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Der Welt-Detektiv Band 6

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Jimmy Spider – Folge 2

Jimmy Spider und der Galgen am Abgrund

Wie­der ein­mal ein mys­te­ri­ö­ser Auf­trag, wie­der mal eine mys­te­ri­ö­se Be­schrei­bung vom Chef und mys­te­ri­ö­ser­wei­se führ­te mich mein neu­er Auf­trag wie­der mit­ten ins Nir­gend­wo. We­ni­ger mys­te­ri­ös war, dass ich wie­der mein üb­li­ches Out­fit trug und eine Ein­satz­kis­te mit ver­schie­dens­ten Waf­fen, Un­ter­la­gen und un­heim­li­chen In­gre­di­en­zi­en mit mir trug.

Die Holz­kis­te hat­te ich lei­der nicht mit nach Si­bi­ri­en neh­men kön­nen, denn schließ­lich fand ich un­ter an­de­rem eine Fla­sche Wod­ka da­rin, und Kis­ten mit der­ar­ti­gem In­halt ver­schwan­den ger­ne mal am Mos­kau­er Flug­ha­fen. Selt­sam, da­bei ha­ben die Rus­sen doch so viel da­von.

Der Fall um den ge­heim­nis­vol­len Tun­nel war ab­ge­schlos­sen, für mich je­den­falls. Wie mein Chef ge­hört hat­te, wur­de der Tun­nel­ein­gang mitt­ler­wei­le zu­be­to­niert. Was auch im­mer sich da­rin noch für Schre­cken be­fin­den moch­ten, sie muss­ten sich nun da­mit be­gnü­gen, sich ge­gen­sei­tig zu er­schre­cken. Schreck­li­che Vor­stel­lung.

Zu­min­dest hat­te die­ses Nir­gend­wo auch ei­nen Na­men – Bar­ce­lo­na.

Lei­der hielt das nicht lan­ge an, denn nach der An­kunft am Flug­ha­fen ging es mit ei­nem be­reit­ge­stell­ten Ge­län­de­wa­gen (die Mar­ke ver­ra­te ich lie­ber nicht, wir sind ja hier nicht bei der Wer­bung) mit­ten in die Ein­öde hi­nein. Wäh­rend der äu­ßerst lang­wei­li­gen Fahrt, die ich durch die Glä­ser mei­ner wert­vol­len Dienst­son­nen­bril­le be­trach­te­te, be­glei­te­te mich stets das Schep­pern mei­ner im Kof­fer­raum lie­gen­den Kis­te.

Schließ­lich kam ich doch an und stell­te mein Auto ne­ben ei­nen bei­na­he iden­ti­schen Ge­län­de­wa­gen. Of­fen­bar hat­te mir der TCA Un­ter­stüt­zung zu­kom­men las­sen. Es soll­te mir recht sein, denn ge­teil­te Ar­beit ist be­kannt­lich hal­be Ar­beit. Zu­min­dest für mich.

Vom Him­mel he­rab drück­ten wei­ter­hin die wär­men­den Strah­len der Mit­tags­son­ne auf mein Ge­müt. Kein ein­zi­ges Wölk­chen zeig­te sich am Fir­ma­ment, als hät­ten sie alle ge­mein­sam Ur­laub ge­nom­men, um mich zu är­gern.

Als ich aus­stieg, kam mir be­reits mein Kol­le­ge ent­ge­gen­ge­lau­fen. Es war nie­mand an­de­rer als Steven McLaug­hing­ton, Jung­spund der TCA und gleich­zei­tig ein ent­fern­ter Ver­wand­ter mei­nes Chefs. Das konn­te ja hei­ter wer­den.

Steven trug wie im­mer ein wei­ßes T-Shirt, das ihm bis über die Hüf­ten fiel, dazu eine kur­ze Jeans­ho­se und San­da­len. Sei­ne kurz ge­scho­re­nen blon­den Haa­re woll­ten so gar nicht zu sei­ner blau­en Son­nen­bril­le pas­sen. Of­fen­bar hat­te er von sei­nen Vor­fah­ren, den Schot­ten, kein be­son­de­res Mo­de­be­wuss­tein ge­erbt. Im­mer­hin hat­te er auf ei­nen Kilt ver­zich­tet.

