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Der Schwur – Dritter Teil – Kapitel 1

Der-SchwurDer Schwur
Historischer Roman aus dem mexikanischen Unabhängigkeitskrieg

Dritter Teil
Der See Ostuta

Kapitel 1
Die Furt der Ostuta

Vier Tage nach der Aufhebung der Belagerung von Huajapam sehen wir uns an die Ufer der Ostuta versetzt. Die aufgehende Sonne beleuchtet eine der prachtvollen Landschaften der amerikanischen Natur.

Der Tapir tauchte zum letzten Mal vor Tagesanbruch in den dunklen Wassern des Flusses, ehe er sein weites Reich wieder in Besitz nahm. Schüchterner als der Yupi, erwartete der Hirsch, vom leichten Windstoß, der sich in den Blättern oder im Schilf regte, beunruhigt, in langen Zügen das Wasser saufend, den Anbruch der Morgenröte, um sogleich beim ersten Sonnenstrahl zu seinem unzugänglichen Dickicht aus Fenchelsträuchern und hohem Farnkraut zu fliehen.

Dagegen erwarteten der einsame Reiher, der unbeweglich auf seinen langen Beinen stand, und die roten Flamingos, die sich zu schweigenden Gruppen vereinigt hatten, das Erscheinen der Sonne, um ihren Morgenfischfang beginnen zu können.

Überall herrschte Schweigen, mit Ausnahme jenes unbestimmten Geräusches, das die Einöden durchzieht und sich im Moos erhebt oder vom Gipfel der Bäume niederfährt, je nachdem die verschiedenen Bewohner des Waldes ihrer Natur nach erwachen oder einschlafen.

Obgleich die Schatten der Nacht schon anfingen, nach und nach zu verschwinden, so hätte doch das Auge des Menschen durch diese nebligen Dämpfe hindurch, welche vom Fluss aufsteigen, nicht unterscheiden können, welcher Art die Vegetation war, die seine Ufer bedeckt. Die Kronen der Palmen, die sich stolz über eine ungeheure Masse von Laubwerk erheben, waren allein erkennbar, wie ehedem der Helmbusch der Ritter in einem Handgemenge.

Die Ufer der Ostuta schienen ebenso einsam, wie sie es bis zu dem Tag waren, als die Söhne Europas an der amerikanischen Küste landeten. Der durchdringende Blick der Nachtvögel jedoch, die sich auf dem Gipfel der Bäume schaukelten, schien Dinge zu erkennen, die sowohl dem Hirsch, dem Tapir, als auch dem Reiher und den Flamingos noch unsichtbar waren. Durch den nächtlichen Nebel glitzerten ferne Feuer, die der ganzen Länge des rechten Flussufers nach zerstreut waren, wie der bleiche Schimmer der Sterne an einem nebligen Himmel.

Diese Lagerfeuer verrieten allein die Nähe der Menschen.

Auf dem linken Ufer existierte diese Ruhe auch nicht, sie war nur scheinbar, Biwaks verbreiteten auch dort noch einiges Licht. In der Mitte einer kleinen Lichtung, die ziemlich weit von den Lagerfeuern entfernt war, hätte man zuerst durch den Nebel zwischen dem Fluss und der Landstraße, die von Huajapam zur Hazienda del Valle führt, eine aus acht Reitern, die sich eifrig zu unterhalten schienen, bestehende Gruppe wahrnehmen können. Näher am Fluss, ungefähr drei oder vier Flintenschüsse von dieser Gruppe entfernt, gingen zwei Männer mit größtmöglicher Vorsicht wieder zu der Stelle hinauf, wo die Straße von del Valle sich durch das Dickicht von Guajakbäumen und Zedern hinschlängelte. Endlich war noch ein Mann, den man weder für einen Fußgänger noch für einen Reiter nehmen konnte, ziemlich in gleicher Entfernung von diesen acht Reitern und den beiden Fußgängern, der sich um nichts zu kümmern schien. Er schlief, sehr fest mit seinem seidenen Gürtel zwischen zwei Hauptverzweigungen einer Zeder befestigt, einen tiefen Schlaf, mehr als zehn Fuß vom Erdboden entfernt.

