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Sagen- und Märchengestalten – Die Nixen

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Die Nixen

Wie lieblich tönt nicht das Rauschen der Wasser am grünen Uferrand! Wenn der Strahl der Sonne sich über den flutenden Spiegel ausbreitet, das der Farben höchste Schönheit, das blühendste Leben dem Menschenauge entgegenlächeln, scheinen die kleinen, gekräuselten Wellen schäkernden Kindern gleich, die sich jagen und haschen im neckenden Spiel. Tief unten aber regt sich geheimnisvolles Weben, dem nur die Fischlein lauschen dürfen, die nichts verraten. Weil der Mensch ihre Sprache nicht versteht, sagt er in stolzer Überheblichkeit: Sie sind stumm! Doch täuscht er sich. Wunderbare Fülle des Schaffens regt sich unter des Wassers kristallener Hülle, in dem Flussgötter schimmernden Haus, in des Meerkönigs stolzen Palast, wo Gold und Edelgestein in nie geahnter Herrlichkeit zwischen Seerosen leuchten.

Überreich ist die Sage an Geistergestalten, von dem ungeschlachten Riesen an, der ein Felseneiland auf seiner Brust zur Sühne aller Gräuel trägt, die er verübte, bis zum Wassermann unter der Brücke, bis zur Muschel herab, die sich langsam im Morgenstrahl auftut und dem verzauberten Bewohner Licht und Lust vergönnt. Wie die Teilung der Welt in Himmel, Erde und Wasser auf ihren Ursprung zurückweist, schied sich in der ältesten, Sagen bildenden Vorstellung ihr dreifaches Regiment. In den Mythen der Griechen und Römer leben diese Anschauungen. Sie lassen insbesondere den Meergott seinen allgewaltigen Dreizack schwingen, beleben die Flüsse mit langbärtigen Herrschern, die Quellen mit schlanken, schönen Frauen. Den heidnischen Völkern war das Wasser heilig als das Element, dessen nichts entraten mag, was da atmet und lebt. Aus den Göttern des Südens schuf sich die Fantasie des Nordens ungefüge Riesen und garstige Wasserkobolde, voll Tücke und Schadenfreude, die Göttinnen allein bewahrten ihre ursprüngliche Schönheit und Lieblichkeit. In ihnen regt der unerlöste Geist die duftigen Schwingen. Sie streben nach Licht, Liebe, nach allem, was den Menschen eigen, was menschlich schön und liebenswürdig ist. Sie begaben freundlich, wenn ihnen Dienste erwiesen werden, und mischen sich gern unter fröhliches Volk, das an den Ufern der Gewässer seine Reigen aufführt.

Geister des Meeres tauchten nur empor, wenn die Wellen sanft bewegt erschienen. Der Sturm scheuchte sie auf den Grund der Wasserwelt zurück. Sie trugen wenig Verlangen nach denen, welche tot in des Ozeans Schoß hinabsanken. Denn nur das Lebendige, die Lebenden allein können sie, die kalten, bleichen, wärmender Lebenskraft bedürftigen Geister reizen. Daher ihr unwiderstehlicher Drang, sich den Bewohnern der Erde zu gesellen. Seltener finden sich Sagen von raubenden Meermännern. Nur hier und da spricht die Überlieferung von Jungfrauen, denen sie nachstellten und die sie dann in ihr unterirdisches Reich entführten. Vielmehr waren es Meerfrauen oder Meerminnen, deren bezauberndes Lied in monderhellter Sommernacht träumerische Jünglinge in die grüne Tiefe hinablockte. Oft genug trieb die unbezwingliche Sehnsucht sie aus den Wohnungen des Ozeans zum Festland hin, mit den Staubgeborenen ein Bündnis zu schließen, das jedoch niemals glücklich für die Liebenden endete. Zu rau erwies sich des Menschen Seele und zu wankelmütig der zarten Elfennatur der Wasserjungfrau gegenüber. Oft brach auch durch fremde Schuld oder unzeitige Neugier das Missgeschick der Trennung über sie herein.

An Norwegens steiniger Küste ragte einsam die Zinne eines festen Schlosses von den Felsenzacken empor, und da, wo des Turmes Fuß bis dicht an die Brandung niederreichte, öffnete sich eine düstere Bucht, wohlgeschirmt gegen Sturm und Wetter. Im Schloss hauste ein junger Graf, der eines frühzeitigen, schweren Verlustes willen aller Liebe und aller Freundschaft entsagt hatte, sein armes Herz in die wilde Schönheit der heimischen Felsen zu retten, vielleicht in der Hoffnung, dass es gleich ihnen sich härten möge gegen des Lebens Unbill. Die kühle Luft tat ihm wohl, mochte er nun jagend die Klippen durchstreifen oder dem Meer seine Beute abringen, oder auch nur, was seine liebste Beschäftigung war, in sich selbst versunken über die dunklen Wasser der Bucht schauen. Wenn er aber in stiller Nacht das Fenster geöffnet hielt und der Mondstrahl die Wellenspitzen versilberte, wollte es ihm manchmal scheinen, als schwebe seltsam süßer Klang zu ihm empor, abgerissene Akkorde eines Liedes, von zarter Frauenstimme gesungen. Einst entschloss er sich, die Wendeltreppe hinabzusteigen, um von dem untersten Gemach, von welchem eine kaum sichtbare Tür zur Bucht führte, den Sängerinnen zu lauschen. Vorsichtig öffnete er das Pförtchen und blickte hinaus in die milde Sommernacht. Da schien es ihm, als sehe er unter den Felsen weiße Gestalten über dem Wasser schweben. Bald erklang das Lied aufs Neue. Leise drang es aus der Tiefe empor, mit seinen Zaubertönen den Hörer lockend, dass er fast unbewusst hinaus schritt und sich dem Strand näherte. Der Vollmond goss sein silbernes Dämmerlicht über die dunklen Fluten aus, auf denen er deutlich drei wunderbar liebliche Frauengestalten, halb auf den Wellen ruhend, halb in die Flut getaucht, unterschied. Mit verhaltenem Atem blickte er zu der Erscheinung. Da sank der Mond tiefer hinter die Felsen, sein Strahl begann die Bucht zu verlassen. Eine Sängerin nach der anderen schlüpfte auf eine breite Klippe, nahe am Strand, raffte dort eine seltsame Verhüllung empor und stürzte, zur Robbe verwandelt, in das heimische Element zurück. Alsbald war der letzte Ton verhallt. Nur eine der Jungfrauen, die herrlichste von allen, schwebte noch auf den Wassern. Da betrat auch sie unter dem hellen Mondlicht den Stein – ein Sprung, ein leises Plätschern, dann war alles still.

