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Sagen- und Märchengestalten – Die Magie – Teil 4

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Die Magie – Teil 4

Roger Bacon

Mit dem 13. Jahrhundert begann eine gesegnete Zeit, reich an berühmten Männern. Die Kreuzzüge führten der Wissbegier neuen, umfassenden Stoff aus dem Orient zu, begründeten einen innigeren Verkehr zwischen beiden Welten und waren für alle Gebiete der Wissenschaft und des Lebens von großartigen Folgen.

Gleichzeitig gewannen die Araber einen bedeutenden Einfluss. Aber unter demselben wucherte die verderbliche Blüte des Steins der Weisen, der Sterndeuterei und Zauberei aller Art. Wer vermöchte in jenes Jahrhundert zu blicken, ohne der leuchtenden Erscheinung eines Marco Paolo zu begegnen, der uns, wie Goethe zum westöstlichen Divan sagt, wie auf einem Zaubermantel über die Halbinsel Indiens hinabträgt!

In jenen Tagen lebte in England Roger Bacon, um 1214 geboren, der Sprössling einer angesehenen Familie in der Grafschaft Somerset. Wie Albertus Magnus widmete er sich früh dem Klosterleben, studierte zu Oxford und Paris, erwarb die theologische Doktorwürde und trat nach seiner Rückkehr in den Orden der Franziskaner ein. Die Beobachtungen, welche er anstellte, und die aus ihnen erzielten Resultate aus dem Gebiete der Naturwissenschaften, der Chemie, Mathematik und Sternkunde, waren für seine Zeit so neu und überraschend, dass sie ihm viele Verfolgungen und den Ruf eines großen Zauberers eintrugen. Seine Ordensbrüder verklagten ihn deshalb in Rom, worauf ihm der theologische Lehrstuhl zu Oxford genommen und er selbst ins Gefängnis geschleppt wurde, aus welchem ihn erst Papst Clemens IV. befreite. Dieser Kirchenfürst verlangte Bacons Schriften zu persönlicher Einsicht, und der gelehrte Mann legte seinen Werken ein ausführliches Schreiben bei, das im gelindesten Fall ein Seltsames genannt zu werden verdient. In diesem Brief gibt er seiner Meinung über die Zulässigkeit der Bibelverbreitung Ausdruck und bittet den Heiligen Vater, in einem apostolischen Sendschreiben der ganzen Kirche diejenige Methode zu empfehlen, welche er, Bacon, erfunden habe, um in der kürzesten Zeit lateinisch, griechisch, hebräisch und arabisch zu lernen, weil auch die Laien nicht bloß die Bibel kennen, sondern sie in den Ursprachen lesen und verstehen müssten. Diesem Ansuchen fügte er die wunderliche Behauptung hinzu, dass seine Universalgrammatik dringend ersehnt und durch wichtige Prophezeiungen verkündet worden sei.

Wenn dieser Brief wirklich von ihm herrührt, scheint Bacon allerdings ein etwas wunderlicher Kopf gewesen zu sein. Indessen bewölkten sich bald wieder die Aussichten des vielfach Verfolgten, sein Beschützer, Papst Clemens, starb nach kurzer Regierung, und der Nachfolger desselben, ein ehemaliger General des Franziskanerordens, gab den Feinden Bacons willig Gehör.

Seine Schriften wurden verboten, ihn selbst kerkerte man von Neuem ein, und er schmachtete zehn Jahre lang in strenger Haft, bis einige angesehene Edelleute sich für ihn verwendeten und er die Freiheit wieder erhielt. Nicht wenig soll zu diesem Gnadenakt eine Schrift beigetragen haben, welche Bacon dem Papst zusendete. Sie behandelte in praktischer Weise die Kunst, des Alters Schwächen zu umgehen. Die letzten Jahre seines Lebens brachte der Gelehrte in Oxford zu, wo er 1292 starb.

Baron stand weit über seiner Zeit. Mit einem Verständnis der Natur und ihrer geheimen Tätigkeit hat er weitgehende Erfindungen gemacht, von deren Ruhm ihm wenig oder nichts geblieben ist. Ihm verdankt man die Idee der Vergrößerungsgläser, deren er sich sicherlich schon, wenngleich in nicht vollkommen entwickelter Form bediente. In seinen Schriften über Chemie sagt er, dass man durch eine Mischung von Salpeter, Schwefel und Kohle, Donner und Blitz nachzuahmen vermöge und durch starke Portionen eine ganze Stadt unter Flammen und Feuerschein, von einem ungeheuren Knall begleitet, in die Luft sprengen könne.