Das dichte Laubwerk des Baumes und die Dunkelheit der Nacht entzogen ihn vollständig jedem menschlichen Blick. Ein Indianer würde unter der Zeder vorübergegangen sein, ohne seine Gegenwart zu ahnen, und von der Höhe der benachbarten Stämme konnte ihn selbst das Auge eines Nachtvogels nicht mehr bemerken.

Um den Begebenheiten nicht voranzueilen, dürfen wir zuerst Bekanntschaft mit den acht Reitern und den beiden Fußgängern machen.

In Betreff der Person, die ruhig in ihrem luftigen Bett schlief, sagen wir sogleich, dass es Don Rafael in eigener Person war.

Es gibt Augenblicke, in denen die Erschlaffung des Körpers den Sieg über die Befürchtungen des Geistes davonträgt, und Don Rafael befand sich in einem solchen.

Die Ermüdung, die drei Tage des angestrengten Rittes hervorgerufen, wozu noch der gänzliche Mangel an Schlaf der vorangegangenen Nacht zu rechnen ist, verliehen ihm im Angesicht der Gefahr, in der er schwebte und trotz der Unbequemlichkeit seines Lagers diese tiefe Ruhe, die der erschöpfte Soldat die Nacht vor dem blutigen Kampf genießt.

Noch etwas entfernter, in einem Teil der Waldung von Ojaca, die der Straße welche zur Furt führt, zunächst liegt, und in geringer Entfernung von der Ostuta und dem geheimnisvollen See gleichen Namens, der durch die unterirdischen Kanäle des Flusses gespeist wird, schienen sich Reisende mit der Aufmerksamkeit, welche die Abscheu einflößt, schon vor Tagesanbruch sich wieder auf den Marsch zu machen.

Als ob die Benachrichtigung von einer großen Gefahr sie erreicht hätte, löschten zwei von ihnen die Reste eines Feuers aus, dessen Schein sie hätte verraten können. Zwei andere sattelten schleunigst die Pferde der ganzen Gesellschaft und ein fünfter Reisender schien, indem er die Vorhänge einer Sänfte auseinanderschob, eine junge erschreckte Frau zu beruhigen, die darin saß.

Der Leser wird an der Sänfte leicht Don Mariano und seine Tochter erkennen.

Inmitten der Einsamkeit in diesen Einöden gibt es zwei feierliche Stunden, die alle Stimmen der Natur vereinigt verkünden und um die Wette feiern. Es sind dies das Aufgehen der Sonne und ihr Untergang. Die ewige Uhr hatte soeben die Erste dieser Stunden geschlagen.

Ein kühler Wind erhob sich, bewegte das Laub und furchte die Oberfläche des Wassers. Er begann den Nebelschleier zu zerreißen, den die Nacht ausgebreitet hatte.

Im Osten färbte sich der Himmel zuerst mit einem lebhaften Gelb, öffnete sich dann und ließ das erste und unbestimmte Licht der Morgendämmerung durch, welches plötzlich von einem tausendfachen, von allen Bäumen des Waldes ertönenden Vogelgezwitscher begrüßt wurde. Die Schakale flohen in die Einöden, stießen ihr letztes Gebell aus, die traurigen Rufe der Nachtvögel verstummten, der Hirsch und der Tapir trotteten davon. Bald darauf zeigten sich rote Wolken am Horizont wie das Gefieder des Flamingos, dann endlich beleuchtete die Sonne die Gipfel der Palmen und ließ in ihrer ganzen prachtvollen Verschiedenheit die Gehölze sehen, welche die Ufer der Ostuta bedeckten.

Durch dieses fast undurchdringliche Labyrinth wurden öfters wilde Stiere, die Nachkömmlinge der Stiere, die ehemals aus den reichen Ansiedlungen Ferdinand Cortez’ entkommen waren, sichtbar. Von Durst gequält, stürzten sie zum Fluss, um ihn zu stillen, wo sie in langen Zügen das erquickende Nass soffen.

So war an diesem Morgen in seiner ursprünglichen Pracht der Anblick der Ostuta und ihrer Ufer ungefähr eine halbe Stunde von der Furt, bei der die ersten Lagerfeuer gebrannt hatten.