Wie aus einem Traum erwacht, starrte der Graf in die dunkle Nacht hinaus, die er vergebens mit seinen Blicken zu durchdringen strebte. Lange stand er so, der Wiederkehr der Entschwundenen harrend. Aber die Luft schwieg, finster war die Bucht, und der Mond verschwand endlich ganz. Da kehrte er, einem Trunkenen gleich, in sein Gemach zurück. Seine Seele war mit den wunderbaren Gestalten in die Meeresflut gezogen, und es schien, als sei die Welt nur noch vorhanden, damit dem Morgen der Abend folge, um ihn zum süßesten Schauen einzuladen. Zu langsam schlichen ihm die Stunden des Tages dahin, bis endlich die Nacht zur Erde niedersank und des Mondes goldenes Rund an der dunklen Himmelsbläue emporschiffte. Als sein erster Strahl über die Felsenhäupter hinweg die Wellen küsste, schwebten leise, melodische Klänge durch die Luft, wie aus tiefstem Meeresgrund entstiegen. Nun brauste das Wasser hoch auf um die Klippe, weißen Schaum verspritzend, und weiße, schimmernde Leiber glitten durch die Flut. Es waren Jungfrauen, schön und herrlich, wie sie nur die Fantasie sich träumen mag. Ein goldener Reif hielt das hell glänzende lockige Haar vom Haupt zurück, und die Lieblichste von allen schmückte ein Kranz von Perlen und Edelsinn. Sanft verschlungen schaukelten die Wellen sie dem Strand zu, und ihres Liedes Zaubertöne berückten des jugendlichen Lauschers aufgeregte Sinne, dass er endlich, kaum wissend, was er tat, sehnsüchtig die Arme ausstreckte nach den göttergleichen Wesen. Da wendeten sie sich zurück, denn das Mondlicht erblasste. Wiederkehrend zum Stein, versanken sie nacheinander in die Wogen, die sich flüsternd über ihnen schlossen.

Was half es dem Jüngling, dass er dem Ufer zueilte und mit angstvoll suchendem Blick die Flut durchforschte. Immer düsterer wurde die Bucht. Nur leise rollten die Wasser zum Gestade und netzten liebkosend des Irrenden Füße. Kaum vermochte er sich loszureißen von dem Ort, an den er mit magischer Gewalt gefesselt schien, nur der Gedanke, dass es Morgen und wieder Abend werden müsse, gab ihm die Besinnung zurück.

Am folgenden Tag war der Graf am Strand, lange ehe die Sonne scheiden wollte. Mit pochendem Herzen verbarg er sich unter den Felsen des Ufers, so nahe der Klippe wie möglich. Dann lauschte er angestrengt in die Meeresstille hinaus, bis es dämmerte, bis am dunkelnden Himmel ein Stern nach dem anderen sichtbar wurde und der Mond blutrot im Westen aufging. Es dauerte lange, ehe sein Strahl die Bucht erreichte, und als er sie endlich mit glänzendem Licht umfloss, blieb der Felsen einsam. Einförmig rauschte das Wasser, und gleich als empfinde es mit dem armen, sterblichen Herzen denselben Kummer, dieselbe Enttäuschung, schien das Himmelsgestirn seinen Lauf zu beeilen und ließ bald die Klippe in düsteren Schatten zurück. Und so blieb es, Nacht um Nacht. Schwermütig blickte der Graf vom Turmgemach über das weite Meer hinaus oder er schweifte über die Felsen, von der höchsten Spitze derselben starr zur Bucht hinunterschauend, als gedenke er durch einen entschlossenen Sprung, dem trüben Sinnen und aller Qual ein Ende zu machen. Die Nächte waren finster und stürmisch. Zuweilen tobte ein Wetter über Meer und Land, bis von Neuem der Mond als schmale, glänzende Sichel am Abendhimmel erschien und die erregte Luft sich zu ebben begann. Endlich strahlte in einer milden, stillen Nacht das volle, goldene Licht des Mondes wieder auf den Stein herab, zu dem des Grafen Blick sich schmerzlich hingewendet. Da begann es unten wieder sich zu regen. Leise rauschte die Flut und trug die himmlischen Gestalten zum Licht empor, deren süße Weise wie Harfenton die Luft durchbebte. Und als der Reigen seinem Ende nahte, die Erste, die Zweite in das heimische Element zurücksank, endlich die Schönste zögernd den weißen Fuß auf die Klippe setzte, schwang sich behänd eine schlanke Jünglingsgestalt zu ihr empor, entwand ihren zarten Händen die zauberische Hülle und jauchzte voll Entzücken: »Nun bist du mein, und keine Welt soll dich mir entreißen!«

Erschrocken blickte die Meermaid dem Grafen ins Gesicht, umsonst streckte sie wie flehend ihre Arme zum leuchtenden Mond, dass die Wassertropfen daran gleich schimmernden Perlen in die Wogen rollten. Sie fühlte sich emporgehoben und durch die Flut getragen von dem kühnen Räuber, der sie wie einen kostbaren Schatz im Turmgemach zu bergen eilte.

Nun wurde die Meerfrau des jungen Grafen eheliches Gemahl, und in stiller Seligkeit lebte er mit ihr auf seinem Schloss, fern von aller Welt. Doch blieb sie stumm und lernte nimmer reden, wenn sie allmählich auch begriff, was um sie her geschah. Die Robbenhaut, welche er vom Stein genommen, ehe die Jungfrau sich verwandeln konnte, hatte er sorgfältig in eine sichere Truhe verschlossen, denn er fürchtete, das holde Weib möchte ihm entrinnen, wenn in hellen Vollmondnächten der klagende Ruf ihrer Schwestern von der Bucht herauf ertönte. Drängte er sie, mit ihm den Turm zu verlassen und in den weiten Gemächern des Schlosses zu wohnen, dann blickte sie sehnsüchtig nach dem Meer zurück und sah dem Gemahl mit ihren wundervollen Augen so bittend ins Gesicht, dass er nicht zu widerstehen vermochte. In süßer Liebeständelei entflog ihm die Sommerzeit, und nach einem kurzen, wechselvollen Herbst breitete ein langer, harter Winter seine eisige Decke über Meer und Land.

Doch dem Sterblichen erweist sich das Geschick als launenhafte Göttin. Was ihm zum Segen gereichen soll, wandelt sich nicht selten zu seinem Fluch, und solche Doppelwirkung übt vor allem die nächste und vertrauteste Gefährtin, die Gewöhnung, auf ihn aus. Indem sich der Mensch allmählich dem Bösen wie dem Guten fügt, erträgt er das Schwere wie das Leichte, nur allzu rasch ermüdet ihn das Glück.