Die Fabeln, mit denen die Geschichte Bacons durchweht ist, haben sich erst im Laufe späterer Zeiten ausgebildet, obwohl ihr Ursprung noch in den Tagen wurzelt, in denen er lebte.

Er und sein treuer Genosse, der Franziskaner Bungay, sind unsterblich geworden im Mund des Volkes, ihm vertraut wie die Faustsage den Deutschen. In jenen Traditionen erhält sich auch die Erinnerung an einen Wettkampf der gelehrten Mönche mit dem deutschen Hofzauberer Kaiser Friedrich II., Vandermart.

Bruder Bungay begann damit, dass er den fabelhaften Baum der Hesperiden, der die goldenen Äpfel trug und den sie behütenden Drachen herbeizauberten. Vandermart hingegen ließ den Herkules erscheinen, welcher dem Ungetüm zum Trotz die Äpfel brechen sollte, und forderte den Gegner auf, dies zu verhindern. Bungay vermochte es nicht. Schon glaubte der Deutsche, den Sieg errungen zu haben, als Bacon wie zufällig hinzutrat. Er überschaute den Kampf der zauberischen Schatten und sprach lächelnd: »Dein Halbgott hält inne mit der Ernte seines schimmernden Maules. Befiehl ihm doch, den Baum vollends zu leeren.« Allein Herkules rührte sich nicht. Vergebens beschwört der fremde Zauberer mit harten Drohungen den Geist desselben, der endlich zitternd gesteht, der Mönch sei ihm zu stark, er vermöge nicht zu gehorchen. Hierauf befahl unter donnerndem Jubelruf der schauenden Menge Bacon den ihm ergebenen Geistern, Vandermart aufzuheben und in seine Heimat zurückzutragen. Er selbst aber neigte sich höflich vor Kaiser und König und nötigte die hohen Herrschaften in seine bescheidene Klause zu Brazenose, wo er sie mit den herrlichsten Speisen bewirtete.

Eines Tages erschien Prinz Eduard, der Sohn des Königs bei dem berühmten Zauberer. Er hatte sich auf der Jagd in die schöne Tochter eines Jägers verliebt, und sein Vertrauter, Graf Lacy von Lincoln, war von ihm abgesendet worden, die Gesinnungen der Jungfrau dem Prinzen gegenüber zu erkunden. Aber der Graf blieb lange aus, und Ungeduld trieb den feurigen Jüngling zu Bacons Zelle, ob der Weise Rat für die zehrende Leidenschaft in seiner Brust zu schaffen wisse. Da führte der Zauberer ihn zu einem kristallenen Spiegel und hieß ihn hineinblicken. Mit zornigem Ausruf fuhr der Prinz empor. Unwillkürlich griff er zum Schwert und wollte hinwegstürmen.

»Gemach«, warnte der Zauberer«, »erst berichtet mir, was Ihr saht, sonst dürfte meine Hilfe Euch fehlen.«

»Ha«, sagte der Prinz zähneknirschend, »der treulose Lincoln! Ich entsendete ihn, mir den Weg zu bahnen und nun …«

»Fand er den Pfad so angenehm, dass er ihn selbst zu gehen beschloss«, ergänzte Bacon, als der andere schweigend und mit glühenden Augen in den Zauberspiegel schaute. »Und was seht Ihr nun?«

»Sie treten vor den Altar einer kleinen Kapelle«, fuhr der Prinz aufgeregt fort. »Margareth strahlt im bräutlichen Schmuck, ein Franziskaner legt ihre Hände segnend in einander.«

»Pater Bungay«, ergänzte Bacon. »Und was gedenkt Ihr zu tun, Prinz?«, fuhr er fort.