Diese Feuer, die mit Anbruch des Tages ausgelöscht wurden, hatten das vorläufige Lager Arroyos und seiner Banditentruppe erhellt.

Auch hier herrschte ein bewegtes Leben, aber einer anderen Art.

Ungefähr hundert Reiter, die an beiden Ufern der Ostuta zerstreut waren, beschäftigten sich mit ihren Pferden. Die einen ritten ohne Sattel und trieben sie in den Fluss, um sie zu tränken und zugleich zu erfrischen, andere striegelten sie mit den Nägeln oder mithilfe des ersten, besten Steins. Weiterhin waren die Sättel mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufgestapelt inmitten aufgerissener Warenballen, von denen nichts weiter als die durch die Messerschnitte zerfetzte Hülle übrig war und die ohne Zweifel die Nacht vorher irgendeinem Maultiertreiber abgenommen worden waren. Auf dem rechten Ufer, also dem, auf welchem die Hazienda San Carlos lag, erhob sich ein aus Stücken der Leinwandverpackung plump zusammengesetztes Zelt. Zwei vom Kopf bis zu den Füßen mit Pistolen, Messern und Säbeln bewaffnete Schildwachen gingen vor dem Zelt Wache haltend auf und ab, in einer Entfernung, die groß genug war, damit keiner von beiden etwas von dem hören konnte, was im Inneren gesprochen wurde.

Dieses Zelt war das der beiden Anführer. Arroyo befand sich in dieser Minute mit seinem würdigen Gefährten Bocadro darin.

Jeder saß auf einem Ochsenschädel, der die Stelle des Stuhles vertrat, und rauchte eine dicke und lange Zigarre aus Maisblättern. Aus der Haltung, die der Erstere angenommen hatte, indem er auf den Fußboden blickte, den er mit den sechszackigen Rädern seiner schweren Sporen bearbeitete, war es leicht zu entnehmen, dass Bocadro alle Hilfsmittel seiner Schlauheit anwandte, um seinen Kameraden für irgendein Bubenstück zu gewinnen.

»Gewiss«, sagte er, »bin ich geneigt, allen Tugenden der Frau Arroyo Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Sie sind rührend. Ist jemand verwundet, so streut sie ihm mit Wollust fressenden Pfeffer in seine Wunden. Nichts ist interessanter, als die Art und Weise, mit der sie sich der Gefangenen annimmt, die wir zum Tode verurteilt haben, indem sie meistens die Zeit erlangt, sie so spät wie möglich sterben zu lassen – ich wollte sagen, so langsam, wie es nur angeht.«

»Das geschieht aus Egoismus, dass sie so handelt, die arme Frau«, unterbrach ihn Arroyo, »denn es geschieht mehr meinet- als ihretwegen.«

»Sie ist so hingebend! Ach! Sie ist eine sehr würdige Frau!«

»Gewiss. Und die Hilfsquellen ihres Geistes. So zum Beispiel hat sie den sinnreichen Einfall gehabt, und zwar nur zu unser beider Seelenheil, dass wir nie einen Gefangenen töten dürfen, ohne ihn zuvor beichten zu lassen. So dauert seine Marter um so länger, je länger seine Beichte ist. Daraus folgt, dass der Gefangene, der nach lang andauernden Qualen und einer sehr in die Länge gezogenen Beichte stirbt, im Zustand der Gnade stirbt und schnurstracks in den Himmel fährt. Da nun alle auserwählten Heiligen keine Rache kennen, so beten alle für uns. Meine Frau sagt, dass wir so viel wie möglich solcher Glücklichen machen müssen.«

»Ha! Ha! Du hast schon eine hübsche Zahl in den Himmel befördert«, erwiderte Bocadro mit einem Lachen der Befriedigung. »Dem lieben Gott müssen die Ohren schon von allen Gebeten brummen.«

»Still, Herr Oberst der Obersten«, rief Arroyo mit einer Stimme, welche sogleich dem Banditen, der sich diesen prahlerischen Titel anmaßte, zum Schweigen brachte. »Ich verabscheue die Gotteslästerer …«