Des jungen Gatten Sinn begann nach und nach, ohne dass er sich dessen klar bewusst wurde, wieder nach außen zu streben, denn seiner Seele war der Stachel des Schmerzes genommen, und nun schaute er die Welt mit anderen Augen an. Anfangs streifte er mit dem schönen, stummen Weib über Felsen und Klippen, sich an der herben Schönheit seiner Heimat zu erfreuen. Dann, als er sah, wie die scharfe Luft ihrer zarten Gestalt wehtat, weite Wege sie ermüdeten, ließ er sie allein zurück im öden Turmgemach, endlich harrte er ungeduldig des Augenblicks, der ihn hinausführen sollte in den brausenden Wind, an das grollende Meer, weil die Schweigsamkeit daheim ihn mehr bedrückte, als er sich selber eingestand. Er bemerkte nicht, wie die Blässe auf der Meerfrau Wangen durchsichtiger wurde, wie ihre schönen, hellen Augen sich trübten und wehmütig an ihm hafteten, wenn er, ohne umzuschauen, hinwegeilte. Die Arme wusste ja nicht, wie es unter Menschen zuzugehen pflegt, und dass eine kluge Hausfrau sich in manches Wunderliche schicken muss. So verstrich langsam des Winters letzte Hälfte. Endlich begann der Frost zu weichen, der Schnee schmolz, hier und da tauchten grüne Spitzen auf, und einem kurzen, rauen Lenz folgte der warme Sommer.

Aber nicht alles war wie vordem. Hatte der Graf sich an das Umherschweifen gewöhnt oder scheute er die beredten Blicke der Verlassenen? Wer mag es ergründen? Vielleicht wirkte beides, das eine oder das andere überwiegend, in seiner Seele zusammen. Tagelang blieb er abwesend, kehrte dann wohl zurück und begrüßte freundlich das liebliche Weib, aber in seinem Herzen war es anders geworden und das verriet sich wider seinen Willen.

Einst hatte er eine längere Fahrt unternommen und kehrte erst zurück, als die Sonne untergegangen war und der Mond sein volles, glänzendes Rund über die Wogen erhob. Als er so am Strand dahinzog und nachsinnend die Ruder sinken ließ, gedachte er plötzlich jener Nacht, da er mit starker Hand die Seejungfrau gewonnen hatte. Er seufzte, und unwillkürlich griff seine Rechte nach dem Schlüssel zu der Truhe, welche die wunderbare Robbenhaut umschloss. Der Schlüssel, den er Tag und Nacht auf seiner Brust zu tragen pflegte, war verschwunden. Er musste ihn verloren haben. Da berührten leise, ferne Töne sein Ohr, und als er aufblickte, lag vor ihm die Einfahrt zur Bucht. Darüber erhob sich die steile Turmwand, Fenster und Altan hell von silbernem Glanz umsäumt. Eine weiße Gestalt schien sich droben zu bewegen. Aus den Wellen aber klagte es wie sanfte Trauermelodie, leise verhallend. Und nun tönte vom Altan herab liebliche Erwiderung. Überrascht von dem lang ersehnten, süßen Ton, hoben sich augenblicklich zwei Meerfrauen aus der Flut empor, schlangen ihren Reigen im Vollmondstrahl und streckten flehend ihre Arme zu der Schwester hinauf, die, von Menschenhand gefesselt, trauerte. Plötzlich verschwand die Gestalt. Doch nach kurzer Weile kehrte sie zurück, eine dunkle Hülle vor sich ausbreitend. Eben traf das Mondlicht ihr lockiges Haupt, ihr zartes Angesicht in holder Schönheit Fülle. Süße Töne entquollen ihren Lippen, als sei sie ein Schwan, der sterbend im Gesang die Seele verhaucht. Dann schlug sie den Mantel um ihre weißen Schultern und stürzte sich hinab in die Flut, die sich brausend über ihr schloss. Einen Augenblick lähmte starres Entsetzen des Grafen Arm. Dann raffte er sich auf und trieb sein Boot mit zitternder Hast in die Bucht hinein, das geliebte Weib zu retten, das ihm kaum jemals so begehrenswert erschienen war, als in jenem Moment, da ihn der Verlust desselben bedrohte. Wild blickte er um sich. Der Altan war leer, das Wasser dunkel, öde die Klippe. Da traf sein Blick das freie Meer, wo das Mondlicht noch auf den Wellenspitzen schwebte, und sah eine dunkle Masse, drei gewaltigen Robben gleich, in die offene See hinausrudern. Niemals kehrten die wunderbaren Geister zu jener Stelle zurück. Der nächste Sturm brach eine der Felsenhöhen und verschüttete die Bucht, und der Turm stand fortan einsam, denn der junge Graf zog in ferne Länder und kehrte nimmer heim.

Meerfrauen tauchten oft an den Küsten empor und versuchten die Schiffe zu erklimmen. Weil ihr Erscheinen aber den Seefahrern als ein Zeichen nahenden Sturmes galt, wehrten sie ihnen mit Gewalt. Der Wassergeister Augen sind hell und glänzend. Nur selten verstehen sie der Menschen Sprache, noch seltener reden sie selbst. Lange grüne oder blaue Haare wallen über ihre weißen, schimmernden Schultern hinab. Doch sind sie meist nur bis zum Gürtel Mensch und enden in einen Fischschweif. Wo übermütige Städte untergehen sollten, erschien zuvor eine weissagende Meerminne, doch verkündigte sie zuweilen auch Gutes, und man gewahrt noch heute an den Kielen der Schiffe oder an den Windfahnen auf den Türmen der Niederlande das Bild einer günstigen Meerfrau.

Im Jahr 1619 entsendete der König von Dänemark zwei Edelleute mit einem Schiff gegen Norwegen, nämlich Christian Holke und Wolf Rosensparr. Das Meer war an manchen Stellen völlig klar und eben, sodass sie den Grund zu beobachten vermochten. Plötzlich sahen sie einen Mann in der Tiefe wandeln, der unter jedem Arm ein Bund Stroh trug. Sie setzten sogleich ein Boot mit sechs Matrosen aus und warfen eine Angel nach ihm, an der ein ganzer Schinken steckte. Kaum berührte der Meermann das verführerische Geschenk, als sie ihn mit Harpunen festhakten und seines Sträubens ungeachtet auf die Oberfläche des Wassers brachten. Anfangs wollte er ihnen nicht Rede stehen, zerrte an seinen Fesseln und schwieg dann lange Zeit. Endlich sprach er: »Ich bin der König des Nordmeeres. Wehe Euch, wenn Ihr mich gefangen zurückhaltet, denn nimmer würde Euer Schiff das feste Land erreichten. Sturm und Wellen müssten Euch verderben. Lasst Ihr mich aber meiner Bande ledig, so will ich Euch glückliche Fahrt verleihen.« Hierauf gaben ihn die Edelleute frei und befahlen, ihn in das Boot zurückzuführen. Da sprang er über Bord ins Meer hinab und verschwand.