»Hinweg!«, rief Eduard und wollte an dem Zauberer vorübereilen. »In wenigen Stunden trägt ein Ross mich hin. Noch ehe die Sonne ins Meer versinkt, will ich dort sein, und mein Schwert soll das Blut des Elenden trinken, der mein Vertrauen so schändlich missbrauchte.«

Allein Bacon hielt den Prinzen mit starkem Arm zurück und schaute ernst in die flammenden Augen desselben. »Graf Lincoln«, sprach er endlich, »hat Margareth heimgeführt als sein ehelich Gemahl und darf sich ihrer nicht schämen, denn sie ist rein von Sitte und hoher Schönheit voll. Und was wolltet Ihr tun, mein Fürst?«

Vor dem forschenden Blick, der bis in die Tiefen seiner Brust zu dringen schien, senkte der Prinz verlegen das stolze Auge.

»Dem Herrscher Britanniens ist ein anderes Ziel gesteckt«, sprach der Weise sanft, »nicht darf er, auf den ein ganzes Land erwartungsvoll blickt, selbstvergessen an eines Mädchens weiche Brust sich schmiegen. Hinaus, mein Prinz, nach Oxford! Euer königlicher Vater harrt, dort bedarf man Eurer.«

In jener Zeit lag Englands Küste schutzlos da. Das Meer hatte wilde Scharen von fremden Gestaden herübergetragen. Sie hatten geplündert und gemordet, und wie ein wehmutsvolles Gebet, wie ein frommer Wunsch klingt die Sage des Volksbuches, dass Bacon es umgürten wollte mit einer Mauer von Erz.

Zu dem gewaltigen Werk bedurfte man des weisesten Ratgebers, dessen Macht wetteiferte mit der allesbezwingenden Kraft des Steins der Weisen. Man bedurfte eines erzenen Hauptes, welches redete! Sieben Jahre hindurch arbeiteten Bacon und Bungay mit rastlosem Fleiß, bis die Teile des Zauberkopfes mit der höchsten Kunst vollendet, und das Ganze in wunderbare Harmonie zusammengefügt war. Nichts fehlte als die Bewegung. Doch vergebens forschten sie in alten und neuen Schriften, versuchten vergebens, was die Zauberbücher als sicheres Mittel priesen. Das Haupt rührte sich nicht.

Da beschworen sie endlich in stiller Mitternacht und im geweihten Kreis den Mächtigsten der Höllengeister, ihnen von jener Kraft Kunde zu geben. Nach langer Weigerung verkündete er ihnen Folgendes: »Nur der Duft der stärksten Zauberkräuter, den des Feuers scharfe Glut entlockt, vermag binnen Monatsfrist dem Haupt Bewegung zu verleihen, doch Tag und Stunde weiß ich nicht. Spricht aber das Haupt und Ihr vernehmt es nicht, so ist Eure Arbeit verloren, denn nimmer gelingt es wieder.«

So schied der Böse, und sie gehorchten seinem Wort. Tag und Nacht umhüllte duftendes Gewölk das wundersame Werk. Allein noch bewegte es sich nicht, und die Ermüdung zwang sie endlich, auf kurze Zeit die Ruhe zu suchen, um mit neuer Kraft den neuen Tag zu beginnen. Sie betteten sich in ein stilles Nebengemach, und Bacon rief seinen Diener Miles, dem sie für kurze Zeit das mühsame Amt zu überlassen gedachten.

»Sieh dieses Haupt«, sprach er eindringlich. »Du weißt, welch kostbares Werk es ist, an dem wir sieben Jahre unaufhörlich gearbeitet haben. Sobald es eine Bewegung macht, einen Laut von sich gibt, eilst du, uns zu wecken. Das Glück unseres Lebens hängt von der sicheren Vollendung desselben ab. Gelingt es, so erwarten uns hohe Ehren und reiche Schätze, und deiner soll wahrlich nicht vergessen werden. Habe darum acht und schütte frische Kräuter auf.«

»Sorgt nicht«, sagte Miles. »Bin ich doch selbst begierig, was der Zauberkopf uns sagen wird.«

So gingen sie beruhigt hinweg, und der Diener blieb allein. Aber Miles war ein unwissender und dabei anmaßender Bursche, der sich für klug genug hielt, alles das zu verstehen, was das Haupt etwa reden möchte. Er saß und schaute es an und hing dabei seinen Gedanken nach.