»Gut, ich werde nun auf die Tugenden der Señora Arroyo wieder zurückkommen, denen zum Trotz sie weder jung, noch gerade sehr schön ist.«

»Nun, sagt es doch gerade heraus, dass sie alt und hässlich ist, und brechen wir das Gespräch darüber ab!«, sagte Arroyo in seiner brutalen Weise. »Dessen ungeachtet halte ich aber viel auf sie.«

»Das ist kaum glaublich.«

»Höre, mein Lieber, das ist weniger unglaublich, als du meinst. Sie teilt mit mir die Last des öffentlichen allgemeinen Abscheus, und wenn ich Witwer wäre …«

»Würdest du ihn ganz allein tragen. Pah! Mit deinen breiten Schultern!«

»Es ist wahr«, entgegnete Arroyo durch dieses Kompliment geschmeichelt, »aus demselben Grund halte ich ebenso viel auf dich wie auf meine Frau«, fügte er hinzu. »Es geschieht selten, dass man den Namen Arroyo verflucht, ohne den deinen mitzunennen.«

»Es gibt so viele böse Zungen in der Welt!«

»Dann hat meine Frau in meinen Augen auch noch eine andere Tugend, sie besitzt ein Skapulier, das der Papst in Rom selbst geweiht hat und das die Eigenschaft hat, den Mann einige Tage nach der Frau sterben zu lassen.«

»Ich sage auch nicht, dass du sie töten sollst, diese würdige Señora Arroyo«, fügte Bocadro hinzu, der unwillkürlich den rohen Aberglauben seines Genossen teilte. »Man schickt sie ganz einfach in ein Kloster für Büßerinnen, damit sie Zeit hat, sich mit ihrem und dem Seelenheil ihres Mannes zu beschäftigen. Zum Ersatz nimmt man sich eine junge, hübsche Frau, mit Augen und Haaren so schwarz wie die Nacht, mit Lippen so rot wie die Granate und mit Wangen, die weißer sind, als die Blume der weißen Lilie. Und das ist es ganz einfach, womit ich mich schon seit zwei Stunden abquäle, es dir begreiflich zu machen.«

»Kennst du so etwas Ähnliches?«, fragte der Guerillero nach zwei Atemzügen des Schweigens, der bewies, dass die Versuchung anfing, in seiner Seele Platz zu greifen.

»Du kennst sie eben so gut wie ich!«, rief Bocadro, »die Herrin der Hazienda San Carlos, die wir im Handumdrehen haben können.«

»Doña Marianita Silva?«

»Keine andere.«

»Aber alle tausend Teufel – willst du denn, dass wir keine einzige Hazienda übrig lassen, ohne sie leer zu machen?«, rief Arroyo, »denn wenn du wünschst, dass ich mich der Frau bemächtige, hast du die Absicht, den Mann auszubeuteln.«

»Der Mann ist Spanier«, erwiderte Bocadro, ohne auf die Worte seines Spießgesellen zu antworten, »der darin den wahren Zweck seiner Vorschläge ausgesprochen hatte. Ein hübsches Unglück, wahrhaftig, die Frau eines Schakals zu nehmen.«

»Zum Teufel! Dieser Spanier ist ein ebenso guter Insurgent wie du, er hat uns Lebensmittel und Pferde geliefert …«

»Ja, aus Furcht, wie der Teufel die Heiligen lobt. Lerne doch nur endlich einsehen, dass man nie ein guter Insurgent sein kann, wenn man haufenweise Säcke mit Piastern in seinen Koffern aufgehäuft hat, wenn die Schränke mit Silbergeschirr fast brechen und wenn man vor allem eine hübsche Frau besitzt«, beeilte sich Bocadro hinzuzufügen, um hinter diesem Vorwand seine wahren Absichten zu verbergen. »Sieh mal, als wir damals ans Werk gingen, den Patriotismus Don Marianos zu erhöhen, indem wir ihm sein silbernes Geschirr nahmen, hätten wir auch, wie ich es vorschlug, seine beiden Töchter nehmen sollen. Dann hätte ich jetzt eine allerliebste Frau, während du allein – Ah, bah! Ich werde mich immer für dich opfern, das ist meine Bestimmung.«