Wo Strudel im Wasser brausen, singen die Meerfrauen, gleich den Sirenen der Alten, ihr bezauberndes Lied und locken den Seefahrer in die unergründliche Tiefe.

Reichhaltiger noch, als die Sagen von den unterseeischen Beherrschern des Ozeans, sind die Überlieferungen von Geistern der Flüsse und Seen, der Brunnen und Quellen. Aus der Nixen Reich steigen Wasserlilien oder Mummeln auf die Oberfläche empor, und solche Gewässer nennen die Menschen Mummelseen. Nichus, Nicker, auch Neck hieß der Wassergeist schon sehr früh, und man dachte sich ihn fast nur als Mann. Später bildete sich allmählich eine Sagenfülle von weiblichen Herrscherinnen des feuchten Elements, man bezeichnete diese Meerwunder, fügte zum Hafsmann die Hafsfru, zum Seekönig die Seejungfer, zum Nix die Nixe. Aus der Heilquelle zu Pyrmont kam einst die liebreizende Brunnenfee herauf, und ein Graf gab sich ihr in heißer Liebe zu eigen. Neun Tage weilte er bei der Schönen im Wasserreich und schied dann auf einen Tag zur Oberwelt, von der er sich nicht völlig loszureißen vermochte. Den Geliebten sich zu bewahren, schlang die Nixe eine kostbare Kette um seinen Hals. Als diese aber einst im Kampfspiel zerrissen wurde, vergaß er die Wasserfrau und nahm auf Andringen seiner Freunde ein Eheweib aus vornehmem Geschlecht. Doch als der Priester am Altar den Segen sprach, trat plötzlich die Brunnenfee zwischen das Brautpaar, umfing den Grafen mit kalten Armen und ließ ihn tot auf den Boden niedergleiten, verschwand und kam nimmer wieder.

Die Nixen sind Wasserelben und bewahren alle Eigentümlichkeiten der elbischen Natur. Als einem Badenden in der Flut eine Jungfrau näher schwamm, erfasste er sie an ihren langen, grünen Haaren und führte sie mit sich in seine Heimat. Sie war ihm treu und hold, sprach aber nie zu ihm. Als er einst in unbedachtem Zorn sie fragte, woher sie sei, und ihr Kind zu töten drohte, wenn sie nicht die Wahrheit reden würde, rief sie voll Trauer: »Hättest du mich schweigen lassen, so würde ich deine Gemahlin verblieben sein, und das Glück wäre nimmer von dir gewichen. Jetzt muss ich scheiden, und du siehst mich niemals wieder!« Da verschwand sie mit dem Knaben, und dem Mann gedieh von Stund an nichts mehr.

Ungestümes Forschen, Scheltworte oder Schläge verletzen des Geistes zartere Natur, und er entweicht auf immer. Dennoch ringen die Wasserelben aller Sagen nach Erlösung durch der Menschen warmblütiges Geschlecht.

Sie mischen sich gern in Tanz und Spiel und sind dabei wie andere auch. Nur der nasse Kleidersaum macht sie kenntlich und der Umstand, dass sie zu bestimmter Stunde das Fest verlassen müssen. Aus einem See bei Wüstenahorn tauchten oft drei schöne Fräulein auf, kamen in das Dorf und tanzten mit Jünglingen und Jungfrauen fröhlich um die große Linde. Sobald es zwölf schlug, eilten sie hinweg, und niemand durfte sie halten. Ein Bursche beredete die anderen, die Zeiger der Uhr zurückzustellen, weil er dadurch die Jüngste der drei zu fesseln hoffte. Als sie aber des Betruges innewurden und die ihnen gesetzte Frist verstrichen war, gingen sie wehklagend hinweg, und der törichte Liebhaber blieb allzu schüchtern zurück. Erst am Morgen wagte er sich hinunter an den See, auf welchem er drei blutige Stellen erblickte. Die Nixen blieben verschwunden.

Die Sage lässt über ihnen, und zwar nur über den Frauen, ein finsteres, unabwendbares Verhängnis schweben, das einen Bund mit den Sterblichen durch Vernichtung straft. Der Grund, weshalb sie so die Nixenwelt scheidet, liegt ohne Zweifel in der zarten, abhängigen Natur der Frau, wie in seiner ganzen geschlechtlichen Sphäre und dem Gebot des Mannes. Insofern schließt oft die Sage einen tieferen Sinn ein, den sie hier zugleich mit dem flüssigen, durchsichtigen Element verbindet. Der Nix, welcher jenem Geschick nicht unterliegt, bedarf daher der Menschen nicht. Wenn der Wassermann den Mädchen nachstellt, ist es nur um seiner Kinder willen, denen er durch die menschliche Mutter ein besseres Los zu schaffen sucht.

Wie die Flüsse und Seen schimmert auch das wallende Haar der Nixen grün oder blau. Nur selten ruhen sie am Strand, ihre lichtfarbenen Locken mit goldenem Kamm teilend. Aus den Flüssen Russlands steigen die Rusalky empor, besonders in der Pfingstwoche, wo ihnen das Volk geflochtene Kränze in das Wasser wirft, mit denen sie ihre langen, grünen Haare schmücken, und im Sonnen- oder Mondenschein sich auf den Zweigen der Bäume am Ufer wiegen. Auch an der Donau, an der Elbe und Saale schweben die Flussnymphen auf dem Weidengeäst. Aus dem Mummelsee stiegen zweimal im Jahr allerliebste Seeweibchen, zwölf an der Zahl, und kamen ins nächste Dorf zum Tanz.

Eine unter ihnen hatte sich mit ihrem Burschen verspätet, und die anderen harrten schon angstvoll am Ufer, als das Paar endlich erschien. Da war große Freude unter den Vorausgeeilten, sie verehrten dem Jüngling ein Bund Stroh und stiegen eilfertig in den See hinab. Indem der Beschenkte nach Hause ging, neckten ihn die Gefährten ob der seltenen Gabe, und er warf sie unmutig fort. Nur ein Halm blieb an seinen Kleidern hängen, und der hatte sich am nächsten Morgen in eine schwere Goldstange verwandelt. Auch diese Seeweibchen hielten eine bestimmte Zeit ein. Sie verließen immer den Tanz, ehe die Glocke im Turm aushob, elf zu schlagen. Einmal verfehlten sie die Stunde und eilten jammernd hinweg, denn nun mussten sie sterben. Wirklich rötete sich das Wasser, sobald sie hinabgestiegen waren, und man sah sie nicht wieder.