Plötzlich erhob sich ein seltsames Geräusch, und eine Stimme sprach: »Zeit ist’s.«

Verwundert blickte Miles umher. War es der Zauberkopf, von dem jene Töne kamen? Doch nichts regte sich, und durch das sich kräuselnde Gewölk blickten die Züge in unbeweglicher Ruhe.

Wenn er es war, musste ja mehr folgen, und dann – dann wollte er Bacon wecken. Minute auf Minute verrann, alles blieb still, und schon glaubte er, dass seine eigenen Gedanken ihm vorgespiegelt hätten, was er mit seinen Ohren zu vernehmen wähnte, als unter Rauschen und Summen abermals die Stimme erklang: »Zeit war’s!«

Das musste des Kopfes Rede sein. Welche Wunder würden sich ihm enthüllen, ihm, dem es vergönnt war, ihr allein in stiller Nacht zu lauschen!

Doch nichts von jenen großen Dingen, um derentwillen sein Herr sich der schweren und mühevollen Arbeit unterzogen hatte! Fast zürnte er dem kargen Haupt. Wie sollte die erzene Mauer gebaut werden können, wenn nichts erklang als jene rätselhaften Worte, die ihm nicht einmal wert erschienen, seinen Meister zu ermuntern! Aufmerksam blickte Miles auf die erzenen Lippen, ihre Bewegung zu erlauschen, und ein dunkles Vorgefühl wollte ihn überkommen, als habe er nicht gehandelt, wie er sollte.. Wenn er jetzt hinwegeilte, Bacon oder Bruder Bungay zu rufen?

Zum dritten Mal ließ das eigentümliche Geräusch sich hören. Miles heftete in atemloser Erwartung fest seine Blicke auf den geschlossenen Mund des Zauberkopfes, der sich langsam öffnete.

»Zeit ist hin!«, hallte es.

Dann brach loderndes Feuer aus dem belebten Metall hervor, ein furchtbarer Donnerschlag erschütterte das Haus, und krachend stürzte das wundersame Gebilde zusammen.

Als die beiden im Nebengemach, durch das Getöse erschreckt, sich aufrafften und hinzueilten, fanden sie Miles am Boden liegen, halb entseelt vor Angst, verwirrt von dem, was er gesehen und gehört. Bacon glaubte, der Vorwitzige habe mit unverständiger Hand das Werk vernichtet, allein Miles beteuerte so inständig seine Unschuld, dass er ihm Glauben schenkte.

»O Bungay«, rief er schmerzlich aus, »so ist der Preis unseres Lebens dahin. Das Haupt hat sich selbst zerstört, ohne Leben zu zeigen, ohne zu reden!«

»Ach, Herr«, seufzte Miles in tiefer Zerknirschung, »geredet hat es allerdings.«

»Es sprach?«, unterbrach Baron ihn Ungestüm. »Hatte ich dir nicht aufs Strengste befohlen, mich zu wecken, sobald das geschehen würde?«

»Es war so wenig«, entschuldigte sich Miles, »es sagte nichts als Zeit ist’s

»Da war es Zeit, uns zu rufen«, klagte der sanftere Bungay, während Bacon in leidenschaftlichem Zorn den Diener schüttelte, der sich mit Mühe seinen Händen entrang. »Und weiter sagte es nichts?«, forschte Bungay.

»Ungefähr nach einer halben Stunde rief es wieder: Zeit war’s! Dies spannte meine Aufmerksamkeit, ich achtete genau auf seine Lippen, um, wenn es abermals spräche, Euch zu wecken. Wahrhaftig, Herr, das war meine Absicht. Als ich aber so das Haupt anschaute, öffnete es den Mund, sprach Zeit ist hin! und stürzte zusammen. Weiter weiß ich nichts.«

So endete das wichtige Unternehmen, welches derselbe Sterbliche nicht zweimal wagen durfte, ohne sich der Rache der Geister auszusetzen.

Vielfaches Misslingen, berichtet das Volksbuch weiter, verfolgte seit jenem Tag das Tun des Zauberers. Vor dem kristallenen Spiegel erschlagen sich zwei Jünglinge, weil sie in der Zauberplatte ihre Väter einander im Zweikampf töten sahen, worauf Bacon sein gesamtes Zaubergerät zertrümmerte, die Bücher verbrannte und den noch übrigen Teil seines Lebens der Buße und dem Gebet widmete.