»Ah, Mr Spi­der, ich habe Sie schon er­war­tet. Kann ich Ih­nen et­was ab­neh­men?«

Ich reich­te ihm mei­ne Son­nen­bril­le. »Viel Spaß da­mit.«

Mei­ne Kis­te trug ich lie­ber selbst. Wer wuss­te denn schon, was die­ser fleisch­ge­wor­de­ne Alb­traum ei­nes je­den Mo­de­schöp­fers da­mit an­stel­len wür­de. Blieb die Fra­ge, ob er mit dem Fall ge­nau so we­nig be­wan­dert war wie mit sei­nem Stil­ge­fühl.

»Eine Fra­ge, Mr McLaug­hing­ton, war­um in al­ler Welt küm­mert sich die TCA ei­gent­lich um die­sen Gal­gen? Und war­um ge­ra­de jetzt?«

Hin­ter mir stöhn­te mein Kol­le­ge auf. Ob we­gen der Kis­te, der Hit­ze, mei­ner Fra­ge oder weil er ge­merkt hat­te, dass er mit sei­nem Auf­zug nicht mal in die he­run­ter­ge­kom­mens­te Knei­pe von Bar­ce­lo­na he­rein­ge­las­sen wor­den wäre, wür­de ich wohl nie he­raus­fin­den.

»Ir­gend­wel­che Tou­ris­ten ha­ben sich wohl vor gut ei­ner Wo­che hier­her ver­fah­ren, die­sen Gal­gen ent­deckt und es der ört­li­chen Po­li­zei ge­mel­det. Und be­vor sich ir­gend­wel­che Bou­le­vard-Jour­na­lis­ten-Gei­er auf die Sto­ry stür­zen konn­ten, hat der Po­li­zei­chef die­ser Ge­gend sei­ne Be­zie­hun­gen spie­len las­sen. Wer weiß, viel­leicht ist er ir­gend­wie mit dem Chef ver­wandt. Je­den­falls hat man uns da­mit be­auf­tragt, die­ses Ding zu un­ter­su­chen, sein Ge­heim­nis zu lüf­ten und ihn ver­schwin­den zu las­sen.«

»Aha.«

Der Chef muss­te ja eine tol­le Ver­wandt­schaft ha­ben.

Der Weg war zum Glück nur kurz. Schon nach gut ei­ner hal­ben Mi­nu­te war ich am Tat­ort an­ge­kom­men. Gut, Tat­ort war et­was über­trie­ben, also nen­nen wir es ein­mal eine Be­son­der­heit. Da­bei han­del­te es sich um ei­nen Gal­gen, wie man ihn aus ver­schie­de­nen Wes­tern, ge­ge­be­nen­falls auch aus dem Mit­tel­al­ter kann­te. An sich nichts Un­ge­wöhn­li­ches, wäre da nicht die Tat­sa­che, dass der Gal­gen ein­sam und ver­las­sen di­rekt auf ei­nem klei­nen Fels­vor­sprung am Ran­de ei­ner Schlucht stand.

Vor mir bau­mel­te der Gal­gen­strick leicht im Wind. Un­ter ihm war nur der Ab­grund.

Ich stell­te mei­ne Kis­te di­rekt auf den Fels­vor­sprung, um so bes­ser mei­ne Un­ter­su­chun­gen durch­füh­ren zu kön­nen.

Mein Kol­le­ge war mir ge­folgt und konn­te sich eine ob­li­ga­to­ri­sche Fra­ge nicht ver­knei­fen. »Was ma­chen wir jetzt?«

Ich ver­dreh­te die Au­gen. Ob Steven McLaug­hing­ton den gan­zen Weg da­rü­ber nach­ge­dacht hat­te, wie er die­se Fra­ge for­mu­lie­ren soll­te?

»Wir un­ter­su­chen das Ding.«

»Den Gal­gen?«

»Nein, den drit­ten Stein von links.«

Mein Kol­le­ge sah mich, wie soll­te es an­ders sein, nur ver­wirrt an.