Abends, wenn die Frauen und Mädchen miteinander um die Wette spannen und allerlei Kurzweil trieben, stellten sich auch die weißen Jungfrauen aus Seen und Flüssen ein, um an Arbeit und Scherz teilzunehmen. Sie spannen seidenweiches, wunderfeines Garn und webten es zu schimmernder Leinwand.

Mancher sah sie das Linnen bleichen oder waschen. Den weisen Frauen gleich, vermochten sie in die Zukunft zu schauen, drohendes Unheil durch klugen Rat abzuwenden und Heilmittel zu bereiten. Doch durfte man sie niemals zwischen Mitternacht und dem ersten Hahnenschrei herbeirufen, denn das wirkte der Hilfreichen sicheres Verderben. Wo auf Helgoland die Meerfrau einem Menschenweib in Kindesnöten beistand, mochte man leicht aus ihrer Erscheinung abnehmen, ob Glück oder Unglück bevorstehe.

Halb Fisch, halb Mensch bedeutete Unheil. Zeigte sie sich als schöne Jungfrau und half der Leidenden mit holder Rede, so war ein guter Erfolg gewiss. Kinder, die unter so günstigen Verhältnissen geboren wurden, erblühten in überirdischem Liebreiz und galten für die der Meerfrauen selbst. An manchen Orten kamen die Nixen auf den Markt, um Fleisch zu kaufen. Sie sahen aus wie gewöhnliche Menschen, und nur der gewohnte nasse Saum oder Schürzenzipfel verriet ihre Abkunft. Mehr Kobold als Nixe war das Wasserfräulein zu Biesenrode an der Wipper. Sie kam in einem seltsam geflickten Rock auf die Wiese am Ufer, wo sie fröhlich tanzte und dazu sang: »Hier ein Patzen! Dort ein Patzen!«

»Und da noch ein Patzen!«, rief ein Hirte, der sacht herbeigeschlichen war und der Harmlosen einen Peitschenhieb versetzte. Zürnend verschwand sie, und der Schäfer hütete sich von da ab, irgendeinem Wasser nahezukommen. Nur einmal, als heftiger Durst ihn plagte, begehrte er aus der Rinne zu trinken, in welche vom Bach aus Wasser für seine Tiere geleitet wurde. Kaum berührten aber seine Lippen den Rand, als die Nixe mit höhnischem Gelächter sein Gesicht in das Wasser hinabdrückte, bis er erstickt war.

Gleich hart bestraft die Wasserfrau jeden, der sie zu beleidigen wagt, vor allen denjenigen, der ihr die gelobte Treue schnöde brach. Wer einer Nixe sich ergeben hatte, melden alte Chroniken, darf keines anderen Gemahls begehren, wenn sie auch verschwand, denn sie lebt fort in ihrem unterirdischen Reich, und der Bund bleibt zu Recht bestehen. Manch gelehrter, kluger Kopf verwendete Zeit und Mühe an die Erörterung der Frage, ob ein Christ mit Wasserjungfrauen sich vermählen dürfe oder nicht.

Wo der Nix ein Mädchen entführte, war die Verlorene nur durch die Gewalt entschuldigt, der sie nicht zu widerstehen vermochte, und das herbe Los, welches dem luft- und lichtgewöhnten Menschen unter den Wassern zuteilwurde, sicherte ihr ein schmerzliches Gedächtnis. Nur wenn es der Bedrohten gelingt, auf ihrem Weg Dost oder Dorant zu berühren, muss der Wassermann fliehen. Um das zu verhindern, ruft er einer Frau zu, als sie ihm durch den Garten folgt: »Heb’ auf dein Gewand, dass du nicht fallest in Dost und Dorant!« Sie sank aber mit Fleiß in die Kräuter und war gerettet.

Der Nix ist böse, rachsüchtig, blutgierig. Schont er doch selbst der armen Nixchen nicht, wenn eines von ihnen sich beim Tanz allzu lange verweilt und ihn dadurch eine trauliche Verbindung mit den Menschen ahnen lässt.

Steigt die Schuldige ins Wasser hinab, so verkündet ein Blutstrahl die erfolgte Strafe. Gern betört er in Tiergestalt die Sterblichen und reißt sie dann hohnlachend in das nasse Grab, wie er Ertrunkene ansaugt, dass ihre Nasen sich röten, unter umgestülpten Töpfen birgt er ihre Seelen. Deshalb muss man kein irdenes Geschirr ins Wasser werfen, sonst duckt vielleicht gar der eigene Geist unter ein enges Krüglein oder Schüsselchen. Einst lud ein törichter Nix einen klugen Bauer zu sich in sein Wasserhaus, vor dem auf einer grünen Wiese ganze Reihen umgestürzter Töpfe standen.

»Der Tausend!«, sagte der Gast und beschaute neugierig die seltsamen Zierpflanzen, »was habt Ihr doch hier für hübsche Zwiebeln?«

»Es sind die Seelen der Ertrunkenen«, lachte der Nix und fletschte dabei seine spitzigen, grünen Fischzähne, »die gehören mir und dürfen so wenig in den Himmel wie ich selbst.«

Das merkte sich der Mann, gab wohl acht auf Weg und Steg, und als einst der Wassergeist nicht zu Hause war, stieg er hinab und lüpfte alle Töpfe. Husch! Und schon waren die armen, befreiten Seelen auf und davon. Doch als der Bauer in sein Gehöft zurückkehrte, vernahm er zu nicht geringem Schrecken schon von fern die Stimme seines bösen Weibes, das vor Jahren in den Fluss gefallen und ertrunken war!

Der Nix frisst seine eigenen Kinder. Wenn er die Wehmutter von der Erde holt, um der gehörenden Frau beizustehen, flüstert ihr diese nicht selten mit Tränen zu, dass der Vater das Neugeborene sogleich verspeisen werde. Allein dies ist eine jener wunderlichen Beimischungen, von denen der Volkswitz in seiner unerschöpflichen Laune eine Fülle aufzuweisen hat, die er zwar immer in einen gewissen scheinbaren, aber dem Wesen der Sage durchaus fremdartigen Zusammenhang bringt, bald erweiternd durch neu hinzugefügte Züge, bald entstellend, indem er Einzelnes in seinem Sinne umgestaltet, bald übertreibend, wie im gegenwärtigen Fall, wo er an die bösartige Natur des Nixes knüpft. Dieser willkürlich dichtende Humor erscheint daher in den mannigfaltigsten, oft sogar widersprechendsten Formen und Modifikationen.