»Wir werden so viel auf unsere Köpfe laden, siehst du«, erwiderte Arroyo mit nachdenklicher Miene, indem er sich gegen seinen Willen von den gemeinen Schmeichelreden Bocadros hinreißen ließ. »Bis es so weit kommt, dass man uns wie wilde Tiere überall verfolgen wird.«

»Wir haben hundertfünfzig ganz ergebene Leute, zuverlässig wie ihre Dolche.«

»Dann – ich sage nicht – ich werde darüber nachdenken.«

Die Augen Bocadros erglänzten in habgieriger Freude, als er die Unentschlossenheit Arroyos erkannte, nun wusste er, dass er ihn, bevor der Tag sich neigte, für sich gewonnen haben und dass er einwilligen würde, den schwarzen Anschlag auszuführen, den er ihm vorgelegt hatte.

Einige Minuten blieben die würdigen Kämpfer in Betrachtungen, die ihnen der Plan der Plünderung und des Mordes an die Hand gab, versunken, und beobachteten ein tiefes Schweigen, als sich plötzlich eine Seite des Zeltes öffnete, um einem Mannweib mit von der Sonne verbrannter Haut und einem mehr von bösen Leidenschaften als vom Alter entstellten Gesicht den Eintritt zu gestatten. Ihre geflochtenen und von einem mit Gold eingefassten Schildpattkamm zurückgehaltenen Haare waren schwarz wie Ebenholz, ihr Aussehen strafte in keiner Beziehung dem wenig schmeichelhaften Porträt, das eben von ihr entworfen war, Lügen.

Trotz aller Schmucksachen aus Perlen, Rosenkränzen, Umhang und Goldstücken, mit denen sie ihren Hals bedeckt hatte, war ihr Gesicht von einem widerwärtigen Ausdruck.

Die Wut war auf ihrer von geschwollenen Adern durchzogenen Stirn geschrieben und ebenso in ihren mit blutunterlaufenen Augen ausgeprägt.

»Es ist eine Schande!«, rief sie, indem sie eintrat und auf Bocadro, den sie zugleich verabscheute und verachtete, einen zornigen Blick richtete, den sie nicht auf ihren Mann zu übertragen wagte. »Es ist eine Schande, dass nach dem Eid, den Ihr beide geleistet habt, dass kein Stein dieses Vipernnestes auf dem anderen und kein Mann es zu verteidigen bleiben sollte, es immer noch beim Alten ist.«

»Nun, was gibt es?«, fragte Arroyo in einem Ton, der seine üble Laune verriet.

»Ich spreche von der Hazienda del Valle, die Eure Leute, wenigstens ein großer Teil derselben seit drei Tagen ohne Resultat einschließen. Das heißt, nein! Denn soeben erfahre ich, dass drei unserer Soldaten bei einem Ausfall getötet und ihre Köpfe an dem Tor der Hazienda von dem verdammten Katalonier, den Gott vernichten möge, ausgestellt sind!«

»Wer hat dir das gesagt?«, schrie Arroyo.

»El Gaspacho, der nur auf Euren Befehl wartet, um einzutreten, und der von del Valle kommt, um Verstärkung zu verlangen.«

»Bei allen Teufeln! Ich finde es sonderbar, dass du dir erlaubst, die Boten, die an mich gesandt sind, vorher auszufragen.«

Arroyo hatte sich bei diesen Worten, die er mit einer Donnerstimme brüllte, erhoben, den Ochsenschädel ergriffen, der ihm als Sitz diente. Er schien im Begriff zu sein, den Schädel seiner Frau damit zu spalten. Vielleicht würde er unter dem Einfluss der Worte Bocadros sich dafür entschieden haben, allein die Last des allgemeinen Abscheus auf seine Schultern zu nehmen, wenn er sich nicht noch zur rechten Zeit an das zu Rom vom Papst selbst geweihte Skapulier erinnert hätte.

Bocadro blieb phlegmatisch sitzen.

