemischt wurden, ebenso eine giftige Auflösung von Seelsuchthorn, in welche die schon geformten, noch glühenden Kugeln zum Abkühlen geworfen wurden. Während der Belagerung der Veste Magdeburg durch das kaiserliche Heer unter dem berühmten Tilly beklagten beide Parteien sich heftig über den abgöttischen Zauber der einen und die gottlosen Gegenmittel der anderen. Wer die Schneide seines Schwertes mit Brot abrieb, dessen reine und heilige Substanz das Böse vernichtete, der benahm dadurch dem Gefrorenen die festigende Kraft.

Brotkügelchen, heimlich unter die Altardecke verborgen, ehe der Geistliche Messe liest, erlangen durch die über ihnen vollzogene heilige Handlung zwar wunderbare Eigenschaften, wenn der Besitzer eines davon an jedem Morgen nüchtern verschluckt. Allein sie bewahren diese Kraft nur von einem Sonnenaufgang zum anderen. Wie die Sage berichtet, pflegte man die Missetäter, welche durch Rad oder Strang vom Leben zum Tode gebracht worden waren, solange an der Richtstätte unbegraben zu lassen, bis Wind, Wetter und gierige Raben ihr Gebein von Haut und Fleisch entblößt hatten und die Knochen an der Sonne bleichten. An solchen Körpern, denen der Fluch bis über das Grab hinaus nachfolgte, wuchs dann eine dünne Moosdecke. Wer es über sich gewann, diese Decke abzunehmen und dabei die Zauberformel auszusprechen, welche allein dem finsteren Unternehmen Wirksamkeit verlieh, den machte dieses Moos sicher gegen jegliche Verletzung, sobald er es in einem Beutel unter den Achseln trug.

Auf hoher Alm, wo die Gämsen an Abgründen weiden und nur selten der Fuß eines unerschrockenen Waidmannes sich Pfade bricht, wächst eine Wurzel von wunderbarer Kraft, doranicum genannt, deren Genuss das Auge hell und schwindelfrei, das Herz mutig und den Schritt sicher zu machen vermag. Aber nur die klugen Gämstiere finden das kostbare Kraut und dringen, um es zu suchen, bis auf die steilsten Klippen, wo nur des Vogels Flug zu rasten scheint. Von den Fasern der Wurzel ballt sich in den Eingeweiden der Tiere eine dunkelfarbige, haarige Kugel zusammen. Wer eine Gämse erlegt, die solche Kugel in sich trägt, den macht sie fest auf immerdar, nicht nur gegen Stich und Schuss, sondern auch gegen tödlichen Sturz, wie hoch er sich immer versteigen möge im Gebirge. Aber dergleichen Tiere vermag nur einer zu treffen, der eine geweihte Kugel im Rohr hat.

Manche Kriegsknechte wussten von geheimen Künsten, Granaten von selbst erlöschen zu lassen, sodass diese nicht bersten und Schaden anrichten konnten. Weil die rechte Wirkung der Zaubermittel in den Festungen aber gar zu oft ausblieb, sagten sie, man müsse nur die ersten Feuerkugeln, welche geworfen würden, mit den Widersprüchen kühlen, dann vermochten die nachfolgenden kein Feuer zu entzünden. Allein die ersten Kugeln fielen immer über das Ziel hinaus, sodass niemand sie erreichen konnte. Andere erhoben einen Stab oder bloß die Arme, wenn im Gefecht die ersten Schüsse knallten, denn das leitete, so meinten sie, Tod und Verderben von ihnen ab auf ihren Nebenmann.

Einst kam zu Herzog Albrecht in Sachsen ein Jude, bot dem kriegslustigen Herrn einen Knopf dar, den er mit großer Kunst gefertigt haben wollte, und forderte eine große Summe für dieses Zauberwerk, welches nach seiner Angabe unverletzlich machen sollte. Der Herzog befahl, den schlauen Handelsmann vor das Tor hinauszuführen, hing ihm dort mit eigenen Händen den Wunderknopf auf die Brust, zog sein Schwert und führte mit demselben einen gewaltigen Streich nach dem gefestigten Juden, der sofort blutend und entseelt zur Erde sank. Eine andere Sage berichtet von zwei rohen Gesellen, die in einer eroberten Veste eine holde Jungfrau erbeuteten und von böser Leidenschaft entzündet wurden. Da bot sie ihnen für ihre Unschuld eine silberne Büchse voll kostbarer Salbe, die den, welcher sich damit bestreiche, vor Kugel und Schwert beschützen sollte. Als die beiden begierig danach griffen, erbot sie sich, die Probe an ihrem eigenen Leib zu bestehen, legte züchtig ihr Tuch über die schimmernd weißen Schultern, salbte Hals und Busen mit dem duftenden Gemisch und sprach dann: »Nun versucht Euren Stahl an mir.«

Der eine zog sein Schwert, führte einen mächtigen Streich nach der Jungfrau, der ihr Haupt vom Rumpf trennte, aber auch ihre Ehre rettete.

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