Nach einer anderen Sage zum Beispiel wünschen fünf garstige, halb erwachsene Nickerchen der guten Frau zum Dank für geleisteten Dienst den Hals zu brechen, weil es die kleinen Kobolde offenbar nach frischem Menschenfleisch gelüstet. Der Alte aber verbietet solch Unterfangen streng, wendet sich darauf mit heuchlerischer Freundlichkeit zu der Scheidenden und forscht nach dem Preis, den dieselbe für ihre Hilfe beansprucht, oder bietet ihr eine Mulde voll Gold und Silber. Doch durch des Nixes eigene Hausfrau heimlich gewann, nimmt die Wehmutter gar nichts oder nur sehr wenig, wenn sie nicht bescheiden um ein Häufchen vom Kehricht, das in der Ecke liegt, anzuhalten wagt, denn solcher Staub verwandelt sich am Tageslicht zu Gold.

Aus der Laibach stieg am ersten Sonntag des Monats Juli 1547 ein Wassermann und mischte sich unter die Leute, welche unseren des Ufers lustwandelten und ein fröhliches Gelage hielten.

Er kam als ein stattlicher, wohlgekleideter Jüngling, grüßte freundlich und bot jedem die Hand, die sanft und weich, aber eiskalt anzufühlen war. Wie nun später der Tanz begann, trat er in die Reihe mit einer hübschen Dirne, Ursula Schäfer, die für ein leichtfertiges, putzsüchtiges Ding verschrien war. Des Wassermanns Art behagte ihr, bereitwillig ging sie auf alle seltsamen Possen ein, die er während des Tanzes mit ihr trieb. Nach und nach schweiften die beiden immer weiter von der Linde ab, um welche die anderen kreisten, und in tollem Wirbel ging es dem Fluss zu. Die Leute riefen dem Mädchen erschrocken nach, sich vorzusehen, aber schon war es zu spät. Mit gewaltigen Armen umschlang der Nix seine Beute nur fester und stürzte sich in die Wellen hinab. Ein anderes Mal kam er als kraushaariger, hübscher Bube zu einem Mädchen, welches am Ufer die Gänse hütete, legte den Kopf in ihren Schoß und verlangte, dass sie ihn kraulen sollte. Währenddessen hakte der Gürtel, den er trug, sich wie von selbst an des Mädchens Schürze an. In diesem Augenblick ging eine bekannte Frau vorüber, fragte nach der beiden seltsamem Tun und schaute zugleich dem schlafenden Burschen in den geöffneten Mund. Indem das Mädchen erzählte, löste es geschickt mit spielendem Finger den Gürtel von der Schürze und stand auf.

»Der ist ja der Nix!«, rief die Frau plötzlich aus. »Sieh nur, was er für spitze, eiserne Zähne hat.«

Darüber erwachte der Wassermann und lief ärgerlich davon, verfolgt von dem spöttischen Gelächter der Frauen: »Nix in der Grube, du bist ein böser Bube, wasch dir Deine Beinchen mit roten Ziegelsteinchen.« Wer ihn rechtzeitig erkennt, dem mag der Nix nichts anhaben, besonders, wenn man ihm auf die Füße blickt, die er, wie alle Elben, schlau verbirgt.

In Böhmen kam der Flussgeist gern auf den Markt, um Fleisch zu kaufen, bezahlte aber immer mit durchlöcherten, alten Groschen. Das waren solche, welche die Mädchen zum Schmuck aufzureihen pflegten, und die er den Ertrunkenen abgenommen hatte. Daran erkannte der Metzger den Wassermann und hieb ihn mit dem Beil in die Hand, wonach er zürnend entwich und nicht wieder kam.

Wenn Schlösser, Dörfer, Städte in die Erde versanken, quollen an ihrer Stelle Seen empor, in welchen die Nixen hausten, denen alles Unterirdische gehört. Wenn man bei hellem, ruhigem Wetter über solche Gewässer fährt, gewahrt man tief unten die Zinnen stolzer Bauwerke und vernimmt Glockenklang. Zu manchen Zeiten steigen die versunkenen Glocken auch empor. Wer sie findet und ein Tuch darüber breitet, hält das Eigentum des Sees auf der Erde zurück, denn jede unmittelbare Berührung mit dem Menschengeschlecht fesselt die elbische Natur.

Auf einer Wiese am Dambecker See fanden spielende Kinder drei herrlich schimmernde Glocken, und ein Mägdlein, dem das Fürtuch (Schürze) ins Wasser gefallen war, breitete dasselbe, um es zu trocknen, im warmen Sonnenschein über eine der Schalen aus. Als die Zeit verstrichen war, erhoben sich zwei der Glocken und bewegten sich langsam nach dem See zurück.

»Komm, o komm!«, tönte es melodisch der Dritten zu, welche noch an ihrem Platz verharrte.

Da klang sie zurück: »Ich kann nicht, mich hält das Tuch.«

Nun eilten die Kinder nach Hause und berichteten die Wundermahr. Da kamen die Leute, Jung und Alt, herbei und spannten nacheinander alle Pferde vor, die sie aufzutreiben vermochten, doch die Glocke wich nicht von der Stelle, weil die Reichen im Ort beschlossen hatten, sie für sich allein zu behalten. Schon wollten sie missmutig von dannen gehen, als ein armer Mann mit zwei mageren Ochsen des Wegs daher kam. Die legte er vor und rief: »Nun mit Gott für Arm und Reich, allzugleich.« Da zogen die Tiere an und brachten die Glocke ohne große Mühe bis zu der alten Kirche, in deren Turm sie aufgehängt wurde. Die Dambecker sagen, ihr Gotteshaus sei das Älteste weit umher, es habe schon vor der Sintflut gestanden. Das weiß auch die Glocke, deshalb läutet sie immer: Dambeck! Dambeck!

Der Nix begehrt der Opfer. Im Norden, wo man sie ihm freiwillig darbringt, lehrt er die Menschen dafür Musik und Gesang.

Allein er ist ein rauer Lehrmeister, er fasst des Zöglings rechte Hand und führt sie über die Geige oder über die Saiten der Harfe hin und zurück, bis das Blut aus den Fingerspitzen hervorquillt. Dafür muss ihm ein Lamm oder ein Böcklein gespendet werden.

Zwei Knaben, Söhne eines Priesters, lauschten einst am von Büschen gesäumten Ufer den seltsam holden Melodien des Neck, der in den Binsen sitzend seine Harfe schlug.

Endlich riefen sie ihm zu: »Was singst du so fröhliche Lieder, einfältiger Neck? Du wirst doch nicht selig.«

Da weinte der Flussgeist und sank mit schmerzvoller Klage in die Tiefe hinab. Als nun die Kinder nach Hause kamen und das Erlebnis berichteten, schalt der Vater ihre Lieblosigkeit und gebot ihnen, sogleich zum Wasser zurückzukehren und den armen Nix zu trösten. Der war unterdessen wieder emporgestiegen, hielt die Harfe im Arm und betaute sie mit seinen Tränen.