»Allerheiligste Jungfrau!«, schrie das Scheusal, indem sie entsetzt vor dem schrecklichen Zorn ihres Mannes zurückwich. »Steht Ihr mir nicht bei, Señor Bocadro?«

»Hm!«, machte der Bandit, ohne sich zu rühren. »Ihr kennt das Sprichwort, verehrungswürdige Señora, zwischen Baum und Rinde – Was zum Teufel! – Kleine eheliche Zwiste …«

»Dass das nicht noch einmal vorkommt! Es gibt hier nur zwei Anführer«, sagte Arroyo plötzlich besänftigt, »und ehe ich El Gaspacho empfange, wirst du noch einen Auftrag ausführen.«

»Welchen?«, fragte die Frau, die einen Augenblick die Absicht hatte, sich in dem Maße hörbar zu machen, wie ihr Mann an Heftigkeit nachließ. Sie widerstand jedoch dieser Versuchung.

»Er dient zur Ausführung eines prächtigen Planes, den ich entworfen habe«, unterbrach sie Bocadro.

»Ach! Wenn Ihr nur so viel Mut hättet, wie Ihr Schlauheit besitzt!«, sagte das Mannweib verächtlich.

»Bah, Arroyo hat Mut für uns beide.«

»Soll das etwa heißen, dass du Verstand für uns beide hast?«, unterbrach ihn der Guerillero, der seinen Zorn an irgendjemandem auslassen wollte, der kein vom Papst in Rom geweihten Poncho trug.

»Gott behüte mich, so etwas zu denken!«, erwiderte Bocadro mit schmeichelndem Ton. »Du bist ebenso tapfer wie gescheit.«

»Frau!«, nahm Arroyo das Wort, »geh und frage den neuen Gefangenen aus, den wir vor drei Tagen machten, um endlich seine Absicht zu wissen.«

»Das Vieh singt immer dieselbe Melodie«, sagte die alte Schachtel Arroyos ärgerlich, »dass er nämlich in Diensten Don Mariano Silvas stehe und dass er eine Botschaft an den aufgebrachten Oberst Tres-Villas zu überbringen habe.«

Bei diesem verabscheuten Namen bedeckte eine finstere Wolke die Stirn Arroyos.

»Versuche zu erfahren, worin die Kunde besteht«, sagte er.

»Er behauptet, sie sei ohne alle Aussagekraft. Und weißt du, Mann, was ich in der Tasche seiner Joppe gefunden habe, als ich ihn durchsuchen ließ?«

»Eine Phiole mit Gift, vielleicht?«

»Ein kleines, sorgfältig versiegeltes Päckchen. Darin fand ich in ein parfümiertes Batisttaschentuch eingehüllt eine schwarze, sehr lange und sehr schöne Haarflechte.«

»Ach, wirklich! Und was habt Ihr damit gemacht?«, fragte Bocadro höhnisch.

»Habe ich nicht ebenso langes und ebenso schwarzes Haar?«, entgegnete das Mannweib in einem gereizten Ton. »Und was ich damit gemacht habe, schöner Herr? Ich habe sie dem Liebesboten ins Gesicht geworfen, denn das ist ein Unterpfand, das er ohne Zweifel an diesen Teufelsoberst überbringen soll.«

»Hat der Bote die Zöpfe wieder aufgenommen?«, fragte Bocadro.

»Ja, mit größter Übereilung.«

»Die Sache wird immer besser!«, erwiderte Bocadro. »Ich hatte mir erst vorgenommen, den Verkündern zu bestechen und ihn zu vermögen, dem Oberst ein Rendezvous zu geben, wo anstatt derer, die er erwartete, ein Dutzend unserer Frevler über ihn hergefallen wären, um sich seiner lebend zu bemächtigen. Die Posse war noch zweifelhaft, jetzt aber können wir ihn mit diesem Liebespfand überall hinführen, ohne dass er Verdacht schöpft. Lasst nur den Mann kommen und ich übernehme das Weitere. Was werden wir mit dem Obersten Tres-Villas anfangen, Arroyo?«

»Wir braten ihn bei langsamem Feuer, wir schinden ihn lebendig«, antwortete der Bandit mit einem Ausdruck wilder Freude.