Nichts­des­to­trotz öff­ne­te ich mei­ne Ein­satz­kis­te und kram­te eine Pa­ckung Streich­höl­zer her­vor.

McLaug­hing­ton, der nun di­rekt ne­ben mir eben­falls auf dem Fels­vor­sprung stand, schau­te mich wie üb­lich leicht ver­wirrt an.

»Was wol­len Sie da­mit? Den Gal­gen an­zün­den?«

»So in etwa …« Es soll­te ein Test wer­den, ob dies vor mir zu­min­dest ein phy­sisch nor­ma­ler Gal­gen war.

Ich zün­de­te ein Streich­holz an. Et­was knack­te.

»Ha­ben Sie das ge­hört, Mr. Spi­der?«

»Na­tür­lich. Ir­gend­wo hat ein Stein ge­knackt.«

Mein Kol­le­ge zuck­te mit den Schul­tern.

Die Hand mit dem Streich­holz nä­her­te sich lang­sam dem Gal­gen. Wer ihn wohl dort­hin ge­baut hat­te? Ein be­trun­ke­ner In­qui­si­tor? Ein blin­der Hen­ker? Die Dal­tons?

Noch be­vor die Flam­me das Holz er­rei­chen konn­te, knack­te es wie­der, dies­mal lau­ter.

McLaug­hing­ton tipp­te mir auf die Schul­ter.

»Mr. Spi­der, ich den­ke …«

»Schon gut, über­las­sen Sie mir lie­ber das Den­ken.«

Wie­der knack­te et­was, so­gar mehr­fach hin­ter­ei­nan­der. Ir­gend­et­was schien un­ter mir zu bre­chen. Mein Kol­le­ge war be­reits ei­ni­ge Schrit­te zu­rück­ge­tre­ten.

Ich schau­te auf mei­ne Füße. Um sie he­rum wa­ren grö­ße­re Ris­se entstan­den. Lang­sam sack­te der Vor­sprung dem Ab­grund ent­ge­gen – mit mir als blin­dem Pas­sa­gier.

Doch so leicht ließ ich mich von ei­nem Fel­sen nicht um­brin­gen. Ich nahm kurz An­lauf und sprang.

Un­ter mir krach­te es, der Fels­vor­sprung ver­schwand gen Tie­fe, und ich se­gel­te wie­der auf fes­ten Un­ter­grund, roll­te mich ab und sprang so­fort wie­der auf. Ge­mein­sam mit mei­nem Kol­le­gen lief ich zur Klip­pe.

Von dem Gal­gen war nicht mehr all­zu viel zu se­hen. Es soll­te mir recht sein.

»Tja, Mr. McLaug­hing­ton, es sieht aus, als wäre der Fall ge­löst.”

Mein Kol­le­ge be­gann plötz­lich hys­te­risch mit den Ar­men zu fuch­teln.

»Ge­löst? Sag­ten Sie ge­löst? Wir ha­ben doch über­haupt nichts ge­löst. Der Gal­gen hat …«

»… sich selbst ge­rich­tet. Er konn­te sich ja schlecht auf­hän­gen.«

»Aber mit ver­schwin­den las­sen mein­te ich … ich …« Mein Kol­le­ge ver­schluck­te sich beim Spre­chen.

Plötz­lich wur­de ich blass. In sei­ner letz­ten Ak­ti­on hat­te es der Gal­gen tat­säch­lich noch ge­schafft, mein wert­volls­tes Mit­bring­sel mit in den Ab­grund zu rei­ßen, die Kis­te mit dem Wod­ka!

»Mr. McLaug­hing­ton, sor­gen Sie un­ver­züg­lich da­für, dass das Ab­ge­stürz­te ge­sich­tet und ge­si­chert wird.«

Mein Kol­le­ge sah mich ent­geis­tert an. »Aber …«

»Dan­ken Sie mir nicht, die­ser Fall hat­te ei­nen zu ho­hen Preis.«

Da­nach dreh­te ich mich um und ging zu mei­nem Wa­gen. Der nächs­te Auf­trag war­te­te be­stimmt schon sehn­süch­tig auf mich.

Copyright © 2008 by Raphael Marques