»Weine nicht mehr«, sprachen die Knaben zu ihm, »unser Vater hat gesagt, dass auch dein Erlöser lebt!«

Da lächelte der Wassergeist den beiden freundlich zu, nahm seine Harfe wieder auf und spielte die ganze Nacht hindurch süße, liebliche Lieder.

Wem der Nix das Harfen- oder Geigenspiel gelehrt hat, der vermag den Saiten so wunderbar schöne Töne zu entlocken, dass jedem, der sie hört, das Herz vor Freude zu hüpfen beginnt, das die Wasser im Lauf innehalten, Baum und Pflanzen sich in trunkener Seligkeit zu dem Spielmann neigen. War aber das Tier, welches für die Unterweisung geopfert wurde, nicht zart und feist genug, dann brachte es der Schüler, aller Anstrengungen ungeachtet, nicht weiter als bis zum Stimmen des Instruments.

Mit finsterer Gewalt reißt der Nix am bestimmten Tage den in sein Wasserhaus herab, dem es beschieden ist, im Fluss zu ertrinken.

»Die Stund ist da, aber der Mensch noch nicht!«, hört man ihn aus den Wellen rufen, und der, dem es gilt, muss kommen, so schnell er es vermag. Es hilft nichts, dass andere ihn zurückzuhalten suchen, es treibt ihn mit unwiderstehlicher Gewalt in sein feuchtes Grab. Am schlimmsten ist der Johannistag, denn an diesem tauchen die Nixen empor und klatschen freudig in die Hände. Wenn es dunkelt, ruft es mit zarter Frauenstimme: »Komm, komm! Wo weilst du so lang’? Ich harre dein, komm, o komm!«

Geht aber ein Mädchen vorüber, ahmt der Geist des Liebsten Stimme nach. Aus rauschenden Bergwässern tönt es wild: »Ich muss einen Menschen haben.«

Aus anderen: »Die Zeit ist um, die Stund’ ist da! Wäre nur der Mensch erst da.«

Den kleinen Kindern, welche in den Brunnen fallen, gibt die Nixe wirren Flachs zu spinnen. Wenn die Müller an der Bode das Wasserhuhn pfeifen hören, meinen sie, es ertrinke eben ein Mensch darin, und ehedem warfen sie ein schwarzes Huhn hinein, um des Bedrohten Seele zu erretten.

Die Wassergeister sitzen lauernd unter der Brücke, den Lebenden zu schaden. Frommer Glaube errichtete dort der Heiligen Bildnisse, um die Bösen zunichtezumachen. Zu Gamburg an der Tauber haust solch ein arger Wicht, der einen langen Haken führt, mit dem er unvorsichtige Kinder in die Fluten hinabreißt. Einst gingen Frauen über die Brücke und hörten ihn plätschern. Eine unter ihnen vermaß sich, an das Ufer hinabzusteigen und nach dem Nix zu schauen. Als sie wieder zu den anderen kam, war sie bleich und erschrocken.

»Nun«, riefen diese ihr entgegen, »wie sieht der Wassermann aus?«

»Ach«, sagte die Frau, »ich wollte, dass ich meinen Vorwitz unterlassen hätte. Er ragte mit halbem Leib aus den Wellen hervor, hatte schwarze Locken, einen krausen Bart. Als er mich mit seinen scharfen, hellen Augen anblickte, gab es mir einen Stich ins Herz.« Von jener Zeit an blieb die Frau still und gedankenvoll, nahm sichtlich ab und starb wenige Wochen darauf.

In einem kleinen westfälischen See, der Barmsee genannt, zeigte sich vor Zeiten ein gewaltiger Schmied auf dem Wasser, der gegen ein Bestimmtes den Leuten allerlei gutes Haus- und Ackergerät schmiedete. Auf einer Wiese am See fanden einst Vorüberwandernde ein rau behaartes Kind liegen.

Der Schmied rief ihnen drohend zu: »Nehmt mir meinen Sohn nicht weg.«

Sie kehrten sich aber nicht daran, und einer von ihnen erzog den Findling zu einem fleißigen und klugen Knecht.

Als der Raue nun zwanzig Jahre alt geworden war, trat er vor seinen Herrn und sprach: »Ich muss hinweg. Mein Vater hat mich gerufen.«

Das tat dem Bauer bitter leid und er forschte, ob es denn kein Mittel gäbe, dem zu entgehen. Der Knecht verlangte ein gutes, starkes Schwert, doch dürfe nichts vom Preis abgehandelt werden. Zweimal täuschte ihn sein Herr, endlich brachte er ihm ein Schwert, bei dem nichts abgedingt worden war. Damit schlug der Raue in das Wasser, dessen Oberfläche blutig rot erschien.

»Wäre Milch aufgestoßen oder ein hölzernes Tellerlein mit einem Apfel«, sprach nun der Knecht, »so möchte es mir geschenkt seien.« Sprang in den See hinab und versank.

Auch hier begegnet uns der willkürlich schaffende Volkswitz, denn einer anderen Sage nach fand eine Bäuerin das raue Kind, nahm es mit nach Hause und schnitt ihm den garstigen Pelz ab. Doch des Kindes Mutter folgte der Spur, trat an die Hecke, die den Hof umgab, und forderte zurück, was ihr genommen worden war. Ehe das Seeweib aber wieder in das Wasser versank, rief es der Bäuerin zu: »Kind geschoren, Glück verloren bis ins dritte, vierte Glied!« Und von jener Zeit an ruhte auf dem Gehöft weder Glück, noch Segen, die Ernten missrieten, das Vieh starb, die Gebäude brannten ab.

Die Nixenfrauen stehlen gern Kinder oder vertauschen ihre ungestalteten Kleinen mit den Menschensprösslingen, die sie jedoch unter gewissen Bedingungen zurückgeben. Wie allen Elben schrieb man auch den Nixen besondere Gewalt über Wöchnerinnen und Ungetaufte zu. Deshalb musste ein Licht im Zimmer brennen oder die Frau deckte sich mit einem Gewand ihres Mannes zu. Die Nixensöhne sind plumpe, dickköpfige Burschen, eben so hässlich und ungelehrig, wie die Nixentöchter lieblich und klug. Manche Sagen wissen es freilich besser. Die Nixen tauschen ihre Alten, die nicht mehr recht für das muntere Spiel im Wasser taugen, gegen kleine Christenkinder aus und überlassen es den einfältigen Menschen, den alten Nick, der ihnen aufgezwungen worden war, zu hegen und zu pflegen. Solch ein Wechselbalg, wie ihn Unkundige nennen, schmutzig und stumm, fast wie ein Tier, ließ sich drei Jahre lang in einem Bauernhof füttern. Einmal, zur Erntezeit, fuhr ein ungeschickter Knecht den schweren, hoch beladenen Getreidewagen so gegen das Hoftor an, dass er nicht wieder los konnte. Der Wechselbalg hockte am Fenster und sah ihm zu. »Soll ich helfen?«, fragte er plötzlich.