»Und deine Frau wird ein gutes Wort für ihn einlegen«, warf Bocadro ein.

»Wir brutzeln ihn in ruhigem Brand! Wir pellen ihn frisch!«, schrie die Megäre.

Und dabei stieß sie ein Gelächter aus, das ihre Verachtung für so armselige Mittel der Höllenpein ausdrücken sollte. Dann verließ sie das Zelt ihres Mannes, und der unter dem Namen El Gaspacho angemeldete Bote trat jetzt ein. Dies war ein langer Halunke, dünn wie die Klinge eines Degens, mit unverschämten und gemeinen Gesichtszügen. Seine Haare fielen in langen Strähnen gerade und struppig auf seine Schultern, den im Rauch geschwärzten, ledernen Riemen nicht ganz unähnlich.

»Sprich, du Überbringer unglücklicher Neuigkeiten«, sagte Arroyo mit einem finsteren Blick, unter dem Gaspacho trotz seines Panzers aus Unanständigkeit erschauderte.

»Ich habe auch gute Nachrichten, Señor Capitano«, polterte der Bandit heraus.

»Teile uns zuerst die bedenklichen mit.«

»Wir sind nicht zahlreich genug, um einen Sturm auf den Bau der Schakale unternehmen zu können. Deswegen bin ich abgesandt, um von Eurer Herrlichkeit Verstärkung zu erbitten.«

»Wer schickt dich? Der Leutnant Lantejas?«

»Lantejas wird niemanden mehr schicken. Seit diesem Morgen ist sein Kopf am Tor der Hazienda ausgestellt.«

»Teufelsloch!«, brüllte der Guerillero.

»Übrigens ist es sein Kopf nicht allein, es sind noch die von Salinas und Tuerto neben dem seinen, ohne Matavidos und Pigneto zu rechnen, die gefangen genommen und lebend an den Beinen an den Zinnen der Hazienda aufgehängt worden sind. Aus Mitleid haben wir aus der Ferne mit Büchsenschüssen ihrem Leben ein Ende gemacht, um ihre Leiden abzukürzen.«

»Desto übler für sie! Warum lassen sie sich lebendig gefangen nehmen?«

»Das habe ich ihnen auch gesagt. Ich habe ihnen zugerufen, dass Ew. Herrlichkeit sehr brummig sein würden. Sie schienen sich aber nicht viel darum zu kümmern«, fügte El Gaspacho mit grinsender Miene hinzu.

»So seid Ihr nur noch vierundvierzig?«

»Verzeihung! Vier andere sind im Hof aufgehängt worden, diese haben es nicht nötig gemacht, unser Pulver zu verpuffen, um sie zu erlösen.«

»Zehn Mann weniger!«, sagte Arroyo wütend mit dem Fuß aufstampfend. »Soll ich diese Bande auch einbüßen, wie die erste? Teile uns jetzt die guten Meldungen mit.«

»Gestern Abend näherte sich ein Reiter der Hazienda del Valle so ganz ohne alle Umstände, als wenn er nur nötig hätte, sich zu zeigen und dann hineinzuspazieren. Als er unseren Vorposten zu Gesicht bekam, stürzten die beiden Männer über ihn her. Es gelang dem Fremden erst nach einem lebhaften Widerstand zu fliehen. Runzelt nicht die Stirn, Señor Capitano! Die beiden Wachen sind damit davongekommen, dass dem einen die Schulter durch einen Pistolenschuss zerschmettert wurde, der andere mit einem Sturz vom Pferd. Von dem Letzteren zu hart bedrängt, ergriff ihn der royalistische Reiter, riss ihn aus dem Sattel und warf ihn zur Erde nieder, wie eine Nuss, deren Schale man zerbrechen will. Er ist zwei Stunden ohnmächtig geblieben.«

»Ich kenne nur einen Mann, der stark genug wäre, einen ähnlichen Ulk zu vollführen«, sagte Bocadro erbleichend, »so hat er Antonio Valdes getötet? Es ist der aggressive Tres-Villas.«

»Ja, der ist es auch, denn Pepe Lobos hat das Schnauben seines Pferdes vernommen, das er an dem Tag ritt, als er ihn mit Euch zusammen fast bei Las Palmas gefangen genommen hätte, und er hat auch ganz genau den Reiter an seinem Wuchs und seiner Stimme wiedererkannt, obgleich es Nacht war. Zehn Leute haben sich sogleich zu seiner Verfolgung aufgemacht und der Oberst kann zur jetzigen Stunde schon gefangen sein.«

»Heilige Jungfrau! Ich verspreche dir eine Kerze, groß wie ein Palmenbaum, wenn dieser Mann in unsere Hände fällt«, sagte der Anführer der Galgenstricke.