»Dummer Quark!«, rief der Knecht, den es wohl verdrießen mochte, dass ihm der Türpfosten nicht gewichen war, »das wirst du wohl bleiben lassen.«

Aber der alte Nicker stieg mit seinen dünnen Beinchen von der Bank herunter, kam auf den Hof gewackelt und hob den schweren Wagen wie spielend zur Seite. Da merkte der Knecht, was es mit dem Kleinen für eine Bewandtnis habe, der aber verschwand nach drei Tagen.

Einem anderen, der sich wild und gefräßig zeigte, kochte die Bäuerin einmal Schuhsohlen, worauf er abzog. Solche Nicker haben nur ein Nasenloch und müssen beständig den Mund offen halten.

Zu Jiggeljaggel war eine heilkräftige Quelle. Wer darin badete, genas seines Leidens, und Kinder, die nicht gedeihen wollten, wurden von nah und fern dorthin gebracht. Ein Mann und sein Weib, denen solch ein Nicker für ihr liebes Kind in die Wiege gelegt worden war, beschlossen mit demselben die Wallfahrt zu unternehmen. Sie laden den Unhold in ein Boot und begegnen unterwegs einem Fahrzeug, in welchem Unterirdische sitzen, und zwar eben jene, die das Menschenkind gestohlen haben.

»Wo willst du hin?«, rufen sie ihrem Alten zu und lassen verwundert die Ruder sinken.

»Sie wollen mit mir nach Jiggeljaggel und mich baden lassen, damit ich gedeihe«, entgegnet verdrießlich der Nicker.

Jene nehmen das gewaltig übel und schlagen das Kind. Als nun die Frau ihr liebes Söhnlein schreien hört, prügelt sie den Alten, und die Unterirdischen, hierüber erbost, werfen den Kleinen in das Wasser, den die Mutter mit einem raschen Griff glücklich erheischt, während sie den Wechselbalg kopfüber in die Fluten stößt. So nahm jeder, was ihm gebührte, und der Nicker entging dem gefährlichen Bad, welches ihm die elbische Art abzustreifen drohte.

Der Wassergeist erscheint manchmal mit roten, struppigem Haar wie ein Kobold, als kleines, graues Männchen oder als ein großer Mann mit einem verrunzelten Gesicht und tückisch blickenden Augen, Krallen an den Händen, grün oder rot gekleidet. Immer aber boshaft, hinterlistig, blutgierig. In vereinzelten Sagen zeigt er sich schwarz. Wer zu lange in das Wasser blickt, dem winkt er. Er ist den Menschen feindlich gesinnt, begabt selten. Nur einmal wickelte das Seemännlein die Frau, welche seinem Weib treulich beigestanden hatte, in Stroh, das sie unterwegs fortwirft. Doch ein Halm, der an ihrem Kleid hängen blieb, wurde zu Gold. Die Nixen dagegen verehren den Menschen wunderbare Geschenke. Einem jungen Paar schenkte die Wasserfrau aus besonderer Huld eine silberne Maßkanne, an der Glück und Segen hafteten, denn das darin geschöpfte Wasser wandelte sich stets zu Wein. Mehr als einmal am Tag aber durften sie das Gefäß nicht füllen. Als sie gegen das Gebot handelten, erlosch die Wunderkraft, und die Besitzer gerieten ins Elend.

So begabte die Nixe eine Frau von Alvensleben mit einem kostbaren Ring dafür, dass sie ihr in der Nacht mit Rat und Tat beigestanden hatte. Eine Frau von Hahn empfing drei Stücke feinen Goldes, aus denen sie ein Streichmaß, einen Becher und einen Ring fertigen ließ. Andere Sagen berichten dasselbe von dem Geschlecht der Grafen von Orgewiler. Der Letzte dieses Stammes war vermählt. Seine Gattin hatte ihm aber nur Töchter geboren. Eine Zeit lang bemerkte die Gräfin, dass ihr Gemahl alle Montage zum Waidwerk auszuziehen pflege und ungebührlich lange draußen bleibe. Das erschien ihr wunderbar, allein sie enthielt sich unzeitiger Neugier und ließ es ruhig geschehen. Nach Jahren empfing sie heimliche Botschaft oder der Graf hatte vielleicht selbst einen Verdacht in ihr rege gemacht, der sie auf seine Spur brachte, genug, sie folgte ihm in der Stille nach bis zu einem entlegenen Gartenhaus. Dort fand sie ihn in den Armen einer wunderholden Frau, das Haupt schlummermüde an ihre Brust gelehnt. Die Gräfin wollte die sanft Schlafenden nicht erwecken. Lautlos nahm sie den Schleier von ihrem Haar und breitete ihn über beider Füße. Als nun die Wasserfee erwachte und das Tuch erblickte, stieß sie einen Schrei des Entsetzens aus, erhob laut klagend ihre Hände und sprach: »Wir müssen scheiden! Mich treibt das Geschick weit hinweg von dir und ich darf nimmer wiederkehren. Nimm diese drei Wahrzeichen, ein Streichmaß, Ring und Becher, und verteile sie unter deinen Töchtern als ein Unterpfand des glücklichsten Gedeihens.«

Uralt sind die Sagen von einer Verwandlung der Wassergeister in Tiere. Schon bei Griechen und Römern erschuf der Herr des Meeres das edle Ross und verschmähte es nicht, seine Götterart in Pferdegestalt zu bergen. Nordische Überlieferungen lassen den Seekönig als ein schönes, apfelgraues Ross den Fluten entspringen. Wenn der Sturm seine ungeheuren Fittiche ausspannt und die Wogen haushoch emporwirbeln, jagt der Beherrscher des Ozeans in Gestalt eines ungeheuren Pferdes über die Wellen dahin.

Wieder andere Sagen, die ebenfalls an griechische Mythen erinnern, melden von einem schönen, starken Stier, der aus dem Wasser heraufsteigt und sich unter die Herden mischt. Nach unholder Geister Art wussten die Bewohner der Flüsse und Seen sich als Zugtiere auf den Wiesen darzustellen und ließen sich geduldig besteigen oder in das Joch spannen, worauf sie in ungebändigter Wildheit, Feuer und Flammen sprühend, Mann und Pflug mit sich auf den Grund des Wassers hinabrissen. Verwandte Geister trieben in Mooren und Sümpfen, wie im grundlosen Erlenbruch ihr gefürchtetes Wesen, und ohne Rettung war jeder verloren, den sein böser Stern in die Gewalt dieser tückischen Wasserelben führte.