»Wie ein Palmenbaum groß! Wohin denkst du denn?«, rief Bocadro.

»Schweig doch! Das geschieht bloß, um sie zu kirren«, entgegnete Arroyo flüsternd.

»Mag er nun diesmal entwischen oder nicht, wir haben ihn doch sicher. Ich stehe dir dafür«, fügte Bocadro hinzu. »Wenn ich von seiner Geschichte recht unterrichtet bin, so kann man ihn mit der Botschaft, die ihm der Gefangene überbringen soll, an das Ende der Welt locken.«

Als er geendet hatte, stürzte das Frauenzimmer Arroyos mit ebenso von Furor entstelltem Gesicht wie das erste Mal wieder in das Zelt.

»Der Käfig ist leer, der Vogel ist ausgeflogen!«, schrie sie, »und mit ihm der Wächter, dem ich ihn übergeben hatte, der nichtswürdige Juan El Zapote!«

»Blut und Donner!«, heulte Arroyo, »dass man sogleich den Flüchtlingen nachsetze! Holla!«, fuhr er fort, indem er eine Seitenwand seines Zeltes aufhob, »zwanzig Kerle auf die Pferde! Durchsucht die Gehölze und die Ufer des Flusses, und bringt die beiden Flüchtlinge an Händen und Füßen gebunden, vorzüglich aber lebend zurück.«

Während die drei Personen sich noch verblüfft anstarrten, fand eine große Bewegung im Lager statt, wo jeder in seiner Leidenschaft, der Erste zu sein, mit dem anderen wetteiferte.

»Tod und Teufel! Wenn der Oberst dem Kesseltreiben derer entgeht, die jetzt auf seiner Spur sind, und wenn die anderen den Unglücksboten nicht wieder erwischen können, dann gute Nacht mit allen meinen Plänen!«, rief Bocadro. Während das Weib Arroyos hinaustrat, um den Abgang der Reiter zu beschleunigen, sagte er zu jenem: »Es ist einerlei, bleibt uns doch immer noch zur Entschädigung die Hazienda San Carlos.«

»Ja, ich habe Zerstreuung nötig«, entgegnete Arroyo mit einem wilden Lachen, »diesen Abend wollen wir uns lustig machen, morgen aber einen wütenden Sturm auf die Höhle der spanischen Räuber unternehmen und keinen Stein dieser verdammten Hazienda del Valle auf dem anderen lassen.«

»Ja, die ernste Problematik morgen«, fiel Bocadro ein, sich die Hände reibend, »unsere Leute sind zum Aufbruch bereit«, fügte er hinzu, einen Blick hinauswerfend. »Wenn du meinem Rat folgen willst, so schicke statt zwanzig nur zehn, das ist genug, um die beiden Schurken aufzustöbern. Die Verstärkung, die sogleich zur Hazienda del Valle gesandt werden muss, mit eingerechnet, bleiben uns zu wenige Leute im Hauptquartier.«

Arroyo fügte sich der Ansicht seines Kumpans. Von den zwanzig Mann, die zum Aufbruch bereit waren, las er die zehn Bestberittenen aus, die anderen erhielten die Order, sich nach del Valle zu wenden. Da ihr Aufbruch aber weniger eilig war, sprengten die Reiter, denen die Verfolgung des Boten und Juan El Zapotes aufgetragen war, zur Furt der Ostuta. Man vermutete, dass die Flüchtigen einen Rückzugsort in dem dichten Gehölz suchten, womit das linke Ufer des Flusses bedeckt war, nachdem sie in der Nacht durch den Fluss geschwommen waren.

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